Das Elterngeld als Kristallisationspunkt im familienpolitischen Diskurs


Diplomarbeit, 2007

100 Seiten, Note: 1,6


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Konzeptioneller Bezugsrahmen

0 Überblick Elterngeld

Bezugspunkt 1:
Das demographische Defizit
1.1 Problemaufriss
1.2 Bevölkerungsentwicklung
1.2.1 Bevölkerungsentwicklung im Überblick
1.2.2 Bevölkerungsvorausschau bis 2050
1.2.3 Geburtenziffern in Ost- und Westdeutschland 1952-2000
1.2.4 Altersstruktur der Gesellschaft
1.3 Gründe für den Geburtenrückgang
1.3.1 Generatives Verhalten
1.3.1.1 Heiratsneigung und alternative Lebensformen
1.3.1.2 Anstieg des Erstheiratsalters
1.31.3 Scheidungshäufigkeit
1.3.1.4 Schwangerschaftsabbrüche
1.3.1.5 Alter der Mutter bei der Geburt des ersten Kindes
1.3.2 Kinderwunsch und Kinderlosigkeit
1.3.2.1 Sinkender Kinderwunsch
1.3.2.2 Beschränkung des Zeitrahmens
1.3.2.3 Kinderlosigkeit
1.3.3 Kostenfaktor Kind
1.3.4 Liber alisieru ngstrends
1.4 Zwischenresümee - Das Elterngeld und die Entwicklung der Geburtenrate

Bezugspunkt 2:
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf -
Auseinandersetzung mit einer spannungsreichen Problematik
2.1 Historische Gesichtspunkte
2.2 Die Verdeutlichung der Problematik in Thesenform
2.3 Konzepte zur Lösung des Vereinbarkeitskonflikts
2.3.1 Das sukzessive Modell
2.3.2 Das simultane Modell
2.4 Forderungskatalog an die Familienpolitik
2.5 Zwischenresümee - Das Elterngeld und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Bezugspunkt 3:
Die Rolle der Väter
3.1 Zur Forschungslage
3.2 Vaterschaftsmodelle im Wandel der Zeit
3.3 Männliche Identität
3.4 Männer zwischen Erwerbsarbeit und Familie
3.5 Der fehlende Vater
3.6 Die Bedeutung des Vaters für die Entwicklung des Kindes
3.7 Zwischenresümee - Das Elterngeld und die Väter

4 Fokuswechsel:
Gedanken zum Kindeswohl
4.1 Zur Begriffsbestimmung des Kindeswohls und historischen Auffassung über das Kindeswohl
4.2 Elterngeld und Kindeswohl
4.2.1 Die Verteilung des Elterngeldes auf die Familien
4.2.2 Kleinkindbetreuung als familienpolitische Lücke

5 Schlussbetrachtung

Abbildungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Die Familie

ist die grundlegende Institution der Gesellschaft.

Für sie gibt es keine Alternative und

keinen Ersatz

(Peter L. Berger)

Vorwort

In der letzten Zeit ist das Thema Familie wieder verstärkt ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Angesichts struktureller Veränderungen in der demogra­phischen Entwicklung und der sich daraus abzeichnenden brisanten Folgen für die sozialen Sicherungssysteme sowie einem tiefgreifenden Wandel familialer Lebenswelten, steht Familienpolitik vor der enormen Herausforderung, zum einen den existentiellen Anforderungen der Gesellschaft und ebenso den höchstpersön­lichen Wünschen ihrer Mitglieder gerecht zu werden. Als Brückenfunktion zwischen Familie und Gesellschaft ist es Aufgabe von Familienpolitik, Voraussetzungen für eine optimale Funktionstüchtigkeit von Familien zu schaffen und gleichermaßen, zum Bestehen und Wohl der Gesellschaft beizutragen. Dazu gehört auch das Reagieren auf gesamtgesellschaftliche Wandlungstendenzen, die für die Zukunft der Familie eine Relevanz besitzen. Wingen definiert den Terminus Familienpolitik folgendermaßen: “Unter dem Begriff der Familien­politik kann das bewußte und planvoll-ordnende, zielgerichtete Einwirken von Trägern öffentlicher Verantwortung auf Struktur und Funktionen (Aufgaben und Leistungen) von Eltern-Kind-Gemeinschaften [...] verstanden werden” (Wingen 1994: 3).

Besonders auch das Problem der aktuellen Bevölkerungsentwicklung verlangt einen verantwortungsvollen Umgang der Familienpolitik mit der Problematik einer niedrigen Geburtenrate hierzulande, die zu gering ist, um den Fortbestand der Gesellschaft problemlos und nachhaltig zu sichern. Dieser Tatbestand konfrontiert Familienpolitik mit der Herausforderung, nach Ursachen zu forschen und eine adäquate Umsetzung familienpolitischer Konzepte in Bewegung zu bringen.

Familienpolitik wird somit regelrecht zum Kernpunkt politischen Handelns. Noch bis vor kurzem gehörte sie zu einem der wenig beachteten Randbereiche im politischen Diskurs. Vermutlich gerade auch durch die Erkenntnis, dass die Gesellschaft maßgeblich auf Funktionen und Leistungen von Familie angewiesen ist und diese bedeutend zur demographischen und strukturellen Stabilität einer Gesellschaft beizutragen vermag, steht Familienpolitik aktuell im Fokus gesellschaftlicher Aufmerksamkeit.

Bereits seit Jahrzehnten werden gesellschaftliche Wandlungsprozesse beobachtet, die auf die Familie als gesellschaftlich unersetzbare Instanz erheblichen Einfluss ausüben, sie in ihrer Struktur verändern und darüber hinaus ihre Stabilität in Frage stellen. Die Feststellung, dass Familie vom Zerfall bedroht ist, die Gesellschaft aber ohne ihre Reproduktions- und Sozialisationsfunktion nicht dauerhaft bestehen kann, zwingt die Familienpolitik zum Handeln. Dies wirft die Forderung nach einer nachhaltigen, adressatenspezifische Familienpolitik auf, die auf die Vielfalt familialer Lebensformen und deren spezifische Problemlagen Rücksicht nimmt (vgl. Wingen 1994: 72).

Familie in der heutigen Zeit gerät somit in ein Spannungsfeld zwischen Privatheit und Öffentlichkeit: auf der einen Seite wirkt die familiäre Lebenswelt als Rückzugsort für Individualität und Emotionalität, sozusagen als “Hafen der Sicherheit”, als Abgrenzung zur Rationalität des Staates und des öffentlichen Lebens, auf der anderen Seite aber auch als wichtiger Funktionsträger für gesellschaftliche Prozesse: als Instanz in Verantwortlichkeit für die Pflege und das Aufziehen von künftigen gesellschaftsfähigen Individuuen und ebenso zur Erhaltung sozialer Strukturen.

Die teilweise zueinander in Widerspruch stehenden Interessen von Familie und Gesellschaft in Einklang zu bringen bzw. gegebenenfalls auszubalancieren, stellt hohe Anforderungen an die Familienpolitik und wirft eine Reihe von ernstzunehmenden Fragestellungen auf, die sich vor allem auch in der Elterngel ddi skussi on ni ederschl agen.

Gegenstand dieser Arbeit soll eine theoretische Auseinandersetzung mit der aktuell eingeführten familienpolitischen Maßnahme des Elterngeldes, einschließ­lich der damit in Verbindung stehenden angrenzenden Diskussionspunkte sein. Anhand dieser Aspekte soll zum einen untersucht werden, welche Ziele die Bundesregierung durch die Einführung des Elterngeldes verfolgt. Weiterhin soll geprüft werden, inwiefern das Elterngeld als familienpolitische Maßnahme etwas zur Unterstützung von Familien beitragen kann, aber auch, wo Grenzen und Kritikpunkte liegen, die systematisch herausgearbeitet werden sollen.

Die Thematik besitzt allein schon auf wissenschaftlichem Gebiet eine hohe Komplexität und Intransparenz im Hinblick auf die verschiedenen Disziplinen, Strömungen und Richtungen, die sich mit der Thematik befassen. Diese Viel­schichtigkeit der Zugänge und der Facettenreichtum der Thematik erschwert somit auch die notwendige Abgrenzung zu benachbarten Themenbereichen. Hinzu kommt eine Vielzahl von zum Teil widersprüchlichen Meinungen und Ansichten derjenigen, die sich am Diskurs auf politischer, theoretischer, empirischer oder lebensweltlicher Ebene beteiligen und sich aus einem jeweils eigenen Blickwinkel Zugang zum Fokus Familie verschaffen.

Das Phänomen der Unübersichtlichkeit und Ambivalenz läßt aber andererseits auch Raum, eigene Zugänge zu entwickeln und Akzente zu setzen. Somit betrachte ich die Auseinandersetzung mit Themenbereichen der Familienpolitik im Allgemeinen und der Elterngelddiskussion im Speziellen, als Aufgabe, bereits bestehende Diskussionsinhalte argumentativ aufzuarbeiten und, mit ausgewählten Fokussierungen, in den Diskurskontext einfließen zu lassen.

In der Entscheidung für das Thema stach hervor, welche Brisanz der familien­politische Diskurs in sich trägt. Kaum ein Thema ist derart mit Emotionen behaftet, wie das der Familie. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Familie und Familienpolitik geht jeden an, denn (fast) jeder macht Familienerfahrungen und steht vor der Entscheidung einer Familiengründung. Jedes Individuum ist zudem in gesellschaftliche Systeme und Abläufe integriert, die direkt oder indirekt mit dem System Familie verwoben sind, wodurch sich kaum jemand einer Auseinandersetzung mit der Problematik entziehen kann. Weiterhin besteht für den Einzelnen die Herausforderung, private Wünsche und Verpflichtungen mit dem Funktionieren und den Erfordernissen der Gesellschaft in Einklang zu bringen. Diese besondere Relevanz des Themas veranlasste mich zu einer näheren Konfrontation mit der aktuellen Debatte um das Elterngeld und dem Motiv, die Hintergründe von alltäglichen und wissenschaftlichen Behauptungen zu hinterfragen und zu prüfen und weiterhin, um zu einem tieferen Verständnis familienpolitischer Fragestellungen zu gelangen. Es treten ja im Hinblick auf die Zukunft von Familie zahlreiche Fragen auf, die momentan längst nicht alle zufriedenstellend beantwortet werden können. Gerade deshalb lohnt sich ein näherer Blick auf die Situation von Familien und eine intensive Beschäftigung mit dem aktuellen Diskussionsgegenstand des Elterngeldes, dessen zugrundeliegende familienpolitische Konzeption in der Öffentlichkeit seit einiger Zeit für reichlich Diskussionsstoff sorgt.

Aufgrund der starken normativen Bedeutung dieser überaus spannenden und zugleich spannungsreichen Thematik, bin ich mir der Schwierigkeit einer neutralen und nüchternen Aufarbeitung bewusst. Trotzdem soll versucht werden, die kritische Würdigung des Elterngeldkonzeptes auf wissenschaftlichen Begrün­dungen beruhen zu lassen. Im Folgenden soll die Kontroverse der Elterngelddebatte kurz dargestellt, und im Anschluss daran, das Vorgehen in dieser Arbeit erläutert werden.

Konzeptioneller Bezugsrahmen

Der Beschluss zur Einführung eines Elterngeldes wird äußerst kontrovers diskutiert. Auf der einen Seite ist von einem familienpolitischer Durchbruch die Rede, der es jungen Familien und besonders auch gutverdienenden Paaren erlaubt, sich ohne tiefgreifende finanzielle Einbußen auf Kinder einlassen zu können, und somit als ein bedeutender Schritt in Richtung Familienfreundlichkeit und Veränderung der Bevölkerungsstruktur gewertet wird; eine Maßnahme, die außerdem die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern soll und Väter stärker in den familären Kontext einbinden möchte. Demgegenüber sehen Kritiker in diesem innovativen Vorhaben eine Verschärfung der sozialen Ungleichheit durch Benachteiligung niedrigverdienender Familien bzw. die Aufdrängung eines bestimmten Familienbildes samt der Einschränkung elterlicher Wahlfreiheit. Gerade durch diese Kontroverse lädt die Elterngelddebatte förmlich zu einer gründlichen Auseinandersetzung mit angrenzenden gesellschaftlichen Bezugs­punkten ein, die sich thematisch, vom Elterngeld als Kristallisationspunkt ausgehend, entfalten. Dabei soll sich die Rolle des Elterngeldes als Grundthema durch den Verlauf dieser Arbeit ziehen. Jeder einzelne der Bezugspunkte, die im folgenden erarbeitet werden sollen, steht mit gesamtgesellschaftlichen Tendenzen eng in Verbindung, wodurch das Rückgebundensein des einzelnen Individuums an die Gesellschaft zum Ausdruck kommt.

Folgende Vorgehensweise möchte ich dieser Arbeit zugrundelegen:

Nach einem einleitenden Teil über die Vorstellung der Idee zur Einführung des Elterngeldes, folgt die Bearbeitung des ersten Bezugspunktes “Das demographische Defizit”.

Zunächst einmal werde ich mich in diesem Kontext dem Begründungszusam­menhang der Problematik quantitativer Nachwuchssicherung widmen. Im Zentrum dieses Bezugspunktes soll auf die bevölkerungsstatistische Situation hierzulande eingegangen werden, die sich durch den Begriff des “demographisch­ökonomischen Paradox”[1] beschreiben lässt: je reicher eine Gesellschaft ist, umso weniger Kinder werden geboren. Mit der Zahlung eines Elterngeldes erhofft sich die Bundesregierung, die geringe Geburtenrate hierzulande anheben zu können. Welche Auswirkungen sind in der kommenden Zeit diesbezüglich zu erwarten?

Daran anknüpfend erschließt sich ein Bezugspunkt funktionaler Art, der die Spannung von Familien- und Erwerbsarbeit ins Zentrum rückt: “Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf”.

Das Phänomen dieses vieldiskutierten Vereinbarkeitskonflikts läßt sich historisch durch einen Strukturwandel der Arbeitsgesellschaft nachvollziehen, in dessen Folge es zum Herauswachsen der Frau aus der Familienrolle kam, und sie stärker in Erwerbs- und Arbeitsprozesse integriert wurde.

Da Erwerbstätigkeit für Männer wie für Frauen in der heutigen Gesellschaft zu einem festen Identifikationspunkt im Lebenslauf geworden ist, ergibt sich dadurch eine Doppelbelastung, von der besonders Mütter betroffen sind, da ihnen vorrangig die Verantwortung für das Familienleben zugeschrieben wird.

Neben dem sukzessiven und dem simultanen Vereinbarkeitsmodell liefert das Konzept des Elterngeldes eine Art Kontrastprogramm zu bisherigen Gedanken als Lösungsansatz für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, bei dem auch die Väter verstärkt zur Partizipation herangezogen werden sollen.

Hier setzt ein weiterer wichtiger Aspekt an: die Rolle der Väter.

Aufgrund der Annahme, dass Vätern durch eine starke Beanspruchung im Beruf oftmals eine frühkindliche Bindung zu ihren Kindern versagt bleibt und sie somit nicht ausreichend in familiale Prozesse integriert sind, sieht das Konzept des Elterngeldes durch die Vätermonate vor, Männern stärker als bislang die Möglichkeit zu bieten, in eine frühkindlichen Familienrolle hineinzuwachsen. Bislang bestand zwar auch für Väter die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Elternzeit, die aber nur von einem verschwindend geringen Teil der Männer genutzt wurde.

Eine wichtige Rolle hierbei spielt der Gleichstellungsgedanke, der unter dem Begriff des “Gender Mainstreaming”[2] als politisches Instrument zur Gleich­stellung von Frauen und Männern wirksam werden soll.

Da in der gesamten Debatte um das Elterngeld die Bedeutung des Kindeswohls sehr kurz kommt, soll in diesem letzten thematischen Aspekt durch einen Fokuswechsel ein Zugang zu einer Perspektivenneuordnung geschaffen werden. Das Kindeswohl im Spannungsfeld zwischen Eltern und Staat, in Verknüpfung mit der Frage, wieviel Privatheit der Familie noch zugestanden werden kann, soll in den Blickpunkt gerückt werden. Weiterhin wird gefragt: Inwieweit unterstützt das Elterngeldkonzept das Kindeswohl? Wo könnten Gefahren und Risiken liegen?

Zum Abschluss erfolgt eine Zusammenfassung der Perspektiven, in der die wichtigsten Ergebnisse reflektiert dargestellt und Schlussfolgerungen für eine optimale Förderung von Familien getroffen werden sollen.

0 Überblick Elterngeld

“Familien brauchen Infrastruktur, Zeit und Geld. Die [...] Weiterentwicklung des Bundeserziehungsgeldes zu einem Elterngeld mit Einkommensersatzfunktion ist Teil einer nachhaltigen Familienpolitik, die sich an den Bedürfnissen der Familien orientiert (BMFSFJ 2005)

Um das Konzept des Elterngeldes und dessen zugrundeliegendes familienpoli­tisches Konzept als Diskussionsgegenstand für diese Arbeit zu verwenden, soll hier ein kurzer Überblick über die wichtigsten Leitpunkte gegeben werden:

Die Einführung des Elterngeldgesetzes am 1. Januar 2007 fußt auf einer strukturellen Neuorientierung im Bereich der Familienpolitik. Bereits die früher amtierende Familienministerin Frau Ursula Schmidt (SPD) sprach sich für ein Elterngeld nach schwedischem Vorbild aus, das unter der Leitung der derzeitigen Familienministerin Frau Ursula von der Leyen (CDU) umgesetzt wird.

Das Elterngeld stellt eine staatliche finanzielle Unterstützung für Familien dar, die im Vergleich zum bisher geltenden Erziehungsgeld eine Lohnersatzfunktion erfüllt und fungiert als ein Teil des aufeinander abgestimmten familienpolitischen Dreiklangs, der auf die Verbesserung der Betreuungsstruktur, einer familiären Arbeitswelt und der finanziellen Stärkung von Familien ausgerichtet ist (vgl. BMFSFJ Gesetzentwurf BEEG 2006: 2).

Berufstätige Eltern, deren Kinder nach dem 1. Januar 2007 geboren werden, bekommen 67 % des Nettolohnes und maximal 1800 € monatlich ausgezahlt, wenn ein Partner für eine Zeit lang zum Zweck der Kindesbetreuung aus dem Beruf aussteigt oder nicht mehr als 30 Stunden wöchentlich beschäftigt ist. Bemessungsgrundlage ist der Lohn 12 Monate vor der Geburt des Kindes. Das Elterngeld wird grundsätzlich für die Dauer von 14 Monaten gezahlt, wobei zwei Monate dem Partner vorbehalten bleiben. Beteiligen sich nicht beide Partner an der Kindesbetreuung, so erhalten Eltern für den 13. und 14. Monat einen Sockelbetrag in Höhe von 300 €, der in der gleichen Höhe für nichterwerbsfähige Eltern ein Jahr lang gezahlt wird. Als Sonderregelung enthält das neue Elterngeldgesetz eine Geringverdienerkomponente, wodurch der ausgezahlte Betrag bis auf 100 % des Nettolohnes aufgestockt werden kann, wenn das vor der Geburt erzielte Gehalt weniger als 1000 € betrug (vgl. Tell 2006).

Einen Geschwisterbonus gibt es in Höhe von 10% vom Elterngeld (mindestens aber 75 €) für ein älteres Geschwisterkind, das das 3. Lebensjahr noch nicht vollendet hat bzw. für zwei Geschwisterkinder unter 6 Jahren (BMFSFJ 2006c). Das Elterngeld wird bei der Ermittlung des persönlichen Steuersatzes als Einkommen berücksichtigt, so dass der Staat einen Teil des gezahlten Eltern­geldes durch die Steuererklärung wieder abschöpft (vgl. Tell 2006).

Im Vergleich zur Regelung des Erziehungsgeldes, die parallel noch für vor 2007 geborene Kinder gilt, profitiert die Mehrzahl der Familien durch das neue Elterngeldgesetz. Über den finanziellen Unterstützungscharakter für Familien hinaus stellt das Elterngeld ein politisches Steuerungsinstrument dar, das folgende Veränderungen bewirken soll:

Das BMFSFJ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) möchte auf die Bedeutung von Kindern verstärkt aufmerksam machen und somit der niedrigen Geburtenzahl entgegenwirken (demographischer Aspekt), denn im Falle einer Entscheidung für Kinder könnten Opportunitätskosten (vgl. Textor 2007: 2), die sich durch das Pflegen und Aufziehen von Kindern ergeben, mit der Zahlung eines Elterngeldes für Familien gesenkt werden. Familien stehe nämlich am wenigsten Geld zur Verfügung, wenn die Kinder am kleinsten sind, wodurch finanzielle Nachteile, oder sogar das Risiko, in Armut abzudriften, eingegangen wird. Da viele Familien langfristig auf zwei Einkommen angewiesen seien, sollen Einkommenseinbrüche vermieden und die wirtschaftliche Selbständigkeit der Partner beibehalten bzw. gefördert werden (finanzieller Aspekt). Ebenso soll die Wahlfreiheit in Bezug auf die Elternrollen erweitert werden, indem Frauen stärker in Erwerbsarbeit und Männer durch den Anreiz der Partnermonate in die Familien integriert werden sollen [(Gleichstellungsaspekt)) (vgl. BMFSFJ 2006c: 1f; Tell 2006)].

Die gesetzlichen Grundlagen, Zielvorstellungen und Hintergründe zum Thema Elterngeld werden im Gesetzesentwurf der Bundesregierung mit dem Kabinetts­beschluss vom 14. Juni 2006 ausführlich erläutert.

Bezugspunkt 1:

Das demographische Defizit

1.1 Problemaufriss

Deutschland zählt mit durchschnittlich 1,4 Kindern pro Frau[3] zu den Ländern mit der niedrigsten Geburtenrate der Welt. Trotz staatlicher Ausgaben von etwa 150 Millionen Euro jährlich (BMFSFJ 2005b: 458) für die Familie und zumeist guten materiellen Bedingungen kindlichen Aufwachsens, werden hierzulande nicht genug Kinder geboren, um den Bestand der Gesellschaft aufrechtzuerhalten[4] und damit die sozialen Sicherungssysteme in Zukunft am Laufen zu halten. Durch eine absehbare veränderte demographische Altersstruktur, besteht die reale Gefahr einer “Vergreisung” der Gesellschaft (vgl. Peter 2006).

Doch nicht nur für die verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche zieht der Geburtenrückgang Konsequenzen nach sich: er tangiert auch den unmittelbaren Lebens- und Erfahrungszusammenhang von Männern, Frauen und Kindern, besonders auch im Verhältnis der Generationen zueinander (vgl. Löhr 1991: 462). Der Rückgang der Fertilität beschäftigt bereits seit geraumer Zeit eine Reihe von Wissenschaftszweigen und besitzt demzufolge eine interdisziplinäre Relevanz. Jedoch erst vor wenigen Jahren wurde die Problematik von der Politik erkannt. Die Familienpolitik versucht seitdem, zu Lösungen zu gelangen, um die unerwünschten Folgen einer überalterten Gesellschaft abzuschwächen. Doch trotz großer Bemühungen konnten bislang keine zufriedenstellenden Lösungen gefunden werden (vgl. Textor 2004)

Mit der Einführung eines Elterngeldes als finanzieller Anreiz möchte die Bundesregierung verstärkt auf die Bedeutung von Kindern und Familie hinweisen und somit dem negativen Geburtentrend entgegenwirken, dessen Auswirkungen auf die Altersstruktur der Gesellschaft eklatante Folgen erwarten lassen.

Zum Verständnis der demographischen Entwicklung in Deutschland genügt es jedoch nicht, die Veränderung in der Altersstruktur der Bevölkerung allein auf die Tatsache einer sinkenden Geburtenrate zurückzuführen. Neben der Fertilität müssen ferner die Faktoren Migration und Mortalität im Zusammenhang mit der Bevölkerungsstruktur berücksichtigt werden (vgl. Pötzsch/ Sommer 2003: 5). Während sich Zuwanderungen günstig auf die Altersstruktur der Gesellschaft auswirken, bedingt eine gestiegene und weiterhin steigende Lebenserwartung, in Verbindung mit einer massiv gesunkenen Säuglingssterblichkeit sehr stark das Altern der Gesellschaft.

Der Diskussionsschwerpunkt soll jedoch bei der Fertilität liegen, da sie den Kernaspekt der familienpolitischen Diskussion bildet. Durch Maßnahmen, wie aktuell das Elterngeld, möchte Familienpolitik auf die Geburtenrate Einfluss ausüben.

Um nun die reale Chance einer ansteigenden Geburtenrate in Verbindung mit dem Elterngeld (bzw. ergänzenden familienpolitsichen Maßnahmen) auszuloten, sollen die Hintergründe gesunkener Kinderzahlen anhand der Darstellung gesellschaft­licher Wandlungsprozesse erschlossen werden.

1.2 Bevölkerungsentwicklung

Im Folgenden soll zunächst die Bevölkerungsentwicklung der letzten Jahrhunderte mit dem Augenmerk auf die gesellschaftliche Dynamik überblicksartig nachge­zeichnet werden. Daran schließt sich kurz eine Bevölkerungsprognose bis 2050 an.

Anhand der verschiedenen, zu berücksichtigenden Faktoren, die letztlich für die Geburtenrate von entscheidender Bedeutung sind, soll die Komplexität der demographischen Thematik aufgezeigt werden.

1.2.1 Bevölkerungsentwicklung im Überblick

Bis 1800 wiesen vormoderne Gesellschaften eine vergleichsweise stabile Bevölkerungsstruktur mit einer durchschnittlichen Kinderzahl von 6 Kindern pro Frau und einer Lebenserwartung von etwa 32 Jahren auf. Die Bevölkerung wuchs daher sehr langsam. Bereits zu Zeiten Friedrich Wilhelm wurde ein Bevöl­kerungszuwachs angestrebt, der gleichermaßen eine Ausweitung staatlicher Macht darstellte. Diese Methode ist auch als “Peuplierungspolitik” des absolutistischen- merkantilistischen Staates bekannt geworden. Selbst in vormoderner Zeit wurde also von staatlicher Seit versucht, in die Bevölkerungsentwicklung einzugreifen, um die Kinderzahl zu beeeinflussen. Außerdem sollte durch die Aufnahme von Ausländern das Bevölkerungswachstum noch beschleunigt werden (vgl. von Pfeil 1979: 10; Kagel/ Petzold: 1999).

Ehen wurden häufig relativ spät geschlossen, da Heirat in den meisten Fällen an die Hofübergabe für die junge Generation gekoppelt war. Oftmals haben vor allem Bauern mehrmals im Leben geheiratet, da die Lebenserwartung insgesamt niedrig war und Frauen außerdem ein hohes Geburtsrisiko hatten. Daher wiesen Ehen in der vorindustriellen Zeit eine weitaus geringere Dauer, dafür aber eine umso höhere Stabilität auf (vgl. Lenz/ Böhnisch 1999: 14f).

Bemerkenswert ist, dass große Teile der Gesellschaft der jungen Generation zeitlebens unverheiratet blieben: diese waren zumeist in Verwandtschaftsstruk­turen organisiert und integriert (vgl. Gerlach 2004: 48).

Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts vollzog sich ein “dynamischer Prozess” in der Bevölkerungsentwicklung (ebd.: 48). Durch die Verbesserung hygienischer Bedingungen, einschließlich des Nahrungsverhaltens, der medizinischen Versor­gung und der Körperpflege, erfuhr die Gesellschaft ein deutliches Absinken der Säuglingssterblichkeit und einen Anstieg der Lebenserwartung. Außerdem sank auch das Heiratsalter. Diese Phänomene hatten einen rasanten Anstieg der Bevölkerung zur Folge (ebd.: 48).

Nach 1850, infolge der beginnenden Industrialisierung und einer einsetzenden Urbanisierung, sanken die Geburtenziffern und die Sterblichkeit reduzierte sich weiter, so dass sich eine Wende in der Bevölkerungsstruktur andeutete (ebd.: 49). Auch die schrittweise Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit korrelierte negativ mit der Familiengröße (ebd.: 75). Bereits um 1920 wurde das Bestandserhaltungs­niveau der Bevölkerung unterschritten (ebd.: 49). Ab diesem Zeitpunkt etwa zeichnet sich ein demographischer Wandel ab, der die Struktur der Bevölkerung, zu einer “Vergreisung” hin, veränderte (vgl. Höhn 1989: 196). Besonders auch die Weltwirtschaftskrise und der 2. Weltkrieg brachten niedrige Geburtenzahlen mit sich (ebd.: 202). In diesem Zusammenhang wird vom “ersten Geburtenrückgang’ des 20. Jahrhunderts gesprochen, der durch Tendenzen der Industrialisierung, Verstädterung sowie Rationalisierung der Lebensverhältnisse gekennzeichnet war (vgl. Kaufmann 1995: 90).

Mit diesem Prozess geht auch eine Neubewertung von Kindheit einher. Die Ansprüche an Kindererziehung wuchsen allmählich an. Kinder stellten zunehmend einen Zeit- und Kostenfaktor dar. Zählte bislang der materielle Wert von Kindern (als Arbeitskraft bzw. zur persönlichen Altersvorsorge), galten sie nun eher als emotionale Bereicherung (ebd.).

Zwischen 1955 und 1965 kam es zu einem so genannten “Babyboom” als Reaktion auf das gesunkene Heiratsalter der Nachkriegsgeneration und die gestiegene Fertilität (vgl z.B. Buhr/ Kaufmann 1989; Kaufmann 1995; Gerlach 2004). In dieser Zeit wiesen die Familien eine sehr stabile Struktur auf. Kaufmann (1995: 91) spricht in diesem Zusammenhang von der “Blüte des modernen Familientypus”. Die Bevölkerung der BRD wuchs dann bis 1970 auf über 60,7 Millionen Menschen an (vgl. Höhn 1989: 195). Nicht zu vergessen, hängt diese Entwicklung auch mit den starken Einwanderströmen in die BRD zusammen, die nach dem 2. Weltkrieg bis in die 60er Jahre hinein zu verzeichnen waren (ebd.: 195).

Seit 1965 lässt sich, im Anschluss an das “golden age of marriage” (Gerlach 2004: 50) ein “zweiter Geburtenrückgang” beobachten, der einen drastischen Einschnitt für die Geburtenrate brachte. Für die quantitative Bestandssicherung der Bevölkerung wäre eine Nettoreproduktionsrate (NRZ)[5] von 1,0 notwendig. Desweilen verharrt die BRD jedoch bei einer NRZ von 0,6 (vgl. Höhn 1989: 197). Bereits ab den 70er Jahren wurde die Elterngeneration in der BRD nur noch zu 60-65 % ersetzt.

Derartige Geburtenrückgänge fanden besonders in gesellschaftlichen Umbruchs­oder Krisenzeiten statt, aus denen sich jeweils gesellschaftliche Neuorientierungen ergaben. Es stellt sich daher die Frage, ob Modernisierung automatisch mit einem Bevölkerungsschwund in Verbindung gesetzt werden muss. Dies wird jedoch versucht, mit der “Theorie des demographischen Übergangs” zu widerlegen: Geburten- und Sterberate halten sich laut dieser Theorie langfristig die Waage (Kaufmann 1995). Der drastische Geburtenrückgang der 70er Jahre wird nach dieser Annahme als “Depressionsphase eines zyklischen Schwankens um das Reproduktionsniveau des stationären Gleichgewichts interpretiert [...]” (Buhr/ Kaufmann 1989: 514). Demgegenüber wird jedoch argumentiert, dass der jüngste Geburtenrückgang irreversiblen Charakter trägt (ebd.: 515), sodass sich die folgenden Generationen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr von diesem “Einschnitt” erholen werden.

Es wurden Berechnungen durchgeführt, um die Bevölkerungsentwicklung bis zum Jahre 2050 zu schätzen und daraus Schlussfolgerungen für bevölkerungspolitische Steuerungen ziehen zu können. Dennoch sollten derartige Schätzungen mit großer Sorgfalt und Vorsicht betrachtet werden, da eine Vorhersage von gesellschaftlichen Entwickllungen aufgrund komplex wirkender Einflüsse nicht immer exakt getroffen werden kann.

1.2.2 Bevölkerungsvorausschau bis zum Jahre 2050

An dieser Stelle erscheint mir eine knappe Darstellung der Bevölkerungsvoraus­schau bis 2050 sinnvoll, da hiervon wichtige Ableitungen für familienpolitisches Handeln getroffen werden können.

Eine Bevölkerungsvorausberechnung zeigt die voraussichtliche Entwicklung der Bevölkerungsstruktur unter bestimmten Annahmen an. Entsprechende Daten gelten als “Basisinformationen für politische Entscheidungsprozesse” (Pötzsch/ Sommer 2003: 9). Folgende Entwicklungen werden erwartet:

Die Lebenserwartung wird weiter zunehmen und liegt 2050 voraussichtlich um rund 6 Jahre über der durchschnittlichen Lebenserwartung von heute. Für 2050 geborene Jungen wird mit einer Lebenserwartung von 81,1 Jahren und für Mädchen von 86,6 Jahre gerechnet (ebd.: 5).

Bei der Migration werden Wanderungsüberschüsse von 100.000 - 300.000 Personen pro Jahr erwartet (ebd.: 6). Obwohl sich hohe Zuwanderungszahlen positiv auf die Altersstruktur auswirken, können sie das bestehende

Bevölkerungsdefizit nicht kompensieren (ebd.: 34). Die Bevölkerungszahl der BRD wird 2050 insgesamt auf geschätzte 67 - 81 Millionen zurückgehen, da die Sterbefälle die Geburtenzahlen übersteigen werden (ebd.: 6, 27). Demgegenüber werden sich die Mortalität erhöhen, da die geburtsstarken Jahrgänge ins hohe Alter kommen (ebd.: 6).

Diese Annahmen für die Zukunft der Bevölkerung zeichnen das Bild einer Entwicklung nach, die sich durch einen Komplex von gesellschaftlichen Bedingungen begründen lassen. Dabei stehen Fertilität und Bevölkerungsentwick­lung zueinander in einem Verhältnis, das von einer Vielzahl von Faktoren bestimmt wird, die wiederum untrennbar miteinander verwoben sind und ineinander greifen.

Da für familienpolitische Belange hierbei besonders die Geburtenrate eine entscheidende Rolle spielt, soll an dieser Stelle die Entwicklung der Geburtenrate graphisch veranschaulicht dargestellt werden:

1.2.3 Geburtenziffern in Ost- und Westdeutschland 1952-2000

Dieser Trend einer in dem Maße sich verringernden Geburtenrate, wie er sich seit etwa Mitte der 60er Jahre in Ost- und Westdeutschland zeigt, gilt als ein Prozess, der bislang in Friedenszeiten einmalig vorkommt und weithin unabsehbare, jedoch gewiss tiefgreifende Folgen mit sich bringt (Mayer in: Schmidt-Denter 2005: 185).

Als zentrales Fertilitätsmaß wurde in den 50er Jahren die “zusammengefasste Geburtenziffer” als Schätzwert der “echten” Geburtenrate eingeführt. Gemessen wird die Zahl der Geburten pro Frau in einem bestimmten Lebensalter.

Die zusammengefasste (periodenspezifische) Geburtenziffer TFR (Totale Fertility Rate) gibt an, wie viele Kinder von 1000 reproduktionsfähigen Frauen in einem bestimmten Jahr geboren werden (vgl. Buhr/ Kaufmann 1989: 517; Gerlach 2004: 50f).

Abb 1.:Geburtenzffern in Ost- und Westdeutschland 1952-2000; 15-45jährige Frauen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Quelle: Eurostat; nach Höhn et al. 2006: 19)

Seit Mitte der 60er Jahre sank die Geburtenrate in beiden Teilen Deutschlands drastisch ab. Zwischen West- und Ostdeutschland gab es bis zu einer weitgehenden Angleichung der Geburtenrate im Jahr 2000 einige signifikante Unterschiede in Bezug auf einen Wiederanstieg der Geburtenraten nach dem “jüngsten Geburtenrückgang”: In der zweiten Hälfte der 80er Jahre wuchs in Westdeutschland die Zahl der Geburten wieder etwas an, da die geburtenstarken Jahrgänge der 60er Jahre in die Familiengründungsphase gekommen waren.

An dieser Stelle soll kurz die demographische Entwicklung in der DDR skizziert werden, da sie im Vergleich zur Bundesrepublik einige signifikante Unterschiede aufweist: Die folgenden Angaben beziehen sich, soweit nicht anders angegeben, auf die Aussagen von Grundmann (1998: 67ff).

Nach Gründung der DDR bis zur Schließung der deutsch-deutschen Grenze am 13. August 1961 lässt sich eine Verringerung der Geburtenzahlen aufgrund von großen Auswanderungsverlusten verzeichnen. Zu einem erdrutschartigen Abfall der Geburtenrate kam es jedoch erst ab 1971/1972. Grundmann gibt dafür zwei Ursachen an: Erstens sei die Müttergeneration nach dem Zweiten Weltkrieg sehr schwach besetzt gewesen und zweitens hätte die rechtliche Freigabe von Schwangerschaftsabbrüchen im Jahre 1972 den Abfall der Geburtenrate mitbestimmt. In der zweiten Hälfte der 70er Jahre sank die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche und gleichzeitig stieg die Geburtenrate kurzfristig wieder an. Diese Entwicklung wird auf geburtsfördernde familienpolitische Maßnahmen in der DDR zurückgeführt, deren Wirkung, so Grundmann, jedoch in wenigen Jahren verbraucht war.

Das Geburtenniveau lag in der DDR aufgrund der weit verbreiteten frühen Elternschaft allgemein höher als in der alten BRD. In den Jahren nach der Wiederveinigung Deutschlands wurden in den Neuen Bundesländern jedoch nur noch die Hälfte der Anzahl der Kinder geboren wie im Wendejahr 1989. Die Geburtenrate sank von durchschnittlich 1,6 Kindern auf unter 1 Kind pro Frau. In diesem Zusammenhang wird vom so genannten “Demographischen Echo” gesprochen (BMFSFJ 2005b: 304ff). Zur Erklärung des Geburtenschwundes nach der Wende gibt es verschiedene Hypothesen. Die hohen Abwanderungszahlen, der Wende-Schock - einhergehend mit der hohen Arbeitslosigkeit bzw. die Anpassung an das Westverhalten könnten die Geburtenrate negativ beeinflusst haben (vgl. Brüderl 2006: 50). Außerdem wird davon ausgegangen, dass Frauen nach der Wende ihre neuen Möglichkeiten von Bildung und Ausbildung nutzten (BMFSFJ 2005b: 304ff).

Für die Zukunft wird angenommen, dass die Geburtenrate auf einem niedrigen Niveau von 1,4 Kindern pro Frau bleiben wird. Trotz dieser kontinuierlich gleichbleibenden Tendenz, werden sich die Geburtenzahlen weiter verringern, da insgesamt die Anzahl der potentiellen Mütter durch die niedrige Geburtenrate abnimmt (vgl. Pötzsch/ Sommer 2003: 5f).

1.2.4 Die Altersstruktur der Gesellschaft

Dem Altern der Gesellschaft liegt ein komplexes Ursachenbündel zugrunde, dessen detaillierte Darstellung den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Da das Problem einer “Vergreisung” der Gesellschaft für familienpolitische Frage­stellungen und daraus abzuleitende Lösungsansätze von zentrale Bedeutung ist, möchte ich an dieser Stelle kurz darauf eingehen:

Es wird angenommen, dass sich die Altersstruktur bis 2050 dahingehend verschieben wird, dass der Anteil der jungen Menschen deutlich sinkt und der Anteil der über 60-Jährigen ungefähr ein Drittel der Gesamtbevölkerung ausmachen könnte. Der Anteil der über 80-Jährigen wird vermutlich auf 12 % ansteigen (vgl. Gerlach 2004: 24f).

Wie sich die Bevölkerungsstruktur im Laufe der letzten 100 Jahre verändert hat und sich bis 2050 verschieben könnte, zeigt die Darstellung der vier Bevölkerungs”pyramiden” der Jahre 1910, 1950, 2001 und 2050.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Altersaufbau der Bevölkerung in Deutschland

(Quelle: Statistisches Bundesamt in: Pötzsch/ Sommer 2003: 30)

Wie im Schaubild ersichtlich, hat sich die einstige Bevölkerungspyramide von 1910 also eher zu einer Glockenform[6] entwickelt. Dieses Phänomen bedeutet eine enorme Herausforderung für Staat und Gesellschaft, Problemlagen einer überalterten Gesellschaft bewältigen zu müssen (vgl. Gerlach 2004: 64f), besonders auch, weil Bevölkerungspolitik eine klassische Gemeinwohlaufgabe ist, die zum Ziel hat, den nachfolgenden Generationen nicht unnötig viele Belastungen zu hinterlassen (vgl. Mayer in: Gerlach: 64).

Das Altern der Gesellschaft hat neben Problemen der Alterssicherungsstruktur durch den Anstieg des Altenquotienten[7] auch Auswirkungen auf das Generationenverhältnis sowie die politische Entscheidungsmacht der älteren Generation.

Eine Problematik, die sich durch die Erhöhung der Lebenserwartung ergibt, ist etwa die Gefahr der Überforderung für die so genannte “Sandwich-Generation”: “Infolge der vertikalisierten Familienstruktur wächst die Wahrscheinlichkeit, dass zumal Frauen langfristig praktische und emotionale Hilfe oder die Pflege kranker und betagter Angehöriger übernehmen müssen” (Bengtson/ Schütze zit. in: Schimany 2003: 364). Demzufolge wird angenommen, dass die sich abzeichnende Altersstruktur zu Spannungen hinsichtlich der Generationenbeziehungen führen wird (vgl. Schimany 2003: 365).

Angesichts des Alterungs- und Schrumpfungsprozesses der Gesellschaft und der damit verbundenen Probleme der finanziellen Sicherung der Altersversorgung, samt der ansteigenden Krankheitskosten und der wachsenden Anforderungen im Pflegebereich (vgl. Höhn 1989: 197), ist Familienpolitik deshalb gefordert, dem negativen Geburtentrend durch die Schaffung von günstigen Rahmenbedingungen für Familien und das Aufwachsen von Kindern, entgegenzuwirken.

1.3 Gründe für den Geburtenrückgang

Bisher wurden die Hintergründe der demographischer Entwicklung, insbesondere das Absinken der Geburtenrate in Verbindung mit dem so genannten “zweiten Geburtenübergang” des 20. Jahrhunderts angeführt. Desweiteren soll nun nach “Ursachen nicht-demographischen Ursprungs” (Löhr 1991: 464) geforscht werden, warum die Anzahl junger Menschen steigt, die auf die Gründung einer Familie verzichten.

1.3.1 Generatives Verhalten

“Generatives Verhalten [...] ist das durch das Zusammenspiel verschiedener Faktoren bedingte Verhalten, das auf die Zahl der Kinder Einfluss nimmt, die eine Bevölkerung hervor bringt und das damit die natürliche Entwicklung einer Bevölkerung beeinflusst” (Wikipedia 2006)

Veränderungen im generativen Verhalten zeigen sich anhand folgender Tendenzen:

- zurückgegangene Heiratsneigung und Verbreitung alternativer Lebensformen
- gestiegenes Erstheiratsalter
- gestiegene Scheidungshäufigkeit
- gestiegene Anzahl der Schwangerschaftsabbrüche
- höheres Alter der Mutter bei der Geburt des ersten Kindes

Faktoren des generativen Verhaltens sind, laut Kaufmann (1995: 169), ein “plausibles Ergebnis der kulturellen, sozialstrukturellen und ökonomischen Lage jender Generationen, deren Verhalten sich in diesen statistischen Ziffern niederschlägt.”

[...]


[1] zum demographisch-ökonomischen Paradox: s. Kapitel 1

[2] Die Begriffsklärung erfolgt in Kapitel 3.

[3] Laut BMFSFJ sei die Annahme einer stabilen Geburtenrate von 1,4 problematisch, da große regionale Unterschiede zu verzeichnen sind. Während im Osten Deutschlands ein Anstieg der Geburtenrate von 20% beobachtet wird, sind die Geburtenraten in Westdeutschland um 5 % rückläufig (BMFSFJ 2005b: 304).

[4] Es wird davon ausgegangen, dass bereits eine Fertilitätsrate von 1,7 bei einer jährlichen Immigrationssrate von 200.000 Zuwanderern für eine ausgewogene Bevölkerungsstruktur ausreichen würde (vgl. Bomsdorf in: Höhn et al. 2006: 15).

[5] “Die Nettoreproduktionsrate (NRZ) gibt den Anteil des Ersatzes einer Frauengeneration durch die nächste an, d.h. Die NRZ sollte mit dem Ziel einer stabilen Geburtenrate bei 1 liegen" (Gerlach 2004: 51).

[6] Laut Flaskämpe gleicht die Bevölkerungs”pyramide” eher einer “zerzausten Wettertanne” (Pötzsch/ Sommer 2003: 30).

[7] Der Altenquotient gibt das Verhältnis der erwerbsfähigen Bevölkerung (20-59 Jahre) zu den Personen im Rentenalter (über 60-Jährige) an. 2001 standen 44 Personen im Rentenalter 100 erwerbsfähigen Personen gegenüber. Bis 2050 wird ein Verhältnis von 71 zu 100 erwartet (vgl. Pötzsch/ Sommer 2003/ 7).

Ende der Leseprobe aus 100 Seiten

Details

Titel
Das Elterngeld als Kristallisationspunkt im familienpolitischen Diskurs
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Wohlfahrtswissenschaften und Sozialpädagogik/ Sozialarbeit)
Note
1,6
Autor
Jahr
2007
Seiten
100
Katalognummer
V83896
ISBN (eBook)
9783638872935
ISBN (Buch)
9783638873048
Dateigröße
1152 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Elterngeld, Kristallisationspunkt, Diskurs
Arbeit zitieren
Diplom-Pädagogin Anne-Kathrin Rölke (Autor:in), 2007, Das Elterngeld als Kristallisationspunkt im familienpolitischen Diskurs, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83896

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