"Hart, aber smart" statt "dreckig, kahl und hundsgemein"

Die Geschichte der Skinheads 1969-1973


Hausarbeit, 2007

24 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Die Geschichte der Skinheads in Großbritannien 1969-1972

1. Die Wurzeln der Skinheads
1.1 Die Situation in Großbritannien Mitte der 1960er Jahre
1.2 It's a mod world - Die Mods
1.3 Grob und cool - Die Rude Boys
1.4 Fußball und Krawall - Die Boot Boys

2. Der Geist von '69 - Die Skinheads sind geboren
2.1 Boots und Braces - Die Kleidung der Skinheads
2.2 Ska, Reggae, Soul - Tanz und Musik der Skins
2.3 Gewalt und Langeweile - Das Alltagsleben der Skinheads

3. Schlussbetrachtung

4. Literaturverzeichnis

„Hart aber smart“ statt „dreckig, kahl und hundsgemein“

- Die Geschichte der Skinheads in Großbritannien 1969-1972

Sobald der Begriff 'Skinheads' in der Öffentlichkeit - in den Medien, in Diskursen, in politischen Debatten oder Berichten ist er am häufigsten anzutreffen - auftaucht, weckt er mehr oder weniger „richtige“ Assoziationen. Der eine denkt an kahlköpfige Schlägertypen mit schweren Stiefeln, der andere an schwarz-weiß-rote Fahnen schwingende NPD-Demonstranten, und wiederum jemandem fallen (vermeintliche) Attribute wie „rechtsradikal“, „Bomberjacke“, „Böhse Onkelz“ oder „Nassrasur“ ein.

„Szenekundige“ haben Bilder von deutsch und englisch singenden Jugendlichen mit kurzen Haaren, Boots mit roten oder weißen Schnürsenkeln oder trinkfesten, zu Ska- und Punkmusik tanzenden Männern im Kopf.

Zuletzt gibt es Menschen, die beim Wort Skinheads an Arbeitermilieu, jamaikanische Reggae-Musik oder „Skin-Konzerte gegen Rechts“ denken.[1] Diese Assoziationenvielfalt ließe sich fortführen und zeigt, wie unterschiedlich und zum Teil gegensätzlich Bilder von Skinheads in der Gesellschaft existieren - und stimmen!

Über die negativen Auswüchse der Skinhead-Bewegung ist ausführlich in den Medien und der fachwissenschaftlichen, insbesondere der politikwissenschaftlichen Welt gesprochen worden. Wie genau oder ungenau die Deskriptionen und Deutungen in Bezug auf diese spezielle subkulturelle Szene dabei ausfielen, soll hier nicht diskutiert werden, denn sie repräsentieren größtenteils nur eine Seite der Medaille.

Hier soll vielmehr die andere Seite der subkulturellen Skinhead-Bewegung, die auch zunehmend in wissenschaftlichen Kreisen an Interesse gewinnt, in den Blick genommen werden. Publikationen, allesamt jüngeren Datums, lassen Skinheads nicht nur im Sumpf rechtsradikaler Ideologien versinken, sondern schenken auch den „unpolitischen“ Stellvertretern ihre

Aufmerksamkeit.[2]

Dabei soll nicht die Skinhead-Bewegung in ein glanzvolles Licht gerückt und ihre Schattenseite(n) verklärt werden - sie besitzt nämlich nach wie vor typische Negativmerkmale einer Subkultur[3] - doch lässt sich erkennen, dass die Szene mehr ist als ein Sammelbecken für abgestumpfte Haudrauf-Nazis. Verständlich, dass für Zeitungs- und Bücherverlage eine reißerische Berichterstattung ertragreicher ist, als sich „objektiv“ mit der Szene auseinanderzusetzen.[4]

Hier soll nun gezeigt werden, wie, beziehungsweise woraus der Skinhead­Kult entstanden ist und besonders, dass er sich gegenüber dem heutiger „Fascho-Skins“[5] unterscheidet. Dafür muss der Blick auf Großbritannien gelenkt werden, dem Mutterland der heute global existierenden Skinhead­Szene. 1969 geisterte das Wort Skinhead zum ersten Mal durch die Medien.[6] Mitte der 70er Jahre verlor die Szene ihre politische Unschuld an die rechtsgerichtete Organisation „National Front“ und fand im gleichen Zeitraum Nachahmer in Deutschland und im übrigen Europa. Wo noch am Anfang der Slogan „hart aber smart“[7] die Bewegung hätte kennzeichnen können, wandelte sich ihr Charakter in „dreckig, kahl und hundsgemein“, wie es die rechte Musikband Störkraft in ihrem gleichnamigen Lied treffend besang.7 Damit ist der deutlichste Unterschied zwischen der Ur-Bewegung und ihrer späteren rechtsgerichteten Schwester vorweggenommen: die Szene war Ende der 60er Jahre unpolitisch.[8]

Woraus sich die Skinhead-Bewegung entwickelte, wie ihr Charakter war und wodurch sie sich von der heutigen Szene unterschied, soll Gegenstand dieser Arbeit sein.

1. Die Wurzeln der Skinheads

Wenn man nach den historischen Wurzeln der Skinheads fragt, stößt man unweigerlich auf das Jahr 1969. Für die meisten Anhänger der Szene gilt dieses Datum als das Ursprungsjahr der Bewegung, dessen Geist noch heute in zahlreichen Liedern und (Szene-)Büchern beschworen wird.[9] Alles nahm seinen Anfang in Großbritannien, hauptsächlich in den Arbeitervierteln der großen Industriestädte wie London, Manchester oder Liverpool. Auch wenn es Ende der 1960er Jahre noch keine einheitliche Bezeichnung für diese Jugendlichen mit Kurzhaarfrisuren gab, die sich zu Gangs zusammenschlossen, gemeinsam an Wochenenden tanzten, Bier tranken und sich mit anderen Jugendgangs prügelten, so registrierte doch jeder, das eine neue Art von Jugendszene entstanden war, deren Stil zum einen „counter-revolution“[10] repräsentierte, und zum anderen aus einer „Tradition früherer Jugendbewegungen“[11] entstammte.

Im Folgenden wird einerseits der gesellschaftliche Hintergrund, zum anderen Transformationen schon vorhandener Jugendbewegungen der 1960er Jahre aufgezeigt, die als Ursache für die Entstehung der Skinheadbewegung eine Rolle spielten.

1.1 Die Situation in Großbritannien Mitte der 1960er Jahre

Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte Großbritannien, ähnlich wie Deutschland, in den 50er Jahren einen industriellen Aufschwung. Die Produktivität wurde gesteigert, und die Arbeiter profitierten davon durch höhere Einkommen und ein Mehr an Freizeit. Die britische Regierung baute zudem das soziale Netz weiter aus, und half dabei aus Proletariern Kleinbürger zu machen.[12] Auch die Jugendlichen der „Underdogs“[13] besaßen mehr Chancen, in die Mittelschicht aufzusteigen, als ihre Väter. „Anstatt im Schlachthof Rinder im Fünf-Minuten-Takt umzubringen, schoben sie jetzt Aktenberge durch Verwaltungslabyrinthe.“[14] So verwischten die Grenzen von Klassenunterschieden, von immaterieller und materieller Arbeit.

Teile der Arbeiterschicht stiegen ins untere und mittlere Kleinbürgertum auf, aber bei jenen, die vom Wirtschaftsboom ausgeschlossen waren, machte sich zunehmend Frustration und Entfremdung breit.

Dass sich die englischen Arbeiter „fremd im eigenen Land“[15] vorkamen, hatte hauptsächlich zwei Ursachen.

Schon Anfang der 1960er Jahre setzte in den Großstädten eine Sanierungsphase ein, wodurch sich die traditionellen Arbeitermilieus langsam aufzulösen begannen. Neue Wohnblöcke wurden errichtet, Straßen saniert und erweitert, sowie das Kanalisations- als auch das Heizungsnetz ausgebaut. Dies ging zu lasten der vielen kinderreichen Großfamilien, da die neuen Wohnungen zwar sauberer und schöner, dafür aber auch kleiner waren. Hinzu kam, dass älteren Menschen die Heimunterbringung schmackhaft gemacht wurde, wohingegen jüngere Paare durch günstige Kreditangebote als neue Mieter in die Wohnviertel drängten.[16] Nachbarschaftsbeziehungen wurden zerstört, denn „nun drängten plötzlich finanzkräftige Mittelschichten mit aller Macht in die durch Modernisierung aufgewerteten innerstädtischen Wohnbezirke.“[17] Die Nachbarn aus der Mittelschicht teilten wenige Interessen mit den Arbeitern, und vor allem die Jugendlichen empfanden häufig Unzufriedenheit und Aggression, denn hochnäsige Künstler, die sich vom Flair der Arbeiterviertel angezogen fühlten, oder intellektuelle Spießer hatten für Kneipentouren oder Fußballspiele kaum was übrig. Die Entkernung und Neubebauung der Stadtviertel hatte auch eine Veränderung der Freizeitkultur der Arbeiter(jugend) zur Folge. Gemütliche Kneipen und Pubs, in denen man nach getaner Arbeit gerne mal ein Bier mit seinen Freunden zu sich nahm, mussten zwangsläufig Speisegaststätten weichen. Aus dem Kiosk an der Ecke, dessen Besitzer man noch mit Namen kannte, wurde ein Supermarkt, Bezirkskinos verwandelten sich in Parkplätze oder wurden Opfer der Straßenerweiterung. Kurz, „die Sozial- und Freizeitstruktur der Arbeiterviertel verarmte.“[18]

Die zweite Ursache dafür, dass sich die britischen Arbeiterjugendlichen ausgegrenzt fühlten, war eine mit der Sanierungswelle einsetzende Gettoisierung des Arbeitermilieus.

Das ehemalige Kolonialreich Großbritannien bekam nun Mitte der 1960er Jahre die Auswirkungen seiner Expansionspolitik im 19. Jahrhundert mit aller Härte zu spüren, denn nun drängten Einwandererströme aus den ehemaligen Kolonien in die Großstädte, in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Durch den Wegzug derjenigen Arbeiter, die jetzt teurere Wohnungen bezogen , fiel der vorhandene (billigere) Wohnraum einem erbitterten Kampf zum Opfer, denn die englischen Familien, die sich den Umzug nicht leisten konnten, konkurrierten nun mit den neuen Einwanderern aus der Karibik, Pakistan, Indien oder Westafrika.[19]

Es dauerte nicht lange, bis sich die Einwanderer ihre eigene Infrastruktur aus Kneipen, Läden und Clubs schufen[20], denn „jahrelang tat die britische Regierung nichts, um den Neuankömmlingen bei ihrem Start in Großbritannien unter die Arme zu greifen. Keine Sprachkurse, keine Integrationseinrichtungen, nichts von all dem.“[21] Neue Boutiquen, andere Konsumläden und Treffpunkte verdrängten die alten Nischen, in denen zuvor englische Arbeiterjugendliche ihre Freizeit verbrachten.

Zudem fand auch die weibliche Jugend ihren Gefallen an den „schwarzen“ Migranten.

Die drastischen Veränderungen auf dem Wohnungs-, Arbeits- und Beziehungsmarkt für die britischen Arbeiter(jugendlichen) schuf eine Atmosphäre aus Angst, Aggressivität und ein Gefühl der Überfremdung sowohl den Einwanderern, als auch der neuen Mittelschicht gegenüber. Deshalb darf es nicht verwundern, dass die Jugend Großbritanniens verstärkt nach Ausdrucksmöglichkeiten suchte, um der zunehmenden kulturellen Ausgrenzung entgegenzuwirken.

Welche Erscheinungsformen die Rebellion gegen die Zustände Ende der 1960er Jahre annahmen, soll im Folgenden erläutert werden.

1.2 „It is a mod world“ - die Mods

„Die jugendlichen Subkulturen sind [...] ein erklärlicher Reflex, eine Konsequenz einer unzureichend gewordenen Gesellschaftsstruktur.[22] Auch die Subkultur der, Anfang der 1960er Jahre von den so genannten „Teddyboys“ herausgebildeten[23], „Modernists“, kurz „Mods“ genannt, entsprach dieser These. Denn Ihre jugendlichen Mitglieder aus der britischen Arbeiterschicht, rebellierten durch ihr äußeres Erscheinungsbild gegen die schon beschriebenen gesellschaftlichen Gegebenheiten.

Anfangs waren die Mods noch eine geheime Untergrundbewegung aus der Arbeiterschicht, die sich von parallel existierenden Jugendbewegungen, wie den Rockern, abzugrenzen suchte.[24] Nicht Lederjacken und schwere Motorräder, sondern teure Designerkleidung und verchromte Roller, so genannte Scooter, waren Sinnbild der Mods. Sie betrachteten die Rocker, die sich im Zuge des Rock ’n Roll Mitte der 1950er Jahre entwickelt hatten, als plump und grobschlächtig, wohingegen ihrerseits die Rocker einen „schwulen“ und „weibischen“ Mod verachteten.[25]

Dem maskulinen Auftreten der Rocker stellten die Mods einen androgynen, auf „extreme Individualität“[26] zielenden Stil entgegen. Mehr scheinen als sein, lautete die Devise. Ihr, bestenfalls als Büroangestellter oder Verkäufer, hart verdientes Geld investierten sie meist in extravagante Kleidung wie italienische Anzüge oder schwarze Lackschuhe. Dazu gehörte noch eine Sonnenbrille und ihr Lieblingsstück, der Motorroller. Immer fein poliert wie die Schuhe, mit kostspieligen Accessoires, wie zusätzlich eingebauten Scheinwerfern, versehen, setzte sich auch ihr fahrbarer Untersatz von den verhassten Rockern ab.

Doch nicht nur cool im Aussehen, auch ihre Verhaltensweisen entsprachen einem dandyhaften, an der Mittelschicht-Boheme orientierten Typus: „Früher ging es immer darum, cool zu sein und vor allem smart, den anderen Jugendlichen immer einen Schritt voraus.“[27]

[...]


[1] Vgl. Menhorn, Christian: Skinheads. Portrait einer Subkultur. Baden-Baden 2001, S. 59ff.

[2] Vgl. Baacke 1999; Farin 2001,2002; Mehnhorn 2001

[3] Vgl. Baacke, Dieter: Jugend und Subkultur. München 1972

[4] Vgl. Farin, Klaus(Hrsg.): Die Skins. Mythos und Realität. Neuauflage Berlin 2001, S. 7f.

[5] „Hosenträger, die Boots bis zu den Knien, die Glatze ist blankpoliert ./ Du bist dreckig, kahl und hundsgemein, von oben bis unten tätowiert. / ...“

[6] Vgl. Marshall, George: Spirit of '69. Eine Skinhead Bibel. Dunoon 1999, S. 14

[7] Vgl. Menhorn, S. 14

[8] Klaus Farin, u.a. vertreten in ihren Untersuchungen nicht diese Meinung, Vgl. Mehnhorn

[9] Ebenda, S. 26

[10] Knight, Nick: Skinhead. London 1982, S. 8

[11] Farin 2001, S. 11

[12] Vgl. ebenda, S. 12

[13] Farin, Klaus; Seidel, Eberhard: Skinheads. München 5.Aufl. 2002, S. 24

[14] Ebenda, S. 24

[15] Ebenda, S. 26

[16] Vgl. Farin 2001, S. 13

[17] Farin 2002, S. 25

[18] Farin 2001, S. 13

[19] Vgl. ebenda, S. 13

[20] Menhorn, S. 17

[21] Farin 2002, S. 25

[22] Baacke 1972, S. 154

[23] Vgl. Baacke, Dieter: Jugend und Jugendkulturen. Darstellung und Deutung. München 1999, S.71-73

[24] Vgl. Knight, S. 8f.

[25] Vgl. Farin 2001, S. 15

[26] Ebenda, S. 17

[27] Marshall, S. 8

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
"Hart, aber smart" statt "dreckig, kahl und hundsgemein"
Untertitel
Die Geschichte der Skinheads 1969-1973
Hochschule
Universität zu Köln
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
24
Katalognummer
V83957
ISBN (eBook)
9783638001656
ISBN (Buch)
9783638910798
Dateigröße
430 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hart
Arbeit zitieren
Heinz-Philipp Großbach (Autor:in), 2007, "Hart, aber smart" statt "dreckig, kahl und hundsgemein", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83957

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