Sozialistische Religionspolitik in Kuba und China


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

29 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0 Problemstellung

1 Religionspolitik in der sozialistischen Theorie
1.1. Religionsverständnis von Karl Marx
1.2. Die Religionspolitik bei Wladimir Lenin
1.3. Zusammenfassung

2 Religionspolitik in der sozialistischen Praxis
2.1.1. Das Religionsverständnis in der Volksrepublik China
2.1.2. Religionspolitik in der VR China
2.1.3. Beurteilung der chinesischen Religionspolitik
2.2.1 Religionsverständnis in der Volksrepublik Kuba
2.2.2 Religionspolitik in der Volksrepublik Kuba
2.2.3 Beurteilung der kubanischen Religionspolitik

3 Fazit

Literaturverzeichnis

0. Problemstellung

Selbst nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Systeme in Osteuropa und angegliederten Staaten erscheint es interessant das Verhältnis von Sozialismus und Religion zu untersuchen. Dies zeigt die Existenz formal sozialistischer Staaten in der Welt und die Existenz formal sozialistischer Parteien. So wird beispielsweise momentan kontrovers die Einführung des Faches „Werteerziehung“ im von Sozialdemokraten und demokratischen Sozialisten regierten Berlin diskutiert (Möller, 2005). Parallel findet eine ähnliche Diskussion im sozialistisch regierten Spanien statt, wo die Teilnahme am Religionsunterricht den Schülern freigestellt werden soll (kreuz.net, 2005). Eine theoretische und politikwissenschaftliche Analyse erscheint deswegen interessant, um zu untersuchen, in wie weit sich das sozialistische Verständnis von Religion auch in der praktischen Politik widerspiegelt.

Einleitend sollen daher das Religionsverständnis von Karl Marx und Wladimir Lenin dargestellt werden und auf theoretische Inkonsistenzen und Unschärfen hin untersucht werden.

Auf Basis möglicher theoretischer Diskrepanzen soll die Praxis sozialistischer Religionspolitik am Beispiel Chinas und Kubas dargestellt werden. Die Wahl dieser Länder erscheint deswegen sinnvoll, da hier große Unterschiede in Bevölkerungsanzahl und kultureller Prägung aber auch Ähnlichkeiten im marxistisch-leninistischen Staatsverständnis und der aktuellen Wirtschaftspolitik vorliegen (langsame Öffnung gegenüber ausländischem Kapital). Somit lässt sich herausfinden, ob andere Variablen, als die marxistisch-leninistische Staatsideologie Einfluss auf die praktische Religionspolitik haben.

Ergebnis dieser Untersuchung soll nicht die Beantwortung der „Gretchen-Frage“ in dem Sinne sein, dass Sozialisten wohl eher ein schlechtes Verhältnis zur Religion haben. Vielmehr soll ermittelt werden, in wie weit Theorie und Praxis sozialistischer Religionspolitik zusammenhängen bzw. sich widersprechen.

1. Religionspolitik in der sozialistischen Theorie

1.1. Das Religionsverständnis von Karl Marx

Vielleicht war es für den jungen Karl Marx ein prägendes Erlebnis, dass sein Vater vom Judentum zum Protestantismus konvertierte um das Amt des Justizrates weiter auszuüben. Einerseits kann dies als Dominanz der ökonomischen Bedingungen gegenüber religiösen Überzeugungen verstanden werden, andererseits als staatliche Einmischung in das private religiöse Bekenntnis.

Betrachtet man sozialistische Religionspolitik so bietet es sich an, das Gesamtwerk von Karl Marx und Friedrich Engels zu untersuchen, welches als wissenschaftlicher Sozialismus bezeichnet wird. Ihre Absicht war es, den Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft zu entwickeln und, darauf aufbauend, die kapitalistisch-bürgerliche Klassengesellschaft über eine sozialistische Leistungsgesellschaft zu einer kommunistischen, also klassenlosen, Gesellschaft zu entwickeln.

Marx entwickelt seine Religionskritik auf Basis der Feuerbachschen Projektionstheorie. Nach Feuerbachs Auffassung resultiert religiöses Empfinden aus dem Wunsch nach Unendlichkeit des endlichen menschlichen Selbstbewusstseins. Durch Abbildung seines eigenen Wesens auf ein höheres Wesen, aber entfremdet sich der Mensch von sich selbst und von seinen Mitmenschen. Durch eine Rückführung der Gottesliebe zur Menschenliebe, kann der Mensch – so Feuerbach – diese Entfremdung aufheben (Delius 2000, S. 85 ff).

Während sich Feuerbach auf das Individuum konzentriert und dessen Wesen anthropologisch erklärt, geht Marx zu einer gesellschaftlichen Betrachtung über und versucht das Entstehen von Religion historisch zu begründen.

Die ungerechten Verhältnisse der Klassengesellschaft versagen den Unterdrückten die Mittel zur vollen Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse. Darum verlagern diese ihre tatsächlichen Erwartungen auf eine jenseitige Welt und trösten sich mit dem religiösen Versprechen, dass es ihnen - nach diesem Leben - besser gehen werde.

“Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks.“ (Marx, 1844)

Der marxistischen Denkweise folgend, ist Religion dialektisch zu verstehen: Einerseits als Produkt gesellschaftlicher Missstände und zugleich auch als ideologischer Protest gegen eben jene. Religion wird als Ideologie betrachte, was Marx als falsches Bewusstsein definiert. Dieser Auffassung nach, ist Religion eine Art „falscher Trost“ über die gesellschaftlichen unbefriedigenden Zustände. Dieser Ansatz könnte beispielsweise den hohen Anteil von Katholiken in Entwicklungsländern erklären.

Der Marxismus kann von seinem Selbstverständnis her nicht als Atheismus bezeichnet werden da dieser von Marx selbst als „Kritik des Himmels“, als „kritische Religion“ und als „letzte Stufe des Theismus“ bezeichnet (ebenda). Marx legt weniger Wert darauf, die Welt zu interpretieren, sondern „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen sei.“

Religion sei Produkt solch unmenschlicher Verhältnisse. Hieraus könnte gefolgert werden, dass unter menschlicheren Lebensbedingungen – also im Sozialismus – die Religion abstürbe. Erich Fromm (1979, S. 3) fasst dies derart zusammen, dass Je „religiöser“ eine Gesellschaft sei, d. h. je mehr Freiheit und Brüderlichkeit in ihr Verwirklichung finden, desto weniger sie Religion erforderlich. Je unreligiöser eine Gesellschaft ist desto größer ist ihr Bedarf an Religion.“

Das marxistische Verhältnis zur Religion als freiwillige geistige Unmündigkeit aus unfreiwilliger ökonomischer Unmündigkeit ist allerdings äußerst zwiespältig. Dies verdeutlicht die Kritik des Gothaer Programms der SPD:

"Gewissensfreiheit"! Wollte man zu dieser Zeit des Kulturkampfes dem Liberalismus seine alten Stichworte zu Gemüt führen, so konnte es doch nur in dieser Form geschehen: Jeder muss seine religiöse wie seine leibliche Notdurft verrichten können, ohne dass die Polizei ihre Nase hineinsteckt. Aber die Arbeiterpartei musste doch bei dieser Gelegenheit ihr Bewusstsein darüber aussprechen, dass die bürgerliche "Gewissensfreiheit" nichts ist außer der Duldung aller möglichen Sorten religiöser Gewissensfreiheit, und dass sie vielmehr die Gewissen vom religiösen Spuk zu befreien strebt. Man beliebt aber das "bürgerliche" Niveau nicht zu überschreiten. (Marx, 1875)

Marx selbst hatte wohl in der Auseinandersetzung mit dem Liberalismus erkannt, dass die SPD-Formel „Religion ist Privatsache“ nicht ausreicht, um den unterdrückten Menschen aus seiner Unmündigkeit zu befreien. Einerseits weist er der Religion den Stellenwert eines Grundbedürfnisses zu, andererseits hält er dieses Bedürfnis für ein Produkt gesellschaftlicher Missstände erzeugt und überwindbar.

Während Feuerbach Religion als vom Menschen produziert darstellt, erklärt Marx Religion als Resultat der gesellschaftlichen Basis, also der Produktivkräfte (Natur und menschliche Arbeit) und der Produktionsverhältnisse (kollektive und arbeitsteilige Produktion und privatkapitalistische Aneignung).

In der Kritik des Gothaer Programms erkennen wir ein Etappendenken der Auseinandersetzung der Sozialisten mit der Religion. In erster Linie geht es um die Trennung religiöser Praxis von staatlicher Herrschaft. Gleichzeitig oder folgend geht es aber um die Bekämpfung der Religion, da sie den Menschen von seiner wirklichen Entfaltung abhält.

Im Gesamtwerk von Marx spielen die Religion und die Religionskritik eine untergeordnete Rolle. Konkrete Richtlinien sozialistischer Religionspolitik, lassen sich bei ihm nur bedingt ablesen. Aber da Religion, als den ökonomischen Verhältnissen untergeordnet betrachtet wird, kann dies als folgerichtig betrachtet werden.

Festzuhalten ist aus diesen Zitaten, dass es die Aufgabe der Sozialisten sei, nach der Auffassung von Karl Marx, über die Gewissensfreiheit hinausgehend, den Einfluss der Religion(en) einzudämmen. Religiöse Vorstellungen sollen daher nach Marx nicht geduldet, sondern eingedämmt werden, zwar nicht mit repressiven vermutlich aber mit propagandistischen Mitteln, wie dies im Folgenden bei Lenin konkretisiert wird.

1.2. Die Religionspolitik bei Wladimir Lenin

Das marxistische Verständnis wurde im Folgenden von Lenin auf die damaligen russischen Verhältnisse konkretisiert. Fälschlicherweise wird ihm bzw. Marx ein Top-Down-Verständnis von Religion zugeordnet als „Opium für das Volk“, das von oben erfunden und angeordnet eine von den Herrschenden beabsichtigte Vertröstung vom ungerechten Diesseits auf das Paradies bezwecken soll[1]. Als eher durch die politische Praxis geprägter Theoretiker beschäftigt sich Lenin mit dem politischen Verhältnis zur Religion. Hier können wir eine Entwicklung der marxschen Religionskritik zu einer konkreten Religionspolitik feststellen. Lenins Problem liegt darin, dass für ihn Religion eine unbedeutende für viele Aktivisten und Sympathisanten der damaligen sozialdemokratischen Partei aber eine hervorgehobene Stellung besaß. Für Lenin ist das Bekenntnis zum Atheismus zwar wichtig aber nicht entscheidend. Die Bourgeoisie, als Klasse der Besitzer der Produktionsmittel, versucht „religiösen Hader zu entfachen“, um dadurch von jenen, seiner Meinung nach, entscheidenden Konflikten zwischen den Klassen abzulenken. Daher spricht sich Lenin dafür aus, dass für die Einheit im Kampf die religiöse Frage strategisch ausgeblendet wird. Daher dürfen die Sozialisten in ihrem Programm nicht von Atheismus sprechen (Lenin 1905). Das Verhältnis zur Religion bleibt allerdings doppeldeutig zwischen Gleichgültigkeit - aus strategischen Gründen - und Bekämpfung - aus ideologischen Gründen.

„Wir fordern, dass die Religion dem Staat gegenüber Privatsache sei, können sie aber keinesfalls unserer eigenen Partei gegenüber als Privatsache betrachten. […]

Für die Partei des sozialistischen Proletariats ist die Religion keine Privatsache. Unsere Partei ist ein Bund klassenbewusster, fortgeschrittener Kämpfer für die Befreiung der Arbeiterklasse. Ein solcher Bund kann und darf sich nicht gleichgültig verhalten zu Unaufgeklärtheit, zu Unwissenheit oder zu Dunkelmännertum in Form von religiösem Glauben. Wir fordern die völlige Trennung der Kirche vom Staat, um gegen den religiösen Nebel mit rein geistigen und nur geistigen Waffen, mit unserer Presse, unserem Wort zu kämpfen. […]“(Lenin, 1905)

In dieser Konkretisierung formuliert Lenin eine doppelte Strategie gegenüber der Religion, die der Kritik von Marx am Gothaer Programm der SPD ähnelt und weiterentwickelt im Sinne einer Handlungsanleitung. Zugespitzt könnte man diese Strategie dahingehend formulieren, dass zwar nicht der Staat wohl aber die sozialistische Partei ihre Nase in die „religiöse Notdurft“ der Menschen stecken soll. Religion ist daher nach der marxistisch-leninistischen Auffassung schon kollektives Interesse, allerdings nicht von einem Staatskollektiv sondern einer sozialistischen Partei. Hier zeichnet sich allerdings bei Lenin ein Institutions-Konflikt ab: Die sozialistische Partei soll zur Avantgarde der revolutionären Kräfte werden (Lenin, 1902) die den alten Staat ersetzt durch einen „friedlichen Kampf innerhalb der Sowjets“ - also den Räten der Arbeiter, Bauern und Soldaten (Lenin, 1917). Im sozialistischen Staat soll daher die Partei zentrale Verantwortung für die Revolution tragen. Man kann also von einer starken Überschneidung bis hin zur Identität von Staat und Partei ausgehen. In ihrer Funktion als Staat soll die Partei neutral, in ihrer Funktion als Partei soll sie propagandistisch aufklären gegen religiöse Überzeugungen. Dies könnte in der Praxis zu einem widersprüchlichen und unklaren Auftreten der Partei führen. Wenn die Grenzen zwischen Staat und Partei fließend sind so wäre ebenfalls die Gewährleistung von Religion als Privatsache und dem Kampf gegen Religion als Parteisache fließend.

[...]


[1] Es erscheint interessant, dass ich bei meiner Internetrecherche oftmals nur die Formel „Religion ist Opium für das Volk“ fand, die weder von Marx noch von Lenin stammt, diesen aber fälschlicherweise zu geschrieben wird.

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Sozialistische Religionspolitik in Kuba und China
Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Veranstaltung
Staat und Religion
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
29
Katalognummer
V84074
ISBN (eBook)
9783638004732
Dateigröße
470 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sozialistische, Religionspolitik, Kuba, China, Staat, Religion
Arbeit zitieren
Martin Hoffmann (Autor:in), 2005, Sozialistische Religionspolitik in Kuba und China, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/84074

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