Thomas von Aquin und der bellum iustum

Eine Betrachtung der Theorie des gerechten Krieges unter dem Aspekt des Religionskrieges


Diplomarbeit, 2006

103 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsübersicht

1. EINLEITENDE ÜBERLEGUNGEN

2. DIE ENTSTEHUNG DER LEHRE VOM GERECHTEN KRIEG
2.1 Die vorchristlichen Überlegungen zum Krieg
2.1.1 Die Griechen
2.1.2 Die römische Weiterentwicklung der Theorie
2.2 Das biblische Friedensverständnis
2.2.1 Die Schöpfungsgeschichte
2.2.2 Die Erwählung Israels
2.2.3 Das Gottesbild
2.2.4 Jesus Christus
2.3 Das Spannungsverhältnis zwischen christlicher Friedenslehre und römischem Kriegsverständnis
2.4 Die Entwicklung der christlichen Theorie bei Augustinus
2.4.1 Die Herrschaftsordnung
2.4.2 Das Wesen des Krieges
2.4.3 „ius ad bellum“ – Das Recht zum Krieg
2.4.4 „ius in bello“ – Das Recht im Krieg
2.4.5 Von Gott angeordnete Kriege

3. DIE ENTSTEHUNG EINER SYSTEMATISCHEN THEORIE BEI THOMAS VON AQUIN 25
3.1 Der mittelalterliche Hintergrund
3.2 Die Kriterien des gerechten Krieges
3.2.1 Die auctoritas principes
3.2.1.1 Die Begründung von Herrschaft
3.2.1.1 Herleitung der Herrschaftsform
3.2.1.2 Das Gesetz des Fürsten als Stellvertretung Gottes auf Erden
3.2.1.3 Der Fürst als Kriegslegitimation
3.2.1.4 Problemstellungen
3.2.1.5 Die kirchliche Obrigkeit als Bewahrer des Friedens
3.2.1.6 Die Vertretung von Gottes Willen als höchste Autorität
3.2.2 Der ungerechte Herrscher
3.2.3 Der gerechte Grund – causa iusta
3.2.3.1 Die strittige Deutung der thomasischen causa iusta
3.2.3.2 Die Proportionalitätsforderung
3.2.3.3 Krieg als ultima ratio
3.2.3.4 Die begründete Aussicht auf Erfolg
3.2.4 Die Absicht der Kriegführenden – intentio recta
3.2.4.1 Der Fürst als Kriegführender
3.2.4.2 Die Absicht des Fürsten
3.2.4.3 Das Recht im Krieg – ius in bello
3.2.4.3.1 Der Hinterhalt
3.2.4.3.2 Die Tötung Unschuldiger in einem Krieg
3.2.4.3.3 Das Streben nach Beute

4. DER RELIGIONSKRIEG
4.1 Inner- und außerstaatliche Feinde im Glauben
4.2 Der Krieg gegen Heiden und Juden
4.2.1 Die Juden- und Heidenverfolgungen im Mittelalter
4.2.2 Der Fürst als rechte Autorität
4.2.3 Der gerechte Grund als Grundlage des Vorgehens
4.3 Der Krieg gegen die Häretiker
4.3.1 Die häretischen Bewegungen des Mittelalters
4.3.2 Der Fürst als rechte Autorität
4.3.3 Der gerechte Grund als Grundlage des Vorgehens
4.4 Der Krieg gegen Schismatiker.
4.4.1 Die Kirchenspaltung
4.4.2 Der Fürst als rechte Autorität
4.4.3 Der gerechte Grund als Grundlage des Vorgehens
4.5 Der Krieg gegen Apostaten
4.5.1 Die Auseinandersetzungen zwischen Papst und Kaiser
4.5.2 Der Fürst als rechte Autorität
4.5.3 Der gerechte Grund als Grundlage des Vorgehens
4. FAZIT

I. Erklärung

II. Literaturverzeichnis

1. EINLEITENDE ÜBERLEGUNGEN

Ist es einem Christen erlaubt zu töten? Besagt doch das fünfte Gebot: „Du sollst nicht töten!" (5.Mose, 5, 17).

Dennoch waren die Christen an vielen Kriegen der Geschichte beteiligt. Sei es als Kämpfende oder als Befehlshaber. Doch sie beteiligten sich nicht nur an Kriegen, sie nutzten auch ihre eigene Religion, um „Heilige Kriege“ wie die Kreuzzüge zu führen. Obwohl die eigene Religion die Gewaltlosigkeit vorgab zogen Krieger im Namen Gottes ins Heilige Land, um es mit Schwert und Feuer zu erobern.

Ebenso wie es Christen in Kriegen gab, gab es immer auch christliche Theologen die die Realität des Krieges zu erklären und zu legitimieren versuchten. Erste Überlegungen zu diesem Widerspruch lieferte Aurelius Augustinus im 5. Jahrhundert. Seine Ausführungen können jedoch noch nicht als eine zusammenhängende Theorie angesehen werden.

Einen der wirkungsmächtigsten Ansätze lieferte dagegen Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert. Er war der erste, der eine zusammenhängende christliche Theorie des bellum iustum, des gerechten Krieges entwarf. Seine Überlegungen prägten das Denken zum Krieg noch Jahrhunderte über seine eigene Zeit hinaus. Es stellt sich die Frage, wie es für Thomas von Aquin einen gerechten Krieg geben konnte, und wie er die Teilnahme von Christen an diesen Kriegen beurteilte und rechtfertigte. Bedenkt man zudem, dass Thomas in einer Zeit lebte, in der sich häretische Bewegungen von der Kirche lossagten, die byzantinische Kirche sich zusehends der Macht des Papsttums entzog und der Kampf zwischen weltlicher und päpstlicher Macht tobte, so stellt sich also außerdem die Frage, welche Rolle Thomas in einem Krieg der kirchlichen und welche der weltlichen Macht zuschreibt.

Da im Mittelalter, nicht nur in den Kreuzzügen, viele der militärischen Auseinandersetzungen religiös motiviert waren oder zumindest mit der Religion als Vorwand begründet wurden, stellt sich zusätzlich zu der Beteiligung von Christen an einem gerechten Krieg die Frage, ob es nach thomasischer Auffassung auch einen religiös begründeten Krieg geben konnte. Das Ziel dieser Arbeit soll es sein, zu zeigen, in welcher Form für Thomas von Aquin Christen an einem gerechten Krieg beteiligt sein konnten und ob es darüber hinausgehend für ihn sogar einen gerechten Religionskrieg, also einen Heiligen Krieg, geben konnte. Zudem wird zu klären sein, welche Rollen für ihn in einem solchen Krieg weltliche und kirchliche Gewalt einnehmen sollten.

Um diese Fragen beantworten zu können, muss zunächst die Herkunft der Theorie des be llum iustum beleuchtet werden. Des Weiteren soll der Versuch unternommen werden zu zeigen, welche christlichen und vorchristlichen Überlegungen dem thomasischen Ansatz vorausgingen und wie sie sein Denken beeinflussten. Hierzu werden zunächst die Überlegungen zum Kriegswesen in der griechischen und römischen Antike zu untersuchen sein. Im Wesentlichen wird sich diese Arbeit dabei auf die Ausführungen von Aristoteles, Platon und M.Tullius Cicero stützen. Diese sind von Bedeutung, weil sie die Grundlagen für ein erstes christliches Friedensverständnis unter Augustinus bildeten und auch für Thomas von Aquin in seinen Überlegungen von Bedeutung waren.

Anschließend soll versucht werden, den Wandel von der antiken Denkweise der griechischen und römischen Theologen hin zu einer christlichen Adaption der Kriegslehre unter Augustinus zu beleuchten. Dazu soll zunächst gezeigt werden, welches Friedensverständnis die Bibel als Glaubens- und Verhaltensvorschrift allen Christen vorgibt. Die sich anschließenden Ansichten des Augustinus zeigen dann, wie im frühen Christentum versucht wurde, das Spannungsverhältnis zwischen eigener Friedenslehre und politischer Realität aufzulösen. Die Untersuchung der frühchristlichen Überlegungen bei Augustinus sind auch für das Verständnis der thomasischen Lehre wichtig, da viele der bei Thomas zentralen Aussagen schon bei Augustinus zu finden sind. Zudem ist das Verständnis des augustinischen Ansatzes von Bedeutung, da Thomas in seinen Werken immer wieder Bezug auf seinen Vordenker nimmt.

Nachdem seine Vordenker betrachtet wurden, muss anschließend das thomasische Verständnis des Krieges untersucht werden. Dafür wird es nötig sein, sich zunächst den mittelalterlichen Hintergrund ins Gedächtnis zu rufen, aus dem heraus die thomasische Lehre entstand. Danach kann geprüft werden, welche Bedingungen für Thomas von Aquin gegeben sein müssen, damit ein gerechter Krieg vorliegt. Im Einzelnen werden dabei die Forderungen nach einer rechten Autorität, einem gerechten Grund und der rechten Intention betrachtet werden. Dabei soll auch untersucht werden, ob und in welcher Form die kirchliche Gewalt Teil eines solchen gerechten Krieges sein kann.

Um anschließend feststellen zu können, ob es für Thomas einen gerechten Religionskrieg geben kann, müssen die im vorangegangenen Kapitel untersuchten Kriterien an Konflikte mit religiösem Hintergrund angelegt werden. Unter diesen Aspekten sollen verschiedene Auseinandersetzungen der thomasischen Lebenszeit untersucht werden. Eine solche Untersuchung mittels der Theorie des bellum iustum ist jedoch nur möglich, wenn eine historische Einordnung der Konflikte vorgenommen wird. Während für Zeitgenossen des Thomas von Aquin eindeutig war, auf welche Konflikte sich Thomas bezog, wenn er Begriffe wie Schisma, Apostasie oder Häresie verwendete, müssen diese für den heutigen Betrachter in einen historischen Kontext eingeordnet werden. Es wird also nötig sein, die religiösen Konflikte im Einzelnen zu betrachten, bevor versucht werden kann, ihre Rechtmäßigkeit nach thomasischen Verständnis zu untersuchen.

Im Allgemeinen sind sowohl die bellum iustum - Theorie des Thomas von Aquin als auch die Ansätze des Aurelius Augustinus in hinreichendem Maße erforscht worden. Für Augustinus erwiesen sich dabei die Arbeiten von J. Rief[1], T. Weissenberg[2] und P. Engelhardt[3] als äußerst hilfreich. Für die thomasische Lehre lieferten W.Lienemann[4], R.H. Bainton[5], J.D. Tooke[6] und H. Gmür[7] wichtige Werke. Besonders ist jedoch die ausführliche Untersuchung von G. Beestermöller[8] zu erwähnen, die sich als die ergiebigste Quelle herausstellte. Vielfach ist in diesen Werken auch auf die Bedeutung der kirchlichen Gewalt innerhalb der mittelalterlichen bellum iustum - Theorie eingegangen worden. Allerdings versuchten nur wenige Autoren zu untersuchen, ob sich mit der Lehre des Thomas von Aquin auch ein Religionskrieg erklären oder gar rechtfertigen ließe. Abgesehen von der geschichtlichen Ausführung konnten in diesem Bereich in Bezug auf die Theorie nur H.Gmür und G. Beestermöller als Quellen herangezogen werden.

2. DIE ENTSTEHUNG DER LEHRE VOM GERECHTEN KRIEG

Lange bevor unter Thomas von Aquin eine systematische Theorie des „bellum iustum“, des gerechten oder regelgerechten Krieges, entstand, gab es Überlegungen zum Wesen des Krieges. In seinen Werken nimmt Thomas von Aquin oftmals Bezug auf diese vorhergehenden Überlegungen.

Daher wird es nötig sein, die Entstehung der Theorie von ihren Anfängen bis hin zum Wandel zu einer christlichen Theorie zu verdeutlichen. Insbesondere die Betrachtung des biblischen Kriegs- und Friedensbegriffes sowie die Ausführungen des Aurelius Augustinus sind dabei von grundlegender Bedeutung für das Verständnis der thomasischen Lehre vom Krieg.

Daher werden zunächst die vorchristlichen Überlegungen zum Krieg in der Antike der Griechen und Römer zu betrachten sein (2.1). Anschließend wird dann das biblische Verständnis von Krieg und Frieden (2.2) im Mittelpunkt stehen, da es die Grundlage der christlichen Überlegungen zum Krieg bildet. Nachdem dann das Spannungsverhältnis zwischen der frühen christlichen Lehre und dem römischen Kriegsverhältnis (2.3) untersucht wurde, sind abschließend die ersten christlichen Überlegungen zum gerechten Krieg bei Augustinus (2.4) zu untersuchen

2.1. Die vorchristlichen Überlegungen zum Krieg

Der Krieg mag so alt sein wie die Menschheit selbst. Im Laufe der Jahrhunderte wandelte sich jedoch das Bild des Krieges ebenso wie die Regeln nach denen er ausgetragen wurde. Die vielen Überlegungen zum Krieg haben eines gemein: Mit welchen Regeln und Ritualen lassen sich die Schrecken und Schäden des Krieges wenn nicht aufhalten, so doch wenigstens eingrenzen und beschränken? In den sich in der Antike bildenden Hochkulturen mit ihren Stadtstaaten, Königreichen und, betrachtet man das römische Reich, sogar Imperien, wurden Kriege genutzt, um eigene politische Ziele zu verfolgen. Wenn aber politische Ziele verfolgt werden, kann der Gegner nicht vollständig vernichtet werden, sondern muss in eine Nachkriegsordnung mit einbezogen werden. Diese politische Notwendigkeit erforderte es, den Krieg nach anderen Regeln als denen der Jagd zu gestalten und ihn letztlich auch anders zu begründen. Es ist wohl symptomatisch, dass in der Sprache der Römer das Wort venatio für die Jagd einen völlig anderen Wortstamm als die Begriffe bellum für Krieg oder duellum für Fehde hat.[9]

Schon in griechischer und römischer Zeit unterlag das Bild des Krieges einem Wandel. Während im frühen antiken Griechenland die Siege wie die bei Marathon 490 v. Chr. und in der Seeschlacht bei Salamis 480 v. Chr. noch von Bürgeraufgeboten errungen wurden, standen sich beim Peloponnesischen Krieg ein halbes Jahrhundert später schon weitgehend Berufsheere gegenüber.[10]

Um zu verstehen, auf welchen Grundlagen die sich entwickelnde christliche Theorie fußte, wird es nötig sein, die Entwicklung und auch die Unterschiede in der Wahrnehmung des Krieges im antiken Griechenland und dem sich entwickelnden römischen Imperium aufzuzeigen.

2.1.1 Die Griechen

Schon Platon stellt in seiner Politeia Überlegungen an, was die Gründe für die Entstehung des Krieges sind. Wenn ein Staat nicht nur ein gesunder Staat sein wolle, sondern danach strebe, ein üppiger Staat zu werden, in dem das Zusammenleben der Menschen durch alle Arten von Künstlern, Handwerkern, Pädagogen und eine breite Schicht von Dienstleistenden bereichert werde, dann sei es unerlässlich, dass Gebiet der Nachbarn zu beschneiden. Der üppige Staat müsse zudem im Hinblick auf mögliche negative Entwicklungen in der Lage sein, sich im Krieg zu verteidigen. Grundsätzlich sei ein Krieg aber zu vermeiden. Dieser Aufgabe habe sich der Gesetzgeber anzunehmen. Später urteilt ndern. ich Kriegnen kranken Staat sei, aber faktisch sei der Krieg nicht zu verhindern.Platon zwar auch, dass Krieg ein Anzeichen für einen kranken Staat sei, aber hierbei ist wohl eher ein Bürgerkrieg gemeint, als eine zwischenstaatliche Auseinandersetzung. Also galt bereits für Platon: Krieg ist nicht gleich Krieg. Aber ob es einen idealen Staat gibt, der den Entstehungsgründen des Krieges begegnen kann, beantwortet Platon nicht[11]. Dieses Problem wurde erst später für Aristoteles zu einer Frage von zentraler Bedeutung.

Für Aristoteles war der Staat der höchste Zweck allen Handelns, besonders des politischen. Er versuchte, den Krieg mit dem Hinweis auf die Sklavenseelen zu rechtfertigen. Es gebe Menschen, die von der Natur zum Dienen bestimmt seien, dieses aber freiwillig nicht tun wollten. Ein aus solchen Gründen geführter Krieg entspreche also dem Naturrecht. Diese aus heutiger Sicht so anstößige Rechtfertigung des Krieges durch Aristoteles ist sicherlich nur aus ihrer Zeit heraus zu verstehen. Außerdem spiegelt sich in ihr nicht die gesamte Auffassung des Aristoteles. So erkannte er schon, dass Krieg nur als Mittel zum Frieden genutzt werden sollte und betonte den Eigenwert des Friedens an sich. Weiterhin wird seine Rechtfertigung des Krieges durch zwei Bemerkungen abgemildert. Zunächst hielt er eine Gesetzgebung, die die Belange des Militärwesens vor die des Friedens und der Kultur stellt, für unvernünftig und kurzsichtig. Außerdem vertrat er die Auffassung, dass Staaten mit ausschließlich kriegerischer Ausrichtung sich zwar kurzfristig durchsetzen könnten, aber nach ihrem Sieg an den Aufgaben des Friedens scheitern würden[12].

2.1.2 Die römische Weiterentwicklung der Theorie

Die römische Fortsetzung der Überlegungen zum Krieg fand unter anderen Vorraussetzungen als bei den Griechen statt. So waren die griechischen Stadtstaaten meist ungefähr gleich stark. Bei den Griechen war eine absolute Vernichtung des Gegners nicht möglich, weshalb es auch zu ständigen Wechseln in der Vormachtstellung kam: Zunächst Athen, später Sparta, dann Theben. Aber es gab niemals eine solche Übermacht wie beispielsweise später die der Römer gegenüber den Spaniern.[13]

Im Wesentlichen wurde das römische Kriegsverständnis durch M. Tullius Cicero geprägt. Seine Ausführungen zum Krieg in „De officiis“ und „De res publica“ können auch als Umformung in eine Theorie der Eroberung gedeutet werden. Zu seiner Zeit, dem nahenden Ende der römischen Republik, war Rom schon ein Imperium, dessen Macht auf seinen Eroberungen beruhte. Allerdings entwickelte Cicero Ansätze eines Kriegsverständnisses, das auch noch lange nach ihm gültig sein sollte.[14]

Damit ein Krieg gerecht sein kann, darf er für Cicero ausschließlich von Staaten geführt werden. Zudem legt er fest, dass ein Krieg nur „nach Androhung und Erklärung“[15] gerecht sein kann. Für ihn ist der Krieg als Mittel der Konfliktlösung nur dann gerechtfertigt, wenn Verhandlungen nicht zu einem Ergebnis führen und weitere Verhandlungen den Ansprüchen der Gerechtigkeit nicht genügen. Nur wenn die Verhandlungen nicht mehr dem Frieden dienen, sei ein Krieg somit als legitim zu erachten.[16]

Einen Grundsatz, der später auch von der christlichen Theorie aufgenommen wurde, war das Streben nach Frieden. Nach Cicero durfte man Kriege „auf sich nehmen zu dem Zweck, daß man ohne Unrecht im Frieden lebt.“[17] Sein Augenmerk gilt dabei besonders den Besiegten, weil für ihn nur mit einem generösen Frieden die Besiegten in das Imperium einzugliedern sind. Im Rückblick auf die römische Geschichte bis zu seiner Zeit stellt er fest, dass das römische Reich nur durch gerechte Kriege und generöse Friedensschlüsse zu seiner Größe gelangen konnte.[18] Hierzu schreibt er ausdrücklich, nach einem gerechten Kriege seien „diejenigen zu begnadigen, die im Kriege nicht grausam und nicht unmenschlich waren. So haben unsere Vorfahren die Bewohner von Tusculum, die Aequer, Sabiner und Herniker sogar in das Bürgerrecht aufgenommen.“[19] Allein Karthago und Numantia seien vollständig zerstört worden, weil sie auch nach der Niederlage Rom zu schaden versuchten.

Grundsätzlich galt für Cicero aber, dass das Ziel des Krieges immer der Frieden sein solle. Sei ein Krieg gewonnen, so dürfe er nicht als Strafaktion gegen den Unterlegenen fortgeführt werden. Ebenso dürfe der Krieg nicht durch eine neue Zielsetzung der siegreichen Partei ausgeweitet werden. Dieses Verständnis des Krieges im Dienste des Friedens wurde später ein zentraler Bestandteil der sich entwickelnden christlichen Theorien[20].

2.2 Das biblische Friedensverständnis

Das Christentum, zunächst als unterdrückte Sekte entstanden, musste sich im römischen Reich nach seiner anfänglichen Verfolgung bald mit den Realitäten der Politik auseinandersetzen. Spätestens als in der konstantinischen Wende das Christentum zur Staatsreligion wurde, musste sich die kirchliche Obrigkeit mit den von ihrem Staat geführten Kriegen auseinandersetzen. Die Grundlage des christlichen Friedensverständnisses musste dabei sicherlich die biblische Überlieferung sein. Sowohl Augustinus als auch später Thomas von Aquin zogen die Bibel vielfach zur Untermauerung ihrer Beweisführung heran. Doch so eindeutig, wie man meinen möchte, ist das Friedensverständnis der Bibel, deren Messias verkündete "Friede sei mit euch" (Johannes 20, 19), nicht.

2.2.1 Die Schöpfungsgeschichte

Die christliche Glaubenslehre beginnt mit der Schöpfungsgeschichte und dem Paradies. Der Mensch als Ebenbild Gottes soll gemeinsam mit dessen Schöpfung leben und für sie sorgen. Aus der Rippe des Mannes, so ist es wenigstens in einer der beiden Schöpfungsgeschichten zu lesen, erschafft Gott auch noch die Frau. Beide sollen füreinander da sein, damit der Mensch nicht allein auf der Welt ist. Also ist die eigentliche Bestimmung dieser Schöpfungsgeschichte das Lebenll gemeinsam die Schöpfung und das Paradies. in Frieden und Gerechtigkeit untereinander und mit der gesamten Schöpfung[21].

Doch schnell gehörte auch die Gewalt zum Zusammenleben der Menschen: Kain, der Sohn Adams, erschlägt seinen Bruder. Schon in der Generation ihrer Eltern war aber bereits die Grundlage für diesen Gewaltausbruch gelegt. Adam und Eva begannen Gott zu misstrauen und wurden aus dem Paradies vertrieben. Und auch Kain traut Gott nicht: Als Abels Opfer angenommen wird, seines jedoch nicht, fühlt er sich von Gott ungerecht behandelt. Aus Hass erschlägt er deshalb seinen Bruder.[22]

Verflucht seist du auf der Erde, die ihr Maul hat aufgetan und deines Bruders Blut von deinen Händen empfangen. Wenn du den Acker bebauen wirst wird er dir keinen Ertrag mehr geben. Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden." (1. Buch Mose 4,11-12)

Gott aber schützt den Brudermörder, der fürchtet für seine Tat getötet zu werden. Er versieht ihn mit dem Kainsmal, durch das Kains Mörder der Blutrache verfallen soll. Somit findet sich bereits hier die Regulierung von Gewalt durch Gegengewalt.

[...]


[1] Rief, Josef: „Bellum“ im Denken und in den Gedanken Augustins, Barsbüttel, Institut für Theologie und Frieden, 1990.

[2] Weissenberg, Timo J.: Die Friedenslehre des Augustinus. Theologische Grundlagen und ethische Entfaltung, W. Kohlhammer, Stuttgart, 2005.

[3] Engelhardt, Paulus: Die Lehre vom »gerechten Krieg« in der vorreformatorischen und katholischen Tradition; Herkunft – Wandlungen – Krise, in: Der gerechte Krieg: Christentum, Islam, Marxismus, Redaktion Reiner Steinweg, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1980.

[4] Lienemann, Wolfgang: Gewalt und Gewaltverzicht: Studien zur abendländischen Geschichte der gegenwärtigen Wahrnehmung von Gewalt, München, Kaiser, 1982.

[5] Bainton, Roland H.: Christian Attitudes Toward War and Peace. A Historical Survey and Critical Re-evaluation, New York and Nashville, Abingdon Press, 1960.

[6] Took, Joan Doreen: The just war in Aquinas and Grotius, London, S.P.C.K., 1965.

[7] Gmür, Harry: Thomas von Aquino und der gerechte Krieg, Leipzig und Berlin, B.G. Teubner, 1933.

[8] Beestermöller, Gerhard: Thomas von Aquin und der gerechte Krieg: Friedensethik im theologischen Kontext der Summa Theologiae, Köln, J.P. Bachem, 1990.

[9] Vgl. Uhle-Wettler, Franz: Die Gesichter des Mars: Krieg im Wandel der Zeiten, Erlangen; Bonn; Wien, Staube, 1989, S.23.

[10] Vgl. Uhle-Wettler, Franz: Die Gesichter des Mars, S.25.

[11] Vgl. Rief, Josef: Die bellum- iustum- Theorie historisch, in: Glatzel, Norbert; Nagel, Ernst Josef (Hrsg.): Frieden in Sicherheit, Zur Weiterentwicklung der Katholischen Friedensethik, Verlag Herder, Freiburg im Breisgau, 1981, 16 f.

[12] Vgl. Rief, Josef: Die bellum- iustum- Theorie historisch, …, 17 f.

[13] Vgl. Bainton, Roland H.: Christian Attitudes Toward War and Peace, S.33.

[14] Vgl. Bainton, Roland H.: Christian Attitudes Toward War and Peace, S 41.

[15] Cicero, Marcus Tullius: De officiis. Vom pflichtgemäßen Handeln, Lateinisch und Deutsch, übersetzt, kommentiert und herausgegeben von Heinz Gunermann, Stuttgart, Reclam, 1976, Lib. I, IV, 2. c., 36, S.35.

[16] Vgl. Rief, Josef: Die bellum- iustum- Theorie historisch, …, 17 f.

[17] Cicero: De officiis, Lib. I, IV, 2. c., 36, S.35.

[18] Vgl. Cicero, Marcus Tullius: Der Staat: lat. U. dt., Hrsg. U. übers. Von Karl Büchner, 4. erw. Aufl., München u. Zürich, Artemis, 1987, Lib. III, 35, S. 221.

[19] Cicero: De officiis, Lib. I, IV, 2. c., 36, S.35.

[20] Vgl. Bainton, Roland H.: Christian Attitudes Toward War and Peace., S.33 ff.

[21] Vgl. Freistetter, Werner: Friede aus christlicher Sicht, in: Wiener Blätter zur Friedensforschung 107, 2/2001, S. 36 f.

[22] Vgl. Freistetter, Werner: Friede aus christlicher Sicht, in: Wiener Blätter zur Friedensforschung 107, 2/2001, S. 36 f.

Ende der Leseprobe aus 103 Seiten

Details

Titel
Thomas von Aquin und der bellum iustum
Untertitel
Eine Betrachtung der Theorie des gerechten Krieges unter dem Aspekt des Religionskrieges
Hochschule
Universität der Bundeswehr München, Neubiberg  (Politik)
Note
1,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
103
Katalognummer
V83906
ISBN (eBook)
9783638884341
ISBN (Buch)
9783656166511
Dateigröße
764 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Thomas, Aquin, Bellum Iustum, Gerechter Krieg, Politische Theorie, Thomas von Aquin
Arbeit zitieren
Nils Kluger (Autor:in), 2006, Thomas von Aquin und der bellum iustum , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83906

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