Tourismuskritik. Wegweiser für zukunftsfähiges Reisen?


Diplomarbeit, 2007

181 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Vorwort

1 Überblick

2 Ziele

3 Begriffsbestimmung Tourismuskritik

4 Internationaler Tourismus als System

5 Protagonisten der Tourismuskritik
5.1 Kritiker in den Herkunftsländern
5.2 Kritiker in den Zielländern - die "Bereisten"
5.3 Tätigkeiten der Tourismuskritiker
5.3.1 Arbeitspraxis tourismuskritischer NGOs am Beispiel von respect, iz3w und akte
5.3.2 Zusammenarbeit und Kooperation in der tourismuskritischen Bewegung

6 Chronologische Entwicklung und Richtungen der Tourismuskritik
6.1 Die Anfänge: 50er Jahre
6.2 „Dritte Welt“ und Wachstumsgrenzen: die 60er und 70er Jahre
6.3 Ökobewegte Zeiten und Nachhaltigkeit: die 80er und 90er Jahre
6.4 Alter Wein in neuen Schläuchen?: nach der Jahrtausendwende

7 Inhalte der Tourismuskritik
7.1 Tourismusformen im Zentrum der Kritik
7.1.1 All-inclusive Tourismus
7.1.2 Kreuzfahrttourismus
7.1.3 Golftourismus
7.1.4 Jagd- und Safaritourismus
7.1.5 (Kinder)Sextourismus
7.2 Menschenrechte, Marginalisierte und "Indigene" - unter die Räder geraten?
7.3 Negative Folgen der globalen Tourismusentwicklung
7.3.1 Auf ökologischer Ebene
7.3.2 Auf sozioökonomischer Ebene
7.3.3 Auf soziokultureller Ebene

8 Handlungsansätze Exkurs: Optionen für zukunftsfähigen Tourismus
8.1 Ethik im Tourismus als (theoretische) Verhaltensgrundlage
8.2 Ansätze mit Schwerpunkt auf der ökologischen Ebene
8.2.1 "Sanfter Tourismus" und "Ökotourismus"
8.2.2 Freiwillige "Klimakompensation": Atmosfair und Co
8.2.3 Alternative Verkehrsmittel
8.3 Ansätze mit Schwerpunkt auf der sozioökonomischen Ebene
8.3.1 Einbezug der externen Kosten
8.3.1.1 Verbesserte Bilanzierung und Statistik im Tourismus
8.3.2 Konferenzen und Erklärungen: Selbstverpflichtungen, Ethikkodizes und Co
8.3.3 Partizipation von Bereisten/Bevölkerung
8.3.4 Labels: grüne Koffer und blaue Flaggen
8.3.5 Reisekonto
8.4 Ansätze mit Schwerpunkt auf der soziokulturellen Ebene
8.4.1 "Alternativtourismus"
8.4.2 "Ghettoisierung", Isolierung und Konzentration des Tourismusaufkommens
8.4.3 Künstliche Ferienwelten: Center Parcs und Co
8.4.4 Touristenisolierung
8.5 Übergreifende, "integrale" Ansätze
8.5.1 "Reiseführerschein"
8.5.2 Fairer Handel im Tourismus
8.5.3 "Reisestern"
8.5.4 Qualifizierung und Reiseerziehung

9 Hindernisse der Umsetzung tourismuskritischer Forderungen
9.1 Falsche "Gesinnung“ und fehlender „politischer Wille“?
9.2 Sachzwänge und technische Grenzen
9.2.1 Tourismus im Freihandelsabkommen GATS
9.2.2 (Tourismus)Politische Rahmenbedingungen
9.2.3 Mobilität und (Flug)Verkehr
9.2.4 Wachstumszwang, Marktmacht und Konzentration der Reisekonzerne
9.3 Tourismus im freien Welthandel - neue Ungerechtigkeit und Neokolonialsimus?
9.3.1 Schuldenpolitik und die Abhängigkeit von „Entwicklungsländern“
9.3.2 Marktöffnung, Investoren und Spekulanten
9.3.3 Süd-Nord-Reisen und Migration - Fremde nur in der Fremde erwünscht?
9.4 Gesellschaftliche Ausgangsbedingungen der touristischen Herkunftsländer
9.4.1 Das "Fehlverhalten" der Reisenden
9.4.1.1 Reisemotivation und Tourismusnachfrage
9.4.1.2 Reiseverhalten
9.4.2 Medien und Werbung - Anheizer und Desinformierer?
9.4.3 Desintegration der Lebensbereiche und die Trennung von Subjekt und Objekt

10 Wirksamkeit der Tourismuskritik: eine Erfolgsgeschichte?
10.1 Macht verträglicher Tourismus Fortschritte?
10.2 Zukunft: Agenda und Chancen der Tourismuskritik

11 Zusammenfassung und Ausblick

Anhang A: Interview respect

Anhang B: Interview akte

Anhang C: Interview iz3w

Anhang D: Tourismuskritische Organisationen

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Akteure im Netzwerk des internationalen Tourismus

Abbildung 2: Vernetzung europäischer tourismuskritischer Organisationen

Abbildung 3: Diskussion und Kritik des "Dritte-Welt"-Tourismus bis Mitte der 90er Jahre

Abbildung 4:"Fehlt nur noch das Handeln"

Abbildung 5: Umweltbewusstes/Verantwortungsbewusstes Freizeitverhalten

Abbildung 6:"Traditionelle Verkehrsentwicklung"

Abbildung 7: Tourismuswachstumsmaschine

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Vorwort

Bei den Stichwörtern Urlaub und Reise kommen wohl bei fast jedermann und -frau spontan unbeschwerte Gefühle, positive Gedanken und schöne Erinnerungen auf. Auch Tourismusstudenten geht es da nicht viel anders.

Nun hört man aber von Leuten, die die Urlaubsfreuden und das Genießen des Anrechts auf Erholung und Vergnügen in Frage stellen oder gar für falsch und schädlich erklären. Womöglich stehen diese genussfeindlichen Miesmacher gar noch mit erhobenem Zeigefinger da? Was wollen die überhaupt? Womöglich gar das Reisen verbieten? Was soll so schlimm daran sein, mit kühlem Drink den Sonnenuntergang über dem glasklaren Wasser am Tropenstrand zu bewundern und sich auf eine laue Nacht zu freuen?

Den Anlass zu meiner Themenwahl gab mir neben dem Interesse an diesen Fragen auch das Gefühl, dass die problematischen und fragwürdigen Strukturen und Zusammenhänge hinter dem Tourismusgeschehen im Rahmen meines Studiums der Fremdenverkehrsgeographie in Trier nur selten zur Sprache kamen.

Fragestellungen in den Lehrveranstaltungen gehen häufig von einer grundsätzlichen Förderwürdigkeit und Konstruktivität des Phänomens Tourismus aus, obwohl man bei einem geographisch-touristischen Studiengang an einer Universität mehr von einer unvoreingenommenen (also auch kritischen) Sichtweise ausgehen könnte. Von einem rein praxisorientierten (d.h. auf ökonomische „Erfordernisse“ und „Sachzwänge“ ausgerichteten) Studium an einer Fachhochschule oder Touristikakademie dürfte dies natürlich weniger erwartet werden.

Ein Beispiel für diese Sichtweise wäre das häufig im Blickpunkt stehende Low-Cost-Carrier-Phänomen, welches in der Regel vor allem auf ökonomische, regional oder national begrenzte „Chancen“ und „Potentiale“, weniger hingegen auf langfristige, globale, ökologische und soziale Folgen und Implikationen hin untersucht wird. Meist sind gewisse Begrenzungen der Perspektive natürlich auch inhaltlich notwendig oder durch personell und finanziell beschränkte Kapazitäten bedingt.

Nach meiner persönlichen Ansicht haben kritische Perspektiven auf das Tourismusphänomen im Studium also wenig Beachtung gefunden, was zumindest im Hauptstudium durchaus als Nachteil empfunden werden kann. Auch das häufige Auftreten des Begriffs „Nachhaltigkeit“ in vielen Lehrveranstaltungen änderte daran meines Erachtens wenig. Deshalb erschien mir eine abschließende Betrachtung des Tourismusphänomens aus einer eher distanzierten Warte unter Hervorhebung der eher unschönen und „dunkleren“ Seiten der Reiselust als lohnend und möglicherweise „horizonterweiternd“.

Zu den hier zitierten Quellen: Die Quellenlage legte die Vermutung nahe, dass insbesondere seit der Jahrtausendwende das „Monitoring“ der problematischen Tourismusentwicklungen in der universitären Forschung etwas ins Abseits geraten scheint. Tourismuskritik wird insbesondere von da an zum größten Teil von Autoren außerhalb der „etablierten“ Tourismusforschung hervorgebracht. Deshalb wird in dieser Arbeit Internetquellen und journalistischen Autoren wie Norbert Suchanek, die hier als wissenschaftlich seriös erachtet werden, relativ viel Platz eingeräumt - auch wenn mancher Leser Äußerungen dieser Autoren als emotionalisiert und tendenziös beurteilten mag.

1 Überblick

Zu Beginn der Hinweis, dass meine persönlichen Ansichten im Allgemeinen mit den von der Tourismuskritik hervorgebrachten Aussagen zu den „Fehlern im Tourismussystem“ übereinstimmen. Deshalb ist der Grundansatz dieser Arbeit insofern normativ, als dass er analog zur Tourismuskritik von einer derzeit nicht zukunftsfähigen Entwicklung im globalen Tourismus ausgeht.

Die Analyse erfolgt dabei vor allem diskursiv über die Auswertung der herangezogenen Literatur. Des Weiteren wurden qualitativ-empirische Daten über drei Experteninterviews mit Repräsentanten tourismuskritischer NROs erhoben (die Funktion der Interviews ist unter Punkt 2, „Ziele“ erläutert).

Unter Punkt 3 der Arbeit wird erklärt, was hier unter dem Begriff Tourismuskritik verstanden wird und welche Auffassung des Systems Tourismus hier zugrunde gelegt werden soll. Anschließend wird dargestellt, aus welchen Protagonisten und gedanklichen Inhalten sich „die Tourismuskritik“ zusammensetzt und in der Vergangenheit zusammensetzte. Anschließend werden in einer kleinen Exkursion durch die weniger glanzvollen Seiten des globalen Tourismusgeschäftes die verschiedenen Strukturen und Zustände vorgestellt, die zum Gegenstand der Tourismuskritik geworden sind.

Im nächsten Abschnitt folgt ein Überblick sowohl über das umfangreiche Repertoire an aus der Tourismuskritik hervorgegangenen Vorschlägen, Ideen und Handlungsempfehlungen, als auch die tatsächlich in der Praxis erprobten Verbesserungsversuche auf dem Weg zu einem tragfähigen und zukunftsfähigen Tourismus.

Schließlich sollen tatsächliche und vermutete Ursachen für die nicht immer erfolgreiche Bewältigung der zuvor genannten Negativaspekte herausgearbeitet werden.

Es soll dabei in erster Linie um die Reisen und Ortsveränderungen gehen, die zum Vergnügen in der Freizeit unternommen werden. Berufsbedingte Reisen haben nichtsdestotrotz einen bedeutenden Anteil am Tourismusgeschehen und müssen in ihrer Sinnhaftigkeit und hinsichtlich der Motive und Notwendigkeiten ebenso überprüft werden wie Vergnügungsreisen. Eine solch umfassende Perspektive der Tourismuskritik würde den Rahmen dieser Arbeit jedoch sprengen, sodass hier nur der Hinweis auf Berufsreisen und Geschäftstourismus erfolgt, ohne ausführlicher darauf eingehen zu können.

Innerhalb der Freizeit- und Urlaubsreisen stehen hier wiederum die kommerziellen, standardisierten und professionell vertriebenen Tourismusarten im Mittelpunkt, also der „herkömmliche“ Pauschaltourismus ins nähere Ausland und in ferne „Dritte-Welt“-Destinationen. Darunter fällt auch ein Großteil des „Alternativtourismus“, welcher gegenwärtig als individueller Massen- und Pauschaltourismus in kommerzielle Strukturen eingebunden wird.

Hierbei darf natürlich nicht vergessen werden, dass der weltweite Inlandstourismus einen viel größeren Anteil am Gesamtvolumen des Tourismus ausmacht als der viel gescholtene Ferntourismus. In Natur- und Kulturräumen wie den Alpen wird der größte Teil der negativen Tourismusauswirkungen von inländischen Gästen oder Touristen* aus dem benachbarten Ausland verursacht. Ähnliches gilt bereits auch für den indischen Himalaya.

Außerdem muss hier die große Bedeutung des Mittelmeerraumes als wichtiges Untersuchungsfeld und als Anschauungsraum der Tourismuskritik erwähnt werden. Die erste „echte“ Tourismuskritik, die mehr als nur „Touristenbeschimpfung“ und Denunziation war, entzündete sich an den hier beobachteten Vorgängen in der Anfangsphase des industrialisierten Massentourismus.

Da „die Tourismuskritik“ nicht als abgegrenzte oder eigenständige Disziplin innerhalb der Tourismuswissenschaft definiert ist, sind tourismuskritische Texte und Analysen selten säuberlich nach Sujets getrennt. Isolierte Kritik einzelner Tourismusarten (Badetourismus, Alternativtourismus, Ökotourismus,…) in einzelnen Regionen (Mittelmeer, Südostasien, Karibik,…) ist eher die Ausnahme. In der Regel wird über mehrere solcher Themengrenzen hinweg gegriffen.

Wegen fehlender klarer Etikettierungen und Abgrenzungen der Inhalte ist die Aufnahme oder Ausgrenzung eines Textes oder Buches bei der Quellenauswahl nicht immer nach klar vorgegebenen Kriterien zu treffen und mehr als anderswo von persönlichen Beurteilungen abhängig. So ist bspw. die Entscheidung schwierig, welche Beiträge aus dem riesigen Themenbereichen Umweltschutz und Nachhaltigkeit im Tourismus noch zum Feld der Tourismuskritik gehören (aus deren Überlegungen sie ja womöglich hervorgegangen sind) und welche nicht. Eine entsprechende Auswahl kann daher nie vollständig oder „vollständig richtig“ sein.

2 Ziele

Diese Arbeit soll einen Überblick verschaffen über die kritische Reflexion des weltweiten Tourismusgeschehens in der wissenschaftlichen und teilweise auch journalistischen Literatur. Dabei liegt der Interessenschwerpunkt auf der europäischen, deutschsprachigen Tourismuskritik.

Wer die derzeitigen Probleme der Tourismusentwicklung studiert, kann erstaunt feststellen, dass im internationalen Tourismus auf scheinbar paradoxe Weise gerade die Transportformen und Urlaubsaktivitäten massiv im Wachstum begriffen sind, die das globale Ökosystem und das soziale Gefüge der menschlichen Gesellschaften am stärksten belasten. Es scheint geradezu, als ob sämtliche als bedrohlich eingestuften Entwicklungen erst recht beschleunigt statt wirksam bekämpft würden. Diesen Eindruck vermittelt zumindest der global vorangetriebene massive Ausbau ressourcen- und energieintensiver Tourismusangebote, die den Arm-Reich-Gegensatz eher ausbauen als nivellieren. Daran ändern auch häufig vorgebrachte Hinweise auf das „gestiegene Umweltbewusstsein der Verbraucher“ und den „hohen Stellenwert von Natur und Umwelt“ im Wertesystem der Urlauber nichts.

Ziel der Arbeit ist es, diese scheinbaren Widersprüche zu erklären, bzw. die von der Tourismuskritik erarbeiteten Erklärungsansätze zusammenzuführen. Im Rahmen dessen werden die grundlegenden Tourismusprobleme, die Orte an denen sie auftreten, die vorgebrachten Lösungsansätze und die dahinter stehenden Protagonisten vorgestellt. Über die Analyse sollen schließlich eigene Schlussfolgerungen und Lösungsvorschläge bzw. Ergänzungen zu bestehenden Vorschlägen hervorgebracht werden.

Die Vielzahl der Wege in der Tourismuskritik soll hier in eine chronologische und inhaltliche Ordnung gebracht und dabei auch das „System Tourismus“ selbst hinterfragt werden. Aber auch die „Kritik an der Tourismuskritik“ soll nicht zu kurz kommen, inhaltliche Irrwege und Sackgassen hat es auch hier gegeben.

Anmerkungen zu den Interviews:

Die Erhebung weiterer ohnehin überreichlich vorhandener empirischer Fakten sollte bei den Interviews nicht allein im Vordergrund stehen.

Vor allem sollten kleine Einblicke in den internen Bereich der praktischen Alltagsarbeit der befragten Non-Profit-Organisationen und der Denkweisen und Befindlichkeiten ihrer Mitarbeiter gewonnen werden – ähnlich dem berühmt-berüchtigten „Eintauchen“ in fremde Länder und Kulturen im Urlaub, wenn auch hoffentlich weniger oberflächlich. Angesichts der Komplexität einiger Fragen kann die freundliche Kooperationsbereitschaft der Befragten gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Trotz Dauerstress schnitten sie nicht vorhandene Zeitreserven frei und gingen auf meine Anfragen ein, ohne dass irgendeine Form von Gegenleistung erwartbar gewesen wäre. Auch der „NGO-Alltag“ ist nicht frei von Hektik, Termindruck und Arbeitsüberlastung. So blieben jeweils verschiedene Fragen von verschiedenen Interviewpartnern unbeantwortet, nicht ohne den Hinweis, dass zu manchen durchaus ein eigenes Buch geschrieben werden könnte.

Die befragten Organisationen sind:

- akte – Arbeitskreis Tourismus und Entwicklung, Basel
- respect – Institut für integrativen Tourismus & Entwicklung, Wien
- iz3w – Informationszentrum 3. Welt, Freiburg Brsg. Das iz3w betrieb bis vor kurzem das mit EU-Mitteln unterstützte „Projekt Fernweh“, welches zurzeit nicht aktiv ist. Das iz3w gibt die gleichnamige, unabhängige Zeitschrift zu Nord-Süd-Themen heraus, in der das Thema Ferntourismus auch außerhalb des „Projekt Fernweh“ immer einen bedeutenden Platz einnahm.

Mit der Organisation Tourism Watch des evangelischen Entwicklungsdienstes sollte auch die vierte der m.E. wichtigsten tourismuskritischen Organisationen im deutschen Sprachraum „abgedeckt“ werden. Bei Tourism Watch bestanden aufgrund der dünnen Personaldecke keine Freiräume, die die Beantwortung des Fragebogens erlaubt hätten, wofür ich hier volles Verständnis ausdrücken möchte.

Da das Thema dieser Arbeit sehr „breit“ angelegt ist, soll sie nicht nur eine eng umrissene, spezialisierte Leserschaft erreichen. Deshalb wurde versucht, die Sprache weitgehend allgemeinverständlich zu halten.

3 Begriffsbestimmung Tourismuskritik

Unter Tourismuskritik soll hier die Gesamtheit aller schriftlich und mündlich hervorgebrachten Äußerungen von Institutionen oder Einzelpersonen, die Schwachstellen, Fehler und als negativ erachtete Begleiterscheinungen von Tourismus auf lokaler bis globaler Ebene mit dem Ziel der Verbesserung oder Veränderung ansprechen und oder bewerten, verstanden werden. Auch die betreffenden Institutionen und Einzelpersonen selbst sollen damit umschrieben sein.

Bei Freyer (1991, S.387/388) werden gar Beschwerdebriefe und Regressforderungen an Reiseveranstalter als Tourismuskritik bezeichnet. Diese Ansicht soll hier nicht übernommen werden, da Kundenreklamation meist weniger eine Analyse von Tourismusproblemen als vielmehr Ausdruck einer Mentalität aus Konsum- und Anspruchshaltung ist, welche viele Tourismusprobleme erst hervorbringt.

Zwar hat womöglich eine Bürgerinitiative gegen die Vertreibung von Fischern von ihren Stränden oder gegen den neuesten „Aqua-Fun-Park“ im indischen Dürregebiet ebenfalls kein tieferes Erkenntnisinteresse und ist ebenfalls primär von Eigeninteressen der Akteure geleitet, wird hier aber dennoch als Tourismuskritik erachtet, weil sie in ihrer Bedeutung und Wirksamkeit hinsichtlich touristischer Entwicklungen über den rein privaten Rahmen von Einzelpersonen hinausgeht.

Tourismuskritik kann in einem ersten Schritt Fehler ausfindig machen und benennen und in einem zweiten Schritt nach Lösungen zur Problembehebung suchen. In der Tourismuskritik werden entweder beide Schritte in einer Analyse vollzogen oder auch nur der erste. Dabei sollte man nicht den Fehler begehen, die Tourismuskritik, die sich „nur“ auf den ersten Schritt beschränkte und beschränkt, zu unterschätzen oder als unkonstruktive „Miesmacherei“ beiseite zu schieben. Denn oft stecken bereits im ausfindig machen und zutage fördern von Ursachen und Zusammenhängen bei Problemen und Missständen erhebliche Leistungen.

Hier wird also sowohl die Kritik, die Schwachstellen benennt als auch die Kritik, die zusätzlich Ideen und Konzepte liefert, als Tourismuskritik definiert.

4 Internationaler Tourismus als System

Das System Tourismus als ein institutionelles Schema von Akteuren soll als gedankliches Gerüst dieser Arbeit dienen.

Die Tourismuskritik richtet sich in der Regel an ein oder mehrere Elemente und/oder an eine oder mehrere Beziehungen in dem System. Mit dieser Betrachtungsweise lässt sich die Tourismuskritik vom konkreten Protest gegen ein Einzelprojekt bis hin zur wissenschaftlichen Kritik an global wirksamen tourismusrelevanten GATS- Bestimmungen gedanklich einordnen. Die Kritikformen unterscheiden sich auf dieser Abstraktionsebene lediglich hinsichtlich der Zahl der einbezogenen Akteure und Beziehungen. So wendet sich der Protest gegen einen tourismusbedingten neuen Staudamm in Mexiko vor allem an die Akteure Regierung des Ziellandes und Reiseanbieter und wird getragen von dem Akteur „Gemeinden/ Bevölkerung im Tourismusgebiet“. Die Kritik an internationalen Bestimmungen wendet sich vor allem dem Akteur „internationale Organisationen/Abkommen“ zu.

Die folgende Abbildung des Arbeitskreises Tourismus und Entwicklung bietet die entsprechende Systemdarstellung auf institutioneller Ebene. Das „Gewicht“ der Elemente wird durch deren Größe angedeutet, das Zusammenwirken und die gegenseitigen Einflüsse werden nicht durch Pfeile und Linien, sondern durch in der Zeichnung konstruierte Schnittmengen dargestellt.

Abb.1: Akteure im Netzwerk des internationalen Tourismus

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Fair handeln – auch im Tourismus, Bildungsmappe 2004, www. akte.ch

Die Entscheidungen und Handlungen der innerhalb dieses institutionellen Systems agierenden Akteure bestimmen die räumliche Ausgestaltung des globalen Tourismus, welche ein eigenes, materielles Tourismussystem aus Verkehrsmitteln, Infrastruktur und Tourismusräumen bildet. Wichtige und vielfältig verflochtene Elemente im Tourismussystem, wie Immobiliengesellschaften oder Investment- und Kapitalgesellschaften hätten in dem Schema als eigene Akteure dargestellt werden können, lassen sich aber auch innerhalb der Felder „Reiseanbieter“ oder „Anbieter touristischer Dienstleistungen einordnen.

Dabei darf Tourismus nicht isoliert als abgeschlossenes System betrachtet werden. Es gibt über- und nebengeordnete Systeme des Tourismus, wie die ökonomische Umwelt, die soziokulturelle Umwelt, die technologische-, politische- und ökologische Umwelt (vgl. Kaspar 1996, S.12).

Tourismus ist wegen der zahlreichen Beziehungen zu diesen „anderen Umwelten“ ein offenes System. Es gibt hier Inputs und Outputs in verschiedenen Intensitäten, welche die Stärke der Einflüsse der Systeme aufeinander angeben (ebd., S.13).

5 Protagonisten der Tourismuskritik

Freyer (1991, S.385) nennt als wichtigste Gruppe der Kritiker die „Privilegierten und Ideologen. Bei ihnen sei es fast zu einem intellektuellen Hobby geworden, den Tourismus zu kritisieren. Die „Neckermänner“ seien die ersten Buhmänner des heutigen Tourismus gewesen, dann sei es zu den „Alternativ- und Rucksacktouristen“ übergegangen und schließlich zur Kritik an den Umweltauswirkungen. Sie erfolge dabei aus der Distanz und bleibe oft im Negieren stecken und hätte trotz gut gemeinter Grundlage nur wenig positive und realistische Vorschläge hervorbringen können. In dieser Gruppe seien vorwiegend Soziologen, Anthroposophen sowie Schriftsteller und Journalisten zu finden, die sich aus übergeordneter Warte mit dem Phänomen auseinandersetzten.

Tourismuskritische Akteure treten als Einzelpersonen oder Gruppen auf. Die Einzelpersonen sind entweder Wissenschaftler oder Journalisten/Publizisten. Letztere operieren meist freischaffend, da „feste“ in ihren Medien meist nicht den Spielraum haben, entsprechende Einsichten zu publizieren (vgl. Stäbler/Kamp 1997, S.228).

Personen:

Die Publizisten haben in tourismuskritischen Debatten einen auffallend hohen Grad an Aufmerksamkeit erlangt. So wird der heutige Multimediakünstler André Heller häufig zitiert und fehlt selten, wenn bekannte Tourismuskritiker aufgezählt werden. Dabei besteht dessen tourismuskritischer „Output“ lediglich in einer Rede, gehalten in den 80er Jahren auf einem Schweizer Forum für Tourismus. Ähnliches gilt für Hans Magnus Enzensberger, dessen Beitrag zur Tourismuskritik lediglich ein Nebenkapitel in seiner Darstellung der Manipulation der Massen durch die „Bewusstseinsindustrie“ war. Hier besteht offensichtlich eine Diskrepanz zwischen hoher Prominenz und quantitativ geringem Output. Die Eigenwilligkeit der Beiträge hat jedoch den jeweiligen Nerv der Zeit getroffen und rechtfertigt teilweise das große Echo.

Weitere Beispiele für wichtige Einzelpersonen sind (bzw. waren) der Lyriker Cecil Rajendra aus Malaysia und der Schweizer Wissenschaftler Jost Krippendorf. Der eine lieferte Darstellungen der Erfahrungen, der andere glaubwürdige Begründungen weiterführender Perspektiven und Wege (vgl. Stäbler/ Kamp 1997, S.228).

Viele Kritiker aus dem Bereich der Wissenschaften kommen aus kultur- und sozialwissenschaftlichen Nachbardisziplinen (Soziologie, Konfliktforschung, Kulturgeschichte,…). „Genuine“ Tourismuswissenschaftler finden sich selten. Dies kann sowohl als Hinweis auf die vorherrschende Wirtschaftsausrichtung der Tourismuswissenschaften, als auch auf die breite Vernetzung des Themenfeldes Tourismus in andere Wissensbereiche interpretiert werden.

Gruppen:

Die wichtigste Form der Gruppierungen sind die NGOs, welche weltweit in den letzten Jahren zunehmend die Funktion übernommen haben, Anliegen der Zivilgesellschaft öffentlich zu vertreten und über Lobbyarbeit bei politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträgern geltend zu machen (vgl. akte, Akteure im Netzwerk, S.5).

Auch bei Tourismuskritikern besteht keinesfalls Klarheit oder Einigkeit, wie die tourismuskritische Bewegung genau beschaffen ist. „Sie ist kein definierter Bereich, weder inhaltlich noch strukturell. Die NGO-Szene in Europa umfasst etwa die Liste der TEN-Mitglieder und 10 weitere. Darüber hinaus gibt es Consultance-Organisationen mit ähnlichen Wurzeln, Einzelpersonen, Uniinstitute, ...“ (C. Baumgartner, respect, vgl. Interview Anhang A).

(Im Anhang D der Arbeit findet sich eine aktuelle Auflistung tourismuskritischer Organisation und Initiativen.)

Innerhalb der tourismuskritischen Bewegung besteht eine gewisse Spaltung hinsichtlich der Ansichten über erstrebenswerte und erreichbare Ziele für den globalen Tourismus:

Die „Pragmatiker“ versuchen weitgehend „ideologiefrei“ zu bleiben und möglichst wertneutral aufzutreten, Grundsatzdiskussionen halten sie für schädlichen Dogmatismus, weshalb sie sich „radikaler Systemkritik“ in der Regel enthalten. Inhaltlich neigen sie tendenziell zu „ökoalternativen“ Nachhaltigkeitskonzepten“, die sich durch gute Operationalisierbarkeit auszeichnen und weniger darauf abzielen, grundlegende Tourismusstrukturen zu verändern. Innerhalb des gegebenen Systems sollen positive Effekte maximiert, negative Effekte minimiert werden. Insbesondere wird darauf gehofft, dass das Individuum (der Reisende, der Touristiker, etc.) auch innerhalb der bestehenden Gesellschaftsstrukturen durch Vermittlung von Wissen und Einsicht zu verantwortlichem, „ethisch höherwertigem“ Verhalten in der Lage ist.

Die „Fundamentalkritiker“ stehen dieser (versuchten) Neutralität skeptisch gegenüber: „Gefragt ist das Machbare, nicht die Utopie. Dem halten wir entgegen: nur wer in Utopien denkt, sich zu träumen traut, ausspricht was ist und keine Angst davor hat, auch über radikale Lösungen nachzudenken, wird etwas bewegen, verändern, verbessern - …“ (Kreib 1997, S.9).

Scherrer (1983 Bd. I, Vorwort) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass touristische Ideologien nur teilweise immanent diskutiert werden können, da sie auf tiefere gesellschaftliche Zusammenhänge verweisen, wofür oft kein oder nur ein unterdrücktes Erkenntnisinteresse vorhanden sei.

Die beiden angeführten Autoren könnten als Beispiele für Vertreter der kultur- und gesellschaftskritischen Perspektive gesehen werden. In diesem „Lager“ der Tourismuskritik dürfte häufig eine auch politisch „linksalternative“ Gesinnung vorzufinden sein. Inhaltlich besteht bei diesen Vertretern eine größere Neigung zu soziokulturellen Themen, die verstärkt nach Lösungsansätzen für „systembedingte“ Probleme wie der Benachteiligung sozial Schwacher insbesondere in „Entwicklungsländern“ sucht.

Die Zugehörigkeit zu einem „Lager“ ist jedoch keineswegs als statischer Zustand zu betrachten, viele Tourismuskritiker haben im Laufe der Zeit ihre Einschätzungen geändert oder „die Seiten gewechselt“. Der Weg vom „fundamentalen“ zum „realistischen Lager“ wird dabei wesentlich häufiger eingeschlagen als der umgekehrte Weg, was nicht zuletzt an zunehmender „Aufreibung“ und Ernüchterung an der touristischen Wirklichkeit bei zunehmender Arbeitspraxis der Akteure liegen dürfte.

Grundsätzlich begründen sich die unterschiedlichen Sichtweisen von „nachhaltigem Tourismus“ nach Baumgartner (1998, S. 41 ff.) auf unterschiedliche philosophische und/oder politische Zugänge zum Diskurs: Es könne zwischen einer Denkweise des Ökozentrismus und des Technozentrismus unterschieden werden. Aus ökozentristischer Sicht werde Marktwirtschaft als Basis für soziale Beziehungen abgelehnt, während die technozentristische Sicht nach Modifikationen und nicht nach Alternativen zur Marktwirtschaft suche.

Beim Technozentrismus sei Vertrauen in Wissenschaft und Management die Basis, um negative Umwelteinflüsse zu minimieren. Bei diesem Ansatz stehe Marktwirtschaft und Managementphilosophie im Vordergrund, die Operationalisierung sei hier einfacher als in anderen Ansätzen, weshalb dieser Ansatz auf relativ breites Echo stoße. Das Wachstumsdiktat werde nicht hinterfragt, es gehe lediglich um die Frage, ob das Wachstum quantitativ oder qualitativ ausfallen soll.

Die Vorwürfe der radikalen Kritik, dass die meisten bisherigen Ansätze von sozial- und umweltverträglichem Tourismus schlichtweg neue Marktnischen für mittelständische Unternehmen geöffnet und die globalen Ungleichheitsverhältnisse kaum in Frage gestellt hätten, sind jedenfalls nicht so einfach von der Hand zu weisen. „Andererseits verschiebt der alleinige Rückzug in Grundsatzkritik konkrete Verbesserungen auf den St. Nimmerleinstag. Die Grenze zwischen faulem Kompromiss und Feigenblattfunktion auf der einen Seite und sinnvollen emanzipatorischen Ansätzen im Tourismus auf der anderen Seite auszutarieren, bleibt eine sich immer wieder neu stellende Herausforderung“ (Stock, C. 1999, S.27).

5.1 Kritiker in den Herkunftsländern

Erste Ansätze einer Institutionalisierung der Tourismuskritik erfolgten im Zuge der solidarischen „Dritte- Welt“- Bewegung. 1967 wurde das Manifest „Erklärung von Bern“, in welchem protestantische Theologen zur Solidarität mit der „Dritten Welt“ aufrufen, von 11 000 Personen unterschrieben (vgl. Tüting 1990, S.64).

Die spätere Organisation EvB (Erklärung von Bern) gab dann den Anstoß für die 1977 erfolgte Gründung des akte in Basel, dessen Leiter bis 1988 der Soziologe und Journalist Ueli Mäder war. Er war Teil einer „Viererbande“, wie die „Störenfriede“ Armin Vielhaber (Referat Ferntourismus im Studienkreis für Tourismus), Georg Friedrich Pfäfflin (Pastor, damals Fachstelle Ferntourismus des Zentrums für entwicklungsbezogene Bildung), Regula Renschler (Journalistin) und Mäder selbst von einigen Veranstaltern genannt wurden (vgl. ebd. 1990, S.64). Sie tasteten die heilige Kuh „Urlaub“ an. Ihre Arbeit blieb der breiten Öffentlichkeit weitgehend verborgen, trotz begonnener internationaler Vernetzung.

Bis heute setzt sich der Arbeitskreis (akte) vor allem mit dem „Drittwelt“-Tourismus aus entwicklungspolitischer Sicht kritisch auseinander. Dominierte anfänglich eine eher unrealistische Null-Tourismus-Position bezüglich der „Dritten Welt“, so setzte sich in den 80er Jahren eine positive Grundeinstellung zum Tourismus durch. Reisen galt auch als Chance zur Begegnung und Auseinandersetzung. Heute versucht akte zu einer Qualifizierung der „Drittweltreisen“ beizutragen. Dies geschieht durch Ausbildungskurse, Lehrerfortbildung und Erwachsenenbildung, durch Materialien und Entscheidungshilfen für Touristen, Reiseleiter, Schüler und Unternehmen. Die Philosophie spiegelt sich in der Vorstellung, dass „viele Menschen wenig reisen und dass diese wenigen Reisen bleibende Erinnerungen und Anstöße zur Veränderung sind.“ (Renschler 1985, zit. n. Krippendorf, Kramer, Müller 1989, S.157).

Während diese Arbeit fast unbemerkt blieb, war das Buch eines anderen Schweizers wie eine Bombe eingeschlagen. In „Die Landschaftsfresser“ legte Jost Krippendorf die negativen Tourismusauswirkungen auch in unseren Breitenkreisen schonungslos offen. An dem mit Lösungsvorschlägen verbundenen Forderungskatalog in Krippendorfs „Die Landschaftsfresser“ konnten die Politiker und Tourismusindustrie damals nicht vorbei. Dennoch hat es in der Praxis nur wenig verändern können, obwohl es so bekannt wurde. Noch radikaler war das in England erschienene „The Golden Hordes“, wo es den Autoren gelang, die neokolonialistischen Strukturen des internationalen Tourismus darzustellen. Ein weiterer Schweizer, der Raumplaner Fred Baumgartner, sprach 1977 in der „Neuen Zürcher Zeitung“ erstmals vom „sanften Tourismus“. Seine Ziele deckten sich mit den „Qualifizierungsmaßnahmen“ der „Viererbande“ und Krippendorf:

1. möglichst viele Arbeitsplätze
2. optimales Kosten-Nutzen-Verhältnis
3. intaktes ökologisches Gleichgewicht
4. Vermittlung echter Informationen über das Zielland.

Trotzdem ging der Journalist und Zukunftsforscher Robert Jungk durch seinen Beitrag in „Geo“ vom Oktober 1980 als „Vater des sanften Tourismus“ („gentle tourism“) in die Geschichte ein. Er folgte der Idee eines Freundes, der eine Kontrastliste von „harter“ und „sanfter“ Technik entworfen hatte.

„1980 erschien auch ein wichtiges Buch, das Furore machte und bis heute von unschätzbarem Wert ist: ‚Achtung Touristen’ von Christian Adler“ (Tüting 1990, S.66).

Auf europäischer Ebene entstand 1982 TEN (Third World Tourism European Ecumenical Network – Bezeichnung heute ohne den Zusatz „Third World“). Besonders Vertreter aus dem Süden hatten auf der Stockholmer ‚Church and Tourism’-Konferenz von 1981 die Gründung loser Netzwerke im „Norden“ angeregt, um ein gegenüber zur von den von Kirchenverbänden aus „Entwicklungsländern“ geschaffenen ECTWT (Ecumenical Coalition on Third World Tourism – heute ECOT – Ecumenical Coalition on Tourism, Hongkong) zu schaffen (vgl. Stäbler, Kamp 1997, S.231). In Deutschland gehört unter anderem Tourism Watch zum Netzwerk. Die Ziele von TEN sind u.a. Bewusstseinsbildung der Menschen in den Zielländern für die Folgen von Tourismus, Einschränkung touristischer Konsummentaltität und Förderung und Ermutigung „ganzheitlicher“ Tourismusprojekte (vgl. www.ten-tourism.org).

In Nordamerika versucht das International Center for Responsible Tourism CRT zusammen mit dem nationalen Kirchenrat, die Netzwerkstrukturen auszubauen (vormals innerhalb des North American Net (NANET).

Die europäische Tourismuskritik konzentrierte sich Anfang der 80er Jahre vor allem auf ökologische Schäden und da insbesondere im Alpenraum. Durch seinen steigenden Stellenwert konnte der Umweltschutz auch am Tourismus nicht mehr ungehört vorbeigehen. Es hatte sich eine Flut von Veröffentlichungen und Veranstaltungen zum Thema über die Politiker, Touristiker und Touristen ergossen, die den bestehenden Tourismus deutlich in Frage stellten. Trotzdem stellte „Tourismuspapst“ Krippendorf ungläubig fest, dass keine Umsetzung der Diagnosen und Therapievorschläge stattfand, obwohl die Forscher in geradezu erstaunlicher Einigkeit zu gleichen Befunden kamen. Um diese Umsetzung voranzutreiben, vereinigten sich die Tourismuskritiker aus den Bereichen „Dritte Welt“ und „Umwelt“ auf der ITB 1986 zur „Arbeitsgemeinschaft Tourismus mit Einsicht“ (vgl. Tüting 1990, S.67).

1986 gehörten 27 Organisationen dazu, auf der ITB 1990 30 Gruppen aus 11 Ländern, die auf allen gesellschaftlichen Ebenen für „umweltverträglichen und sozialverantwortlichen“ Tourismus eintraten (vgl. Stäbler, Kamp, 1997, S.232; Tüting 1990, S.67).

Die AG präsentierte 30 „Einsichten“: 10 für Touristiker in den Zielgebieten, 10 für Touristen, 10 für Veranstalter. Die Aktivisten aus dem Süden ergänzten die Liste um 10 weitere Einsichten unter der Überschrift „We, the visited in the Third World“ (vgl. Kap. 5.2).

Das Besondere der AG TmE war, dass die ITB-Gäste aus den „bereisten“ Ländern selbst zu Wort kamen. Es gilt als Kernanliegen aller Tourismuskritik, dass vom Tourismus Betroffene entsprechend informiert sein müssen, wissen müssen was an Entwicklung auf sie zukommt und was sie selbst für eine Entwicklung möchten.

Die Tourismuskritik wurde gestärkt, seit sie sich auf Forderungen der Betroffenen berufen konnte. 1992 löste sich die AG mit dem Ausscheiden der Koordinatorin Ludmilla Tüting jedoch auf. Richtungsstreitigkeiten kamen auf, der Kooperationswille genügte nicht mehr, um politische Differenzen und persönliche Ansprüche auszugleichen. Als gescheitert gilt die AG jedoch nicht, da sich die Diskussionen fortsetzten und „Einsichten“ in der Branche angekommen sind (vgl. Stäbler, Kamp 1997, S.234).

5.2 Kritiker in den Zielländern - die „Bereisten"

Bekannte Gruppen in Ländern des Südens sind EQUATIONS (Equitable Tourism Options) in Bangalore, Indien und die JGF (Jagrut Goenkaranchi Fouz, ‚Armee der wachsamen Goaner’), ebenfalls Indien. Vertreter der „Wachsamen Goaner“ erlangten einige Berühmtheit, nachdem sie im Winter 1987/88 die ersten Condor-Touristen in Goa mit Kuhmist und faulem Fisch „begrüßten“, den sie an die Windschutzscheiben der Transferbusse warfen und Flugblätter in englischer und deutscher Sprache verteilten. Auf diesen war u.a. zu lesen: „Kondor-Touristen, wir möchten sie wissen lassen, dass Sie in Goa NICHT WILLKOMMEN sind. (…) Diese Gründe müssen wir Ihnen mitteilen.“ (verkürzt wiedergegeben):

Die Einheimischen haben keine Anteile an den Profiten, selbst wenn, wären die Touristen immer noch nicht willkommen, da ihre Luxushotels das Land und die Arbeit wegnehmen und die Leute ärmer machen – wie überall bei „großem Tourismus“ in der „Dritten Welt“. Mit Unterstützung der Regierung entziehen die Hotels dem Volk Wasser und Strom, um den Bedarf nach Vergnügen, Freizeit und Luxus zu stillen. Viele Dorfbewohner bekommen nur eine Stunde am Tag Wasser, das für Schwimmbecken und Rasen verbraucht wird. „Euer Lebensstil (…) wird zu einer Insel der Vulgarität und der Verhöhnung der Armen.“ „Wir schätzen euren Lebensstil nicht. Er hat die Tendenz, unsere Jugend nachteilig zu beeinflussen.“ „Bitte lassen Sie das ihre Landsleute wissen, dass sie in Goa nicht willkommen sind. Geben Sie ihnen unsere Gründe. Danke“ (vgl. Hammelehle 1990, S.88/89).

Auf Hawaii formierte sich Anfang der 90er Jahre die Hawaii Ecumenical Coalition on Tourism (HECOT), in Malaysia, Sri Lanka, Indonesien und auf den Philippinen waren bzw. sind ähnliche Gruppen aktiv. Das Anti-Golf-Netzwerk ist in betroffenen Ländern mit regionalen Initiativen vertreten (vgl. Stäbler, Kamp 1997, S. 229 ff.), in Thailand engagiert sich das "Tourism Investigation Monitoring Team" (t.i.m. team), welches seinen Sitz in Bangkok hat.

Zum Instrumentarium der Gruppen und Initiativen gehören Zeitungsberichte, Demonstrationen, Straßentheater, Gerichtsverfahren und Petitionen. Formen offener Ablehnung gegen Tourismus sind (wie erwähnt) Steine und Farbbeutel werfen, kühle Distanz mit Kontaktreduktion auf Sachlichkeit oder auch sprachliche Veränderungen (aus Gast wird Pax, Klient o.ä.) (vgl. Freyer 1991, S. ). Ein bekanntes Beispiel für Widerstand in Form von Lyrik ist der malaysische Protestdichter Cecil Rajendra, der ein Gedicht über die Touristen so abschloss: „Zum Teufel, könnten wir ihnen nur sagen, wohin wir sie uns wirklich wünschen!“ (zit. n. O’Grady 1982, S.18).

In vielen „Entwicklungsländern“ muss in einem repressiven politischen Umfeld gearbeitet werden. Widerständler gefährden dort unter Umständen nicht nur ihre berufliche Existenz (vgl. hierzu Kap. 7.2).

Die Kritiker aus dem Süden sind vor allem damit beschäftigt, wenigstens die gröbsten Fehlentwicklungen zu recherchieren und an die Öffentlichkeit zu bringen. Ihnen bleibt kaum Zeit für konstruktive Umsetzung und Weiterentwicklung positiver Ansätze (vgl. Stäbler, Kamp 1997, S.229).

Die meisten Betroffenen tauchen allerdings auch nie auf der Bildfläche auf. Gäbe es mehr öffentliche Diskussionen, würden wohl mehr Menschen den Mut finden, ihre Situation zu äußern. Mittlerweile gibt es zunehmend mehr Unterstützung durch Besucher und Journalisten, die viele Missstände erkennen (vgl. ebd., S.230).

Die Sicht der „Bereisten“

Es erscheint nicht verwunderlich, dass die geistige Grundhaltung bei den Tourismuskritikern des Südens im Allgemeinen stärker kulturkritisch und stärker gegen das westliche Kultur- und Entwicklungsmodell gerichtet ist. Den Betroffenen zeigen sich negative Tourismusauswirkungen unmittelbar vor Augen. Beispielhaft seien hier einige der „10 Thesen zum Tourismus“ von Paul Gonsalves (EQUATIONS-Gründer und Asiendirektor der ECTWT/ECOT), die Veranstaltern und Touristen auf der ITB 1986 präsentiert wurden, wiedergegeben:

1. Der Nutzen soll uns auch in Form von Kontrolle und Eigentum zugute kommen.
2. Wir erkennen das Recht auf Erholung und Freizeit an. Unser Recht auf unsere Lebensweise und Privatsphäre ist jedoch wichtiger.
3. Wir heißen alle willkommen, die unsere Würde respektieren und bereit sind, sich anzupassen

5. Investitionen in Flughäfen und Transportwege bedeuten weniger Geld für Schulen und Gesundheitsversorgung.
6. Wir fordern Geschäftspraktiken nach ethischen Grundsätzen und nicht den Missbrauch überlegener Wirtschaftsmacht (zit. n. GNR (Hrsg.) 1991, S.77 f.)

In seinem Aufsatz „Reflektionen über eine Reise“ fasste Gonsalves stellvertretend für die tourismuskritischen Bewegungen des Südens einige von deren Standpunkten zusammen. Tourismus sei demnach eingebettet in eine Welt, die sich nach den politischen und wirtschaftlichen Interessen des Westens zu richten hat. Die Aktivitäten müssten deshalb auf die Veränderung der dominanten Machtstrukturen hinarbeiten (vgl. Gonsalves 1997, in Stock 1997, S.228 ff.). Das Modell der Industrialisierung und Urbanisierung – in dem Tourismus ein wichtiger Bestandteil ist – werde häufig als unüberwindbare Realität akzeptiert. Diese Ansicht würde von einem postindustriellen Denken in Frage gestellt, welches von indigenem Wissen, Feminismus und Umweltbewusstsein beeinflusst ist. „Es ist wichtig für uns, eine eigene, vom Westen unabhängige Zivilgesellschaft aufzubauen. Die rein technisch orientierten Lösungsansätze, etwa in Richtung eines ‚grünen’, weniger schädlichen Tourismus, sind keine Antwort auf die Probleme sondern ein Teil von ihnen. Die zivilisatorische Krise ist eng mit der materialistischen und individualistischen Ideologie verbunden. Die indigenen Bevölkerungen in Asien und im pazifischen Raum versuchen nicht nur, ihre natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten, sondern auch ihren ideellen Wert zu erkennen“ (ebd., S.230).

Von den weltweit Herrschenden werde den „Bereisten“ eingebläut „es gibt keine Alternative zum herrschenden Zivilisationsmodell“. Wenn „diese Kolonisierung unserer Köpfe und Herzen gelingt, ist der Kampf allerdings schon verloren, befürchte ich.“ Die Antwort müsse eine alternative Globalisierung von unten sein, von Aktivisten, Wissenschaftlern, Gewerkschaften, NGOs usw. Dabei müssen „wir unsere Zersplitterung überwinden“. Unterschiedliche Perspektiven sollten anerkannt und als Herausforderung angenommen werden (vgl. ebd., S.231).

Die Wissenschaft habe die „Bereisten“ bis auf wenige Ausnahmen in ihrer Arbeit kaum unterstützt. Renommierte tourismuswissenschaftliche Zeitschriften seien meist voller Erfolgsgeschichten, die mit ökonomischen und statistischen Daten angereichert würden. Sie lenkten von den Problemen ab und würden von der Industrie benutzt, um die eigenen Interessen abzusichern. Wissenschaft und Aktivisten sollten statt Mauern besser Brücken zwischen sich errichten (vgl. ebd., S.232).

Der breitere Zugang zu Informationen würde Entscheidungen enthierarchisieren, die Tourismusindustrie würde demokratischer werden (müssen), die Verhandlungsmacht der Bereisten wachsen. Der Informationssprung werde Konfusion bringen, aber auch mehr Menschen als bisher beteiligen und den Druck auf die Tourismusindustrie wahrscheinlich erhöhen, die propagierten Standards endlich auch umzusetzen (vgl. ebd., S.234).

Diese fundamental gesellschafts- und globalisierungskritischen Perspektiven stehen stellvertretend für die Mehrheit der Basisbewegungen in „Entwicklungsländern“.

Lokaler Widerstand gegen Tourismusentwicklungen ist keineswegs auf die häufig zitierten Entwicklungsländerbeispiele beschränkt – auch in den Alpen, auf Nordseeinseln, usw. gibt es zahlreiche Initiativen und Gruppen.

Nach Freyer (1991, S.386) konzentrieren sich Kritik und Widerstand häufig in der Anfangsphase, wenn entschieden wird, ob überhaupt Tourismus stattfindet, und später dann wieder in der Massenphase, abhängig auch von Entwicklungsstand und Landesgröße. Jedoch gäbe es angesichts der ökonomischen Wünsche und Erwartungen meist keinen ausgeprägten Aufstand. Strasdas (2001, S.88) hält ebenfalls einschränkend fest, dass der viel zitierte „Aufstand der Bereisten“ sich nur auf wenige organisierte Fälle beschränke und dass es auch unter den einfachen Einheimischen vielfältige verschiedene Interessen gäbe, weshalb keineswegs alle an der Eindämmung des Tourismus interessiert seien.

Institutionalisierung im „Süden“

Auch im Süden, vor allem in Zentralamerika/Karibik und in Asien sind die Kirchen bedeutende Initiatoren und Akteure in der Tourismuskritik. Nach Backes, Goethe (2003, S.7) könnte die ökumenische Weltkonferenz 1966 in Genf eine Initialzündung für die aktive Einmischung der Kirchen gewesen sein. Dort wurde ein revolutionärer Charakter Gottes zu einer populären Vorstellung innerhalb der Kirchen. Diese Auffassung legitimierte und forderte den aktiven Eingriff der Menschen in die Geschichte. Auch zu den Auswirkungen des Ferntourismus, in dessen Namen auch vor Enteignungen und Vertreibungen nicht zurückgeschreckt wurde, konnte deshalb nicht geschwiegen werden. Die „Theologie der Befreiung“ widmete sich ebenso wie die parallel operierende linke Solidaritätsbewegung den Prozessen der „Unterentwicklung durch Entwicklung“ und der Produktion neuer Armut, wobei Tourismus als zentrales Element dieser Prozesse gesehen wurde.

1972 veranstaltete die „Caribbean Conference of Churches“ eine Tagung, welche eine der ersten kritischen Stimmen in der „Dritten Welt“ selbst darstellte. Die „Christian Conference of Asia“ in Penang (Malaysia), bei der „Bereiste“ ihre Eindrücke austauschten, griff das Thema 1975 auf. Der erste „Verhaltenskodex für Touristen“ wurde erarbeitet: „A code of ethics for tourists“ wurde in vielen Ländern nachgedruckt, so auch in der 1975 eingerichteten „Fachstelle Ferntourismus“ des ZEB (Zentrum für entwicklungsbezogene Bildung). Das ZEB ist Teil des evangelischen Entwicklungsdienstes (vgl. Tüting 1990, S.63).

1980 fanden in Manila zwei Tourismuskonferenzen statt. Auf der einen dachten 600 Minister, Diplomaten und Tourismusexperten über die Förderung des Tourismus und die Wünsche der Touristen in der „Dritten Welt“ nach. Auf der Anderen suchten 30 Tourismuskritiker nach neuen und sanften Wegen im „Dritte-Welt“-Tourismus. Sie gründeten ein Jahr später das weltweite Netzwerk „Ecumenical Coalition on Third World Tourism“ mit Sitz in Bangkok (heute ECOT – „Ecumenical Coalition on Tourism“ mit Sitz in Hongkong). 1986 veranstaltete TEN im schwäbischen Bad Boll die bis dahin einmalige Konferenz „Third World People and Tourism“, auf der die sonst ungefragten „Bereisten“ der „Dritten Welt“ im Mittelpunkt standen. Die 140 Teilnehmer aus 30 Zielländern vernetzten sich hier für langfristige Aktivitäten.

In den 80er Jahren führte das Aufgreifen des Themas (Kinder)Sextourismus zur Gründung der weltweiten ECPAT-Kampagne (nach Tüting steht der Name für „End Child Prostitution in Asian Tourism“, heute steht er für "End Child Prostitution, Child Pornography and Trafficking of Children for Sexual Purposes"). Die Kampagne/Organisation ist weltweit aktiv, so z.B. auch in Brasilien.

Süd- und Südostasien ist ein Schwerpunkt für tourismuskritische Bewegungen, die überregionale Bekanntheit erlangt haben.

5.3 Tätigkeiten der Tourismuskritiker

Den Kern der Aktivität stellt das Verbreiten und die Vermittlung von Informationen auf unterschiedlichste Art und Weisen dar. Tourismuskritik stellte als erste zivilgesellschaftliche Bewegung weltweit Öffentlichkeit für die „anderen Seiten“ des Tourismus her. Sie fand Gehör bei Journalisten und sogar bei Industrie und Politik.

Grundlage dafür ist das ‚Fund raising’, also die Suche nach Geld. Nicht selten avanciert sie zur eigentlichen – und eigentlich unfreiwilligen – Hauptbeschäftigung vieler Tourismuskritiker. Erfolg ist dabei nicht garantiert – so musste bspw. dass erfolgreich arbeitende Projekt Fernweh des Informationszentrums Dritte Welt (iz3w) den Betrieb (vorerst) aufgrund ausbleibender EU-Fördergelder einstellen.

Europäische Organisationen erzielen oft auch Einnahmen durch den Verkauf von Druckerzeugnissen sowie durch Beratungs- und Forschungsaufträge. Manch Organisationen haben zahlreiche beitragzahlende Mitglieder. Zu diesen Spendern gehören neben Privatpersonen vor allem Wohltätigkeitsorganisationen aus anderen Themenfeldern und kirchliche Organisationen. In der „Dritten Welt“ wird der Zuschussbedarf meist aus kirchlicher Entwicklungshilfe gedeckt. Der Verkauf eigener Produkte und Dienstleistungen ist dort wesentlich schwieriger (vgl. Stäbler, Kamp 1997, S.236).

5.3.1 Arbeitspraxis tourismuskritischer NGOs am Beispiel von respect , iz3w und akte

Fast alle tourismuskritischen Initiativen sind – wie die hier vorgestellten – als gemeinnützige Vereine organisiert. Die juristische Form entspricht meist der eines deutschen eingetragenen Vereins (e.V.).

Akte:

Ein wichtiges Aufgabenfeld ist die regelmäßige Herausgabe der vier mal jährlich erscheinenden Kurznachrichten, welche gratis bestellt oder von der akte -Website heruntergeladen werden können. Beim ersten Erscheinungstermin im Juni 1993 fanden tourismuskritische Nachrichten noch wenig Beachtung. Während die Nachrichten früher in Papierform den Mitgliedern zugesandt wurden, beziehen drei viertel der Leserschaft die frei verfügbaren Informtionen heute online.

Einen zunehmend größeren Stellenwert nimmt der Betrieb des Internetportals fairunterwegs.org. ein.

Ein dort erscheinender „fair unterwegs Newsletter“ wird häufiger als die Kurznachrichten erscheinen, dafür etwas kürzer ausfallen.

„Hinter den Kulissen“ unterstützt akte, dem basisorientierten Ansatz der Organisation entsprechend, Projekte in „Entwicklungsländern“ durch Vermittlung von Know-how und von Kontakten und Vertriebswegen, zu denen diese sich allein keinen Zugang verschaffen könnten. „Wir haben unseren Partner in Südafrika der sehr wichtig ist, Fair Trade and Tourism South Africa. Dies ist eine Gütesiegelorganisation, welche sehr eng mit uns zusammengearbeitet hat, um die Bedingungen zu klären, die es braucht, damit man ein Projekt sozial- und umweltverantwortlich nennen kann. Das ist eine ganze Liste und es folgt ein sehr umfangreiches Prozedere, welches einsetzt, wenn sich beispielsweise ein Hotel in Südafrika dieses Label holen will. Es gibt ähnliche solche Zusammenarbeiten in Kerala, in Palestina-Jordanien und in Lateinamerika. Das sind vor allem lokale Kooperationen.“ (Nina Sahdeva, Bildungs- und Öffentlichkeitsbeauftragte von akte, vgl. Interview Anhang B).

Respect:

respect versteht sich NICHT NUR als tourismuskritische NGO. Wir unterstützen nachhaltige, sozial- und umweltverträgliche Tourismusentwicklung und v.a. –Projekte aktiv. Das tun Tourism Watch und AKTE natürlich auch, aber im Unterschied zu diesen Organisationen ist für uns die Unterstützung vorbildlicher Projekte in der Öffentlichkeitsarbeit vorrangig“, so Karin Chladek, Zuständige für Öffentlichkeitsarbeit bei respect (vgl. Interview Anhang A).

„Wir vernetzen, betreiben Öffentlichkeits- und Pressearbeit, Weiterbildung, erstellen Leitbilder, betreiben Forschung und Consulting, organisieren Round Tables und Konferenzen (…) Wir sind z.B. im Bereich sanfte Mobilität im Tourismus (Modelle, Vorzeigeprojekte) aktiv, vor allem auch in Europa. Wir haben nicht nur einen Schwerpunkt auf Fernreisen und sog. Entwicklungsländer, sondern befassen uns auch mit Entwicklungen und Projekten in Österreich und Europa.“

„Der Großteil der Arbeit? Das kommt ganz auf den Aufgabenbereich/ Arbeitsschwerpunkt der Person an. Ich selbst bin vor allem für Presse-, Öffentlichkeits- und Textarbeit verantwortlich (…). Natürlich auch auf Meetings, Konferenzen, etc., jedoch hauptsächlich vor dem Computer. Diejenigen, die mehr Bildungs-, Trainings- und Consultingarbeit machen, sind häufiger unterwegs“ (vgl. ebd.).

Ein inhaltliche Schwerpunkt der Arbeit von respect ist der Kampf gegen sexuelle Ausbeutung von Kindern im Tourismus.

Iz3w:

Ein Schwerpunkt für das iz3w ist die Herausgabe der gleichnamigen Zeitschrift (seit 1971) und die Verwaltung eines umfangreichen Zeitschriften- und Zeitungsarchiv das der Öffentlichkeit zugänglich ist. In loser Reihenfolge werden Pressedokumentationen und Bücher herausgegeben. Auch für das iz3w ergeben sich durch das breite Themenspektrum vielfältige Aufgabenbereiche:

„(Womit man beschäftigt ist) hängt davon ab, auf was man den Schwerpunkt legt. Leider ist es oft die Recherche am Computer – denn für Besuche von Projekten oder Gruppen reicht oft die Zeit und das Geld nicht. Dabei muss ich sagen, dass die wenigen Recherchereisen, die Fernweh gemacht hat, überaus hilfreich waren: die Perspektive der Bevölkerung aus touristischen Destinationen ist einfach so unterschiedlich und ihre Interessen so vielfältig und auch widersprüchlich, dass der Austausch mit Kleinhändlern, Hotelangestellten, Küchengehilfinnen, Sexarbeitern, Guides, Souvenirverkäufern, Reinigungspersonal, Nachtwächter, Taxifahrern usw. Fragen und Perspektiven aufwirft, auf die man sonst so kaum stößt – und diese Perspektiven (die ja sonst kaum gehört werden) erst nach einer Recherchereise auch gut vermittelbar sind, eben mit authentischem Material.

Ansonsten verbrachte FernWeh viel Zeit mit redaktioneller Arbeit, mit schreiben, Vorträge halten…Projekte verwalten, Gelder aquirieren und abrechnen, Projektmamagement eben.“ (Martina Backes, iz3w -Mitarbeiterin (vgl. Interview Anhang C)

5.3.2 Zusammenarbeit und Kooperation in der tourismuskritischen Bewegung

Netzwerke bilden sich, um gemeinsames Anliegen durch regelmäßige Kontakte effektiver voranzubringen, wobei die Akteure sich „nicht allein auf weiter Flur fühlen“ müssen. Sie erhöhen gegenseitig ihre Kompetenz und helfen sich, Positionen gegenseitig abzuwägen und dadurch „auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben.“

Die unzähligen Gruppen könnten bei einem Maximum an Integration ein viel größeres Gewicht in die laufenden Debatten einbringen. Gerade kleinere Gruppen könnten so besser auf den Informationsfluss zugreifen.

Verschiedene Ansätze der Partner in der Arbeit müssen für Kooperationen toleriert werden, statt Gleichschaltung sollte kreative Teilnahme im Vordergrund stehen (vgl. Stäbler, Kamp 1997, S. 229).

Für M. Backes (iz3w) ist die „Szene (…) nicht wirklich gut vernetzt“:

„Die iz3w Partnerschaften waren immer projektbezogen und haben sich in aller Regel in einem Rahmen bewegt, der auf Bildungsarbeit und allgemeine Öffentlichkeitsarbeit abzielt. Lobbyarbeit haben wir nie betrieben. Als Mitglied der Arbeitsgemeinschaft für nachhaltige Tourismusentwicklung (DANTE) sind wir - mehr oder weniger mit einzelnen DANTE Mitgliedern projektbezogene Kooperationen eingegangen (z.B. für Messeauftritte, Veranstaltungen, Workshops, Publikationen usw.).“

Strategische Kooperationen in Bezug auf einzelne Projekte und Ziele hält Backes für sinnvoll: „Da es zu viele unterschiedliche Gründe für eine kritische Einschätzung des Tourismus gibt, und leider auch viele kulturalistische Standpunkte a la „Tourismus als Kulturzerstörer“, würde sich das iz3w in so einer Bewegung nicht aufreiben wollen. Hilfreich allerdings wäre es schon, wenn etwa die konkreten Auswirkungen etwas des GATS Abkommens auf die Arbeitsbedingungen im Tourismus globaler erfasst und diskutiert würden. Also eine intensivere Vernetzung entlang einzelner Themen wäre absolut wünschenswert.“ (vgl. Anhang C)

Bei akte sind neben der Einbindung in die tourismuskritischen Netzwerke lokale Kooperationen in „Entwicklungsländern“ bedeutend. Man sieht hier die eigene Vernetzung mit europäischen Organisationen als sehr gut an.

„… man arbeitet dort zusammen wo es einen Sinn macht, wo man zusammen etwas erreichen will. Thematisch, für die politischen Strategien, die Informationsbeschaffung arbeitet man zusammen.“ (N. Sahdeva, vgl. Anhang B)

Bei respect ist Zusammenarbeit mit anderen Organisationen in den Netzwerken, in denen respect eingebunden ist (TEN, DANTE), meist dauerhaft. Projektbezogene Zusammenarbeit wird vor allem mit Universitätsinstituten, Ministerien und Umweltorganisationen wie Greenpeace oder WWF eingegangen (Dr. Christian Baumgartner, vgl. Anhang A – das respect-Interview wurde von K. Chladek und C. Baumgartner gemeinsam beantwortet).

„Kooperation und Vernetzung muss ja nicht unbedingt Verwaltung und Bürokratie bedeuten. (…) Problem sind immer die Finanzen. Wenn einmal Projektgelder da sind (siehe Fernweh in den letzten Jahren) entwickeln sich Strukturen und Aktivitäten (Konferenzen, etc.) die wieder besser vernetzen. An sich sind die vernetzten Strukturen immer da und potenziell gut, wenn auch nicht immer aktiv“ (C. Baumgartner, vgl. ebd.).

Abb.2: Vernetzung europäischer tourismuskritischer Organisationen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: eigene Darstellung

- Vgl. hierzu die Auflistung mit Erläuterungen zu wichtigen tourismuskritischen Organisationen und Netzwerken in Anhang D.

6 Chronologische Entwicklung und Richtungen der Tourismuskritik

Als erster ernstzunehmender Beitrag der Tourismuskritik wird in der Regel Enzensbergers „Eine Theorie des Tourismus“ genannt. Die davor ausgeübte „traditionelle Kulturkritik“ am Tourismus wendete sich vor allem gegen den Tourismus breiter Bevölkerungsschichten. Ihre Vertreter beklagten die „Touristifizierung“ ehemals „paradiesischer“ (und wenigen Privilegierten vorbehaltener) Gegenden (vgl. Krippendorf 1989, S.153).

(Das Beispiel Nebels wird hierbei zwar häufig aufgeführt, wäre ohne die „Würdigung“ bei Enzensberger wohl jedoch nie bekannt geworden).

Diese Bewegung war (oder ist?) stark mit Tourismusmythen verbunden, wie etwa dem Mythos vom Menschen verbindenden Gast-Gastgeber-Verhältnis oder der Vorstellung von der abgeschirmten heilen Tourismuswelt.

Stock (1999, S. 25 ff.) macht in der Folge zwei sich abspaltende Stränge der analytischen Tourismuskritik aus: Die „linke“, durch Enzensberger begründete Position der Tourismuskritik, welche bisweilen zu deterministischen Ableitungen, Pauschalisierungen und Verabsolutierungen verleitete und die „bürgerliche“ Tourismusforschung (mit Protagonisten wie Hennig und Opaschowski), welche mit ihren Thesen vom emotionalen Gewinn durch Reisen deshalb Erfolge feierte, weil die Fluchtmotivation aus kapitalistischen Zwangsverhältnissen durch den „linken“ Strang überstrapaziert worden sei. Die Lust am Reisen sei schlicht negiert worden. Ebenso überbetont sei die Manipulationsthese gewesen, in der das Individuum (der Tourist) im Strukturellen untergehe. Damit und durch die oft abwertende Verwendung des Begriffs der "Masse" habe sich auch die materialistische (gesellschaftskritische) Tourismuskritik in die Nachbarschaft der bürgerlich-aristokratischen Tourismuskritik begeben, welche den „Plebs“ jene Reiseprivilegien absprechen wollte, die sie selbst in Anspruch nahm.

Ein weiterer Denkfehler der „linken“ Kritik sei bei der Einschätzung der bereisten Gesellschaften gemacht worden. Die Zerstörung von Werte- und Sozialsystemen durch Tourismus sei betont worden, während die innerhalb der Regionen liegenden Gründe für den Wandel nicht hinreichend erfasst wären. Diesen Anklagen wohne ein konservativer Kern inne, der traditionelle Verhältnisse idealisiere, gleich wie autoritär oder repressiv sie auch sein mochten. „Anliegen der Tourismuskritik kann eigentlich nur sein, herauszuarbeiten, welche neuen Abhängigkeiten und Machtverhältnisse der Tourismus schafft. Diese Trennschärfe fehlt jedoch vielen tourismuskritischen Publikationen.“ (Stock 1999, S.27)

Die Tourismuskritischen Inhalte folgten im Laufe der letzten 50 Jahre weitgehend den allgemeinen tourismus- und entwicklungspolitischen Debatten, indem sie die gleichen Themenschwerpunkte aufgriffen. Parallel zu den Themen gab es auch „kollektive Befindlichkeitsphasen“ der Tourismusanalytiker und -Kritiker, die sich aus den realen Ergebnissen und konkreten touristischen Umsetzungen ihrer Analysen und Debatten ergaben. Im folgenden Schaubild sind diese Themen und Phasen dargestellt.

Abb. 3: Diskussion und Kritik des „Dritte-Welt“-Tourismus bis Mitte der 90er Jahre:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Stäbler/ Kamp 1997, S. 226

6.1 Die Anfänge: 50er Jahre

Mitte bis Ende der Fünfziger Jahre wurde für Mitteleuropäer das massenhafte Verreisen mit dem Flugzeug möglich. In dieser Phase betrat Hans Magnus Enzensbergers als erster „moderner“ Tourismuskritiker, der den Tourismus als Teil der „kapitalistischen Verhältnisse“ betrachtete, die Bühne.

Die bürgerliche Revolution habe "den einzelnen ein Freiheitsbewusstsein ein(gepflanzt), das sich an der Gesellschaft, die aus ihr hervorging, brechen musste" (Enzensberger 1958, S. 189, zit. n. Backes, Goethe 2003, S.3). Das geweckte Freiheitsbegehren konnte nach Enzensberger innerhalb der eigenen Gesellschaft nicht mehr gestillt werden und wurde mit exotischen Projektionen in die Ferne kompensiert. Damit schaffte die Entwicklung der industriellen Gesellschaft zugleich das Begehren nach Ausbruch sowie die technischen Möglichkeiten, diesen zu vollziehen.

Nach Enzensberger wären die Touristen die eigentlichen Opfer des Tourismus, da sie in ihrer vergeblichen Flucht vor der kapitalistischen Entwicklung keinen Weg aus ihr heraus finden.

Er interpretierte den Massentourismus als eine Art blinde Auflehnung: "Jede Flucht aber, wie ohnmächtig sie sein mag, kritisiert das, wovon sie sich abwendet" (Enzensberger 1958: 204, zit. n. ebd. 2003, S.5).

Enzensberger vernachlässigt die vielfältigen 'Hin-zu' Argumente wie bspw. das positive Erleben am Urlaubsort gänzlich, Auch die individuellen Entscheidungs- und Handlungsspielräume des Einzelnen wurden in seiner Theorie unterbewertet. Diese Aspekte wurden später in zahlreichen anderen Veröffentlichungen bemängelt.

Enzensberger versteht seinen Beitrag auch als Kritik an der elitären Tourismuskritik, insofern ist „Eine Theorie des Tourismus“ auch die erste Metakritik des Tourismus.

6.2 „Dritte Welt“ und Wachstumsgrenzen: die 60er und 70er Jahre

Anfang der 70er Jahre ging das erste Unbehagen an den touristischen Auswirkungen vor Ort vor allem von den zahlreich entstandenen „Dritte-Welt“-Gruppen aus. Durch die volle Entfaltung des Massentourismus traten soziokulturelle und wirtschaftliche Schäden vielen Wissenschaftlern und Journalisten deutlich vor Augen.

Die modernisierungstheoretische Befürwortung des Ferntourismus hatte mit „plumpen Thesen“ (Stock 1999, S.25) die positiven „Modernisierungseffekte“ des Tourismus für die „traditionellen Gesellschaften“ betont. Gegen diese Theorie stand die marxistisch orientierte Dependenztheorie, welche die „Unterentwicklung“ auf die Kolonialzeit und die Abhängigkeit von den Industrieländern zurückführte.

In die Kritik gerieten einerseits die Reiseunternehmen, denen die "Manipulation der Massen" angekreidet wurde, indem speziell Großkonzerne und imperialistisch agierende Ökonomien Profite ohne Rücksicht auf kulturelle und soziale Schäden in der Peripherie realisierten (vgl. Backes, Goethe 2003, S.7).

Es entstand eine Fülle von Aktivitäten, die Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit zum Schwerpunkt hatten. Studien, an denen es noch mangelte, Seminare für Reiseleiter, Studienreisen und die Einrichtung eines Referates „Ferntourismus“ am Studienkreis für Tourismus Starnberg gehörten dazu. 1974 wurde dort das erste „Sympathie-Magazin“ über Kenia vorgestellt. Diese bunten Hefte sollen auch heute noch Verständnis und eben Sympathie für die Zielländer wecken.

Während zum Ende der 70er Jahre die Bürgerinitiativen immer mehr Zulauf bekamen, entstanden Klassiker der tourismuskritischen Literatur wie „Die kostbarsten Tage des Jahres“ von Gerhard Armanski (1978) und „Der Millionen-Urlaub“ von Hans-Werner Prahl und Albrecht Steinecke.

Die dependenztheoretisch orientierte Tourismuskritik stellte den Tourismus als spezifische Form des (Neo)Kolonialismus dar. Die „Dritte Welt“ werde zu einer „Vergnügungsperipherie“ der Industrieländer degradiert. Der „moderne“ Dienstleistungssektor trete mit den von ihm abgekoppelten „traditionellen“ Sektoren in Konkurrenz um die Produktionsfaktoren.

Der Ferntourismus sei deshalb problematischer als der Tourismus innerhalb der „entwickelten“ Länder. Die vorherrschende Form des Tourismus wurde als spezifische Form von struktureller Gewalt aufgefasst, die sich ungerechte Lohnstrukturen und Währungsverhältnisse zunutze mache und Herrscher-Diener-Verhältnisse sowie rassistische Wahrnehmungsmuster festige.

Die Stärken des dependenztheoretischen Ansatzes lagen in seinem erweiterten Blickwinkel, der den Tourismus unter den Bedingungen des Kapitalismus und dessen Ausweitung auf alle Gesellschaftsbereiche umfasste. Motive und Verhalten einzelner Reisender konnten an die strukturellen Bedingungen des Tourismus gebunden werden, ohne sie damit völlig von individueller Verantwortung freizusprechen (vgl. Stock 1999, S.26).

Die häufig auch marxistisch orientierten Anhänger der gesellschaftsanalytisch- dependenztheoretischen Tradition, neigten ähnlich wie Enzensberger immer noch zur Unterbewertung des Individuums: „Entsprechend tut sich eine Kluft auf zwischen der kritischen Analyse, die nicht müde wird, den illusionären Charakter des Tourismus zu betonen, und der Wahrnehmung der Reisenden. Denn diese empfinden ihren Urlaub – glaubt man Umfragen zur Reisezufriedenheit – meist als höchst real, erholsam und vergnüglich.“ (Bertram 1997, S.222)

Die Massierung der Urlauber war Grundlage für die Verbilligung des Reisens und die Zugänglichkeit ausländischer Reiseziele. Damit war sie sowohl Folge als auch Voraussetzung für die massenhafte Produktion von Reisen. Das Mengenproblem war und ist nicht ohne Industrie zu bewältigen. Und dabei ist „nicht einzusehen, warum der Vorgang mit all seinen Erscheinungen des Massenhaften mit Hohn bedacht werden soll, wenn er nichts weiter ist, als die Folge einer sozialen Errungenschaft, deren Auswirkungen uns über den Kopf gewachsen sind und die wir noch bewältigen müssen“ (Wagner 1970, zit. n. Bertram 1996, S.21).

Der Massenaspekt ist Prüfstein für die Tourismuskritik, die Alternativen zum Bestehenden entwirft. Erweisen sich die Alternativen noch als probat, wenn sie massenhaft in Anspruch genommen werden? (vgl. ebd., S.21)

6.3 Ökobewegte Zeiten und Nachhaltigkeit: die 80er und 90er Jahre

In den 80er Jahren begann der Aufstieg der individuell-pragmatischen Kritiktradition. Die negativen Seiten des Tourismus galten als umfassend erkannt und beschrieben. Die AG TmE erreichte eine breite Öffentlichkeit über die linksalternative Presse hinaus und setzte sich mit Branchenführern auseinander (vgl. Müller 1994, S.35).

Die "ökologische Zerstörung durch Tourismus" (Euler 1989) war verstärkt ins Blickfeld gerückt. Zunehmend von der Theorie der Knappheit und Endlichkeit globaler Ressourcen überzeugt, kritisierten nun vermehrt auch umweltpolitisch engagierte Bürgervereine den Tourismus: Sein „maßloser Verbrauch an Energie, Wasser und anderen Naturgütern bei "expandierenden" Touristenankünften zwang zum Handeln“ (Backes, Goethe 2003, S.12).

Die „angepassteren“ Tourismuskritiker meinten, dass eine Umsetzung der Umwelt- und Sozialverträglichkeit in der Breite nicht ohne die Mächtigen der Branche zu erreichen sei. Was fehlt, seien nicht umweltsensible Leute, sondern Leute mit Know-how, die Umweltkonzepte in die Praxis umsetzen können. Viele wollten endlich auf Bühnen agieren, wo echte Entscheidungen gefällt werden. Manche machten mit Beratungsbüros Karriere und wurden in wichtigen Ausschüssen angehört. Andere wurden Dozenten in ökonomisch ausgerichteten Fachbereichen und verdienten mit ihrem Wissen (welches anderen Kritikern zusehends „kommerziell geglättet“ erschien) gutes Geld. Andere beklagten noch lange die zu schnelle Aufgabe radikaler Positionen der Tourismuskritik (vgl. Müller 1994, S.36 ff.).

Visionen von „sanftem“ Tourismus wurden entwickelt, wobei das entwicklungstheoretische Modewort „nachhaltig“ zunehmend häufig bemüht wurde. Diese Tendenz wurde später zur Hauptströmung der Tourismuskritik.

Sanftes Reisen wurde, wenn auch nicht als Gegenmodell zum Bestehenden, so doch als ein Programm zur Handhabung des Tourismusproblems entworfen, das individuelle Einflussnahme eröffnete, statt auf die Umwälzung und Weltrevolution der Verhältnisse zu beharren.

In die Rechtfertigung für dieses Modellieren von besserem Reisen schlich sich nach Stock jedoch der Fehlschluss ein, falsches Reisen sei einzig ein Problem mangelnden Wissens und durch pädagogische Maßnahmen behebbar (vgl. 1999, S 26).

Teilweise recht anspruchsvolle und „manchmal pastoral wirkende“ Kataloge gaben den Touristen nun an, was zu tun und zu unterlassen sei. Inhaltlich zielten sie auf ökologische Auswahl von Zielgebiet und Reiseart und auf ein Reiseverhalten, dass den Einheimischen und der Infrastruktur Nutzen bringt (vgl. Bertram 1997, S.223). Die meisten Verhaltensvorschläge stehen jedoch den Vorstellungen der meisten Touristen vom Reisen – nämlich Freiheit von Zwängen, Ungebundenheit und Erholung – größtenteils entgegen. In dieser idealisierten Sichtweise kommt – ungewollt oder nicht – ein gewisser Hang zum Elitären zum Tragen (vgl. ebd. S.224).

Die Bewusstseinsbildung erwies sich denn auch als nicht breitenwirksam, weshalb man sich von Gütesiegeln als einfache Handlungsoption für die Kunden mehr Wirkung versprach. Unternehmen versuchte man, die Umweltzerstörung als Gefahr für die eigene Existenz und „Umweltmanagement“ als „Wettbewerbsvorteil“ nahe zu legen. Die Erkenntnisse führten zu neuen Angebote engagierter Kleinunternehmen, welche jedoch nur zusätzlich zum herkömmlichen Programm die Kataloge füllten. „Reisende mit Einsicht“ waren Backpacker oder „aufgeklärte“ Bildungsbürger, die durch hohe Zahlungsbereitschaft ihre Konsumentenmacht geltend machten.

Nach Bertram (1997) war der wachsende Öko- und Projektreisemarkt auch auf die individuell- pragmatische Kritiktradition zurückzuführen, wobei der Erfolg hier teilweise zum neuen Problem geworden sei. Das schlechte Gewissen werde größtenteils lediglich in neue Geschäfte umgewandelt, die Kritik verharmlost und verfälscht. Mehr als ein gewisses Maß an Schadensbegrenzung habe diese Kritik bisher nicht bewirken können. Während in der dependenztheoretisch- gesellschaftlichen Sicht die Freiräume des Individuums unterschätzt worden seien, seien sie in der individuell- pragmatischen Tradition überschätzt worden.

„Die Tourismuskritik und insbesondere die Debatte über den Tourismus in Dritte-Welt-Länder stagniert seit Anfang der 90er Jahre“ (Stock 1999, S.25). Die gesellschaftstheoretische Reflexion ist pragmatischen Ansätzen gewichen. „Durch den Verzicht auf Grundsatzdiskussionen werden die Fehlannahmen der früheren Tourismuskritik fortgeschrieben“ (ebd. S.25).

Anfang der 90er Jahre wandte sich die Tourismuskritik mehrheitlich vom dependenztheoretischen Ansatz ab – dem Mainstream der allgemeinen entwicklungspolitischen Debatte folgend. Die alten Theoriesätze wurden nun als ideologischer Ballast verdammt. Nach Stock entledigte man sich damit nicht nur der falschen, sondern auch der sinnvollen Ansätze (ebd. S.26).

Mäder (1991, S.21 ff.) weist auf die Mechanismen der in den 90er Jahren weiter fortgeschrittene Vereinnahmung der Kritik durch die Tourismusindustrie hin. Berührungen der Oberfläche seien gestattet und wer sich daran halte, gelte als ernstzunehmend und finde Gehör, weil er wenig zu sagen habe. Die Spielregeln missinterpretierter Demokratie sorgten für Anpassung und Selbstzensur. Umsichtiges Taktieren ersetze die ehrliche Auseinandersetzung, es sprieße die sterile Unfruchtbarkeit. Die gelegentlich erscheinenden scharfen Medienberichte gegen die wilden Auswüchse touristischer Eigendynamik hält Mäder für ebenso erfreulich wie trügerisch. Die meisten Medien seien und blieben verlängerte Arme der Wirtschaft, abhängig von Werbegeldern und bürgerlicher Trägerschaft.

Zwar sollten konkrete Verbesserungsmöglichkeiten nach Mäder nicht aus Angst vor Vereinnahmung ausgeschlagen werden, aber es sollten auch nicht alle beschränkten Kapazitäten der Tourismuskritik in wenig bedeutsamen Reformen verausgabt werden. Die Beurteilung richtiger Schritte sei dabei schwierig, besonders im sich verändernden Umfeld (vgl. ebd. S.25).

6.4 Alter Wein in neuen Schläuchen?: nach der Jahrtausendwende

Seit Ende der 90er Jahre erfolgte eine neuerliche Wende: weg von der individuell pragmatischen Kritiktradition hin zur strukturpolitischen Rahmensetzung. Das Leitbild Nachhaltigkeit wurde zum Orientierungspunkt für ein auf konkrete Verbesserungen zielendes Engagement. Dieser neuerliche Strukturblick ist aber nicht identisch mit den früheren Fragen nach den "gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die das massenhafte Reisen geschaffen haben" (Kresta 1999: zit. n. Backes, Goethe 2003, S17).

Umwelt(politische Gedanken haben sich zur ideologischen Stütze für Entwicklungsprogramme entwickelt. Zu dieser Stütze gehören bspw. das im Norden populäre Motto „global denken – lokal handeln“ aus dem ebenso populären „Eine-Welt-Gedanken“, dass „wir alle im gleichen Boot sitzen“, womit ein Interesse an der „Rettung des Planeten“ signalisiert wird (vgl. Backes 2003, S.22).

Zahlreiche Abkommen und Beschlüsse zu Tourismus und Nachhaltigkeit wurden getroffen, so u.a. die Berliner Erklärung "Biologische Vielfalt und nachhaltiger Tourismus" 1997, das UN- Arbeitsprogramm für einen nachhaltigen Tourismus 1999 und der Beschluss über Biodiversität und Tourismus im Jahr 2000.

Die Einschätzung hinsichtlich ihrer Wirksamkeit auf die touristische Realität fällt sehr unterschiedlich aus – nichtsdestotrotz erachtet die tourismuskritische Szene globale strukturpolitische Vorgaben für die künftige touristische Einwicklung als wichtig, wenn nicht unverzichtbar.

Die Entwicklungsstrategien zielen zunehmend auf eine widerspruchsfreie Integration der ökologischen Anliegen (Naturerhalt und Ressourcenschutz) mit sozialen Aspekten (Gerechtigkeit und gesellschaftliche Integrität) sowie wirtschaftlichen Ansprüchen (Ergiebigkeit/ Beschäftigung). (vgl. Backes, Goethe 2003, S.15)

In der Praxis heißt das: naturnahe Landschaften werden ebenso wie kulturelle Leistungen als regionale Besonderheiten in touristische Angebote eingeflochten, die ihrerseits auf einem globalen Markt mit internationalen Standards mithalten müssen. Diese Tourismuspakete handeln Tourismusexperten, wenn sie ökonomisch erfolgreich sind und ökologische und soziale Interessen berücksichtigen, als gute Beispiele (best practice). (vgl. ebd. S.16)

Die Forderung einer Evaluierung ("Review") des Konzeptes im internationalen „Jahr des Ökotourismus 2002“ durch Gruppen wie das t.i.m.-team war u. a. Ausdruck einer Skepsis insbesondere von NGOs im Süden gegenüber dem von internationalen Umweltorganisationen eingebrachten Interesse einer globalen Allgemeinheit an der "Rettung des Planeten" und der biologischen Vielfalt. Organisationen und Initiativen aus den Ländern der „Dritten Welt“ kritisierten vor allem den zunehmend liberalisierten Wettbewerbs- und Verdrängungskampf im Tourismus als beschleunigendes Moment touristisch verursachter sozialer und ökologischer Problemlagen (vgl. ebd. S.14).

In der NGO-Szene herrscht die Meinung vor, hier werde allzu leicht von der Notwendigkeit einer Trendwende für das gesamte touristische Geschehen abgelenkt. Das Postulat der Nachhaltigen Entwicklung könne für den Tourismus nur durch eine Ökologisierung der gesamten Branche schlechthin verwirklicht werden, zudem müsse Ferntourismus zur Armutsbekämpfung beitragen (vgl. ebd., S.17).

Nach Stock (1999, S.25) ist die Tourismuskritik hierbei in eine Position der organisatorischen Schwäche geraten, die mit inhaltlicher Verunsicherung der Akteure einhergeht. Früher geißelten nach Stock nur tourismusbefürwortende und „der Industrie nahe stehende“ Wissenschaftler wie Opaschowski das „Elend der Tourismuskritik“, während heute ähnliches auch aus dem Lager der (ehemaligen) Kritiker selbst komme. Beispielhaft steht hier Ludmilla Tüting, die sich über „ideologische Scheuklappen“ der „Fundis“ unter den Kritikern beschwerte.

Stock vertritt die These, dass es umgekehrt eher der zunehmende Verzicht auf Grundsatzdiskussionen und die ausschließlich pragmatische Orientierung sind, die die Tourismuskritik in die heutige Position der Schwäche bringen, zumal auch die neueren Ansätze auf früheren theoretischen Prämissen basierten, ohne diese offenzulegen. Alte Fehlannahmen würden so jedoch nicht revidiert.

7 Inhalte der Tourismuskritik

Tourismuskritik kann sich auf bestimmte Tourismusformen, (Fehl)Entwicklungen in einzelnen Zielgebieten oder „Strukturdefekte“ des „Systems Tourismus“ allgemein beziehen.

Dabei ist stets zu überdenken, welche Probleme überhaupt dem Tourismus angelastet werden können. Es besteht häufig die Gefahr simplifizierender monokausaler Herleitungen. Oft führt der allgemeine Wandel zu Tendenzen, die durch Tourismus lediglich früher oder stärker auftreten. Gerade im kulturellen Bereich sind verschiedene Problemursachen kaum zu trennen. So kann bspw. behauptet werden, dass Fernsehen „kulturgefährdender“ als Tourismus sei (vgl. Freyer 1991, S.388 ff).

Freyer (1991) unterscheidet u.a. zwei inhaltliche Hauptströmungen in der Tourismuskritik.

1) Die Kritik gegen die Ursachen, Motive und die Berechtigung des Reisens, welche vor allem Gegenstand der Kritikergruppe der „Privilegierten und Ideologen“ (ebd. S.385) sei.

Reisen werde hier als Neokolonialismus bezeichnet, die ungleiche Begegnung kritisiert. Beispielhaft wird hier Maeder (1982) genannt. Laut Maeder und den anderen „Privilegierten und Ideologen“ stünden hinter der Tourismusexpansion vor allem die Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen, und zwar der reichen Nationen, ohne Befragung der Betroffenen. Nur wenige Auserwählte würden mit falschen Versprechen bestochen, was reiche, um Widerstand zu ersticken. Der Fremdbestimmungsmechanismus habe sich nach der Kolonialzeit nur verfeinert, Mächtige befriedigten ihre Bedürfnisse nach wie vor auf Kosten armer Länder. Auch die breiten Massen in hiesigen Breitengraden profitierten nur scheinbar und kurzsichtig (nach Maeder 1982).

2) Der zweite Hauptstrang kritisiere die Ursachen des heutigen Massentourismus: automatisierte, sinnentleerte, unmenschliche und ungerechte Lebens- und Arbeitsbedingungen der Industrienationen. Kritiker forderten hier Änderungen in den Alltagsbeziehungen und Lebensverhältnissen: „Nichts demonstriert den totalitären Charakter westlicher Vergesellschaftung genauer als gerade die superbe Frei- und Ferienzeit.“ (Schlesak 1972, zit. n. Freyer 1991, S.388). „Tourismus ist nichts anderes als die besonders deutliche Spitze jener Verdummungs- und Integrationsmittel, die die westliche Welt bestimmen; (…) verlängert (das Reisegeschäft) genau jene Welt, aus der sein Kunde fliehen möchte bis in die elementarsten, unbetretensten Gebiete“ (ders., zit.n. Freyer).

Unabhängig von Spezialisierungen versuchen zahlreiche Kritiker und Analytiker, Problemlösungen herauszuarbeiten. Jedoch: „… gemessen an der Komplexität der Probleme, von denen der Tourismus nur einen Teil darstellt, können Lösungen aus der hohlen Hand nicht gefunden werden“ (Burghoff 1994, S.25). Nach Burghoff würden in einer Konsumhaltung immer wieder fertige Lösungen von Tourismuskritikern eingefordert, die nicht zu haben seien. Andere versuchten zu machen was machbar ist, nämlich aufzuklären und auf Alternativen aufmerksam zu machen (ebd. S.25).

7.1 Tourismusformen im Zentrum der Kritik

Die ersten drei der hier dargestellten Tourismusformen werden wegen ihrer den Nachhaltigkeitsforderungen diametral entgegenlaufenden Organisations- und Durchführungsweisen in der Tourismuskritik hervorgehoben. Die Formen Sex- und Jagdtourismus stehen aus ethisch- moralischen Erwägungen und wegen der hinter den Reisenden stehenden Einstellungs- und Handlungsweisen im Vordergrund.

Bei Kreuzfahrt-, Golf- und All-inclusive-Tourismus gilt die „Unnachhaltigkeit“ auf ökologischer, sozialer und auch ökonomischer Ebenen als ausgeprägt. Diese Reiseformen sind sowohl in der individuellen Form als Nischensegment als auch in der Massenvariante als „harter Tourismus“ im Sinne Jungks (1980) einzustufen. Sie wirken gegenwärtig destruktiv, da sie zunehmend massenhaft in Anspruch genommen werden.

Zusätzlich zu den hier aufgeführten Formen haben zahlreiche weitere Tourismusarten Kritik hervorgerufen, darunter einige, die zunächst als Alternativen oder gar Lösungsvorschläge erachtet wurden. Dazu gehören bspw. Ethnotourismus oder Projektreisen. Auch bei Arten wie Öko- , Abenteuer- , Trekking- oder Expeditionstourismus, bei denen meist keine vordergründigen, großdimensionierten Schadensauswirkungen offen sichtbar werden, sind von Seiten der Tourismuskritik zahlreiche Schwachpunkte offen gelegt worden.

7.1.1 All-inclusive Tourismus

Laut der Verbraucherzeitschrift „test“ sind die „Ferien ohne Nebenkosten“ eine „Erfolgsgeschichte“. Die TUI hatte 1999 etwa 165 Anlagen im Programm, Neckermann zum gleichen Zeitpunkt über 200. Fast alle großen Konzerne setzen zunehmend auf geschlossene Resorts und Clubs, wo – alles im Preis inbegriffen – nach Herzenslust gegessen, getrunken, Tennis oder Golf gespielt und gesurft werden kann (vgl. Suchanek 2000, S.28).

Die Karibik zählt zu den Hauptzielen, allen voran die Dominikanische Republik, wo die meisten Hotels mit All-inclusive angeboten werden. Weitere Zielgebiete liegen am Mittelmeer, in Kenia und selbst in Kuba oder in Deutschland und Österreich.

All-inclusive boomte gemeinsam mit den Fernreisen, da es Luxusferien in exotischen Gebieten bezahlbar machte. Der Hauptgrund für die Propagierung dieser Tourismusform wird freimütig zugegeben: sie erzeugt höhere Gewinnspannen.

Einheimische Gaststätten, Bars und Händler in der Nachbarschaft von All-inclusive Anlagen gehen in der Regel leer aus. All-inclusive Hotels importieren mehr und beschäftigen weniger Menschen als herkömmliche Hotels (vgl. ebd., S.30). Veranstaltern und Hotels warnen oft vor so genannten Beach Boys, wenn Touristen beabsichtigen, die Anlagen zu verlassen.

Auf der Karibikinsel St. Lucia ist der Calypso-Song „Alien“ beliebt, in dem die „Vandalen“ Sandalen tragen und sich jeden Platz kaufen, „uns wie Früchte aussaugen“ und einen „Staat im Staate“ mit „dicken Wänden und Barrikaden“ bauen (vgl. ebd. S.29).

Die Meinung von Ländern wie Gambia über All-inklusive-Tourismus ist, dass ihnen selbst die Krümel des Tourismuskuchens verweigert werden. In Jamaica wurde ein Zusammenhang gesehen zwischen steigender Kriminalität gegenüber Touristen und dem Unmut gegen die Urlauberghettos, die die Einheimischen von den besten Stränden des Landes aussperren.

Bemerkenswert ist die Verschwendung von Nahrungsmitteln – Abfallberge von bestem Essen werden erzeugt, während das halbvolle Getränkeglas stehen gelassen wird, sind bereits frische Drinks bestellt.

November 1999 hatte die Regierung Gambias schließlich den All-inclusive-Tourismus verboten (vgl. ebd. S.32). Pünktlich zum Beginn der Londoner Tourismusmesse World Travel Mart (WTM) im November 2000 wurde das Verbot jedoch wieder aufgehoben – offensichtlich unter dem Druck internationaler Reiseunternehmen (vgl. Tourism Watch 2001).

7.1.2 Kreuzfahrttourismus

Die Kreuzfahrtindustrie ist der am schnellsten wachsende Tourismussektor. Bereits 1996 kreuzten 250 „Traumschiffe“ auf den Weltmeeren. Bis Ende der 90er kamen jedes Jahr etwa 10 weitere Luxusliner hinzu, einige davon dreimal größer als die „Titanic“ (vgl. Suchanek 2000, S.16). Die Schiffe tragen in ihrem Bauch mehrstöckige Theater, Erlebnisrestaurants, Fernsehstudios oder Eislaufhallen.

Für das Jahr 2000 wurde mit 9 Millionen Touristen und etwa 50 Mrd. US Dollar Einnahmen kalkuliert. Die Urlaubsform Kreuzfahrt wandelte sich zu einem Angebot für alle Alters- und Einkommensschichten.

[...]


* Die männliche Schreibweise umfasst in dieser Arbeit beide Geschlechter, sofern das weibliche oder männliche Geschlecht nicht ausdrücklich hervorgehoben wird.

Ende der Leseprobe aus 181 Seiten

Details

Titel
Tourismuskritik. Wegweiser für zukunftsfähiges Reisen?
Hochschule
Universität Trier
Note
1,7
Autor
Jahr
2007
Seiten
181
Katalognummer
V84396
ISBN (eBook)
9783638894234
ISBN (Buch)
9783638911108
Dateigröße
1753 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Tourismuskritik, Wegweiser, Reisen
Arbeit zitieren
Stephan Bernau (Autor:in), 2007, Tourismuskritik. Wegweiser für zukunftsfähiges Reisen?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/84396

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