Der Lunfardo. Bildung und Zusammensetzung der Varietät des Spanischen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

16 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Lunfardo
2.1. Etymologie
2.2. Genese und Definitionsversuch
2.3. Historischer Hintergrund
2.4. Zusammensetzung und Bildung des Lunfardo-Wortschatzes
2.4.1. Neologismen
2.4.2. Morphologische Änderungen
2.4.3. Entlehnungen aus anderen Sprachen

3. Schlusswort

4. Quellen und Literatur

1. Einleitung

„Ein Spanier, der wie ein Italiener spricht, sich wie ein Franzose kleidet und glaubt, er sei Engländer.“

So beschreibt Bruce Chatwin die Argentinier in einem seiner Werke und lässt gleichzeitig die große kulturelle Wichtigkeit der Europäer für das im Süden Südamerikas gelegene Land erkennen. Mit einer großen Einwanderungswelle, die etwa um das Jahr 1880 begann, kamen viele Europäer nach Argentinien. Dort hinterließen sie ihre Spuren sowohl in der Kultur, als auch in der Sprache. Es entstanden viele unterschiedliche Varietäten des Spanischen durch den Einfluss der europäischen Sprachen auf das argentinische Spanisch. Besondere Bedeutung hat die Sprachvielfalt für Buenos Aires, denn hier ließen sich die europäischen Einwanderer vorwiegend nieder. Hier findet man unter anderem den Cocoliche, eine ehemals gesprochene Mischsprache aus Italienisch und Spanisch und auch den Lunfardo, einen typischen Jargon der Porteños[1].

Letzteres soll in dieser Arbeit das Hauptthema sein.

Dabei werde ich versuchen diese Varietät des Spanischen zu definieren und einzugrenzen. Ich werde den Ursprung des Lunfardos näher erläutern und seine Bildung und Zusammensetzung erklären und auch inwiefern er heute gesprochen wird, soll in dieser Hausarbeit immer wieder anklingen.

Die Schwierigkeit bei dieser Arbeit wird es sein, die kontroversen Auffassungen über den Lunfardo der verschiedenen linguistischen Autoren zu vereinen, denn man kann nicht generell sagen, wie genau er entstanden ist, ob man ihn nun Soziolekt oder Dialekt nennen kann, noch ob es sich beim Lunfardo um eine Sondersprache handelt und nicht vielleicht nur um Argentinismen.

Um dennoch die gängigsten Meinungen zum Lunfardo darstellen zu können, werde ich mich neben anderen vor allem auf die Werke von José Gobello von der Academia porteña del lunfardo und dem Wissenschaftler Mario E. Teruggi stützen.

2. Der Lunfardo

2.1. Etymologie

Der Lunfardo wirft viele Fragen auf. Schon wie diese Varietät des Spanischen zu seiner Benennung gekommen ist, lässt sich nicht vollständig klären. Es gibt mehrere Vermutungen zur Etymologie. Eine davon ist, dass das Wort aus dem Italienischen von lombardo[2] abgeleitet ist und demnach, je nachdem ob man es als Adjektiv oder als Substantiv sieht, entweder lombardisch, den Lombarden oder das Lombardische[3] bezeichnet. Auch eine weitere Vermutung lässt sich aus diesem italienischem Wort ziehen. So wurde es aus dem Cocoliche entnommen, bereits zu lumbardo verändert, und in einem argentinischen Theaterstück von 1898 „Ensalada criolla“ als Synonym zu ladrón (Dieb) verwendet, so wie es die Bedeutung in einigen italienischen Dialekten hat. Durch eine neapolitanische phonetische Verfälschung, wobei das plosive [b] als frikatives [v] ausgesprochen wurde, ist über mehrere Schritte letztendlich aus lumbardo lunfardo geworden[4].

Beide Annahmen zum Wortursprung sind sehr plausibel, da der Lunfardo erst mit der europäischen Immigration in das argentinische Spanisch eingedrungen ist. Fast alle Nationen Europas waren unter den neuen Einwanderern vertreten, aber vor allem machten die Italiener die größte Zahl aus.

In den Jahren zwischen 1880 und 1930 stieg die Anzahl der italienischstämmigen Einwohner von Buenos Aires von 286 000 auf 2,26 Millionen. Bis 1940 waren 40-50% der Bewohner der Hauptstadt Immigranten und etwa die Hälfte waren Italiener. Wodurch auch deren sprachlicher Einfluss größer war. So gibt es in der Lunfardolexik deutlich mehr Entlehnung aus dem Italienischem, als aus anderen Sprachen. So fand lombardo den Einzug ins argentinische Spanisch.

2.2. Genese und Definitionsversuch

Auch heute noch wird der Begriff lunfardo[5] synonym zu ladrón (Gauner, Dieb, Verbrecher) verwendet. Was auf eine der Thesen zur Entwicklung der Varietät hinweist, denn man spricht immer wieder von der Sprache des Verbrechens. Man geht davon aus, dass der Lunfardo in den Gefängnissen seinen Ursprung fand, als eine Geheimsprache der Häftlinge um nicht von den Aufsehern verstanden werden zu können. Erklärbar wird diese Annahme dadurch, dass die ersten Aufzeichnungen aus Polizeidokumentationen stammen. Doch diese Genese ist eher zweifelhaft. Es bezieht sich zwar ein großer Teil der Lunfardismen auf das Wortfeld der Delikte, aber gleichrangig finden sich viele andere Wortfelder. Teruggi schließt diesen Ursprung durch Gauner ebenso aus und schreibt den Anfang der Sprechweise den unteren Schichten von Buenos Aires zu. So wie es auch eine von Gobellos Vermutungen ist. Die meisten Immigranten gehörten zur sozial schwachen Schicht, so zum Beispiel auch die große Zahl der jungen Italiener, die Ende des 19. Jahrhunderts einwanderten. Sie bewegten sich vorwiegend in den unteren Milieus der Stadt, also auch in den Kreisen des Verbrechens und der Prostitution. Sie sprachen für gewöhnlich nur einen Dialekt ihrer Sprache. Diese italienischen Dialekte trafen mit dem argentinischen Spanisch zusammen und man übernahm einige der italienischen Worte in die gesprochene Sprache.[6] So kam es dann sicher auch, dass das Wortfeld des Delikts zahlenmäßig gut in der Lexik des Lunfardos vertreten ist.

Nun bleibt noch die Frage offen, worum es sich bei diesem Sprachphänomen definitorisch überhaupt handelt.

Den Lunfardo gibt es nun schon seit etwa 130 Jahren. Anfangs war er vor allem ein Soziolekt der unteren Schichten von Buenos Aires, doch mittlerweile ist der Lunfardo weiter verbreitet und man kann ihn auch aus dem Mund höherer Schichten Argentiniens hören. Deshalb kann man heute nur schlecht festlegen, ob es sich bei dieser Varietät um einen Soziolekt oder um einen Dialekt handelt.

Gobello definiert den Lunfardo als „einen zusammengesetzten Wortschatz aus unterschiedlichen Wörtern verschiedener Herkunft, welcher der Sprecher aus Buenos Aires im Gegensatz zur allgemeinen Sprechweise nutzt.“[7]. Seine Definition lässt kaum den Charakter der Sondersprache erkennen. Man mutmaßt, dass es sich um eine Sprache der Bewohner der Hauptstadt Argentiniens handelt, die es schon immer gegeben hat. Von diesem Standpunkt aus betrachtet, halte ich Teruggis Begriffsbestimmung für die bessere Lösung, da sie genauer ist. Er bezeichnet den Lunfardo als einen Argot, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Buenos Aires entstanden ist und nun mit Neuerungen und Abwandlungen zum täglichen spontanen Sprachgebrauch der Porteños gehört, wie auch mehr oder weniger, zu ganz Argentinien.[8] In seinem Werk „Panorama del lunfardo“ präzisiert er seine Definition auch noch etwas deutlicher, wenn er sagt, dass der Lunfardo „eine verbreitete argentinische Sprechweise ist, zusammengesetzt aus Wörtern und Ausdrücken, die nicht in den üblichen Wörterbüchern zu finden sind.“[9].

Doch reichen die Definitionen meiner Meinung nach nicht aus, denn man kann trotzdem nicht sagen, wie die Lunfardismen von den Argentinismen und auch vom täglichen Sprachgebrauch abzugrenzen sind. Die Autoren, die sich bisher mit dem Lunfardo beschäftigt haben, sind sich uneins in dieser Sache. Teruggi meint, dass die Argentinismen eine höhere Akzeptanz in der Bevölkerung besitzen und sagt aber auch gleichzeitig, dass es für die meisten Autoren unmöglich ist diese beiden Sachen zu unterscheiden.

Man könnte aber eine funktionelle Unterscheidung vornehmen.

Nach Gobello wird der Lunfardo absichtlich vom Sprecher genutzt. Dabei wird zwar die Aussage eines Satzes an sich nicht verändert, doch wird ihr eine ganz bestimmte Nuance verliehen.[10]

Der Sprecher hat die Absicht etwas interessanter, witzig oder vielleicht sogar vulgär klingen zu lassen, dann nutzt er bewusst einen Lunfardismus, der genau diesen Ton trifft. Man kann zum Beispiel statt mujer den lunfardischen Ausdruck mina einsetzen, wodurch der Satz früher eine abwertende Haltung erhielt, mittlerweile aber wird dieses Wort verwendet, wenn die Frau den Wünschen entsprechend aussieht.

Der Lunfardo zeigt auch die Freundschaft von einem Sprecher zum anderen. Gobello bezeichnet die Verwendung dieses Wortschatzes als ein Zeichen von Vertrautheit untereinander.[11]

[...]


[1] Einwohner von Buenos Aires, geboren in Buenos Aires.

[2] www.ponsline.de, Pons Online-Wörterbuch, 20.03.2007.

[3] Ausdruck für den Dialekt, der in der Lombardei gesprochen wird

[4] Vgl. Pérez Gauli, Carmen: El Lunfardo. In: Kerstin Störl: Romanische Sprachen in Amerika. Festschrift für Hans-Dieter Paufler zum 65. Geburtstag. Frankfurt am Main (u.a.). 2002. S. 555.

[5] http://buscon.rae.es/draeI/SrvltConsulta?TIPO_BUS=3&LEMA=lunfardo, Real Academia Española online-Wörterbuch, 21.03. 2007.

[6] Vgl. Pérez Gauli, Carmen: El Lunfardo. S. 556.

[7] Übersetzt von Gobello. In: Nora López: Lunfardo Consolidado y Lunfardo Consolidándose. 2002 . In: http://ar.geocities.com/lunfa2000/pone.html. 21.03.2007.

[8] Vgl. Mario E. Teruggi: Panorama del lunfardo. Génesis y esencia de las hablas coloquiales urbanas. Buenos Aires 1978. S. 15.

[9] Übersetzt aus ebd. S. 26.

[10] Vgl. Nora López: Lunfardo Consolidado y Lunfardo Consolidándose.

[11] Vgl. Kailuweit, Rolf: Hybridität, Exempel: Lunfardo. In: Noll, Volker (Hrsg.): Sprache in Iberoamerika. Festschrift für Wolf Dietrich zum 65.Geburstag. Hamburg 2005. S 304.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Der Lunfardo. Bildung und Zusammensetzung der Varietät des Spanischen
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Romanistik)
Veranstaltung
Das Spanisch in Argentinien
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
16
Katalognummer
V84391
ISBN (eBook)
9783638007658
Dateigröße
483 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Lunfardo, Spanisch, Argentinien
Arbeit zitieren
Anne-Marie Schulze (Autor:in), 2007, Der Lunfardo. Bildung und Zusammensetzung der Varietät des Spanischen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/84391

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