Hospizarbeit in Deutschland- Gespräche mit Schwerkranken und Sterbenden


Diplomarbeit, 2002

96 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Gliederung

Vorwort

1. Einleitung

2. Definitionen

3. Geschichte

4. Voraussetzungen der hospizlichen Arbeit
4.1 Bedürfnisse Sterbender
4.2 Vergleich mit den Prinzipien der Sozialarbeit

5. Aufgaben eines Sozialarbeiters im Hospiz
5.1 Kritische Lebensereignisse und Krisenintervention
5.2 Angehörigenarbeit und Trauerbegleitung
5.3 Verbale und non-verbale Kommunikation
5.3.1 Das erste Gespräch
5.3.2 Phasen des Sterbeprozesses: Fragen und Antworten

6. Hilfestellung für sozialarbeiterische Arbeit im Hospiz
6.1 Grenzen bei der Arbeit
6.2 Prävention von Burn- Out: Lösungsvorschläge

7. Finanzierung

8. Qualitätssicherung und Zukunftsperspektiven
8.1 Professionalisierung - ja oder nein
8.2 Reflexion
8.3 Ausbildung

9. Fazit & Ausblick: Wieviele Hospize braucht Deutschland?

10. Zusammenfassung

Quellenverzeichnis

Eidesstattliche Erklärung

Anlage

Vorwort

Hospizarbeit und Palliativmedizin wird in der Praxis häufig getrennt und deren gemeinsame Zielverfolgung problematisch gesehen. Diesen Tätigkeitsfeldern liegt jedoch dieselbe Idee zugrunde: ein eigenes selbstbestimmtes Sterben. Zukunftsweisend betrachte ich in vorliegender Arbeit Aspekte/Ausarbeitungen auf beide Arbeitsbereiche bezogen. Die ethisch vertretbaren Ansprachen für Schwerkranke `Gast`, `Bewohner` verwende ich stellvertretend zusätzlich für ambulant zu Betreuende. Den Leitbildern entsprechend ist der Begriff „Patient/in“ nicht gebraucht.

Der Begriff Sozialarbeiter/-pädagoge steht gleichberechtigt für weibliche und männliche Fachkräfte.

1. Einleitung

Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Sie auch im Sterben zu achten und zu schützen,
ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(Artikel 1 - Verfassung des Freistaates Thüringen)

880.000 Menschen sterben jährlich in Deutschland, davon 220.000 an Krebs (Herrlein, 1999). In den Industriestaaten wird häufig der soziale vor dem physischen Tod aus Einsamkeit und Isolierung gestorben. Denn das soziale Umfeld verkleinert sich, die soziale Versorgung lässt nach. Aus diesem vorprogrammierten Sterben versuchen Menschen auszubrechen. Sie wollen nicht um ihren eigenen Tod betrogen werden (Lugton, 1995). Der Betrug erfolgt in den Krankenhäusern – Sterbeort für fast die Hälfte aller Bundesbürger. In den meisten Kliniken ereignet sich der Tod ohne Rücksicht auf psychosoziale Bedürfnisse von bedeutenden Ereignissen wie dem Sterben trotz Sozialdienst mehr oder weniger als „Unfall“ (Orschott, 2000). Pflegepersonal, welches massiert, sich unterhält und damit den Verbrauch von Beruhigungsmitteln senkt, ist selten (Hennezel, 1996). Ärzte wenden derartige Methoden ebenfalls nicht an. Sie sind im Studium wie am Arbeitsplatz in straffen hierarchischen Strukturen sozialisiert (Flender, 2001a). Unsere Leistungsgesellschaft hat keinen Platz für Schwächen und Absagen an Kraft und Gesundheit. Grund des Lebens ist aber die Erkenntnis der eigenen Bedürftigkeit und nicht Leistung (Knebel, 2001). Für Missachtung dessen sprechen die Anti-Aging-Bewegung mit prominenten Werbepartnern wie Iris Berben sowie Diäthinweise in Frauen- und Männerzeitschriften. Das Singleleben wird angepriesen. Ein-Personen-Haushalte nehmen zu. Seit 1900 hat sich die Zahl derer verfünffacht. Scheidungsraten steigen. Gesprochen wird von der Ersetzbarkeit des Menschen und der Kleinfamilie (Rest, 1998). Wie sind unsere Erfahrungen mit dem Verlust, Altwerden und dem Tod – der Großeltern beispielsweise? Durfte getrauert werden? Im alten Ägypten war nicht verboten zu trauern. Man widmete sich siebzig Tage dem Sterbenden und seiner Mumifizierung, um Körper und Seele wieder zu vereinen. In anderen Ländern drücken Angehörige in lauten Klageliedern ihren Schmerz aus. In Japan ist die Interaktion zwischen Trauernden und Toten gewöhnlich. In Bali darf weder gelacht noch geweint werden. Einige Indianerstämme glaubten nicht an den Tod. Schwerkranke trug man fort und bewahrte Stillschweigen. In Pommern ließen die Angehörigen Hirsestroh auf dem Friedhofsgang zurück, damit die Seele sich darauf ausruhen konnte und nicht zurückkehrte (Krumjey, 1997). Unadäquat bestatten war, wie ohne Taufe sein. Das ganze Dorf, der Familienverband nahm Anteil. Um die Jahrhundertwende, als Verwandte und Gesinde im Haushalt lebten, starben neunzig Prozent der Bevölkerung zuhause. 1976 waren es nur noch 43 Prozent (Pichlmaier, 1982). Bis in die Sechzigerjahre war es üblich, dass Menschen zuhause starben (Gerster, 1999a). Seit der Industrialisierung leistet der Bestatter die früher von Nachbarn und Verwandten bewältigten Aufgaben (Bethke, 2000). Menschen möchten sich mit dem Abschiednehmen nicht auseinandersetzen. Jede Trennung ist jedoch ein kleiner Tod (Rest, 1989). Und „gestorben wird überall“ (DHS, 2002). In Afrika, Indien, Polen sind Hospize Inseln der Menschlichkeit (Everding, 2000). Die Tendenz, das Thema zu beachten steigt – angeblich. „Wissen Sie, was auf der Palliativstation gemacht wird?“ 33 Prozent der Ärzte eines westfälischen Krankenhauses antworteten mit „Ungefähr“ und drei mit „Nein“. 68 Prozent der Pflegenden und mehr als 84 Prozent der Ärzte gaben an, dass sich durch existierende Palliativstationen nichts am persönlichen Verhältnis zu Krankheit, Sterben und Tod geändert hat (Graf, Roß & Müller, 1999a). Was geschieht mit den Menschen die in Krankenhäusern nicht bedürfnisgerecht behandelt werden, deren Angehörige sie nicht mehr versorgen können oder wollen? Die Lebenserwartung der EU-Bevölkerung ist eine der höchsten weltweit und nimmt zu (Kommission d. EG, 2001). Der Anteil der Rentner und Rentnerinnen steigt in unserem Land. Fast 60 Prozent der über 90-Jährigen leben daheim. Umfragen zufolge möchten die Menschen zuhause sterben. Hier setzt die Hospizbewegung an. Obwohl sich unser Lebensalter durchschnittlich erhöht hat, ist jeder vergangene Tag ein Nähertreten zu unserem Tod. Den eigenen Tod vorzubereiten, darüber nachzudenken oder zu sprechen ist nicht üblich. Sterberituale sind verloren gegangen oder inhaltsleer geworden. Leichen gelten heute noch immer als gefährlich und unrein. Viele Angehörige wissen nicht, dass sie legal ihre Verwandten waschen und anziehen dürfen.

Die Hospizbewegung – seit Jahren als kleine Revolution agierend – (...) ist angetreten ohne gesetzlichen Auftrag (...), [sie will], dass eine neue Sterbekultur die bestehende Form der vorgegangenen Lebenskultur beeinflusst (...) . (Graf, 2000, S. 18).

Die Helfer wollen das Beste für die Bewohner und Bewohnerinnen und handeln dabei unkommuniziert und isoliert entsprechend ihrem Wertesystem und ethischen Berufsverständnis (Graf, Roß & Müller, 1999b). Weil Kommunizierbarkeit um einheitliche Ziele in der Hospizarbeit, um ein gemeinsames Verständnis im Umgang mit Tod und Sterben, als eines der wichtigsten Instrumente der Hospizidee angesehen wird, soll sich das zukünftig ändern.

2. Definitionen

Tod und Sterben

Wann ist man gestorben? Einleitend den sozialen Tod beschrieben ist die Grenze zwischen Leben und Tod kulturbedingt. In den westlichen Ländern hat sich die Hirntoddefinition durchgesetzt, die das Transplantationsgesetz von 1997 als entscheidend zur Feststellung des Todes ansieht. Mit dem Hirntod ist die unersetzliche körperliche Grundlage für das Dasein als körperlich-geistige Einheit und für die Lebensmerkmale des Menschen zerstört. Das Absterben der Körperteile nach dem Hirntod des Menschen findet kurz verzögert statt und endet mit dem Tod der letzten Zelle. Sterben ist ein fließender Prozess. Hospizmitarbeiter sprechen beim Sterben vom „Übergang“. Die betroffenen Hospizbewohner verbinden mit Tod meist Religiöses und Transzendentales.

Sterbebegleitung

Sterbebegleitung ist das Angebot einer bewussten Beziehung (Babanek, 2001). Rest umschreibt Sterbebegleitung als Hilfe „im Sterben“ (Rest, 1989). Sie beinhaltet umfassende Betreuung von Menschen, deren Krankheit nicht mehr auf Therapie anspricht. Die Lebensqualität soll weitgehend erhalten bleiben. Das bedeutet für ein Behandlungsteam:

- wirksame Schmerztherapie, denn nur jeder vierte Krebspatient in Deutschland wird ausreichend mit Schmerzmitteln versorgt
- Linderung belastender Symptome
- Berücksichtigung seelischer, spiritueller und sozialer Bedürfnisse (Begriffsklärungen, 2001)
- Sterbebeistand – bei ihm sein, für ihn einstehen (Rest, 1989).

Sterbehilfe

Der Begriff `Hilfe` beinhaltet das negativ besetzte Verb `hehlen` in seiner Wortverwandschaft (Rest, 1998). Regine Hildebrandt als beliebte Volksvertreterin befürwortete unter dem Einfluss ihrer Krebserkrankung die Sterbehilfe. Die Sterbebegleitung als Motto der Hospizarbeit wird vielfach als versteckte Sterbehilfe angesehen. Erfahrungsgemäß fragen im Hospiz wenige nach Sterbehilfe. Wer danach verlangt, erhält meist eine unangemessene Schmerzbehandlung, ist einsam und sozial isoliert. Von den 300.000 Menschen, die jährlich einen Suizid anstreben, bereuen 90% der Überlebenden ihren Versuch (DHS, 2001). Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben befürwortet aktive Sterbehilfe. Sie umfasst die vorsätzliche Tötung von Menschen zur Beschleunigung oder Vorverlegung eines Sterbevorgangs ohne oder auf Verlangen. Ziel der Handlung ist es, den schnellen Tod des Menschen herbeizuführen (Deutsche Palliativmedizin, 2000). Erstickungsbeutel können für 85 DM (ohne Bedienungsanleitung) käuflich erworben werden (DHS, 2001). Passive Sterbehilfe bedeutet Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen oder Abbruch derselben. Ethische Diskussionen verbinden sich mit dem Begriff Euthanasie (ursprünglich: schöner Tod), der seit den Geschehnissen in Deutschland während der Kriege eine ausschließlich negative Bedeutung erlangt hat. Die Hospizbewegung lehnt Sterbehilfe ab.

Hospiz

Hospiz (lat. hospitium) heißt wörtlich Herberge, Raststätte. Im Mittelalter galt es als Anlaufpunkt für Reisende, Pilger und zunehmend Kranke. Zielgruppen heute sind Schwerkranke, die wahrscheinlich einen längeren Sterbeprozess vor sich haben, welcher gravierende Komplikationen aufweist (vor allem wegen Aids und Krebs), Menschen mit einem kurzen Sterbeprozess; langzeitschwerstpflegebedürftige (Apalliker) sowie alte und verwirrte Menschen. (Sächs. Staatsministerium für Soziales, Gesundheit und Familie, 2000). Der Durchschnittsaufenthalt beträgt etwa drei Wochen. Jährlich sterben etwa 4.600 Menschen im Hospiz (Reuter, 2002). Hospiz nennen dürfen sich Einrichtungen, die den Bedingungskatalog der Deutschen Hospizhilfe erfüllen: Die bewusste letzte Lebenszeit stellt den Schwerpunkt dar, ein multidisziplinäres Team mit Ärzten, Pflegekräften, Sozialarbeitern, Psychologen und Seelsorgern steht 24-stündig zur Verfügung. Es weiß um Schmerzen und Einsamkeit, die wiederum Beschwerden hervorrufen. Der Betroffene und seine Angehörigen werden unterstützt und eine Hilfestellung für die Betreuer ist gewährleistet. Hospizarbeit umfasst Palliativmedizin, Palliative Pflege, Psychosoziale Begleitung und Spiritualität. Weitere Formen sind Tageshospize als Ergänzung zu ambulanten Hospizen und zur Entlastung der Angehörigen. Zwei Kinderhospize existieren seit 2000 in Deutschland, deren Existenz aufgrund der komplexen Thematik ausschließlich in diesem Kapitel Erwähnung findet. In Konstanz ist dieses Jahr eine ambulant betreute Wohnung für Sterbende eröffnet worden. Zur bundesweit ersten Hospizwohnung gehören zwei Gästezimmer und ein Raum für Angehörige zum Übernachten. Innovativ können dabei die Schwerkranken ihren Hausarzt und bisherigen Pflegedienst behalten. Eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung ist garantiert (Ärztezeitung v. 29.1.02). Den Schwerpunkt der Hospizarbeit stellt somit die ambulante Versorgung dar.

Ambulante Hospizarbeit

Ambulante Hospizdienste unterstützen schwerstkranke und sterbende Menschen und ihre Familien zu Hause, in Pflegeeinrichtungen und Hospizen. Gespräche, Sitzwachen, Informationsgabe, Ansprechpartner zu Fragen der Schmerztherapie und Symptomkontrolle sind Hauptaufgaben. Häufig werden sie von einer Koordinierungskraft geleitet, die sich um Gewinnung, Befähigung und den Einsatz Ehrenamtlicher kümmert. Ambulante Hospiztätigkeit leistet einen Großteil der Überzeugungsarbeit in der Bevölkerung. Der stationäre Palliativ- und Hospizbettenbedarf wird in besonderer Weise auch von ambulanten Versorgungsstrukturen bestimmt. Von Mitte 1998 bis Mitte 1999 betreuten ambulante Hospizdienste rund 25 900 Sterbende, 4600 Menschen starben in stationären Hospizen (DHS, 2000).

Ambulante Palliativdienste

Sie betreuen Schwerkranke und ihre Angehörigen in Kooperation mit anderen Diensten zu Hause. Ihr Selbstverständnis beruht auf der ergänzenden Tätigkeit zu den bestehenden und begleitenden Versorgungseinrichtungen. Schwerpunkte der Arbeit sind die Überwachung der Schmerztherapie und Symptomkontrolle, bei Bedarf die Übernahme palliativpflegerischer Maßnahmen (schwierige Verbandswechsel, Umgang mit PCA-Systemen, bei denen der Betroffene sich die erforderliche Menge an Schmerzmitteln über eine Pumpe intravenös zuführt) und psychosoziale Aufgaben.

Stationäre Hospize

Stationäre Hospize sollten sich als Ergänzung zum ambulanten Hospiz verstehen. Von den existierenden gehören 80% zu evangelischen oder katholischen Trägern. Strukturell bezeichnen sie sich als eigenständige Einrichtungen, Pflegeheime mit Ausrichtung auf Sterbebegleitung oder sind ausgelagerte Krankenhausbetten. Es sind kleine Einrichtungen (etwa 7-10 Plätze), die insbesondere einen Hausbesuchsdienst als integralen Bestandteil zu unterhalten haben (Herrlein, 1999).

Palliativstationen

Das Angebot besteht aus einer hochqualifizierten Schmerzbehandlung, psychosozialer Begleitung und einem sich an den Bedürfnissen der Betroffenen orientierenden Tagesablauf. Eine koordiniert stationäre und ambulante Behandlung findet statt. Eine Palliativstation ist im Krankenhaus angesiedelt oder integriert. Die Entlassung des Schwerkranken in die häusliche Umgebung mit ausreichender Symptomkontrolle ist das Ziel der Behandlung.

Palliativmedizin

(lat. pallium – Mantel). Sie sorgt für Schmerzlinderung bei fortgeschrittenen Erkran­kungen der Betroffenen und Linderung der Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen und Darmstillstand. Hauptziel der Behandlung ist die Erhaltung maximal möglicher Lebensqualität (Mertens, Gahbler & Becker, 2002). Palliativmedizinische Konsiliardienste (Zusammenarbeit zwischen Hausarzt und Palliativdienst) bestehen modellhaft z.B. in Berlin und Göttingen (Herrlein, 1999). Eine konkrete medizinisch-palliative Maßnahme beinhaltet z.B. Tablettenform aufgrund längerer Wirksamkeitsdauer, regelmäßige Gabe bei chronischen Schmerzen, Bedarfsmedika­tion, Schmerzmittelkombination, schrittweise Dosiserhöhung bis zur Schmerzlinderung oder -freiheit, Morphingabe und Einbeziehung des Betroffenen in den Behandlungsplan (Prönneke, 2001).

Palliative Care

Die wirksame, ganzheitliche `Care´ von Patienten, deren Krankheit nicht mehr kurativ behandelbar ist. Die erfolgreiche Behandlung der Schmerzen und weiterer Symptome sowie die Hilfe bei psychologischen, sozialen und seelsorgerischen Problemen stehen an erster Stelle. Das Ziel von „palliative care“ ist, die bestmögliche Lebensqualität für Patienten und deren Familien zu erreichen. (WHO, 1990).

Palliativpflege versteht sich als integraler Bestandteil dieses Konzeptes und steht für ein ganzheitliches Betreuungskonzept zur Begleitung von Menschen in der letzten Lebensphase. Für Palliativ gibt es bisher keine angemessene deutsche Übersetzung.

Ehrenamtliche

Neben den professionellen Helfern sind ehrenamtliche Mitarbeiter unverzichtbar. Sie arbeiten u.a. als Sterbebegleiter, kümmern sich um Bedürfnisse und Wünsche von Angehörigen und Sterbenden. Ehrenamtliche entlasten die Hospizgäste, wechseln sich mit Praktikanten, Studenten bei Sitzwachen ab. Sie stehen meist für sechs bis acht Stunden pro Woche zur Verfügung. 30.000 sind in den örtlichen Vereinen tätig (BAG, 1999). Die Vorstände der Landesarbeitsgemeinschaften und der Bundesarbeitsgemeinschaft arbeiten ebenfalls ehrenamtlich. 2001 war ihr Jahr – das Jahr der Ehrenamtlichen. Das ehrenamtliche Engagement ist das Fundament der Hospizbewegung.

3. Geschichte

Du bist wichtig, weil Du eben Du bist.
Du bist bis zum letzten Augenblick
Deines Lebens wichtig und wir werden alles tun,
damit Du nicht nur in Frieden sterben,
sondern auch bis zuletzt leben kannst.

Cicely Saunders

Die eigentliche Idee und Haltung der Hospizarbeit geht auf die Anfänge des Christentums zurück, auf freiwillige Helfer und Helferinnen. Die Entstehung des ersten Hospiz ist nicht nachvollziehbar. Begrifflichkeiten wie Hospiz, Hospital waren noch nicht eindeutig hervorgegangen. Ein Hospiz wurde schon im 4. Jahrhundert n. Chr. von einer Christin in Rom errichtet. Sie gab dort Pilgern, die aus Afrika zurückkehrten, Unterkunft und Nahrung, pflegte kranke und erschöpfte Menschen und leistete denen Beistand, die im Sterben lagen. In Tumarin in Syrien entstand 475 n. Chr. das erste bekannte Hospiz des weißen Kreuzes (Stoddard, 1978). Im 11. Jahrhundert, der Blütezeit der Hospize, wuschen die Schwestern des Hotel Dieu in Paris Bettwäsche der kranken Bewohner im eisigen Flusswasser. Das Interesse an Pilgerfahrten in das Heilige Land war in dieser Zeit sehr groß. In Rom kümmerte man sich im 16. und 17. Jahrhundert um die Pestkranken. Einige Völker im Mittelmeerraum betrachteten die Kranken als Kostbarkeiten. In Paris entstanden Hospize schon, bevor erst hundert Jahre später ein erstes protestantisches in Düsseldorf - Kaiserswerth errichtet wurde (Volontieri, 1993). Um die Jahrhundert­wende wurden Hospize in Großbritannien gegründet. Das dortige `Hostel of God` existiert noch heute (Stoddard, 1978). Zielsetzung war stets eine Verbesserung der Lebensqualität.

Nach dem zweiten Weltkrieg entstanden Hospize zunächst in Dublin und New York. Das erste bahnbrechende Hospiz `St. Christopher`s Hospice` in London (1967) trug wesentlich zur Verbreitung der Hospizidee bei (DHS, 2002). Cicely Saunders, heute 80-jährig, erforschte und entwickelte als Begründerin systematische Pflegekonzepte. Nach einer prägenden Begegnung mit einem sterbenden Mann verfolgte sie den Hospizgedanken konsequent. Als Krankenschwester mit einer Ausbildung zur Sozialhelferin, später Ärztin, arbeitet sie bis heute im St. Christopher`s. Stets gegen Euthanasie gerichtet erhielt sie den Orden des Britischen Empire für ihre Arbeit von Queen Elizabeth II. (Liebeskind, 2001). Elisabeth Kübler-Ross schrieb parallel in dieser Zeit ihr bedeutendstes Werk „Interview mit Sterbenden“ und förderte die Hospizbewegung in ihrer Heimat Amerika.

In Europa waren bereits Hospize entstanden. Doch Deutschland gehörte zu den letzten Staaten in Westeuropa, die für sich die Hospizbewegung entdeckten. Dass die Hospizidee viel Zurückhaltung erlebte, hängt u.a. mit einem Film von Jesuitenpater Reinhold Iblacker zusammen, der 1971 im ZDF über das Londoner St. Christopher's Hospice gesendet wurde. Mit dem Titel ,,Noch 16 Tage – eine Sterbeklinik in Lon­don“ stieß er auf großen Widerstand in der Gesellschaft. Der Begriff ,,Sterbeklinik" ist bis heute falsch. Auch kirchliche und staatliche Stellen äußerten sich zu Beginn der 80er-Jahre ablehnend gegenüber stationärer Hospizeinrichtungen. Sie gründete sich vor allem auf eine Angst vor der Ghettoisierung Sterbender sowie einer Überbelastung der dort hauptberuflich Tätigen (Wilkening & Godzik, 2001). Johann-Christoph Student, Professor für Sozialmedizin und führend auf diesem Gebiet, stellte 1985 klar, dass Hospizeinrichtungen das Konzept der Begleitung Schwerkranker und Sterbender verfolgen (Sattler, 2001). 1983 entstand in der Kölner Universitätsklinik mit Unterstützung der Deutschen Krebshilfe eine Palliativstation. Unter Leitung von Seelsorger Heinrich Pera begrüßte man 1985 einen ambulanten Hospizdienst in Halle a. d. Saale (Sattler, 2001). 1986 wurde ein erstes stationäres Hospiz in Aachen gegründet, dem lokalen Alten- und Pflegeheim angegliedert. „OMEGA - Mit dem Sterben leben e.V.“ nannte sich die erste überregionale internationale Gesellschaft 1986 und verbreitete lebensbegleitendes Gedankengut (Sattler, 2001). 1989 änderten die Kirchen ihre Einstellung. Auf Bundesebene wurden jedoch keine Wege zum bewussten Umgang mit Sterben geebnet. Durch die Überbetonung der stationären Hospizthematik wurde der Blick von vielfältigen notwendigen Gestaltungsmöglichkeiten bei der Versorgung Sterbender im häuslichen Umfeld abgelenkt. Die Leitbilder und Grundprinzipien der Arbeit sind jedoch bis heute erhalten geblieben.

Die Hospizbewegung in Deutschland ist wie folgt organisiert:

Abbildung 1:

Organisation der Hospizbewegung in Deutschland

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Student, 2002).

Der gemeinsame historische Hintergrund sowie die Unterstützung durch örtliche und überregionale Organisationen helfen dem Hospizteam, entsprechende Voraussetzungen für Teamarbeit zugunsten des Betroffenen zu schaffen.

4. Voraussetzungen der hospizlichen Arbeit

Die Individualität jedes Gastes und seiner Situation steht dabei im Vordergrund.

Das Leitbild vom Menschen als einem in sich ganzheitlichen und strukturiertem Wesen besagt auch, dass Störungen sinnvoller Ausdruck sind. (...) Ein grundlegender Gedanke in der Hospizpraxis ist die bedingungslose Annahme des Anderen,(...) in aller Konsequenz.

(Godzik, 1993, S.112).

Gemeinsame ethische Grundlagen und Prinzipien werden zur Effizienzsteigerung der Hospizsozialarbeit und Sozialarbeit genutzt. Die gefühlte Ohnmächtigkeit im Umgang mit diesem Thema ist eine Parallele zur Sozialarbeit und bekannt aus ihrer Entstehungsgeschichte sowie im Umgang mit Klientel. Verwaltung und andere Bereiche sollen zur Unterstützung einheitliche Gedanken pflegen. Im Hospiz in Halle hat die Belegschaft denselben Vorbereitungskurs belegt (Persönliche Mitteilung v. 23.5.02, Fr. Syska, Hospiz Halle a. d. Saale). Das Selbstverständnis aller Mitarbeiter beruht auf den historischen Gegebenheiten um häusliches Sterben und der Verweigerung von Sterbehilfe. Dazu gehört, dass der sterbende Mensch auch in höchstem Maße trauert. Die Hoffnung oder Gewissheit, in dem Gedächtnis seiner Lieben noch gegenwärtig zu bleiben, ist oft nur ein gelinder Trost (Müller, 2000). Während einige Autoren die positive Wirkung der Unterstützung von Prozessen zur Selbstfindung und Selbsterweiterung im Sterben betonen, verweisen andere auf die Unerträglichkeit des Sterbens. Furcht davor fördert Mitleid (Rest, 1998). Mitleid ist verboten - Mitleiden erlaubt. Effektive Kommunikation führt zu notwendigen schnellen Entscheidungen, die der Tod stets plötzlich abnehmen könnte. Bedürfnisse von Mitarbeitern zu achten ist ein Schwerpunkt bei der Orientierung im Team. Mitarbeit im interdisziplinären Team ist bestimmt von offener Kommunikation, Lehren und Loben, Höflichkeiten, ein „Tut mir leid, ich habe mich geirrt“. Nur mit einem multidisziplinärem Team, betont die WHO, ist eine ganzheitliche und umfassende Behandlung möglich (Flender, 2001b).

Eine Voraussetzung ist daher die ineinandergreifende Struktur verschiedener Arbeitsbereiche:

Tabelle 1:

Das Team im Hospiz

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Quelle unbekannt)

Teamgeist, Engagement und Kommunikationsfähigkeiten sind in Helferteams unterschiedlich ausgeprägt. Unter entsprechender Arbeitsanleitung mit gemeinsamer Zielsetzung kann jeder seine Rollenidentität festlegen.

So mancher Fundraiser ist daran verzweifelt, dass die Unternehmensführung ihn als fröhlichen Spendenkaspar angesehen hat. (Schulz, 2001, S.7).

Von einem Team wird verlangt,

- dass es in entsprechenden Gesetzestexten firm ist, den Rahmen, d.h. berufliche Ethik und eigene Normen, beachtet. Sie werden stets in die Arbeit eingebracht.
- dass es ethische Fragen kennt und versteht. Entscheidungen sind kulturell beeinflusst. Die Überwindung von Grenzen ist ein Merkmal professioneller sozialarbeiterischer Tätigkeit.
- dass sein solides Wissen emotionale Reaktionen verhindert und Ehrlichkeit mit sich bringt. (Saunders, 1993)

Interdisziplinäre Teamarbeit heißt Traditionen und Stereotype überdenken, Mitarbeiter überprüfen und gemeinsam Verantwortung übernehmen. Saunders nennt das den „Mittelweg zwischen demokratischem Vorgehen und autokratischer Berufung“ (Saunders, 1993, S. 18). Um eigene Interpretationen zu vermeiden, ist es möglich, die andere Profession zu korrigieren (Kübler-Ross, 1984). Ist keine abweichende Meinung möglich, wird „die Luft dünn“. (Fengler, 2000). Konflikte sind zur Veränderung und Erneuerung unerlässlich (Hinse, 2001) und „Reibung erzeugt Wärme.“ (Lutz & Langenbach, 2000). Interdisziplinarität zwischen Ärzten, Pflegepersonal, Sozialarbeitern u.a. ist nicht tägliche Praxis. Spannungen bestehen zwischen Seelsorge und Psychotherapie, Ehrenamtlichen und Professionellen. Ehrenamtliche wirken dem Perfektionsanspruch entgegen. Deren Selbstverständnis ist die Freiwilligkeit ihrer Dienste und nicht die Verplanung in der häuslichen Versorgung (Oorschot, 2000). Unter den genannten Anforderungen kann ein Team auf dem Tiefpunkt wie ein großer, müder, trauriger Körper wirken (Hennezel, 1996). Es wird gemeinsam überlegt, sind es Schwierigkeiten mit Verwaltung und Kommunikation, unrealistische Erwartungen? Wie wird mit Personalmangel umgegangen? Überstunden signalisieren unprofessionelle Unabkömmlichkeit. Das Niveau sollte nicht sinken sondern die Arbeit eher liegen bleiben (Saunders, 1993). Ressourcen müssen wie bei Klientel sinnvoll eingesetzt werden. Ob eine Krise naht, ist auch am Umgang mit einem neuen Mitglied ersichtlich. Wird er als Eindringling empfunden? Praktikanten stellen Entlastung dar und müssen informiert werden. Zivildienstleistende u.a. sind oft lernfähiger, da sie aus einem anderen System kommen (Saunders, 1993). Bei kleinen Einrichtungen kommt es auf alle an (...). (Gärtner, 2001, S.5). Persönliche Beziehungen, z.B. an Geburtstage denken, oder Rituale für zu verabschiedende Mitarbeiter, kennzeichnen ein gutes Team, das einer Partnerschaft gleicht. An Entscheidungen beteiligt sein, gemeinsame Erlebnisse und klare Zielvorgaben schaffen die Voraussetzung für gelingende Arbeit. Kontrolle und Konsequenzen tragen zu verbindlicher Arbeit bei (Hinse, 2001). Dynamik besteht und Sensibilität bestimmt den alltäglichen Umgang. Ein gutes Team diskutiert nicht, was gemacht werden muss, sondern geht die Sache an (Saunders, 1993). Reflexion ist dazu notwendig. Wöchentliche Teamversammlungen finden zu festgelegten Zeiten statt, damit weniger Schuld bei den Mitarbeitern aufkommt, wenn sie nicht anwesend sein können. Derartige Treffen sollen ohne beruflichen Jargon, Piepser und in einer persönlichen wohnlichen Atmosphäre verlaufen. In Teamsitzungen muss ein Sozialarbeiter unterscheiden, was wichtig oder für das Gegenüber Routine ist (Saunders, 1993). Zum ständigen Thema dieser Sitzungen, der Bedürfnisorientierung, muss das Team zu dessen Erfüllung realistische Erwartungen hegen: Wessen Bedürfnisse erfüllen wir? Welche kann ein Betroffener sich erfüllen? Welche Aktivitäten sind noch möglich? Mit diesen Voraussetzungen und dem Wissen um die eigene Teamtauglichkeit können Hospizsozialarbeiter adäquat für Bedürfnisse Sterbender und Schwerkranker sowie deren Angehörige sorgen.

4.1 Bedürfnisse Sterbender

Ein Umzug ins Hospiz oder das Aufgeben einer gewissen Intimsphäre bei einer häuslichen Betreuung und Unterstützung durch Haushaltshilfen stellen Abhängigkeiten dar. Den Schwerkranken reduziert sich persönlicher Raum, finanzielle Zuwendung u.a. . Sie müssen mit ihrer Krankheit umgehen und sind verletzt (Schlappack, 1997). Identität, Rollen und wichtige Beziehungen gehen verloren (Nelson, 1996). Die Bedürfnisse zur Erhaltung der Lebensqualität, die sich unter den Umständen stets ändern, sind im Folgenden aufgeführt. Deren Reihenfolge ist ebenfalls von Bedeutung (Rest, 1998).

[...]

Ende der Leseprobe aus 96 Seiten

Details

Titel
Hospizarbeit in Deutschland- Gespräche mit Schwerkranken und Sterbenden
Hochschule
Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig  (FB Sozialwesen)
Note
2
Autor
Jahr
2002
Seiten
96
Katalognummer
V8409
ISBN (eBook)
9783638153867
Dateigröße
765 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hospizarbeit, Deutschland-, Gespräche, Schwerkranken, Sterbenden
Arbeit zitieren
Kati Franke (Autor:in), 2002, Hospizarbeit in Deutschland- Gespräche mit Schwerkranken und Sterbenden, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/8409

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