Die kulturelle Konstruktion und Konzeption von Person bei den Desia von Koraput, Orissa


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

26 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

I. Einleitung

II. Hauptteil
1. Grundlegendes
1.1. Der Untersuchungsgegenstand: die Desia von Koraput
1.1.1. Orissa und Koraput
1.1.2. Adivasi, Tribe oder Desia?
1.1.3 Desia Kultur
1.1.3.1 Der Koraput Komplex
1.2 Theorie
1.2.1 Ethnologische Vorüberlegung
1.2.2 Das Konzept von Person als kulturelle Kategorie - Marcel Mauss
2. Die Personenkonzeption der Desia
2.1. Allgemein
2.2. Die Zusammensetzung einer Person
2.2.1. Imagination und Körper: die Personeneinheiten der Desia
2.2.2. Zwischen Leben und Tod: die duma als eine Entität auf Zeit
2.3. Die kulturelle Konstruktion einer Person als rituellen Prozess
2.3.1. Die Entstehung einer sozialen Person
2.3.1.1. Das Namensgebungsritual
2.3.1.2. Die Bedeutung des Namens im Entwicklungsprozess
2.3.1.3. Die vollständige Trennung vom Totenreich
2.3.2 Jugendzeit als institutionalisierte Vorbereitungsphase
2.3.3 Die Vervollständigung einer sozialen Person
2.3.3.1 Das Aushandeln neuer Beziehungsverhältnisse
2.3.3.2 Neue Rolle, neue Identität
2.3.4 Der „Desintegrationsprozess“

III. Schluss
1. Zusammenfassung
2. Resümee

Literatur

I. Einleitung

Dem Begriff der Person begegnet man in unserer westlichen Welt überall: In der alltäglichen Umgangssprache, in Gesetzestexten und in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. "Person" ist so geläufig und unmissverständlich, dass es im allgemeinen Sprachgebrauch keine Anstrengung von uns abverlangt, den Begriff zu definieren. Wir verwenden ihn, als Platzhalter für „man“, „den Einzelnen“, „das Individuum“ oder „Mensch“ und glauben einer universellen Logik zu folgen. Auch in vielen wissenschaftlichen Denkrichtungen ist die Idee von Person eine Auseinandersetzung um das „Menschsein“. Es ist ein Konzept, welches das Eigentümliche, das Wesenhafte des Menschen in Abgrenzung zu anderen Konzeptionen zu umschreiben versucht. Ethnographische Studien über Person und Personsein haben hingegen dargelegt, dass das Konzept von Person nicht mit dem Menschen als biologisches Individuum gleichgesetzt werden kann, sondern ein kulturelles Konzept der Inklusion und Exklusion darstellt, das in das jeweilige kulturelle Bedeutungssystem eingebunden ist (Morris 1994:11). Beispielhaft sind hier die Beobachtungen von namhaften Ethnologen, dass sowohl Geistwesen oder personifizierte Tiere (Fortes 1987) in den Kreis der sozialen Personen miteinbezogen werden können, als auch Mitglieder anderer Ethnien oder Sklaven aus dem Kreis der sozialen Personen ausgegrenzt werden können (Morris 1994:12). In der Literatur aufgezeigte kulturelle Variationen, wer oder was als Person und als „Nicht-Person“ in einer Kultur definiert wird, sind zahlreich und entfernen sich zum Teil erheblich vom westlichen Selbstverständnis. Darüber hinaus ist der Personenstatus einer Person von einem Zeitpunkt abhängig, ab dem einem Menschen oder einer Wesenheit, in einer Kultur der Personenstatus anerkannt bzw. aberkannt wird.

In meiner Seminararbeit werde ich es mir zur Aufgabe machen die Personenkonzeption der Desia in Koraput zu skizzieren. Angelehnt an Marcel Mauss Personenkategorien will ich der Frage nachgehen, was genau eine Person in der Desia Gesellschaft ausmacht, und aufzeigen von welchen sozialen und rituellen Prozessen der Personenstatus abhängig ist. Der erste Teil soll die in der Arbeit verwendeten Begrifflichkeiten erklären und den Leser mit den theoretischen Grundlagen vertraut machen. Hierzu werde ich den sozi-kulturellen und geographischen Rahmen der Desia Kultur kurz umreißen und Marcel Mauss theoretisches Konzept vorstellen. Der zweite Teil der Arbeit beschäftigt sich mit der Frage aus welchen Komponenten sich eine lebende Desia Person zusammensetzt und inwieweit sie in ihrer Existenz teilbar ist. Der dritte Teil beschreibt die Entwicklung einer sozialen Person als rituellen Prozess und zeigt, von welchen Kriterien der Personenstatus in der Desia Gesellschaft abhängig gemacht wird. Nach einer kurzen Zusammenfassung der ethnographischen Beispiele werde ich die in der Einleitung gestellten Fragen nochmals aufgreifen und die Desia Person im Gegensatz zum westlichen Individuum konzeptionalisieren.

II. Hauptteil

1. Grundlegendes

1.1. Der Untersuchungsgegenstand: die Desia von Koraput

1.1.1. Orissa und Koraput

Orissa ist ein Bundesstaat und Verwaltungsgebiet an der Ostküste Indiens. Seine Bevölkerung wird auf 33 795 000 geschätzt. Das ganze Gebiet umfasst 155 782 km2 und ist in dreizehn Verwaltungsbezirke unterteilt. Diese lassen sich wiederum in drei „revenue divisions“ zusammenfassen. Die brahamisch dominierte Küsteebene gehört der „Central Revenue Division“ an. Die „Northern Revenue Division“ umfasst die Plateauebene, in der nicht-brahamische Gesellschaften überwiegen und als Southern Revenue Division wird die Bergregion bezeichnet, die hauptsächlich von der Stammesbevölkerung besiedelt ist (vgl. Guzy 2002:76). Ein Distrikt in dieser Gegend trägt den Namen Koraput. Aufgrund seines hohen Anteils an Stammesbevölkerung ist er aus ethnologischer Sicht besonders interessant. Er liegt im südlichsten Zipfel des Bundesstaates, rund 520 Kilometer von der Hauptstadt Bhubaneswar entfernt. Fünf große Städte stehen einem Heer von 2000 Dörfern gegenüber, 83 Prozent der Menschen leben hier auf dem Land. Die Bevölkerung liegt laut Volkszählung von 1991 bei 1,6 Millionen Menschen. Davon zählen über die Hälfte zu Angehörigen sogenannter „Adivasi-Stämme“ (vgl. Mahapatara 1997:166).

1.1.2. Adivasi, Tribe oder Desia?

Die Bezeichnungen Adivasi, Tribe oder auch Desia werden von den Anwohnern der Küstenregionen nicht selten im negativen Sinne verwendet um sich gegenüber den als primitiv empfundenen Stammmesgesellschaften der Bergregionen abzugrenzen. Adivasi meint im weitesten Sinne „Ureinwohner“ (vgl. Xaxa 2003:378). Allerdings sind sich die Anthropologen über diese „Zuschreibung“ nicht ganz einig.1 Fakt ist, dass man heutzutage in Orissa eine große soziale Kluft zwischen den im Kastensystem höher gestellten Oriyas und den dunkelhäutigen „Adivasi“ feststellen kann (vgl. Padel 1995:19). In der ethnologischen Diskussion ist deshalb bis heute umstritten, welcher Oberbegriff für die Stammesgesellschaften als angemessen erscheint. Da sich die indigenen Einwohner der Berge von Koraput allerdings selbst mit Stolz als „Desia“ oder „Adivasi“ bezeichnen, halte ich es für angemessen, die Begriffe auch in dem wissenschaftlichen Zusammenhang meiner Arbeit zu verwenden.

1.1.3 Desia Kultur

Die Desia sind wie erwähnt im gesamten Koraput Distrikt beheimatet. Allerdings reicht ihr kulturelles Einflussgebiet weit über die Grenze Orissas hinaus. Im Norden erstreckt sich ihr Areal bis zu den Distrikten Rayagada und Nabrangpur. Im Westen, zur Grenze von Madhya Pradesh, stehen die Desia den Stammesgesellschaften der gondiden Kultur Bastars als Nachbarn gegenüber. Im Süden, im Distrikt Malkangiri, bilden die Stammesgesellschaften der Bondo und Didye die Grenze ihres Areals (vgl. Otten, 2004: S. 2). Die einzelnen Gemeinschaften der Desia-Gesellschaft sind seit der Unabhängigkeit von der indischen Administration offiziell in Scheduled Tribes, Scheduled Castes und Other Backwards Classes unterteilt (vgl. Padel 1995: 20). Zur Kategorie der Scheduled Tribes zählen Gemeinschaften wie die Gadaba, Bondo, Bhumia, Jodhia, Parenga, Kond und Kuttia Kond. Zu den Scheduled Castes zählen Dom oder Dombo (Musikanten, Korbflechter), Tonti (Weber), Kamar (Eisenschmiede) und Ghassi (Straßenkehrer) und unter der Kategorie Other Backward Classes fallen Rona (Miliz), Mali (Gärtner), Sundi (Schnapsbrenner), Kumba (Töpfer) und Gauda (Hirten) (vgl. Otten 2000, S.3) Diese Einteilung und Abgrenzung ist auf der kultureller Ebene nicht so leicht zu vollziehen, wie es uns hier die indische Administration zu suggerieren versucht. Gerade im Koraput Distrikt finden sich zahlreiche Gruppen, die aus historischen Gründen als „Non-Scheduled“ bezeichnet werden, aber aus ethnologischer Perspektive nicht von den Scheduled Tribes zu unterscheiden sind (vgl. Padel 1995:23). Darüber hinaus ist allen Desia ein stammesübergreifender Oriya Dialekt gemeinsam, der ebenfalls als Desia bezeichnet wird (vgl. Mahapatara 1997, Pfeffer 1997:7)

1.1.3.1 Der Koraput Komplex

Interessant sind in diesem Zusammenhang die Studien und Arbeiten von Georg Pfeffer. Er konnte unter den vielen verschiedenen stammeskulturellen Ausprägungen, eine soziale Struktur ausfindig machen, die alle Desia zu verbinden scheint (Pfeffer 1997). Ein Beispiel sind die stammesübergreifenden Totem Kategorien, unter denen sich Mitglieder verschiedener Stämme als Angehörige eines gemeinsamen Klans zusammenfassen lassen. Es gibt insgesamt 8 Klankategorien, deren zugeschriebenen Charaktereigenschaften an folgenden 8 Tiernamen festgemacht werden: Fisch, Kobra, Rind, Tiger, Bär, Affe, Geier und Sonne. Dabei orientieren sich auch Statuszuschreibungen und Exogamie-Regeln entlang dieser Totem-Kategorien (vgl. Hardenberg: 6, Mahapatara 1997: 89, Pfeffer 1997: 17, Pfeffer 1991: 68 f.). So kann ein Mann aus dem Stamm der Rona beispielsweise nur eine Gadaba Frau heiraten, wenn sie einer anderen Klankategorie angehört.

Ein weiteres Merkmal, ist ihre Orientierung entlag eines Senioritätsprinzip. Es teilt die Desia Gesellschaft in eine Junior und Senior Klasse. Innerhalb der Desia Gesellschaft benutzt man die Worte boro für senior und sano für junior. Dabei orientiert sich die Klassifikation einer Person weniger an dem biologischen Alter als vielmehr an einem ideologischen System: Der Begriff boro steht für alt, heilig, groß und hoher Status. Der Begriff sano wird mit den Werten jung, klein, unheilig und niedriger Status besetzt. Diese Interaktionsgefüge, die sich hierarchisch aufeinander beziehen, durchdringen die gesamte gesellschaftliche Organisation der Desia Gesellschaft und tauchen in vielen Teilbereichen wieder auf. Sie sind für Pfeffer ein Beweis dafür, dass innerhalb unterschiedlicher Gruppen des ländlichen Koraput eine Einheit von Wertideen existiert (vgl. Pfeffer 1997: 19ff.). In der ethnologischen Literatur wird diese lokale Konstellation als Koraput-Komplex bezeichnet (vgl. Pfeffer 1991: 16f., Otten 2000: 4, Guzy: 76 ). Der Begriff steht für eine „[...] übergeordnete kulturelle und sozio-geographische Kategorie, die die lokale Hierarchie des komplexen Interaktionsgefüges und die Ideeneinheit der Desia zum Ausdruck bringt [...]“ (Guzy 2002: 76). In meiner Hausarbeit werde ich mir die Annahme von einem stammesübergreifenden Wertekomplex zu nutze machen und anhand verschiedener Beispiele aus unterschiedlichen Stammeskulturen ein allgemeinverbindliches Personenkonzept herausarbeiten. Angesichts der in der Einleitung erwähnten kulturellen Divergenzen, was oder wer als Person verstanden werden kann, drängt sich jedoch vorerst die Frage auf, welche Voraussetzungen nach ethnologischen Selbstverständnis vorliegen müssen, um eine kulturspezifische Personenkonzeption skizzieren zu können.

1 In der gängigen wissenschaftlichen Literatur findet man häufig die These, dass die Dravidians das erstes Volk Indiens war und Aryans erst im 2. Jahrhundert vor Christus die sanskritische und vedische Kultur ins Land brachten. Die vedische Gesellschaft sollte demnach die indigene Bevölkerung als „daasa“ (schwarz) bezeichnet haben. Ein Wort, das im laufe der Zeit seine negative Bedeutung bekam und später auch als Synonym für „Sklave“ verwendet wurde (vgl. Padel 1995:19)

[...]

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Die kulturelle Konstruktion und Konzeption von Person bei den Desia von Koraput, Orissa
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Institut für Ethnologie und Afrikanistik)
Veranstaltung
Neue Ansätze zur Ethnologie Mittelindiens
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
26
Katalognummer
V84704
ISBN (eBook)
9783638009812
ISBN (Buch)
9783656082040
Dateigröße
627 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
"Eine herausragende Arbeit. Hier liegt eine eigene Forschungsleistung vor. Glückwunsch!" (Prof. Dr. Frank Heidemann).
Schlagworte
Konstruktion, Konzeption, Person, Desia, Koraput, Neue, Ansätze, Ethnologie, Mittelindiens
Arbeit zitieren
Dipl. Soz. Tobias Lohmann (Autor:in), 2006, Die kulturelle Konstruktion und Konzeption von Person bei den Desia von Koraput, Orissa , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/84704

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