Das Pronomen "man" im Deutschen und seine Entsprechungen im Russischen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

21 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Etymologische Entwicklung von man

3. Grammatische Eigenschaften von man
3.2 Syntaktische Eigenschaften
3.3 Semantische Eigenschaften
3.4 Kommunikativ-pragmatische Aufgaben
3.5 Zur Einordnung der man-Sätze in das Gesamtfeld Diathesen

4. Generische und partikuläre Verwendung von man

5. Entsprechungen zu man im Russischen
5.1 Generische Verwendung von man
5.2 Partikuläre Verwendung von man
5.3 Determinierte Verwendung von man

6. Schlussfolgerung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit ist der Untersuchung der deutschen man- Sätze und ihrer Entsprechungen im Russischen gewidmet. Über Einordnung der man- Sätze gab es schon mehrere Debatten, bis heute aber gibt es keine eindeutige Übereinstimmung.

Traditionell wird das Pronomen man zur Klasse der Indefinitpronomina gezählt. Das zeigt sich in verschiedenen Grammatiken sowie auch in Wörterbuchartikeln. Unten werden einige neuere Interpretationen angeführt.

DUDEN (2006)[1]: man¹ <Indefinitpron. im Nom. zu den gebeugten Fällen ein > [mhd., ahd. man (Mann), eigtl. = irgendeiner, jeder beliebige (Mensch)]

1. jemand (sofern er in einer bestimmten Situation stellvertretend für jedermann genommen werden kann): von dort oben hat m. eine herrliche Aussicht; m. nehme …

2. irgendjemand oder eine bestimmte Gruppe von Personen (im Hinblick auf ein bestimmtes Verhalten, Tun; oft anstelle einer passivischen Konstruktion): m. vermutet (es wird allgemein vermutet), dass er es selbst getan hat; m. hat die Kirche wieder aufgebaut (die Kirche wurde wieder aufgebaut)

3. a) die Leute (stellvertretend für die Öffentlichkeit): das trägt m. heute; m. ist in diesem Punkt heute viel toleranter
b) jemand, der sich an bestimmte gesellschaftliche Normen, Gepflogenheiten hält: so etwas tut m. nicht

4. ich, wir (wenn der Sprecher, die Sprecherin in der Allgemeinheit aufgeht od. aufgehen möchte): m. versteht ja sein eigenes Wort nicht!; wenn m. sich die Sache richtig überlegt

5. du, ihr, Sie; er, sie (zum Ausdruck der Distanz, wenn jmd. die direkte Anrede vermeiden will): hat m. sich gut erholt?

Wahrig (2006)[2]: man¹ <Indefinitpron.>

1. jedermann, jeder
2. die Leute, die Menschen, manche Leute
3. (irgend)jemand

• wenn ~ bedenkt, wie …; das kann ~ wirklich nicht behaupten, sagen; ~ braucht nur daran zu denken, wie …; ~ muss arbeiten; ~ nehme: … (in alten Kochrezepten); hier kann ~ uns nicht hören; ~ kann nie wissen (wozu es gut ist); ~ sagt (allgemein) …; von hier kann ~ das Schloss schon sehen; diese Farbe, diesen Schnitt trägt ~ nicht mehr diese Farbe, dieser Schnitt ist nicht mehr modern; so etwas tut ~ nicht tut ein wohlerzogener Mensch nicht; wenn ~ hier vorbeigeht, dann sieht ~ …; ~ wende sich an den Küster, Pförtner

[< ahd. man „Mann“]

Aus diesen zwei Wörterbuchartikeln ergibt sich, dass man sich auf Personen bezieht, ohne diese zu benennen, es hat aber lexikalisch keine ausgeprägte Bedeutung. Die Artikel zeigen auch, dass das durch man ausgedrückte Subjekt in vielen Kontexten durch einer, jemand, jeder(mann), Mensch/Menschen/Leute, Volk, alle, wenige, andere, niemand, keiner ersetzt werden kann. Diese Besonderheit erklärt sich aus der denotativen Eigenschaft des Pronomens, auf ein spezifisches Subjekt zu referieren. Man erfüllt damit eine „generalisierende“ Funktion und bezeichnet nicht eine konkrete Person/Gruppe, sondern einen generischen Prototyp dieser Person/Gruppe, dessen Eigenschaften der/die Gemeinte am nächsten verkörpert (Brovkine, V. 2000, 13).

Wie sich diese generalisierende Funktion herauskristallisiert hat, und wie sich das Pronomen man historisch entwickelt hat, wird im Kapitel „Etymologische Entwicklung“ kurz betrachtet. Danach wird gezeigt, welche grammatischen Besonderheiten das Pronomen man besitzt und unter welchen Aspekten die deutschen man -Sätze und das Pronomen man in wissenschaftlichen Arbeiten analysiert werden. Hier kommen die Probleme der Einordnung der man -Sätze zum Ausdruck, und es wird eine Lösung des Problems vorgeschlagen, die gegebenen grammatischen Konstruktionen in die Kategorie Subjekt-Impersonal einzuordnen.

Im Kapitel 4 der vorliegenden Arbeit werden einige theoretische Ansätze zu Kontextvarianten von man erarbeitet. Es werden die Arbeiten von Dimova, Helbig und Buscha, Zifonun kurz präsentiert. Die vorgeschlagenen Klassifikationen bilden die Struktur des nächsten Kapitels 5. In diesem Kapitel werden verschiedene Übersetzungsvarianten der deutschen man -Sätze ins Russische dargestellt, und zwar unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Referenzen von man: der generischen, der partikulären und der determinierten[3].

2. Etymologische Entwicklung von man

Die etymologische Entwicklung von man ist nicht einfach nachzuverfolgen Dazu gibt es verschiedene interessante Analyse und Befunde, denen Brovkine in seiner Magisterarbeit ein ganzes Kapitel gewidmet hat (Brovkine, V. 2000, 70-88). Dabei lässt er die Etymone Mann und Mensch bei gemeinsamer Herkunft vom lateinischen hŏmō zusammengehören, das sich im Mittelhochdeutschen (man, Pl. mannen) und Neuhochdeutschen (Mann, Pl. seit dem 15. Jh. Männer,flexionloser Plural bei Zahlangaben) verwurzelt hat. Man ist auf die zweite Silbe des altlat. hŏmon/hĕmon/hŭmon zurückzuführen, das im Mittellat. zu hŏmō, G. hŏmĭnĭs geworden ist.

Das Etymon hŏmŏn/hŭmŏn ist aus der Zusammensetzung des bestimmten Artikels hŏ/hŭ- und mĭs/mĕn (altlat. N. ēgŏ à G. mĭs) entstanden und kann als ‘(es gibt) mich’, ‚‘(es ist) mein (Wesen)’ oder etwa ‘(ich, der ich) ein Mann, Mensch (bin)’ übersetzt werden.

Das Indefinitum man hat ursprünglich nur die eigene Person bezeichnet, das „mein Wesen“. Der Denotatsbereich hat sich mit der Zeit zu ‘jedes menschliche Wesen’ erweitert, und die Bedeutung hat sich „generalisiert“.

Aus dem altdeutschen MANNA hat sich das Wort mennisco entwickelt, das später zum Wort Mensch mit den Bedeutungen ‘menschliches Wesen in biologische Hinsicht’ und später ‘höchstentwickeltes menschliches Lebewesen’ herausgebildet wurde. MANNA als Gattungsbezeichnung für ‘menschliches Wesen’ hat infolge der weiteren Entwicklung zwei Arten von man(n) mit generischer und partikulärer Referenz produziert (vgl. Brovkine, V. 2000, 87).

Wie sich das Pronomen man auf verschiedenen grammatischen Ebenen zeigt, wird weiter am Beispiel der morphologischen, syntaktischen, semantischen und kommunikativ-pragmatischen Eigenschaften illustriert; und ausgehend von diesen Besonderheiten werden auch die man -Konstruktionen zur Diathesenreihe als Impersonal zugeordnet.

3. Grammatische Eigenschaften von man

Das Pronomen man besitzt außer seiner Besonderheit, gegen andere Personal- oder Indefinitpronomina ausgetauscht werden zu können, viele andere Eigenschaften in verschiedenen grammatischen Bereichen: im Bereich der Morphologie, der Syntax, der Semantik sowie auch in der kommunikativen Pragmatik.

3.1 Morphologische Eigenschaften

(1) Nach seinen Funktionen ist man ein substantivisches Pronomen (wie irgendwer, jedermann, jemand, niemand, jeder, mancher etc.), steht der Gruppe der Personalpronomina am nächsten[4].

1. Man will als Kunde bedient werden. - Jeder will als Kunde bedient werden.
2. Keiner ist klüger als ich. – Keiner ist klüger, als man selbst.

(2) Man ist nicht artikelfähig.

3. Beide spielen gut Skat. – Die beiden spielen gut Skat. (z.B. Brüder)
4. Man spielt gut Skat. – Der*/Die*/Das* man spielt gut Skat.

(3) Man ist sexusneutral.

5. Man ist als einzige Frau/einziger Mann im Präsidium ziemlich einsam.

(4) Man ist suppletiv deklinierbar, d.h. im Akkusativ und im Dativ kommt Indefinitum ‚einer’ vor, für den Genitiv ist aber keine Form vorhanden.

Nom. man

Gen. - 6. Wenn man tot ist, erinnert sich niemand mehr * eines.

Dat. einem 7. Was man schon tausendmal getan hat, das fällt einem dann nicht

schwer.

Akk. einen 8. Es freut einen, wenn man so etwas hört. – Man freut sich, …

(5) Man ist ein morphologisches (aber kein semantisches!) Singularetantum. Das Verb kongruiert mit man in der 3. Person Singular, aber semantisch ist man mit Mengenprädikaten verträglich.

9. Man redete miteinander. (Die Seminarteilnehmer redeten miteinander.)

10. *Man redeten miteinander.

3.2 Syntaktische Eigenschaften

Als syntaktisches Element ist man Kern der Pro-Phrase. Man ist eine lexikalische Einheit, die gleichzeitig eine Phrase bildet; im Unterschied zu anderen Pronomina bildet man aber eine Phrase, wo keine Erweiterungsmöglichkeiten bestehen. Aus syntaktischer Sicht unterliegt man aber vielen Beschränkungen. Einige davon werden unten angeführt.

(1) Man erscheint nicht im Genitiv. Die man -Proformen wie jemand, niemand können im Gegenteil alle drei Kasus bilden, vgl.:

11. Wir gedenken *eines.
12. Ich habe jemandem meine Unterlagen gegeben. (Dativ)
13. Hast du jemanden gesehen? (Akkusativ)
14. Deine Ausgaben werden immer auf jemandes Kosten gehen. (Genitiv)

(2) Man ist nicht koordinationsfähig.

15. Ich und mein Vater, wir beide leben zusammen.
16. *Man und mein Vater, beide leben zusammen.

(3) Man ist nicht fokussierbar, deshalb kann es keinen Satzakzent tragen.

17. Sie tanzt. Wer tanzt? – Síe !
18. Man tanzt. Wer tanzt? - *Mán !

(4) Die Modifizierung mit Hilfe einer Fikuspartikel ist ausgeschlossen.

19. Sogar ich weiß das. Nur ich weiß das.
20. *Sogar man weiß das. *Nur man weiß das.

(5) Man ist nicht negierbar.

21. Nicht wir, sondern Sie sind schuld.
22. *Nicht man, sondern Sie sind schuld.

(6) Man kann nicht attributiert werden, nicht substantiviert werden, kann keine Adjunkte haben.

23. Wir Europäer…/ Ich, ein Europäer…/ Ich, als Europäer…/ Ich aus Europa…
24. *Man Europäer…/ *Man, ein Europäer…/ *Man, als Europäer…/ *Man aus

Europa…

(7) Zu man sind keine Relativsätze möglich.

25. Und ich, der Idiot, der für dich so viel getan hat…
26. * Man, auf den kein Verlass ist, kommt immer spät.

(8) Man als deiktisches Pronomen erfordert das Vorhandensein eines Antezedenten im Prätext.

27. Es wird dunkel und ich gehe nach Hause. (Prätext ist nicht erforderlich)

28. Es wird dunkel und man geht nach Hause.

(Wer geht? Antezedens ist erforderlich)

29. Das Fest endet. Es wird dunkel und man geht nach Hause. (Hier: Feiernde)

Ausgehend von zahlreichen syntaktischen Beschränkungen ist man nach der Typologie der Pronomina im stark-schwach-klitischen System eine lexikalische Einheit der schwachen Klasse.

3.3 Semantische Eigenschaften

Wie oben schon erwähnt, ist man ein Wort, das eine oder mehrere Personen bezeichnet. Die Merkmale dieser Personen kennt man entweder nicht genau oder man will sie nicht akzentuieren. Grammatisch ist man indefinit, semantisch aber nicht. Man ist jedoch immer kontextgebunden, wodurch auch seine Referenz leicht ermittelt werden kann (vgl. Brovkine, V. 2000, 8).

(1) Man ist semantisch definit.

30. Man tut, was man kann.

(aktueller Kontext oder dauerhaftes Wissen ist erforderlich)

31. Heute habt ihr frei. Man kann sich jetzt ein bisschen entspannen.

32. Heute habt ihr frei. *Einer kann sich jetzt ein bisschen entspannen.

(Die Anapher ist durch Indefinitpronomen verletzt.)

(2) Man tritt in anaphorischen Beziehungen auf, d.h. es wiederholt sich in aufeinander folgenden Sätzen bzw. Satzteilen als Proform der Nominalgruppe

33. Er weiß nicht, wie man dieses Wort schreiben soll. (…, wie er … schreiben soll.)

(3) Man zeigt sich als ein logophorisches Pronomen, anders gesagt es referiert auf Außersprachliches, benennt es nicht, nimmt aber darauf Bezug und ist gegebenenfalls personenbezogen. Eine Ausnahme bilden die Unikate wie Gott, Papst, Patriarch, Cäsar, Napoleon, jemandes Mutter/Vater etc., weil das Denotat von man nicht ein konkretes Individuum bezeichnet, sondern mehrere Individuen, wobei der Sprecher in den Referenzbereich von man potentiell eingeschlossen sein kann (vgl. Brovkine, V. 2000, 9).

(4) Man tritt in deiktischen Beziehungen auf, d.h. legt fest, worauf das Verb zutrifft, hat obligatorische Bindung im Kontext.

34. *Jedes Paar verstand sich besser, als man dachte. (man ≠ jedes Paar)
35. Jedes Paar behauptete, man verstünde sich gut. (man = jedes Paar)
36. Jedes Paar glaubte, man verstünde sich gut. (man ≥ jedes Paar)

(5) Man tritt in den Beziehungen der Inklusivität/Exklusivität auf.

37. Man hat mir erzählt, jemand hat seinen Bus nicht geschafft. (Sprecher ≠ Aktant)
38. Man hat mir erzählt, man hat seinen Bus nicht geschafft. (Unbekannt)
39. Man hat mir erzählt, man hat/hätte wohl seinen Bus nicht geschafft.

(Sprecher = Aktant)

3.4 Kommunikativ-pragmatische Aufgaben

Unter dem kommunikativ-pragmatischen Aspekt erfüllt das Pronomen man folgende Aufgaben:

(1) Eine verhüllende Funktion, wodurch der Grad der subjektiven Notwendigkeit der Information widerspiegelt werden kann:

40. Man sagt, dass du dich scheiden lässt.

(der Sprecher will nicht verraten, wer es sagt, oder es kann nicht wichtig sein)

(2) Eine Ausdrucksform der Höflichkeit in indirekten Fragesätzen, in indirekt negierten Kontexten mit Modalverben:

41. Kann man es eigentlich nicht schneller machen? (Anstatt Kannst du)
42. Man soll doch zur Arbeit etwas früher kommen, oder nicht? (Anstatt Du sollst…)

(3) Eine Ausdrucksform bei der Vermeidung der Direktheit:

43. Man hat mir gesagt, ich soll… (Anstatt Der Chef hat mir gesagt, ich soll…)

(4) Eine Ausdrucksform der Distanzierung, manchmal mit ironischer Schattierung:

44. Hat man gut geschlafen? Aha, man hat heute schlechte Laune. (Anstatt Du hast…)

(5) Man erscheint als Ersatz zu wohlerzogenen, anständigen Leuten, vgl.:

45. Wenn die anderen reden, fällt man nicht in Wort.
46. Zu der späten Zeit macht man keine Anrufe.

Wie in diesem Kapitel, und zwar unter den Punkten „syntaktische“ und „semantische Eigenschaften“, gezeigt wurde, ist die Einordnung des Pronomens man in die Reihe der den Indefinitpronomina nur teilweise möglich.

3.5 Zur Einordnung der man-Sätze in das Gesamtfeld Diathesen

Die unbestimmt-persönliche Konstruktionen mit man sind mit den Passivformen weitgehend synonym und können vielfach durch diese ersetzt werden. Zu den Passiv-Paraphrasen gehören aber die man -Konstruktionen nicht (vgl. Helbig, G., Buscha, J. 1999, 185-186). „Gegen eine Zuordnung zu den Passiv-Paraphrasen spricht die Tatsache, dass sich Subjekt und Agens decken: Die man -Konstruktionen sind deshalb keineswegs nicht-agensorientiert, sondern nur auf ein unbestimmtes, unspezifisches bzw. verallgemeinertes, aber immer persönliches Agens bezogen.“ (Helbig, Buscha, 1999, 186)

Die folgende Frage, ob es etwa zwischen den deutschen man -Sätzen und den Passivkonstruktionen von intransitiven Verben (vgl.: Hier wird getanzt. – Man tanzt hier.) eine funktionale Übereinstimmung gibt, kann mittels Einführung des Begriffes Genus verbi beantwortet werden (vgl. Žeimantienė, V. 2005, 82).

Plungjan vertritt die Meinung, dass neben Aktiv noch zwei Gruppen von Funktionen des Genus verbi existieren, und zwar die Gruppe des eigentlichen Passivs und die Gruppe der Aktantenderivation. Das Passiv kann die Topik-Struktur der Aussage verändern, wobei es zu einer pragmatischen Umverteilung der morphosyntaktischen Kodierung der Teilnehmer an der Situation kommt (vgl. Plungjan, V. 2000, 199). Unter der Aktantenderivation versteht Plungjan eine semantisch veränderte Ausgangsstruktur, obwohl er auch zugibt, dass es keine genauen Grenzen zwischen dem Genus verbi und Aktantenderivation gibt, und das Genus verbi als Teil der Aktantenderivation betrachtet. Da lassen sich drei Typen unterscheiden: Aktantenderivation mit einer Erweiterung der Aktantenzahl, mit der Verminderung der Aktantenzahl und die interpretative Aktantenderivation mit der Einschränkung der referentiellen Verhältnisse der Ausgangssituation (Plungjan, V. 2000, 208-219). Der letzte Typ umfasst unter anderem die Kategorie Impersonal, die es ermöglicht, von einem konkreten Teilnehmer (Subjekt oder auch Objekt) an der Situation keine genauen Angaben zu machen: entweder ist er unbekannt, oder unwichtig, oder eindeutig aus dem Kontext erschließbar, so dass es keine explizite Nennung braucht (Plungjan, V. 2000, 217). Auf die deutsche Sprache bezogen, sind die morphologischen Passivkonstruktionen von intransitiven Verben eigentlich das Subjekt-Impersonal (vgl. Hier wurde viel getanzt), aber auch die man -Sätze gehören zu der Kategorie Impersonal (vgl. Man tanzte hier viel).

Wenn man die Unterscheidung zwischen Passiv und Impersonal annimmt, so scheint die Einordnung der deutschen man -Sätze in die Kategorie Subjekt-Impersonal plausibel zu sein (vgl. Žeimantienė, V. 2005, 82).

4. Generische und partikuläre Verwendung von man

Wie schon oben erwähnt, besitzt das Pronomen man zwei Arten von Referenz - generische und partikuläre.

Dimova untersucht die Kontextvarianten von man und stellt neun Sememe fest: ein abstrahierendes man0, ein generelles man1, ein anonymes man2 und sechs pronominale Sememe von man3-8, die auf konkrete, im Text schon genannte Individuen beziehen, und wo man als Synonym für die Personalpronomina im Text auftritt (Dimova, A. 1981, 38-39).

Helbig und Buscha schreiben dem Pronomen man vier Bedeutungen zu: das generelle man, das anonyme man, das abstrahierende man und das pronominale man (Helbig, G., Buscha, J. 1999, 260).

Zifonun stellt die ‘generische’ versus ‘partikuläre’ Verwendung zur Debatte, wobei es sich bei den von Dimova eingeführten sechs „pronominalen Sememen“ meist um ein kontextuell eingebettetes generisches man handelt[5] (vgl. Zifonun, G. 2000, 238-240). In beiden Verwendungsweisen wird nicht eine bestimmte Person oder eine bestimmte Gruppe von Personen gemeint, sondern es kommen im generischen Fall alle Individuen aus einer einschlägigen Grundmenge in Betracht, im partikulären nur einzelne. Für die Trennung dieser zwei Begriffe schlägt Zifonun einen Austauschtest vor: „Kann in einem Textsatz man bedeutungserhaltend ausgetauscht werden durch jeder (der hier überhaupt in Frage kommt), jedermann, alle, handelt es sich um generische Verwendung. Kann es bedeutungserhaltend durch jemand, irgendjemand ausgetauscht werden, handelt es sich um eine partikuläre Verwendung.“ (Zifonun, G. 2000, 240). Laut Zifonun überwiegt das generische man, und die generische Interpretation scheint die Standardinterpretation von man zu sein und ist als unmarkierte zu betrachten (Zifonun, G. 2000, 248). Im Fall des generischen man betrachtet Zifonun am Beispiel der von Dimova angeführten pronominalen Sememe die Kategorien Inklusivität/Exklusivität des Sprechers und Hörers.

Žeimantienė weist in ihrem Beitrag auch auf die Arbeit von Schmidt, U.[6] hin, wo sie das Zitat über den Unterschied zwischen den man -Sätzen und dem sog. unpersönlichen Passiv erfolgreich einführt: „Wird man generell verwendet, so sind die entsprechenden man -Sätze als diathesen-aktivisch zu bewerten. Man -Sätze in partikulärer Verwendungsweise hingegen haben wir als diathesenpassivisch […] charakterisiert. Man in genereller Verwendungsweise ist im Allgemeinen eine Generalisierung auf einer ich -Perspektive, also eine Pseudogeneralisierung. Konstruktionen dieser Art sind nicht äquivalent mit Gemeinaussagen mittels eines Genus-verbi-Passivs.“ (Žeimantienė, V. 2005, 83-84).

[...]


[1] Duden, Deutsches Universalwörterbuch/hrsg. von der Dudenredaktion.-6., überarbeitete u. erweiterte Auflage.- Mannheim [u. a.]:Dudenverlag,2006.

[2] Wahrig, Gerhard[Begr.]:Deutsches Wörterbuch/Gerhard Wahrig. Hrsg. von Renate Wahrig-Burfeind.Lexikon der deutschen Sprachlehre.-8., vollständig neu bearbeitete und aktualisierte Auflage.- Gütersloh [u.a.]:Wissen Media Verlag GmbH,2006.

[3] Die Klassifikation (mit Beispielen) wird größtenteils der Magisterarbeit von Brovkine, V.: Grammatischer Stellenwert und semantische Interpretation des Pronomens man im Deutschen (mit einem kontrastiven Ausblick auf das Russische). - Berlin, 2000 entnommen.

[4] Die meisten in diesem Kapitel angeführten grammatischen Eigenschaften und Beispiele sind der Magisterarbeit von Brovkine, V. (2000. - S.5-15, 39) entnommen.

[5] In generischer Verwendung bezieht sich man auf den Denotatbereich Mensch. Der Allgemeinheitsgrad von Aussagen mit generischem man kann extrem unterschiedlich sein: Er reicht – jeweils ohne Anspruch auf ausnahmslose Geltung – von zeitlosen Aussagen über alle Menschen bis zu solchen über die Menschen einer ganz bestimmten Gruppe zu einer bestimmten Zeit und in einer bestimmten singulären Situation. Generisches man reicht damit weiter in den Bereich einzelsituationsbezogener Aussagen hinein als die generisch verwendete Nominalphrase, so Zifonun, G. (2000, 240).

[6] Schmidt, Ulrich A. Impersonalia, Diathesen und die deutsche Satzgliedstellung. – Studienverlag Dr. N. Brockmayer. – Bochum, 1987.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Das Pronomen "man" im Deutschen und seine Entsprechungen im Russischen
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für deutsche Sprache und Linguistik)
Veranstaltung
Text-Kohärenz
Note
2,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
21
Katalognummer
V83959
ISBN (eBook)
9783638001670
Dateigröße
490 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Es wird der Gebrauchsumfang von deutschem man aus der Literatur gut dargestellt. Es werden auch die Wiedergabemöglichkeiten der deutschen Sätze mit man im Russischen aufgezählt.
Schlagworte
Pronomen, Deutschen, Entsprechungen, Russischen, Text-Kohärenz
Arbeit zitieren
Alexandra Reichel (Autor:in), 2007, Das Pronomen "man" im Deutschen und seine Entsprechungen im Russischen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83959

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