Der Zustand der öffentlichen Freiheit - Die Aktualität eines Begriffs von Hannah Arendt


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

24 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


I N H A L T S V E R Z E I C H N I S

1 Einleitung

2 Der Begriff der öffentlichen Freiheit bei Hannah Arendt
2.1 Die Ein- und Abgrenzung des Freiheitsbegriffs
2.2 Öffentliche Freiheit versus Verfassungsstaat
2.3 Die mangelnde Manifestierung
2.4 Die Lösung: Das Rätesystem

3 Die öffentliche Freiheit in modernen Verfassungsstaaten
3.1 Die Rolle des Verfassungsgerichts
3.2 Kapitalismus versus öffentliche Freiheit
3.3 Die Schwierigkeiten des Rätesystems
3.4 Öffentliche Freiheit trotz Repräsentation?

4 Schlussbetrachtung

5 Q U E L L E N U N D L I T E R A T U R

1 Einleitung

„ [..] sie hat das Wesen der Staatsgründung, das Wesen des freien Verfassungslebens, das Wesen der Revolution zu erkennen, in Begriffe zu fassen, der Wirrnis der Geschichte und dem Labyrinth der Erfahrungen zu entreißen unternommen – und sie ist Philosophin geblieben. Das ungefähr ist es, was ihr vor allem verdankt wird. Ihr Name bezeichnet eine ebenso radikale wie originale Erneuerung der politischen Philosophie, nämlich des Begriffs, der Vorstellung, des Ethos und des Pathos des Politischen.“[1] Zu dieser Einschätzung kommt Dolf Sternberger bei der Würdigung des Gesamtwerkes von Hannah Arendt – und trifft damit wohl den Kern der Sache. Arendt schuf einen völlig neuen Begriff vom Sinn der Politik, der sich klar von allem bis dahin Gewesenen absetzte. Dementsprechend sieht sie das Politische nicht vor dem Hintergrund einer wie auch immer gearteten Verteilung und Ausübung von Machtressourcen, sondern in erster Linie als die Handlung des Einzelnen als solches. Darin wiederum, und nur darin, liegt ihrer Einschätzung eben jene Freiheit begründet, die das im Leben Erstrebenswerte im Kern enthält – also in einer Beteiligung eines jeden Bürgers an öffentlichen Angelegenheiten seines Staates. Dabei setzt sie sich nicht nur vom konventionellen Politikbegriff ab, sondern auch vom althergebrachten Verständnis von Freiheit, welche sie in zwei verschiedene Arten kategorisiert. Sie unterscheidet in diesem Zuge zwischen negativer und positiver, in näherem Sinne „öffentlicher“ Freiheit. Da der Grundsatz der Freiheit ohnehin in der gesamten Menschheitsgeschichte etwas zentral Erstrebenswertes darzustellen scheint, lohnt es sich, einen detaillierten Blick auf Hannah Arendts Verständnis davon zu werfen.

Arendt behandelt diese Begriffe im Kontext ihres Werkes „Über die Revolution“[2], indem sie sich vordergründig mit dem Vergleich zwischen den beiden großen, aufgrund der erfolgten Geschehnisse für die Nachwelt maßgeblichen Revolutionen des 18. Jahrhunderts – der Französischen und der Amerikanischen – auseinandersetzt und so ihren Freiheitsbegriff entwickelt. Mit selbigem befasst sich auch diese Arbeit. Unter welchen Bedingungen Hannah Arendts Konzept der öffentlichen Freiheit unter den Gegebenheiten der Gegenwart zu verorten ist, soll dabei die übergeordnete Fragestellung der folgenden Abhandlung sein. Inwieweit ist dieses Konzept als solches oder Teile davon verwirklicht? Und ist es generell überhaupt soweit tragbar, dass es möglich wäre, es in die Realität umzusetzen? Kann es Kriterium und Maßstab für moderne Politik darstellen? Mit welchen Widersprüchen ist es konfrontiert?

Dazu ist es grundlegend notwendig, sich mit dem Kern des Arendtschen Freiheitsbegriffs auseinanderzusetzen und ihn soweit zu erfassen und darzustellen, dass oben genannte Fragen den ausreichenden Hintergrund vorfinden. Da sich Arendts Abhandlung auf weit mehr erstreckt als nur die Behandlung des Begriffs der Freiheit, selbiger aber die Grundessenz dieser Arbeit darstellt, geschieht das vergleichsweise ausführlich im zweiten Kapitel, zunächst durch die Ein- und Abgrenzung des Freiheitsbegriffs. Danach wird auf sein Verhältnis zum modernen Verfassungsstaat und auf Arendts Kritik seiner mangelnden Manifestierung Bezug genommen, bevor näher auf die von ihr vorgeschlagene Lösung zur Beseitigung dieses Missstandes, der Einführung des Rätesystems einzugehen ist. Der dritte Abschnitt befasst sich mit den Komponenten von modernen Ordnungen, die mit dem Begriff der öffentlichen Freiheit im Sinne Hannah Arendts mittelbar oder unmittelbar in Zusammenhang stehen. Entsprechend seien dies die Verfassungsgerichte in repräsentativen Demokratien und der grundsätzliche Widerspruch zwischen einem kapitalistischen Wirtschaftssystem und Arendts Freiheit. Außerdem kommt eine Auseinandersetzung mit der von ihr vorgeschlagenen Lösung in Form des Rätesystems zur Sprache, bevor letztendlich nochmals intensiver auf die allgemeinen Bedingungen für die öffentliche Freiheit und im Näheren für politische Partizipation in modernen demokratischen Verfassungsstaaten eingegangen wird.

In erster Linie werden für die Analyse der zu behandelnden Thematik neben dem Hauptbezugspunkt des Arendt-Werkes „Über die Revolution“ vor allem die Arbeit von Vorländer[3] hinsichtlich der Auseinandersetzung mit den Verfassungsgerichten, das Werk von Kriele[4] im Kontext der Behandlung des Rätesystems sowie die von der Bertelsmann Stiftung[5] herausgegebene Abhandlung unter dem Gesichtspunkt politischer Partizipation herangezogen.

2 Der Begriff der öffentlichen Freiheit bei Hannah Arendt

2.1 Die Ein- und Abgrenzung des Freiheitsbegriffs

Grundlegend ist für Hannah Arendt die Unterscheidung zwischen „negativer“ und „positiver“, im eigentlichen Sinne „öffentlicher“ Freiheit[6], wobei mit negativer Freiheit lediglich die Befreiung von verschiedenen Sachzwängen gemeint ist: „Daß Befreiung und Freiheit nicht dasselbe sind, daß Freiheit zwar ohne Befreitsein nicht möglich, aber niemals das selbstverständliche Resultat der Befreiung ist, daß der Freiheitsbegriff, der der Befreiung eigen ist, notwendigerweise nur negativ ist, und dass also die Sehnsucht nach Befreiung keineswegs identisch ist mit dem Willen zur Freiheit“[7], kann als die Grundessenz des Arendtschen Freiheitsbegriffs bezeichnet werden. So hätte es in der Menschheitsgeschichte sehr häufig Befreiungskämpfe, aber nur sehr selten wirkliche Versuche gegeben, die Freiheit zu gründen – wobei hier anzumerken sei, dass es gerade in der langen Zeit zwischen dem Untergang der antiken und der Geburt der neuzeitlichen Welt politische Freiheit nicht gegeben hat, weshalb sich die Menschen in dieser Spanne für derlei Dinge auch nicht interessiert hätten. Als politische Freiheit verstand man also nicht in erster Linie ein politisches Phänomen, sondern die bloße Garantie des Staates, nicht-politische Betätigungen zu erlauben und einzurahmen. Als Recht auf Freiheit galt vor allem ein „Frei-sein-von“, die Sicherung gegen jeden ungesetzlichen Zwang. Demnach bilden beispielsweise Bewegungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Redefreiheit, Religionsfreiheit, Pressefreiheit oder das Recht auf Eigentum negative Freiheiten. „Alle diese Freiheiten, denen wir ruhig noch die Rooseveltschen Freiheiten von Hunger und Furcht zugesellen können, sind ihrem Wesen nach negativ; sie sind Resultate der Befreiung aus verschiedensten Arten der Knechtschaft und enthalten keineswegs den eigentlichen, positiven Gehalt dessen, was Freiheit nun wirklich ist.“[8] Dieses Befreitsein allerdings stelle die wesentlichste Bedingung für die Freiheit selbst dar – dabei sei oft nur schwer auszumachen, wo das reine Bestreben zum Befreitsein aufhört und der Wille zur Freiheit als einem „positiven Lebensmodus“ beginnt. Die negative Freiheit ist Arendt zufolge ausschließlich passiver Natur und somit beispielsweise auch in einer konstitutionellen Monarchie möglich.

Die Idee der öffentlichen und damit positiven Freiheit sei unmittelbar mit der Erfahrung eines Neuanfangs verknüpft und daher entscheidend für das Verständnis der modernen Revolutionen. Der Wille zu dieser Freiheit muss deshalb zwangsläufig in der Konstitution einer Republik enden. Charakteristisch wäre dabei ein leidenschaftliches Interesse an Staatsformen – so aufgetreten in der Amerikanischen Revolution und den Anfangsstadien der Französischen Revolution; ganz im Gegensatz zu den Revolutionen des 20. Jahrhunderts – und eine Erfahrung des „Handelns“ und des „Gründens“. Kerngedanke und Ziel einer erfolgreichen Revolution und allen menschlichen Handelns müsse die Gründung der öffentlichen Freiheit und die Erschaffung dauerhafter Institutionen sein, wobei der öffentliche Raum in einer Republik generell nur durch einen Meinungsaustausch zwischen Gleichen gebildet werden könne. Dabei sei es keinesfalls wichtig, mit der öffentlichen Meinung übereinzustimmen – die Herrschaft der öffentlichen Meinung war für Arendt eine Form der Tyrannei; vielmehr sei das Volk mit einer Pluralität von Stimmen und Interessen zu identifizieren.

Hannah Arendt verdeutlicht dies an den Beteiligten der Amerikanischen Revolution, die besagte Grundsätze ihrer Einschätzung nach verinnerlicht und verwirklicht hatten: „ [..] öffentliche Freiheit [besteht] in der unmittelbaren Anteilnahme an einem öffentlichen Leben und daß die öffentlichen Angelegenheiten, in denen sie tätig waren und die einen nicht unwesentlichen Teil ihrer Lebenszeit beanspruchten, ihnen keine Last bedeuteten, sondern im Gegenteil ein Gefühl innerer Befriedigung verschafften, das sie in keiner rein privaten Beschäftigung zu finden vermochten.“[9] Die amerikanischen Revolutionäre wären dementsprechend nicht nur der Pflicht gehorchend zu öffentlichen Versammlungen gekommen oder nur, um ihre Interessen zu vertreten, sondern weil ihnen Beratungen, Debatten und Entschlussfassungen per se Freude bereitet hätten. Es wäre ihnen – bereits vor der Revolution – bewusst gewesen, „daß ihr Glück im Leben nicht vollkommen war, wenn es nur in einem von Glück beseelten Privatleben bestand.“[10]

Als essentielle Bedingung für die Errichtung der öffentlichen Freiheit nennt Arendt die Nichtexistenz der „sozialen Frage“, wie das in Amerika der Fall gewesen wäre. Dort hätte es zwar auch Armut gegeben, aber kein Massenelend und keinen Hunger wie in Frankreich; die Armut wäre in Amerika in diesem Kontext kein soziales, sondern ein politisches Problem gewesen. Aus der sozialen Frage nämlich ergebe sich in einer Revolution zwangsläufig die Prämisse der Notwendigkeit.

Die öffentliche Freiheit wird zur negativen reduziert, da sich das Augenmerk der Betroffenen aufgrund der körperlichen Nöte kaum auf mehr richten würde als auf die Freiheit, ihre Repräsentanten zu wählen.[11]

[...]


[1] Sternberger, Dolf (1979): Die versunkene Stadt. Über Hannah Arendts Idee der Politik, in: Reif, Adalbert (Hrsg.): Hannah Arendt. Materialien zu ihrem Werk, Wien, S. 109f.

[2] Arendt, Hannah (1963): Über die Revolution, München.

[3] Vorländer, Hans (2006): Deutungsmacht – Die Macht der Verfassungsgerichtsbarkeit, in: ders. (Hrsg.): Die Deutungsmacht der Verfassungsgerichtsbarkeit, Wiesbaden, S. 9-33.

[4] Kriele, Martin (1994): Einführung in die Staatslehre. Die geschichtlichen Legitimitätsgrundlagen des demokratischen Verfassungsstaates, Opladen.

[5] Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) (2004): Politische Partizipation in Deutschland. Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage, Bonn.

[6] Arendt verwendet beide Begriffe, sowohl „positive Freiheit“ als auch „öffentliche Freiheit“. Diese sind synonym zu betrachten. Der Einfachheit halber wird in der Folge dieser Arbeit in der Regel der Begriff der „öffentlichen Freiheit“ verwendet. Da sich die Darstellungen in Kapitel 1 ausschließlich auf ihr Werk „Über die Revolution“ beziehen, wird hier – von Zitaten abgesehen – aus nahe liegenden Gründen der Übersichtlichkeit auf die Ortsangabe der jeweiligen Sachverhalte verzichtet.

[7] Arendt (1963), S. 34f.

[8] Ebenda, S. 38.

[9] Ebenda, S. 152.

[10] Ebenda, S. 164.

[11] Hierbei erkennt Arendt allerdings, dass die Sichtweise des Fehlens der sozialen Frage in Amerika in dieser Form nur möglich ist, wenn das „furchtbare und furchtbar erniedrigende Elend“ (S. 89) der schwarzen Sklaven ausgeblendet wird. Auch sie selbst geht in ihren Ausführungen kaum auf jene Problematik ein, obwohl dabei eine menschenrechtlich sehr relevante Frage eingeschlossen wird; lediglich die Nicht-Relevanz des Themas für die Zeitgenossen der Amerikanischen Revolution erlaubt dies.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Der Zustand der öffentlichen Freiheit - Die Aktualität eines Begriffs von Hannah Arendt
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Hannah Arendt und die Frage nach der Politik
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
24
Katalognummer
V83670
ISBN (eBook)
9783638908634
ISBN (Buch)
9783638908665
Dateigröße
483 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Zustand, Freiheit, Aktualität, Begriffs, Hannah, Arendt, Hannah, Arendt, Frage, Politik
Arbeit zitieren
Jens Wittig (Autor:in), 2007, Der Zustand der öffentlichen Freiheit - Die Aktualität eines Begriffs von Hannah Arendt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83670

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