Der Moscheekonflikt in Wächtersbach


Wissenschaftliche Studie, 2003

16 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung: Einordnung in die Geographie

2. Die Stadt Wächtersbach: Stadtentwicklung und Einwohnerzahlen

3. Der Konfliktverlauf

4. Instrumentalisierung des Themas „Moschee“ auf kommunalpolitischer Bühne

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung: Einordnung in die Geographie

Die Projektstudie „Moscheen in Mainz“ im Allgemeinen und das Thema „Moscheekonflikt in Wächtersbach“ im Speziellen beschäftigt sich mit einem eher postmodernen Bereich der Geographie, der Perzeptionsgeographie. Die Frage, die eine solche Arbeit zu beantworten versucht, lautet nicht mehr ausschließlich „wo befindet sich was“. Diese Fragestellung wäre explizit raumgeographisch. In der Perzeptionsgeographie spielen politische Gesichtspunkte eine gewichtige Rolle. Deshalb wird in diesem Bereich nach der Entstehung von Raumentscheidungen gefragt; also danach, was sich vor der eigentlichen Inanspruchnahme von einem bestimmten Raum abgespielt hat. Es wird der Versuch einer Rekonstruktion von Raumentscheidungen unternommen. Und genau auf diesem Feld versucht die Arbeit zum Moscheekonflikt in Wächtersbach einen Beitrag zu leisten.

Die erwähnte Perzeptionsgeographie stellt eine spezielle Form der Sozialgeographie dar. Die Moschee steht für eine soziale Institution, welche ihren Ausgangspunkt in der baulichen Struktur hat. Durch diese Struktur gewinnt die Moschee an Persistenz. Der lebensweltlich–sozialgeographische Ansatz bildet einen zweiten zu untersuchenden Ansatzpunkt. Der Blickpunkt der Untersuchung richtet sich hierbei auf die Handelnden selbst, also die an der Aktion beteiligten Personen. Ein dritter Aspekt, der sich bei einer solchen Arbeit auf einem eher politisch-geographischen Feld als relevant erweist, ist der konfliktgeographische Ansatz. Hierbei dreht es sich in erster Linie um die eher klassische Fragestellung der Positionierung einer Moschee. Baurechtliche Fragestellungen spielen ebenso eine Rolle wie der wiederum soziale Aspekt des Positionierens, also des Etablierens und somit Repräsentierens.

2. Die Stadt Wächtersbach: Stadtentwicklung und Einwohnerzahlen

Um sich ein Bild des vorliegenden Konfliktfalles machen zu können, erscheint es sinnvoll vorab einige allgemeine Fakten zur Lage und Entstehung der Stadt oder auch der Einwohnerzahl – hierbei besonders des Ausländeranteils – zu nennen.

Die hessische Kleinstadt Wächtersbach ist dem Main-Kinzig-Kreis zugehörig. Sie liegt etwa 30 Kilometer nordöstlich von Frankfurt an der A66 zwischen Frankfurt und Fulda. Eine touristisch recht ansprechende Lage am Fuß des Vogelsbergs und des Spessarts im sogenannten Kinzigtal ließ die Stadt auch vor allem für Pendler in den Ballungsraum um Frankfurt als Wohnort interessant werden. Sechs im Laufe der kommunalen Gebietsreform von 1970/71 eingemeindete, ehemals eigenständige Dörfer bzw. Städte ließen die eigentliche Kernstadt Wächtersbach auf eine Fläche von 5073,65 ha anwachsen. Diese in das neue Stadtgebilde eingeflossenen Dörfer sind im einzelnen Aufenau, Hesseldorf, Leisenfeld, Neudorf, Waldensberg, Weilers, Wittgenborn und die eigentliche Innenstadt Wächtersbach. Bis auf Aufenau und Neudorf sind die anderen Ortschaften geschichtlich mit der Innenstadt Wächtersbach verbunden. Die Burg bzw. das Schloss des Grafen von Ysenburg in Wächtersbach hatte schon in der Vergangenheit einen großen Einfluss (vgl. Infobroschüre Wächtersbach, 2000).

Wächtersbach lässt sich als natürlich gewachsene Stadt mit Ursprung im Mittelalter bezeichnen. Der historische Ortskern aus dem Jahre 1236 rankt sich um die Wasserburg mit Schloss. Die Stadtteile der Innenstadt splitten sich in chronologischer Reihenfolge in die Altstadt mit Schloss, Kirche und altem Rathaus im Westen. Es folgte eine Erweiterung im Osten in Form eines Neubaugebietes. Im Südwesten setze sich der Ausbau der Stadt mit einem weiteren Wohngebiet und einem kleinen „Verwaltungsbezirk“ westlich der Bahnlinie fort. Dort entstanden unter anderem das neue Rathaus bzw. Bürgerhaus, der Messeplatz sowie weitere öffentliche Einrichtungen. Das Industriegebiet östlich der Bahnstrecke und das Neubaugebiet „Köhlersgraben“ stellen die jüngsten Stadtviertel dar (Infos durch eigene Befragung).

Die Einwohnerzahl des Jahres 2003 beträgt 12.344 Einwohner. In der Innenstadt wohnt mit 6.433 Personen ungefähr die Hälfte der Gesamtbevölkerung, wovon wiederum 727 Ausländer sind. Von diesen über 700 Ausländern macht den Hauptteil, nämlich 430 Personen, die türkische Bevölkerung aus. In der Gesamtheit liegt der Ausländeranteil mit einer Zahl von etwa 1.200 bei ungefähr 10 %, der Anteil der Türken mit etwa 800 bei ungefähr 6,5 % (Zahlen von Stadtverwaltung Wächtersbach, 2003). Seit der Gastarbeiterwanderung ab den 1960ern vor allem in die industriellen Zentren nahm der Ausländeranteil in der recht nahe an Frankfurt gelegenen und überdies noch mit zwei großen Industriebetrieben ausgestatteten Kleinstadt stark zu. Da Wächtersbach eine auch heute noch sehr traditionell eingestellte Stadt ist, birgt dieser doch recht hohe Ausländeranteil für Zündstoff, wenn es um ein solch „empfindliches“ Thema wie den Bau einer Moschee geht.

3. Der Konfliktverlauf

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: „Alte Schule“, Wächterbach (Quelle: GT, 25.11.1998)

Wie mit dem Thema des Moscheebaus in Wächtersbach umgegangen wurde, lässt sich am besten anhand eines chronologischen Konfliktverlaufs verdeutlichen. Eine solche Chronologie bietet einen detaillierten Überblick und lässt den Leser zudem den Konflikt in all seinen Entwicklungsphasen mitverfolgen und somit auch besser verstehen.

Die Ausgangslage vor dem Moscheenkonflikt in Wächtersbach sieht folgendermaßen aus: Der türkisch-islamische Kulturverein nutzt bereits vor 1991 das Gebäude der „Alten Schule“ (vgl. Abb. 2) in dem Stadtteil Neudorf; und das wohl auch ohne weitere Probleme mit den umliegenden Bewohnern. 1991 erwirbt der zu diesem Zeitpunkt ungefähr 190 Mitglieder zählende Kulturverein ein 3.000 qm großes Grundstück in der „Hesseldorfer Strasse“ von einer Privatperson. Der Hintergedanke bei diesem Kauf scheint der zunehmende Platzmangel in den Räumen der „Alten Schule“ zu sein. Die Mitgliederzahl des türkischen Vereins wächst infolge der steigenden Zahl türkischer Bewohner in Wächtersbach von Jahr zu Jahr an. Somit reicht der Platz in den bisherigen Gebetsräumen nicht mehr aus. Der Schritt des Erbauens eines neuen Kulturzentrums, zu dessen Zweck das Grundstück in der Hesseldorfer Strasse erworben wurde, ist mit der Stadtverwaltung abgesprochen. 1993 reicht der islamische Verein den offiziellen Bauantrag für das neue Kulturzentrum bei dem Kreisbauamt ohne genaue Rücksprache mit der Stadt ein. Die Stadtverwaltung hatte in vorangegangenen Gesprächen allgemein keine Einwände gegen eine sich in das Stadtbild einfügende Moschee. Der letztendlich eingereichte Bauantrag läuft diesen Vorstellungen aber völlig zuwider. Der Antrag sieht ein Kulturzentrum mit mehreren zusammenhängenden Gebäudekomplexen bestehend aus einer 16,5 ´ 16,5 m großen Moschee mit 24 m hohem Minarett, einer Vorhalle mit Brunnen, Gemeinschaftsräume auf einer Fläche von 250 qm und eine Hausmeisterwohnung vor (vgl. Abb. 3).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Ursprüngliche Moscheeplanung (Quelle: FR, 17.03.1994)

Anfang 1994 wird die Kündigung des Mietvertrags der Alten Schule für den Kulturverein zum Ende des Jahres bekannt. Als Begründung wird Eigenbedarf der Stadt angegeben. Vor dem Hintergrund dieser Tatsache zeigt sich der Handlungsbedarf des Vereins, der seinen Mitgliedern natürlich auch weiterhin die Möglichkeit der Verrichtung des Gebets geben möchte. Im März des gleichen Jahres wird dann sozusagen im Gegenzug auch das Einreichen des Bauantrags für das neue Kulturzentrum bekannt. Die Stadtverwaltung sieht vor allem in dem in dieser Größe nicht vereinbarten Kulturzentrums ein klares Missachten der Absprachen über ein sich in das Stadtbild einfügendes Zentrum. Besonderen Anlass zur Aufregung bietet das im Bauantrag mit 24 Metern veranschlagte Minarett, welches nach Meinung der Stadtverwaltung als ein eindeutiger Versuch der repräsentativen Positionierung im Stadtbild anzusehen ist. Muezzinruf und Minarett seien für eine Kleinstadt wie Wächtersbach undenkbar. Der angeprangerte Muezzinruf war allerdings laut dem Vorsitzenden des türkischen Kulturvereins, Osman Abkulut niemals geplant. Es ging dem Verein lediglich darum ein ihrer Religion entsprechendes Gebäude zu errichten. Der Ausländerbeiratsvorsitzende Muhamed Bayram warb mit der Aussage, „wie zu einer Kirche ein Turm gehört, gehört zur Moschee ein Minarett“, um Verständnis (vgl. FR, 17.03.1994). Die Stadtverwaltung warf dem Verein mit dem Versuch des Errichtens von einem Kulturverein in diesem Ausmaße die Absicht vor, ein überregionales Zentrum entstehen lassen zu wollen. Muslime aus umliegenden Ortschaften und Gemeinden würden dadurch angezogen. Eine Vision, welche die Stadtverwaltung im Sinne der Mehrheit der Bewohner der Innenstadt um jeden Preis verhindern möchte. Der Vorwurf des Fundamentalismus wird in diesem Zusammenhang ebenso laut. Im Zusammenhang mit einem zweiten zeitgleich ablaufenden Konflikt, der sich um den städtischen Fußballverein rankt, wird den türkischen Einwohnern des Weiteren der Vorwurf des Versuchs der Abschottung und somit der Desintegration gemacht. Die ehemals in der „Germania Wächtersbach“ spielenden türkischen Fußballer gründeten nach Querelen innerhalb des Fußballvereins ihre eigene Mannschaft. Hierbei wurde es ihnen aber nicht möglich gemacht, einen der Fußballplätze der Stadt für Training oder Spiele zu nutzen. Der Vorwurf der Abschottung der türkischen von den übrigen Einwohnern wurde hier erstmals erhoben und zieht sein Kreise bis in den Moscheekonflikt.

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Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Der Moscheekonflikt in Wächtersbach
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Geographisches Institut)
Note
1,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
16
Katalognummer
V84197
ISBN (eBook)
9783638892230
ISBN (Buch)
9783638892186
Dateigröße
929 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Moscheekonflikt, Wächtersbach
Arbeit zitieren
Rainer Schmitt (Autor:in), 2003, Der Moscheekonflikt in Wächtersbach, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/84197

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