Betrachtungen inwieweit ein Suizid als Ergebnis gesellschaftlicher Rationalisierungsprozesse verstanden werden kann auf Basis der Theorien von Emile Durkheim und Max Weber


Term Paper, 2002

18 Pages, Grade: 2,3


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Verständnis des Begriffs „gesellschaftliche Rationalisierungsprozesse“ bei Emile Durkheim und Max Weber

3 „Egoistischer Selbstmord“ als Folge von Rationalisierungsprozessen

4 Reaktionsmöglichkeiten, die Weber den Menschen nach dem Wandel der gesellschaftlichen Ordnung einräumt

5 Zusammenfassende Gegenüberstellung der beiden Lösungsmöglichkeiten

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Um der im Thema gestellten Frage näher kommen zu können, war es nötig, Übereinstimmungen beziehungsweise Unterschiede, die in den Theorien Emile Durkheims und Max Webers zu finden sind, herauszuarbeiten. Um nachvollziehen zu können, wie die Ergebnisse dieser Arbeit zustande gekommen sind, ist eine fundierte Kenntnis der inhaltlichen Bedeutung „gesellschaftlicher Rationalisierungsprozesse“, wie Weber und Durkheim sie verstanden haben, unabdingbar.

In Kapitel zwei sind deshalb die Auffassungen beider Autoren, was unter „gesellschaftlichen Rationalisierungsprozessen“/diesem Phänomen zu verstehen sei, in vergleichender Weise gegenüber gestellt, wobei – trotz verschiedenartiger Terminologie – grundsätzlich eine inhaltliche Übereinstimmung der beiden Klassiker zu bemerken ist. Als Grundlage für diese Darstellungen dienten die Werke „Über soziale Arbeitsteilung“ (Durkheim) und „Über die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ (Weber).

In Kapitel drei wird unter Berücksichtigung der Aussagen Durkheims, der sich in seinem Buch „Der Selbstmord“ mit verschiedenen Formen des Suizids und seinen gesellschaftlichen Ursachen beschäftigt hat, eine Antwort auf die im Thema gestellte Frage angeboten.

Im nächsten Kapitel wird versucht, die mehrfach erwähnte Frage, welchen Einfluss gesellschaftliche Entwicklungen und Rationalisierungsprozesse auf individuelle Entscheidungen, besonders derjenigen eines Freitodes haben, mit Hilfe der Thesen von Weber, zu beantworten. Besondere Schwierigkeiten ergeben sich dabei, weil Weber zum Thema Selbstmord nicht explizit Stellung bezogen hat. In Anlehnung an seine übrigen theoretischen Konzepte können zur Beantwortung nur Vermutungen geäußert werden.

Im letzten Kapitel werden die Ergebnisse, die unter Berücksichtigung der Theorien von Durkheim und Weber angenommen werden können, zusammenfassend einander gegenüber gestellt.

2 Verständnis des Begriffs „gesellschaftliche Rationalisierungsprozesse“ bei Emile Durkheim und Max Weber

Sowohl Durkheim als auch Weber konstatieren einen grundlegenden Wandel in der Ordnung der Gesellschaft. Durkheim entwickelt seine Theorie zur organischen und mechanischen Solidarität anhand seiner Studien über Naturvölker der verschiedenen Kontinente und dem Vergleich von Europas Gesellschaften, über die Jahrhunderte hinweg betrachtet1. In Durkheims Charakteristik der „modernen Gesellschaft“ ist die Tatsache der funktionalen Differenzierung entscheidend. Allgemein gesagt, ist unter diesem Sachverhalt die „Gliederung eines sozialen Systems oder Untersystems in strukturell verschiedene Elemente im Hinblick auf die vom System verfolgte(n) Funktion(en).“, zu verstehen. Von grundsätzlicher Bedeutung dabei ist, dass „die Elemente ... verschiedene, einander ergänzende Funktionen, von deren ineinandergreifendem Zusammenwirken die Systemverwirklichung abhängig ist[,] (übernehmen)“ (Fuchs-Heinritz, 1995: 143).

Der Vorgang der Arbeitsteilung nach spezifischen Funktionen, trägt nicht nur in erheblichem Maße zu einem vollständig neuen Gesellschaftsbild bei, sondern führt notwendigerweise zu einem veränderten Bewusstsein der Menschen.

Um den Unterschied zwischen den einzelnen Gesellschaftsformen verstehen zu können, ist es notwendig zu wissen, wie segmentäre Gesellschaften organisiert sind. Darunter versteht man eine „Gesellschaftsform, die aus strukturell, ökonomisch und kulturell gleichartigen lokalen Teilgemeinschaften gebildet wird, die einer gemeinsamen Lineage angehören. ...“ (Fuchs-Heinritz, 1995: 239). Den inneren Zusammenhalt, der solche Gesellschaften kennzeichnet, nennt Durkheim „mechanische Solidarität“. Zusätzlich zeichnet sich eine segmentäre Gesellschaft durch ein übermäßig vorhandenes Kollektivbewusstsein ihrer Mitglieder – begründet auf der „Gesamtheit der gemeinsamen religiösen Überzeugungen...“ (Durkheim, 1988: 180) – aus. Dieses Kollektivbewusstsein nimmt in den Menschen soviel Raum ein, dass die Entwicklung einer eigenständigen, individuellen Persönlichkeit ganz und gar unterdrückt wird. Durkheim formuliert dies so: „Die Solidarität, die aus den Ähnlichkeiten entsteht, erreicht ihr Maximum, wenn das Kollektivbewußtsein unser ganzes Bewußtsein genau deckt und in allen Punkten mit ihm übereinstimmt: aber in diesem Augenblick ist unsere Individualität gleich Null“ (Durkheim, 1988: 181).

Im Gegensatz dazu fördert die berufliche Spezialisierung des Einzelnen die Auflösung des Kollektivbewusstseins, Individuen kristallisieren sich aus der Gesamtgesellschaft heraus. Diese vom reinen Gesellschaftsmitglied zu selbständig denkenden Individuen entwickelten Menschen sind beispielsweise zu spontanen Handlungen fähig, entwickeln eigenständige Ideen, haben unterschiedliche Bedürfnisse, sind in der Lage ihre Umwelt kritisch zu bewerten und können in Folge dessen aus Traditionen ausbrechen (vgl. Lahusen/Stark, 2000: 195). Notwendigerweise muss dabei das Bewusstsein, das bisher vollständig und allein von der Gemeinschaft geprägt wurde, in immer stärkerem Maße abnehmen, um individuellen Überzeugungen Raum zu lassen. Der fortschreitende Individualisierungsprozess2 verdrängt also das Kollektivbewusstsein.

Sowie der Individualisierungsprozess den Menschen – Durkheim bezeichnet diese Kohäsion einer Gesellschaft als „organische Solidarität“3 – ein vielfaches an Entscheidungsspielräumen gewährt, stellt er darüber hinaus diverse Anforderungen an jeden Einzelnen. „... arbeitsteilig ausdifferenzierte Gesellschaften mit einer organischen Solidarität `brauchen´ das Individuum: einerseits als Träger spezialisierter Fähigkeiten, Bedürfnisse und Entscheidungen, andererseits als Scharnier vertraglicher Beziehungen, sozialer Bande und Solidaritäten“ (Lahusen/Stark, 2000: 195). Ausführlich erklärt bedeutet das, dass die Übernahme einer speziellen Tätigkeit, die für die Gesellschaft insgesamt einen Nutzen darstellt, für jeden Menschen verpflichtend ist. „Spezielle Tätigkeit“ bedeutet in den meisten Fällen, dass das Individuum einen Beruf ausübt. Da jedoch nicht mehr – wie bereits erwähnt – an alle Personen die gleichen Anforderungen gestellt werden, besteht für eine Vielzahl von Menschen die Möglichkeit ihren Beitrag zu leisten, indem sie Neues, vielleicht sogar Außergewöhnliches auf dem Gebiet der Kunst, der Literatur oder in der Musik schaffen. Je nach persönlichen Kenntnissen, Fähigkeiten, Talenten und Interessen, steht es den Menschen mehr oder minder frei zu wählen, auf welche Art sie den Platz besetzen wollen, der zum Erhalt der Strukturen beiträgt. Da sich jeder Mensch nun vielfältigen Möglichkeiten gegenüber sieht, lastet auf jedem allerdings zugleich die Pflicht zur individuellen Lebensplanung. Hatten in den Gesellschaften mit mechanischer Solidarität alle die gleichen Aufgaben zu erfüllen – Berufe in dem uns bekannten Sinne existierten nicht – steht in der funktional differenzierten Gesellschaft das Individuum vor der Qual der Wahl. Selbst in Ständegesellschaften, die durch die Klassifizierung in Adel, Klerus, Freie und Unfreie als arbeitsteilig betrachtet werden können, ergab sich die Berufstätigkeit aus der Zugehörigkeit zu einem Stand beziehungsweise einer Zunft (wenn man dem Handwerk angehörte) oder durch das Geschlecht, was bedeutete, dass für Frauen eine Beschäftigung außerhalb von Haus und Hof nicht in Frage kam.

[...]


1 Die dabei erzielten Ergebnisse leitet er aus seinen Beobachtungen des jeweiligen Rechtssystems ab. Das vorherrschende juristische System ist jedoch nur das nach außen sichtbare Zeichen der gesellschaftlichen Ordnung, nicht die Ursache für diese.

2 Eine derzeit allgemein gebräuchliche Definition von Individualisierung ist der von Durkheim beschriebenen sehr ähnlich. „...bedeutungsunscharfe Bezeichnung für einen Rückgang allgemein sozialer oder kollektiver Orientierungen und entsprechender Handlungen zugunsten einer Überantwortung an Entscheidungen und Gestaltungen durch das Individuum. ...“ (Fuchs-Heinritz, 1995: 292-293).

3 „Organisch“ deshalb, weil „Jedes Organ ... dort seine eigene Physiognomie und seine Autonomie (hat), und trotzdem ist die Einheit des Organismus um so größer, je stärker die Individualisierung der Teile ausge- prägt ist“ (Durkheim, 1988: 208).

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Details

Title
Betrachtungen inwieweit ein Suizid als Ergebnis gesellschaftlicher Rationalisierungsprozesse verstanden werden kann auf Basis der Theorien von Emile Durkheim und Max Weber
College
University of Bamberg  (Lehrstuhl II)
Course
Übung zur Einführung in die Allgemeine Soziologie
Grade
2,3
Author
Year
2002
Pages
18
Catalog Number
V8462
ISBN (eBook)
9783638154284
ISBN (Book)
9783638787079
File size
516 KB
Language
German
Keywords
Suizid, Rationalisierungsprozesse, Arbeitsteilung
Quote paper
Sibylle Leichtl (Author), 2002, Betrachtungen inwieweit ein Suizid als Ergebnis gesellschaftlicher Rationalisierungsprozesse verstanden werden kann auf Basis der Theorien von Emile Durkheim und Max Weber, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/8462

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