Sor Juana Inés de la Cruz - Genie mit Affinität zum Wahnsinn


Hausarbeit, 2006

23 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


1. Inhalt

2. Einleitung

3. Sor Juana Inés de la Cruz

4. „Flucht aus der Weiblichkeit“

5. Juana Inés – eine Psychoneurotikerin?

6. Vom Narzissmus zur Schizophrenie

7. Die Hörige

8. Krise und Tod

9. Fazit

10. Bibliographie

2. Einleitung

Sor Juana Inés de la Cruz – ein Name, viele Bezeichnungen.

In ihrem ersten, 1689 in Madrid erschienenen Band ihrer gesammelten Werke versieht man sie mit dem Ehrentitel „zehnte Muse".[1] In späteren Ausgaben wird sie auch „Fenix de Mexico“[2] genannt. Sind diese Titel bloß eine Farce? Verbirgt sich dahinter in Wahrheit ein „seltsame[s] Wesen“[3], eine „unselige Frau“[4], ein „Mannweib“[5] ? Ist Sor Juana Inés de la Cruz die schizophrene, narzisstische, unweibliche, Männer hassende Psychoneurotikerin, die der deutsche Professor Ludwig Pfandl in ihr sieht? Oder ist sie doch das „blühendste Ingenium dieses glücklichen Jahrhunderts, Amerikas Minerva, großes Ingenium, eingeschränkt nur durch den Vorbehalt, daß sie eine Frau ist.“[6], wie ihr Zeitgenosse, der Priester Francisco Xavier Palavicino Villarrasa sie einst nannte?“

Ich möchte mich in dieser Hausarbeit insbesondere mit den Ausführungen Ludwig Pfandls auseinandersetzen und klären, inwiefern es zulässig ist, die berühmte Nonne und Dichterin als psychisch schwer kranke Frau zu bezeichnen. Mein Ziel ist es nicht, Pfandl in all seinen Aussagen zu widerlegen – das wäre wohl auch anmaßend. Ich möchte aber seine Methoden und Vorgehensweisen analysieren und mithilfe von medizinisch-psychiatrischen Büchern seine Aussagen bezüglich ihrer Zulänglichkeit prüfen. Dabei werde ich aus Zeit- und Platzmangel nicht auf alle Einzelaspekte in Pfandls Ausführungen eingehen. Dennoch werde ich mich im Groben an die Chronologie seines Buches „Die zehnte Muse von Mexico / Juana Inés de la Cruz“ halten, wobei ich vorab den Lebensweg der Nonne kurz darstellen werde.

3. Sor Juana Inés de la Cruz

Juana Inés wird am 12.November 1648 in San Miguel de Nepantla, einem Dörfchen südlich der Stadt México, in Neuspanien gebren. Sie ist uneheliche Tochter der Kreolin Isabel Ramírez de Santillana und des baskischen Edelmannes Pedro Manuel de Asbaje y Vargas Manchuca und hat fünf Geschwister, wovon zwei den gleichen Vater haben wie sie, die anderen drei sind die Kinder des Hauptmannes Diego Ruiz Lozano.

Als Kind lebt sie mit ihrer Mutter und ihrem Großvater Pedro Ramírez auf dem Gut Panoayán, nahe Nepantla und lernt bereits im Alter von drei Jahren lesen und schreiben, indem sie ihre ältere Schwester heimlich zur Schule begleitet. Ihr Wissensdrang ist so groß, dass sie ihre Mutter anschließend bittet, sie als Junge verkleidet auf die nahe gelegene Universität zu schicken (Universitäten waren allein den Männern vorbehalten), was ihre Mutter allerdings ablehnt.

Da die Schulbildung für Mädchen in Neuspanien nur im Lesen, Schreiben und den vier Grundrechenarten besteht, muss sich die kleine Juana Inés von nun an auf eigene Faust weiterbilden und so verbringt sie Stunden damit, die Bücher aus der Bibliothek ihres Großvaters zu studieren. Als dieser 1656 stirbt, wird die Achtjährige zu Verwandten ihrer Mutter nach México geschickt. Dort setzt sie ihr autodidaktisches Studium fort und erhält außerdem Unterrichtsstunden in Latein. Ihr Ehrgeiz ist dabei so groß, dass sie sich die Haare immer wieder abschneidet, wenn sie ihr selbst gesetztes Lernpensum nicht erreicht, denn sie meint, dass „ein von Kenntnis barer Kopf nicht mit Haaren bekleidet sein“[7] darf. Außerdem entwickelt sie eine Vorliebe für das Verfassen kleinerer Gedichte und ihr Ruf als ungewöhnliches Wunderkind spricht sich herum.

1664 stellen ihre Verwandten die nun 16-Jährige dem neuen Vizekönig Don Antonio Sebastián de Toledo, Marqués de Mancera und seiner Gattin Doňa Leonor Carreto vor. Die Vizekönigin ist sofort beeindruckt von dem intelligenten jungen Mädchen und nimmt Juana in den Kreis ihrer Hofdamen auf.

Von nun an steht Juana unter dem Schutz des Vizekönigpaares und besonders die Vizekönigin ist ihr zärtlich zugetan. Am Hof bieten sich ihr alle Möglichkeiten zum freien Studieren, sie nimmt am höfischen Leben teil und verstärkt einen Ruf als außergewöhnlich hübsche und talentierte Dichterin.

Mangels einer Mitgift und aufgrund ihrer unehelichen Abstammung und aus weiteren Gründen, die ich noch erläutern werde, entschließt sie sich jedoch im Alter von neunzehn Jahren in den Orden der Unbeschuhten Karmeliterinnen einzutreten, kehrt jedoch, wahrscheinlich verschreckt von den strengen Klosterregeln, kurz darauf an den Hof zurück, bevor sie am 24. Februar 1669 endgültig den Schleier nimmt, diesmal allerdings im Kloster San Jerónimo, das für seine eher laxen Regeln bekannt ist. Dort ist es den Nonnen gestattet nicht nur Besitz, sondern auch Dienstmädchen zu haben. (Sor Juanas Bibliothek umfasst später an die 4000 Bände)

Während ihres siebenundzwanzig Jahre währenden Lebens als Nonne verfasst sie zahlreiche dichterische Werke, die sowohl die Lyrik, als auch das Drama und Prosastücke umfassen. Besonders der Lyrik, insbesondere der Liebeslyrik, widmet sie sich ausgiebig und ihr Studium der verschiedenen Wissenschaften setzt sie fort.

Auch als Nonne wird Juana, die von ihrem Gelübde an Sor Juana Inés de la Cruz heißt, von den verschiedenen, immer wieder wechselnden Vizekönigen protegiert. Eine ganz besondere Freundschaft verbindet sie mit der María Luisa Manrique de Lara, deren Mann Don Tomás Antonio de la Cerda y Aragón, Conde de Paredes, Marqués de la Laguna von 1680-1686 das Amt des Vizekönigs innehat. Ihr widmet Juana zahlreiche Liebesdichtungen, worauf ich noch zu sprechen kommen werde. Die Marquesa de la Laguna ist es auch, die Juanas Werke schließlich mit nach Spanien nimmt und sie in einem ersten Band 1689 in Madrid veröffentlicht.

1693, zwei Jahre vor ihrem Tod, entsagt Sor Juana der Literatur, ihrem dichterischen Schaffen und Studium, gibt ihre Bibliothek und ihren gesamten Besitz zum Verkauf für wohltätige Zwecke frei und konzentriert sich von nun an voll und ganz auf ihre religiösen Pflichten. Außerdem ergeht sie sich in harten Selbstkasteiungen und verfasst drei Bußschriften, in denen sie sich und ihr bisheriges Leben als schlecht und sündig bekennt und Gott um Gnade ersucht. (Auch darauf werde ich noch zurückkommen.)

Am 17. April 1695 stirbt Sor Juana schließlich an den Folgen einer schlimmen Seuche (wahrscheinlich der Pest), die sie sich bei der Pflege ihrer kranken Mitschwestern zugezogen hat.[8]

4. „Flucht aus der Weiblichkeit“

Wenn jemand in seinem relativ kurzen Leben eine Menge, ja eine Unmenge, an literarischen, teils hoch kunstvollen Werken verfasst, dann wird ihm normalerweise die Achtung und der Respekt seiner Mitmenschen und Leser zuteil. Wenn dieser jemand obendrein eine hoch gebildete Frau aus dem 17. Jahrhundert ist, so stößt das bei den meisten ihrer Leser nicht nur auf Respekt, sondern vor allem auf Bewunderung, wenn man sich vor Augen hält, dass diese Frau in einer Welt gelebt hat, die von Männern regiert wurde und in der allein den Männern es vorbehalten war, sich zu bilden und ihre Meinung in Wort und Schrift zu äußern[9].

Es gibt allerdings auch Kritiker, die das Werk einer Sor Juana Inés de la Cruz nicht kommentarlos anerkennen, im Gegenteil, die es mittels der verschiedensten Methoden zu analysieren und zu erklären versuchen. Natürlich wirft das Leben der Nonne viele Fragen auf. Bis heute ist nicht eindeutig geklärt, warum genau sie sich für ein Leben als Nonne entschied und warum genau sie schließlich kurz vor ihrem Tod ihrer Leidenschaft, dem Schreiben, entsagte und sich in geradezu asketischer Weise ganz und gar Gott und der Religion hingab. Da nicht viele Berichte ihrer Zeitgenossen über sie erhalten geblieben sind und die wenigen die es gibt oft gefärbt sind (beispielsweise die des Biographen des Aguiar y Sejas, Erzbischof von México, Juanas späterem Erzfeind), bleiben uns lediglich ihre überlieferten Werke und einige autobiographische Aussagen Sor Juanas selbst, wie etwa in der Respuesta a sor Philotea, die Rückschlüsse auf ihr Leben und ihr Denken ermöglichen.

Die Methoden bei der Auseinandersetzung mit Literatur sind strittig. Wo es den einen Rezipienten und Kritikern vor allem auf das Werk eines Schriftstellers an sich ankommt, stellen andere seine Person in den Focus ihrer Untersuchungen.

So auch der deutsche Professor Ludwig Pfandl. Er befasste sich eingehend mit dem Leben und dem Schreiben der Sor Juana und ging dabei vor allem psychoanalytisch vor, was er selbst wie folgt begründet:

diese Frau ist eine dermaßen individuelle und introvertierte, an sich selbst

gebundene und auf sich selbst gestellte Persönlichkeit, daß sie aus nichts anderem

als aus ihrer eigenen leidvollen Psyche heraus erklärt und begriffen werden kann.[10]

Sein Buch „Die zehnte Muse von México/ Juana Inés de la Cruz“, in welchem er seine Untersuchungsergebnisse gebündelt hat, konnte Pfandl nicht mehr selbst veröffentlichen. Er starb am 27. Juni 1942, während des zweiten Weltkrieges. Sein Freund Hans Rheinfelder übernahm die Veröffentlichung für ihn.

Nun muss man bedenken, dass Pfandl seine Aussagen auf die, zu seiner Zeit gültigen, Erkenntnisse der Psychoanalyse stützt. Diese sind heute, gut achtzig Jahre später zum Teil natürlich veraltet. Dennoch bietet sein Buch auch heute noch reichlich Diskussionsmaterial.

Einer von Pfandls größten Kritikpunkten an Sor Juana ist ihre „Unweiblichkeit“[11], wobei er ihr immerhin anerkennt, dass sie mit „einer wahrhaft männlichen Tapferkeit gegen die Tragik ihres Schicksals ankämpft“[12]. Schon in dieser Aussage leuchten Pfandls persönliche Vorstellungen der Rollenverteilung auf. Tapferkeit ist jedenfalls nichts für Frauen, auch wenn sie hier als Kompliment gemeint ist.

Als ersten wirklichen Indiz für die Unweiblichkeit Juanas weist Pfandl darauf hin, die Nonne habe bereits als Kind den Drang gespürt, ein Mann zu sein, beispielsweise wenn sie sich als Junge verkleiden will, um die Universität besuchen zu dürfen oder wenn sie sich die Haare abschneidet, weil sie ihr Lernpensum nicht erreicht hat. Pfandl übersieht dabei scheinbar völlig die Tatsache, dass diese Männerverkleidung für Juana der einzige Weg gewesen wäre, sich weiterbilden zu können. Die vorgeschützte Männlichkeit ist hier nur Mittel zum Zweck. Außerdem finde ich es fraglich, ob man einem Kind den Vorwurf der Vermännlichung machen kann. Für Pfandl jedenfalls steht fest, dass die kleine Juana, anfänglich bloß „angetrieben von männlich gerichteter Selbsterhöhung und Selbstverklärung“[13], schließlich zur „von mühsam unterdrückter Leidenschaftlichkeit erfüllte[n] Männerfeindin“[14] mutiert.

Juanas vermeintlichen Männerhass meint Pfandl unter anderem in der Respuesta a sor Philotea herauszulesen, wenn sie etwa sagt:

Die Frauen werden allgemein für einfältig gehalten, die Männer hingegen glauben schon dadurch,

daß sie Männer sind, gescheit zu sein.“[15]

[...]


[1] Pfandl: Die zehnte Muse von Mexico, S.85

[2] Pfandl: Die zehnte Muse von Mexico, S.86

[3] Pfandl: Die zehnte Muse von Mexico, S.97

[4] Pfandl: Die zehnte Muse von Mexico, S.92

[5] Pfandl: Die zehnte Muse von Mexico, S.270

[6] Paz (1991), S. 596

[7] Paz (1991), S.121

[8] Alle biographischen Angaben habe ich den folgenden Büchern entnommen:
Paz (1991)
Pfandl: Die zehnte Muse von México
Wagner/ Laferl (2002)
Perez-Amador/ Nowotnik (1992)

[9] Pfandl: Die zehnte Muse von México, S.95

[10] Pfandl: Die zehnte Muse von México, S.99

[11] Pfandl: Die zehnte Muse von México, S.95

[12] Pfandl: Die zehnte Muse von México, S.92

[13] Pfandl: Die zehnte Muse von México, S.97

[14] Pfandl: Die zehnte Muse von México, S.98

[15] Pfandl: Die zehnte Muse von México, S.99

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Sor Juana Inés de la Cruz - Genie mit Affinität zum Wahnsinn
Hochschule
Universität Siegen
Note
2,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
23
Katalognummer
V83691
ISBN (eBook)
9783638908900
ISBN (Buch)
9783638908955
Dateigröße
615 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Juana, Inés, Cruz, Genie, Affinität, Wahnsinn
Arbeit zitieren
Christine Mewes (Autor:in), 2006, Sor Juana Inés de la Cruz - Genie mit Affinität zum Wahnsinn, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83691

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