Die Sehnsucht nach der Fremde

Intentionen, Chancen und Grenzen von Fremdheitserfahrungen in Gruppenreisen am Beispiel Türkeitourismus


Trabajo de Seminario, 2006

25 Páginas, Calificación: 1,3


Extracto


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Motivation, Ausgangslage und Zielsetzung der Arbeit
1.1 Über die Besonderheit der Türkei als Urlaubsland
1.2 Gruppenreisen als Chance interkulturellen Fremdverstehens?

2. Theoretische Grundlagen
2.1 Varianten des Fremdverstehens
2.2 Psychoanalytische Konstitution vom „Fremden“
2.2.1 Xenophobie
2.2.2 Exotismus

3 Fremdheitsbewältigung: zwischen Faszination und Bedrohung
3.1 Projektionsfläche Türkei
3.2 Gruppenreisen als Möglichkeit wohldosierter Fremdheitserfahrung

4 Produktion, Rezeption und Reproduktion exotischer Fremdheit
4.1 Mediale Inszenierung touristischer Illusionsproduktion
4.1.1 Das Bild des „edlen Türken“
4.2 Eingeschränkte Wahrnehmung
4.3 Inszenierte Begegnungen
4.3.1 Der vermeintliche Blick auf die Hinterbühne
4.4 Über die Exklusivität „authentischer“ Fremdheitserfahrung

5 Konflikte und Folgen der Grenzüberschreitungen
5.1 Über die Schwierigkeit angemessenen Verhaltens
5.2 Gefahren der „Schnappschussjagd“
5.2.1 Hierarchischer Blick

6. Möglichkeiten einer sozialverträglichen Annäherung
6.1 Verbesserte Aufklärung
6.2 Auflockerung der zeitlichen Rahmenbedingungen
6.3 Verstärkte Nutzung regionaler Ressourcen

Zusammenfassung und Fazit:

Literaturverzeichnis:

Einleitung

„Was ich wünschte war Bewegung. Es verlangte mich nach der Erfahrung in der Fremde um eines Gefühles willen. In mir war ein Überschuss an Kraft, der in unserem alltäglichen Leben keinen Raum zu Bestätigung fand“ (Leon. N. Tolstoi.).

„Es lässt sich wohl Kaum abstreiten, dass die Vorstellung von einem freien ungebundenen Leben uns seit jeher berauscht und beflügelt hat.

In unserer Gedankenwelt verbinden wir damit die Flucht vor der Last der Geschichte, vor Unterdrückung, dem Gesetz und lästigen Verpflichtungen. Wir sehnen uns nach der absoluten Freiheit, und der Weg dorthin führte schon immer in die Fremde“(Wallace Sregner).

Mit solchen oder ähnlichen Gedanken im Gepäck haben sich schon unzählige Reisende und Abenteurer, weit vor der Entstehung eines Tourismussektors, auf den Weg gemacht um fremde Welten zu erkunden und ihren Horizont zu erweitern. Viele Reiseberichte und Romane bauen auf diesen Motiven auf. Sie beschreiben die Faszination des Fremden und sind nicht selten von der Freiheits-Projektion der Romantik geprägt, die Fremde als unberührte und bessere Welt zu betrachten. Enzensberger nimmt an, dass sich auch aus diesen Leitmotiven heraus der Tourismus am Anfang des 19. Jahrhunderts entfalten konnte. Als Parallelentwicklung zur bürgerlichen- und Industriegesellschaft. Ziel war die Flucht. Doch die Befreiung von der industriellen genormten Welt hat sich, so Enzensberger, selbst als Industrie etabliert. Der Tourismus ist gekennzeichnet durch die Elemente jeder industriellen Produktion: Normung, Montage und Serienanfertigung (vgl. Enzensberger 1958). So fließen Fremdheitsstereotype, Wünsche, Erwartungen und Sehnsüchte in den ökonomischen Prozess mit ein und formen eine genormte Fremdheit, die leicht konsumierbar ist, der Nachfrage entspricht und vor allem auch erwartbar bleibt.

Gerade in der Türkei findet man allerorts abgeschlossene Refugien, in denen die Annehmlichkeiten des Abendlandes und die gewohnten Zutaten westlicher Kultur zu künstlichen Urlaubs-Welten zusammengeschmolzen sind. In Architektur und dem allabendlichen Schauprogramm reproduzieren die Hotelketten Fremdheitsklischees auf spielerische Art und Weise. Natürlich ist den meisten Touristen diese „Inszenierung“ bewusst, stellen sie doch eine bequeme Art dar, im Schutze des Hotels orientalisches Flair zu erleben, ohne auf das „deutsche Bier“ verzichten zu müssen. Neben der Abschottung in touristische Scheinwelten, ist aber wieder ein neuer Trend zu beobachten: Eine Studie des Ammerlander- Studienkreises für Tourismus und Entwicklung kam zu dem Ergebnis, dass die Touristen vermehrt Interesse am Kennen lernen von Land und Leuten zeigen. 38 Prozent der Befragten gaben den Wunsch an, abseits der Touristen-Zentren auf Einheimische treffen zu wollen.1 Schrutka-Rechtenstamm geht davon aus, dass die Angebote, welche ein Einsteigen in die fremde Kultur versprechen, allgemein häufiger werden (vgl. Schrutka-Rechtenstamm 1999, S.107). Darüber hinaus konnte die Tourismusindustrie der Türkei in den letzten Jahren eine steigende Nachfrage an Kultur- und Gruppenreisen verzeichnen (vgl. Vielhaber 2000, online).

Was für Intentionen verbergen sich hinter dem Wunsch der Fremde zu begegnen und inwieweit lässt er sich in Gruppenreisen realisieren? Dieser Frage will ich im Hinblick auf die Türkei als Urlaubsdestination nachgehen, gleichzeitig aber auch die damit verbundene Problematik aufzeigen.

1. Motivation, Ausgangslage und Zielsetzung der Arbeit

Die Themenauswahl traf ich aus ethnologischen wie auch persönlichem Interesse. Ein Grund sind wohl meine eigenen unterschiedlichen Fremdheitserfahrungen, die ich als Tourist, Reisender, Gast (meiner türkischen Freunde) und auch als Reiseleiter in der Türkei sammeln konnte. Bei Letzterem musste ich mir die oben gestellte Frage immer wieder vor Augen führen. Aus ethnologischer Perspektive ein weitaus komplexeres Thema von interkultureller Bedeutung.

1.1 Über die Besonderheit der Türkei als Urlaubsland

Die Türkei ist für die Deutschen keine Tourismusdestination wie jede andere. Das politische Geschehen in der Türkei ist in Deutschland - wie in keinem anderen europäischen Land- ein Dauerthema. Die Besonderheit der Beziehung beider Länder wird nicht zuletzt durch die in unserem Land lebenden 2,5 Millionen türkischen Mitbürger hergestellt, die Verbindungen und Verpflichtungen besonderer Art schaffen. Trotzdem wird das bestehende gegenseitige Informationsniveau zwischen beiden Ländern der Bedeutung der gegenseitigen Beziehung nicht gerecht. Klischees und Vorurteile dominieren auf beiden Seiten und erschweren gegenseitiges Fremdverstehen. Gerade auf deutscher Seite gibt es massive Wissensdefizite über die Türkei. Die Realität des Landes ist weitaus komplexer als sie sich in der tagesaktuellen Medienberichterstattung widerspiegelt- häufig reduziert auf die Kurden-Frage und in der Tat in Südostanatolien noch stattfindenden Zwangsehen.

Interessant hierbei ist, dass Deutschland das wichtigste touristische Einsendeland für die Türkei ist. 8,7 Millionen oder 13,6 Prozent der deutschen Bevölkerung ab 14 Jahren haben in der Vergangenheit mindestens einmal in der Türkei ihren Urlaub verbracht (vgl. Vielhaber 2000, online). Allerdings war die Entwicklung des Türkeitourismus in der Regel stets von der Denkungsart des „Mehr“ geprägt. Quantitatives Wachstum war Ziel der obersten staatlichen Instanzen und sicher auch der privaten Tourismuswirtschaft. Das hat zu Überkapazitäten bei den Hotelbetten und beim Platzangebot türkischer Charterfluggesellschaften geführt- und damit zu Preisverfall und Billigtourismus (vgl. Seeboth 1995, S. 15). Durch fertig geschnürte Reisepakete wie die „all Inclusive“ Angebote, am besten noch zu Dumpingpreisen „last minute“ gebucht, verlor das Produkt „Türkeireise“ an Bildungswert. Strand und Sonne waren gefragt, Abschottung in Hotelburgen die Regel. Kurt Luger beschreibt diesen Prozess als eine Sackgasse der interkulturellen Kommunikation, da der einzige Kontakt mit den Einheimischen in Form von Servicepersonal in der Hotelanlage stattfindet. Die Kommunikation erschöpft sich in einem freundlichen Lächeln und einem höflichen Danke. Außerhalb der Hotelanlage bleibt das Land oft Kulisse, die man beim Transfer vom Flughafen zum neuen Wohnort bestaunt oder gleichgültig wahr nimmt (vgl. Herdin/Luger 2001 , S. 4). Stereotypen Vorstellungen bleiben dabei bestehen und werden in gleicher Form wieder mit nach Hause genommen.

1.2 Gruppenreisen als Chance interkulturellen Fremdverstehens?

Den neuen Trend hin zu Kultur- und Gruppenreisen, könnte man deshalb auf den ersten Blick als eine positive Entwicklung bewerten. Ein vordringliches Versprechen vieler Veranstalter von Gruppenreisen bezieht sich auf das Miterleben von kulturellen Besonderheiten der fremden Kultur, auf das Entdecken des Alltags im Reiseland und auf die Nähe zum „Anderen“ (vgl. Schrutka-Rechtenstamm 1999, S. 101) (Beispiele siehe Anhang 1). Ein Heranführen der Touristen an die Realität des Landes und der Kultur wäre im gegenseitigen Interesse sehr wünschenswert. „Damit, würde nicht nur innerhalb des Tourismus, der eine immer größere Rolle im interkulturellen Dialog spielt, ein Beitrag zur gegenseitigen Wertschätzung geleistet werden“, schreibt Brigitte Moser-Weithmann (Moser-Weithmann 1999, S. 78). Die Idee klingt plausibel, ist aber in der Praxis nicht so leicht zu realisieren. Denn das Verstehen der Kultur eines Volkes müsste auch bedeuten, seine Normalität zu enthüllen, ohne dass seine Besonderheit dabei zu kurz kommt (vgl. Herdin/Luger 2001, S.16).

Die Schwierigkeit dieses Vorhabens liegt zum Einen im zeitlichen Rahmen des Aufenthaltes: gerade Gruppenreisen sind gekennzeichnet durch ihren stark begrenzten Zeithorizont, kurzfristige Begegnungen, festgeschriebene Programme und ihre Unflexibilität gegenüber unerwarteten Begegnungen. Zweitens würde eine gelungene Realisierung in gewisser Weise auch eine „Entzauberung“ des Fremden nach sich ziehen, was wiederum weniger im Interesse des Reiseveranstalters liegt, der darauf abzielt Sensationen zu verkaufen. Die mit dieser Grundproblematik einhergehenden Prozesse werde ich in dieser Arbeit Schritt für Schritt aufzeigen. Ein wichtiger Punkt dabei ist die theoretische Betrachtung wie Fremdheit erfahren und erfahrbar gemacht wird.

2. Theoretische Grundlagen

2.1 Varianten des Fremdverstehens

Ortfried Schäffter definiert Fremdheit als Beziehungsverhältnis: „Fremdheit ist keine Eigenschaft von Dingen oder Personen, sondern ein Beziehungsmodus, in dem wir externe Phänomenen begegnen“ (Schäffter 1991, S. 12). Fremdheit ist demnach ein relationaler Begriff, dessen Bedeutung sich nur dann voll erschließt, wenn man seine eigenen Anteile in diesem Beziehungsverhältnis mit zu berücksichtigen weiß. Fremdes wird zuerst als etwas andersartiges wahrgenommen, markiert eine Differenz, einen Unterschied, der auf verschiedene Weise erfahren werden kann: „als räumlich Fremd, als Kontrast zum Eigenen und Normalen, als das noch Unbekannte, als letztlich Unerkennbares und als Gegensatz zum Vertrauten, als das Unheimliche“ (Schäffter 1991, S. 14). Das Spektrum von Erfahrungsmöglichkeiten stellt Ortfried Schäffter anhand unterschiedlicher „Modi des Fremdverstehens“ dar. Demnach interpretiert das erste Schema Fremdheit als Resonanzboden des Eigenen und geht davon aus, dass alles Fremde andersartig ist aber den gleichen Wurzeln entstammt. Das zweite Schema versteht die Fremdheit als Gegenbild, als Negation von Eigenheit und als Bedrohung. Auf der anderen Seite kann Fremdheit aber auch als Chance zur Ergänzung und Vervollständigung interpretiert werden, was Schäffter als 3 Schema definiert. Das vierte Schema geht von einer Komplementärität des Fremden aus. Fremdheit wird hier als das prinzipiell Andersartige aber Nicht-Aneignungsfähige aufgefasst (vgl. Schäffter 1991, S. 16ff.). Diese vier Modi, die sich alle zwischen Faszination und Bedrohung ansiedeln, kommen in der Realität selten getrennt voneinander vor. Schon allein durch interne Differenzierung verfügt eine Person, Gruppe oder Kultur über eine Vielzahl unterschiedlicher Umwelten und damit auch über ein Spektrum unterschiedlichem Fremdverstehens (vgl. Schäffter 1991b, S. 23). Wir können davon ausgehen, dass alle Modi bei der Entwicklung eines touristischen Habitus eine mehr oder weniger wichtige Rolle einnehmen. Aus psychoanalytischer Sicht drückt sich das emotionale Spannungsverhältnis zwischen Faszination und Bedrohung in Xenopobie und Exotismus aus.

[...]


1 Im Rahmen einer Reiseanalyse des Ammerlander Studienkreis für Tourismus und Entwicklung wurden 7.896 Bundesbürger ab 14 Jahren zu dem Thema „ Urlaubsreisen und interkulturelle Begegnung“ interviewt. Presseinformation unter: http://www.studienkries.org/common/news/presse01_2000.html

Final del extracto de 25 páginas

Detalles

Título
Die Sehnsucht nach der Fremde
Subtítulo
Intentionen, Chancen und Grenzen von Fremdheitserfahrungen in Gruppenreisen am Beispiel Türkeitourismus
Universidad
LMU Munich  (Institut für Ethnologie und Afrikanistik)
Curso
Ethnologie und Tourismus
Calificación
1,3
Autor
Año
2006
Páginas
25
No. de catálogo
V84712
ISBN (Ebook)
9783638015240
ISBN (Libro)
9783656082033
Tamaño de fichero
529 KB
Idioma
Alemán
Notas
"Sehr schöne Arbeit. Von der Qualität her eigentlich ein Hauptseminarschein. Deutlich wird Ihr eigenständiger Blick, den Sie durch die Praxiserfahrung gewonnen haben" (Dr. Kundri Böhmer-Bauer)
Palabras clave
Sehnsucht, Fremde, Ethnologie, Tourismus
Citar trabajo
Dipl. Soz. Tobias Lohmann (Autor), 2006, Die Sehnsucht nach der Fremde, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/84712

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