Ansätze für Sozialpolitik im Hinblick auf das 'Gefangenendilemma'

Die Mechanismen der Marktwirtschaft und Satire von Mandeville


Hausarbeit, 2007

26 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Krise des Sozialstaates?!

2. Der Markt als effizientes Allokationssystem

3. Gerechtigkeitsprinzipien im Sozialstaat

4. Wege zu einer effizienten und gerechten Sozialpolitik

5. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Krise des Sozialstaates?!

Der deutsche Sozialstaat ist in die Krise geraten. Wachsende Bedarfe stehen seit einigen Jahren sinkenden Einnahmen des Steuer- und Sozialversich-erungsstaates gegenüber. Sowohl die wachsenden Bedarfe, als auch die sinkenden Einnahmen resultieren vor allem aus dem demographischen Bevölkerungswandel, der Internationalisierung der Wirtschaft und dem hieraus resultierenden Missverhältnis zwischen den Sozialstaat weitestgehend unterhaltenden Arbeitnehmern auf der einen, und Empfängern staatlicher Unterstützungsleistungen auf der anderen Seite (vgl. Breyer / Buchholz 2007, 8). Durch die Individualisierung der Gesellschaft, die alternde Bevölkerung und den medizinischen Fortschritt steigt zudem der Bedarf an sozialen Dienstleistungen im Sozial- und Gesundheitssektor, womit weiterhin steigende Kosten des Sozialstaates verbunden sind (vgl. Kaufmann 1997, 18; Zimmer / Nährlich 1998, 73).

Sozialpolitischen Maßnahmen wird oft vorgeworfen, den anderorts erwirtschafteten Wohlstand zu konsumieren, dabei zugleich durch zu hohe Kosten für die soziale Sicherung das volkswirtschaftliche Wachstum zu verhindern und somit den allgemeinen Wohlstand zu schädigen. Angeführt werden hierzu häufig die Sozialleistungsquote und die Lohnnebenkosten, welche die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Landes belasten und damit zu hoher Arbeitslosigkeit führen, weiterhin zu einem Mangel an Beitragszahlern, infolgedessen wiederum zu einer Steigerung der Zahl der Leistungsempfänger, und somit zu einem Dilemma der sinkenden Einnahmen bei wachsenden Bedarfen und Ansprüchen führen. Tatsächlich liegt die deutsche Sozialleistungsquote im internationalen Vergleich im oberen Mittelfeld, dieser Anteil der Sozialaufwendungen am Inlandsprodukt ist allerdings in den letzten 20 Jahren kaum gestiegen (vgl. Kaufmann 1997, 125; Breyer / Buchholz 2007, 2; Bellermann 2004, 48; Corneo 2003, 12). Ebenso konnte bisher – trotz zurückhaltender Lohnsteigerungen und Begrenzung der Lohnnebenkosten – nicht der Nachweis erbracht werden, dass hohe Gewinne der Unternehmen zu Investitionen und diese wiederum zu neuen Arbeitsplätzen führen (vgl. Dietz 2006, 78). Offensichtlich sind sogar hohe Gewinnsteigerungen (95 % in den Jahren 1980- 1989) mit geringen Lohnsteigerungen (39 % im selben Zeitraum) und einer steigenden Arbeitslosigkeit miteinander vereinbar (vgl. Kaufmann 1997, 90). So stellt Kaufmann fest: „Die Behauptung die Verschlechterung der internationalen Position der deutschen Volkswirtschaft, soweit sie überhaupt zu konstatieren ist, sei eine Folge der übertriebenen Expansion der Sozialkosten, besitzt bei unvoreingenommener Betrachtung der Zusammenhänge kein sachliches Fundament.“ (Kaufmann 1997, 125). Dies belegt er auch mit internationalen Vergleichen, wonach er feststellt, dass Länder mit starken korporatistischen Strukturen und hohen Sozialausgaben in der Regel auch ökonomisch erfolgreicher zu sein scheinen (vgl. Kaufmann 1997, 65).

Auf Grund der dennoch vorherrschenden wirtschaftsliberalen Zielvorstellungen, die vor allem die Arbeitgeberseite von der Mitfinanzierung sozialer Leistungen befreien oder zumindest entlasten will, werden Beitragserhöhungen bei den Sozialversicherungen zur Deckung der steigenden Ausgaben als nicht mehr vertretbar angesehen (vgl. Frevel / Dietz 2004, 134 / Backhaus- Maul 1998, 42). Hierbei wird ignoriert, „dass der Sozialstaat durch seine Eingriffe und die paritätische Finanzierung gerade beabsichtigt, einen sozialen Konsens zu schützen, in dem das privatwirtschaftliche Kapital überhaupt existieren kann.“ (Frevel / Dietz 2004, 134).

Zu lösen bemüht man sich nunmehr das Dilemma aus wachsenden Bedarf und stagnierenden, wenn nicht sinkenden Einnahmen des Sozialstaates durch unterschiedliche Maßnahmen der Ausgabenbegrenzung. Nicht mehr nur an ihrer Effektivität, sondern auch an ihrer Effizienz müssen sich einzelne sozialpolitische Maßnahmen und sogar der Sozialstaat selbst messen lassen. Diese ökonomische Betrachtung ist allerdings auch unabhängig der Finanzierungskrise des Sozialstaates sinnvoll, da bei ineffizienten sozialpolitischen Maßnahmen Wohlfahrtsverluste in Kauf genommen werden müssten (vgl. Finis- Siegler 1997, 125). Diese Betrachtung bietet die Chance zu ermitteln, wie sozialpolitische Maßnahmen Ressourcen schonend umgesetzt und die produktiven Leistungen sozialpolitischer Maßnahmen dargestellt werden können (vgl. Finis- Siegler 1997, 13). Ziel einer solchen Betrachtung muss es sein, effiziente Lösungen für eine an Gerechtigkeit und Solidarität ausgerichteten Sozialpolitik zu entwickeln, die einfachen Einsparungs- und Rationierungsversuchen entgegengesetzt werden können.

Hierzu beschäftige ich mich im Folgenden zunächst mit der Frage nach einem effizienten Allokationssystem und den unterschiedlichen Theorien der Gerechtigkeit, bevor ich im Anschluss versuche deutlich zu machen, durch welche Art von Maßnahmen (sozial-)staatliche Regulierung zu mehr Effizienz und Gerechtigkeit führen kann und wie sich im politischen Aushandlungs-prozess Effizienz und Gerechtigkeit gegenseitig begrenzen. Zum Abschluss betrachte ich vor diesem Hintergrund die derzeitigen Herausforderungen der deutschen Sozialpolitik.

2. Der Markt als effizientes Allokationssystem

Der Marktmechanismus gilt als effizientes Allokations- und Verteilungssystem. So besagt der 1. Hauptsatz der Wohlfahrtsökonomie: „In einer Ökonomie mit rein privaten Gütern und einer perfekten Eigentumsverteilung ist jedes Marktgleichgewicht bei vollkommener Konkurrenz ein Pareto-Optimum.“ (Breyer / Buchholz 2007, 93). Unter den hierin angegebenen Bedingungen ist jede gleichgewichtige Allokation verschwendungsfrei (vgl. Corneo 2003, 22) und es gibt keine für ein Individuum bessere Verteilung, die nicht gleichzeitig eine Verschlechterung für ein anderes Individuum bedeutet. Da ökonomisch betrachtet alle Güter gemessen an den Bedürfnissen knapp sind, ist es für das Individuum notwendig zu wirtschaften indem es Präferenzentscheidungen trifft. Das ökonomische Rationalitätskonzept setzt hierbei am Eigennutz der Individuen an und setzt voraus, dass sie versuchen so viele ihrer Wünsche wie möglich zu erfüllen, also ihren Aufwand zu minimieren bzw. ihren Nutzen zu maximieren (Minimum- / Maximumprinzip). Über Präferenzentscheidungen – Angebot und Nachfrage - kommt es dann auf dem Markt zur Preisbildung (vgl. Finis- Siegler 1997, 80). Das eigennützige Verhalten der Individuen führt also zur kollektiv- optimalen Lösung.

Diese These verfolgte bereits Bernhard Mandeville 1705 in seiner Satire „Die Bienenfabel oder Private Laster, öffentliche Vorteile“ (vgl. Rathje 2001, 20), in der er formulierte, dass weniger die persönlichen Tugenden – Genügsamkeit und Friedfertigkeit – für Fortschritt und Wohlstand einer Gesellschaft sorgen, als Luxus, Verschwendung, Krieg und Ausbeutung. In Form eines, auf Basis von Eigennutz, Gier und Luxus florierenden Bienenstaates, der durch die Entdeckung der Tugenden für alle – auch die Arbeiter, die hierdurch ihre Arbeit verloren – ein schlechterer Lebensraum wurde, beschrieb er schonungslos die damalige Realität in England und wandte sich hiermit gegen den ökonomischen und philosophischen Optimismus von A.A.C. Shaftesbury (Bertelsmann 1989, 207). Arbeiter müssten - durch materielle Not getrieben – die Faulheit überwinden und sich mit weniger Lohn bei mehr Arbeit begnügen, damit die Nation in Konkurrenz bestehen und der Wohlstand weiter wachsen könne (vgl. Blümle / Goldschmidt 2005). Die Bienenfabel ist sicherlich dahingehend zu kritisieren, dass ein Vergleich mit Tieren, die nicht wie Menschen über das Bewusstsein verfügen, wenig Erkenntnis gewinnend ist und dass gerade Bienen alles andere als individuell und egoistisch handeln. Zu verstehen ist die Bienenfabel vor allem als Zeugnis ihrer Zeit, in der tatsächlich die Wenigen aus der Oberschicht die Nachfrage und somit die Arbeit von Vielen sicherten. Diese Kritik ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass das individuelle Eigeninteresse ein wichtiger Handlungsantrieb der Individuen ist und dieses Streben auch zum Wohlstand der Nation führt, wie Adam Smith Mandeville zustimmte, wobei er diesen Eigennutz allerdings durch die Sympathie am Mitmenschen ergänzte und begrenzte.

Zu einem gänzlich anderen Ergebnis kommt das – aus der Spieltheorie zur Darstellung verschiedener Handlungsoptionen stammende – Gefangenen-dilemma. Zwei in Einzelhaft untergebrachte Gefangene werden beschuldigt gemeinsam eine schwere Straftat, die der Staatsanwalt ihnen allerdings nicht nachweisen kann und eine kleinere, nachweisbare Straftat begangen zu haben. Beiden Gefangenen, die nicht miteinander kommunizieren können, macht der Staatsanwalt das Angebot, die Tat zu gestehen, und somit – falls der andere nicht gesteht strafreich auszugehen – oder der zu schweigen, und somit – falls der Mittäter ebenfalls schweigt – lediglich für die kleinere Straftat zu geringerer Strafe oder – falls der Mittäter aussagt – zur Höchststrafe verurteilt zu werden. Falls beide gestehen, werden beide verurteilt, keiner von ihnen erhält aber die Höchststrafe (vgl. Rathje 2001, 99). „Da die beiden Strafgefangenen keine Informationen austauschen können, werden sie nach ihrem individuellen Vorteil streben und es werden beide bei individuell rationalem Verhalten gestehen.“ (Rathje 2001, 99). Hätten beide Gefangenen geschwiegen, hätten beide ein besseres Ergebnis (geringere Haftstrafe) erzielt. Dieses soziale Dilemma verdeutlicht, dass individuell-rationales Verhalten nicht immer zu Pareto- effizienten Ergebnissen führt und begründet somit, bei Vorliegen gewisser Voraussetzungen (z.B. Interdependenz von Fremdentscheidungen) staatliche Eingriffe. Dieses Dilemma kann staatlicherseits sowohl zum Wohlstands-wachstum führen, z.B. wenn trotz Oligopole durch die Verhinderung von Absprachen der Wettbewerb erhalten bleibt, als auch zu Wohlstandsverlusten führen, wenn z.B. zwei Staaten sich – aus Misstrauen – nicht an gemeinsame Abrüstungspläne halten.

Während sowohl die Bienenfabel als auch das Gefangenendilemma von rein egoistisch handelnden Individuen ausgeht, was an sich bereits zu bezweifeln ist, da Menschen auch soziale Wesen sind (Sen 2002, 311), kommen sie zu unterschiedlichen Ergebnissen bezüglich der Erzielung Pareto-effizienter Ergebnisse. Festzuhalten bleibt, dass individuell-rationales Verfolgen der eigenen Interessen – unter gewissen Voraussetzungen – zum öffentlichen Wohlstand führt, unter anderen Vorraussetzungen staatliche Eingriffe zu einer Pareto-Verbesserung führen können.

Auf Grundlage auf den 1. Hauptsatz der Wohlfahrtsökonomie, wird ökonomische Staatstätigkeit bei einer idealen Ökonomie auf Grund freiwilliger Marktbeziehungen und Tausch ohne Transaktionskosten – abgesehen von der Sicherung des Wettbewerbs – im Hinblick auf die Effizienz abgelehnt (Corneo 2003, 21). Individuell-rationales Verhalten führt demnach – wie in der Bienenfabel – zum Pareto-Optimum. Falls allerdings mindestens eine der Vorraussetzungen des 1. Hauptsatzes nicht erfüllt ist, führt individuell-rationales Verhalten – wie im Gefangenendilemma – zu kollektiv-schlechten Ergebnissen und rechtfertigt somit staatliches Eingreifen, da hierdurch die Effizienz gesteigert werden kann (Breyer / Buchholz 2007, 93).

Ausgeklammert werden bei diesem 1. Hauptsatz vor allem das Vorhandensein von öffentlichen Gütern, sowie externe Effekte. Reine öffentliche Güter zeichnen sich dadurch aus, dass der Konsum dieses Gutes den Konsum desselben Gutes durch ein anderes Individuum nicht beeinträchtigt (Nicht-Rivalität) und / oder dass es zu schwierig oder unmöglich ist ein oder mehrere Individuen vom Konsum dieses Gutes auszuschließen (Nicht-Ausschließ-barkeit) (vgl. Corneo 2003, 24). „Als externe Effekte bezeichnet man Auswirkungen der Handlungen von Wirtschaftssubjekten, welche sich unmittelbar auf den Nutzen oder die Produktionsmöglichkeit anderer Wirtschaftssubjekte niederschlagen und nicht über Preise gesteuert werden.“ (Corneo 2003, 49). In diesen Fällen ist über den Marktmechanismus kein Gleichgewicht, somit keine Pareto-effiziente Allokation möglich und man spricht von Marktversagen. Eine öffentliche Bereitstellung kann in diesen Fällen – unter gewissen Vorraussetzungen, die noch zu diskutieren sind – eine Pareto-Verbesserung herbeiführen.

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Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Ansätze für Sozialpolitik im Hinblick auf das 'Gefangenendilemma'
Untertitel
Die Mechanismen der Marktwirtschaft und Satire von Mandeville
Hochschule
Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
26
Katalognummer
V84234
ISBN (eBook)
9783638004145
ISBN (Buch)
9783638911634
Dateigröße
475 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ansätze, Sozialpolitik, Hinblick, Gefangenendilemma
Arbeit zitieren
Dipl. Soz. Päd. / Dipl. Soz. Arb. Torsten Schrodt (Autor:in), 2007, Ansätze für Sozialpolitik im Hinblick auf das 'Gefangenendilemma', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/84234

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