Moscheen in Deutschland. Eine Diskursanalyse zum regional-kulturellen Milieu


Examensarbeit, 2007

96 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

Abkürzungsverzeichnis

Arabische Begriffe

Abbildungen

Tabellen

1 Einleitung

2 Methodische Begründung
2.1 Diskursanalytischer Sprachschatz
2.2 Die Diskursforschung
2.2.1 Discourse Analysis
2.2.2 Critical Discourse Analysis
2.2.3 Kritische Diskursanalyse
2.2.4 Kulturalistische Diskursforschung
2.3 Wissenssoziologische Diskursforschung

3 Perspektiven auf den Islam als Religion
3.1 Die Mannigfaltigkeit des Islam
3.2 Der Islam im heutigen Europa
3.3 Der Islam in Deutschland
3.4 Der Islam im deutschen Medienkontext

4 Das Entstehen von Zugehörigkeiten – die Konstruktion einer Kultur
4.1 Die Konstruktion einer „deutschen“ Kultur?
4.2 Was bedeutet Integration in Deutschland?

5 Die Ahmadiyya Muslim Jamaat im Eigen- und im Fremdbild
5.1 Im Selbstbild
5.2 Im Fremdbild

6 Analyse des Datenkorpus
6.1 Das Untersuchungsobjekt
6.2 Die Erstellung des Datenkorpus
6.3 Datenauswahl zur Feinanalyse
6.4 Ermittlung der Diskursformationen
6.5 Kodierungen der Diskursformationen
6.5.1 Ein Angebot zum Gespräch – Zwischen Befürwortern und Gegnern
6.5.2 Die Ipahb, ihre Stellung und ihre diskursiven Praktiken
6.5.3 Die Ahmadiyya – Zwischen Selbstpositionierung und Fremdpositionierung
6.5.4 Der Stein des Anstoßes – Dispositiv zwischen den Fronten
6.5.5 Recht bleibt Recht – Die Rechtschaffenheit der Institutionen
6.5.6 Über allem wacht die Politik – Das Handeln der politischen Akteure
6.5.7 „Weltoffenheit und Toleranz“ – Der Versuch einer Konstruktion eines Stadtteilimages

7 Analyse des Interviews mit Joachim Swietlik
7.1 Kodes innerhalb des Interviews
7.1.1 Europäisierung der deutschen Kultur
7.1.2 Integration – Nicht für alle geeignet?
7.1.3 Der Islam – Wurzel allen Übels?

8 Fenster der Beobachtung – Das Interpretationsrepertoire
8.1 Dialog der Kulturen
8.2 Konstruktion einer Kultur
8.3 Integrationspolitik
8.4 Das diskursive Feld als graphisches Ensemble

9 Zusammenfassung und Ausblick

Anhang

Literatur

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Arabische Begriffe

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungen

Abbildung 1: Glaubensrichtungen des Islam

Abbildung 2: Die drei Säulen der konzeptorientierten Integrationspolitik

Abbildung 3: Heinersdorf aus der Luft, mit Moscheebauplatz

Abbildung 4: Anzahl der Berichterstattungen in Abhängigkeit der Monate

Abbildung 5: Angewendetes Untersuchungsdesign

Abbildung 6: Graphische Darstellung des diskursiven Feldes

Tabellen

Tabelle 1: Übersicht der größten Islamischen Verbände in Deutschland

Tabelle 2: Überblick über die Begriffe der Diskursforschung

Tabelle 3: Überblick über die Diskursformationen und deren Datenumfang

Tabelle 4: Abstraktion der Fenster der Beobachtung

1 Einleitung

„Die Moschee ist das einigende Band für alle Muslime und repräsentiert nach außen Macht, Stärke und Selbstbewusstsein des Islam. Das gilt auch – und gerade – für die Gebetshäuser in den nicht-arabischen Ländern,[...].“ (Ulfkotte 2004:103).

Durch die Geschehnisse im September 2001, haben sich weltweit die Beziehungen zwischen der islamischen und der westlichen Kultur verändert. Nach dem „Ende der Geschichte“ (Fukuyma 1992) und dem „Kampf der Kulturen“ (Huntington 1996) lässt sich in Europa und in Deutschland eine Stimmungswandlung, erkennen die in Broder`s „Hurra, wir kapitulieren! Von der Lust am Einknicken“ eindringlich, ironisch und traurig dargestellt wird. In diesem Buch wird die Appeasement-Politik Europas, und damit auch die Deutschlands, analysiert.

Hinter diesen Titeln lässt sich ein Aspekt erkennen, der allen zusammen zu Grunde liegt: das Problem des Zusammenlebens verschiedener Kulturen und der damit verbundenen Debatte um Integration.

Die Muslime bilden in Deutschland die drittgrößte Religionsgemeinschaft hinter der Römisch-Katholischen und der Evangelischen Religionsgemeinschaft (Henkel 2006:10). Durch das zugesicherte Recht der freien Religionsausübung ist es allen Religionsgemeinschaften möglich Gebetsräume, Gebetshäuser zu errichten. Ihnen wird dadurch das Recht eingeräumt repräsentative Bauten zu errichten. Einziger limitierender Faktor ist, dass der Bau im Verhältnis zur Größe der Religionsgemeinschaft stehen muss. Doch gerade diese repräsentativen Bauwerke werden mit Bedeutungen überladen und werden so zum Objekt eines Diskurses über Integration, Parallelwelten und Terrorismus.

In dieser Arbeit soll versucht werden ein diskursives Feld, einen Teilbereich eines Diskurses, genauer zu betrachten. Es handelt sich hierbei um einen Konflikt zu einem geplanten und mittlerweile begonnenen Moscheeneubau in Berlin Pankow/Heinersdorf. Das Besondere an diesem Konflikt ist der Umstand, dass es sich hierbei um die erste Moschee in Ostdeutschland handelt, was zu einer verstärkten symbolischen Aufladung führt. Aussagen wie „Landnahme“ (Pletl 2007) oder die Deutung des Moscheebaus als ‚Vorposten des Islam’ führen zu einer bedrohlichen Aufladung eines einfachen steinernen Gebäudes.

Gerade in einer Zeit, in der der Verdacht erhoben wird, dass in den Religionshäusern des Islam Hetzkampagnen gegen westlich geprägte Kulturen stattfinden, bedarf es eines bewussten Umgangs mit den verschiedenen symbolischen Aufladungen. Ein Generalverdacht gegen alle Muslime wäre sicherlich der falsche Weg.

Doch wie kommt es überhaupt zu solchen symbolischen Aufladungen? Wie entwickeln sich diese Fremdzuweisungen und Fremdpositionierungen? Wie entwickeln wir dabei unsere Kultur, kulturelle Identität und welche Rolle spielt dabei der Dialog der Kulturen?

Um diese Fragen wissenschaftlich beantworten zu können, lohnt sich ein Blick auf die Diskursforschung, die einen interpretativen Zugang zu den eben gestellten Fragen anbietet. Die Diskursforschung kann dabei nicht als ein standardisiertes Untersuchungsschema aufgefasst werden. Die verschiedenen Ansätze innerhalb der Diskursforschungen sind Gegenstand des zweiten Kapitels.

Um ein gewisses Maß an Hintergrundwissen bereitzustellen, wird in Kapitel drei auf den Islam, seine Entwicklung und seine heutige Ausprägung in Europa und Deutschland eingegangen. Es werden Verbindungen zwischen dem Orient und dem Okzident aufgezeigt, die weit in die Vergangenheit zurückreichen. Die Betrachtung des Islam in Deutschland soll verhindern, dass er als ein homogenes Konstrukt wahrgenommen wird.

Diese Konstruktion bezieht sich jedoch nicht nur auf den Islam als Kultur/Religion, sondern sie bezieht sich auf alle Kulturen. Wie eine solche Konstruktion im theoretischen Rahmen funktionieren kann, wird in Kapitel vier näher betrachtet.

Kapitel fünf bildet den Übergang zwischen einer theoretischen Einführung und einem praktischen Abschluss dieser Arbeit.

Im zweiten Teil der Arbeit wird die empirische Vorgehensweise dargelegt. Es handelt sich dabei um eine Untersuchung, die auf der Analyse bestimmter Zeitungsartikel und eines Interviews basiert.

Zum Abschluss soll ein kurzer Ausblick gegeben werden, inwieweit die Konstruktion unserer Kultur eine Chance, aber auch eine Gefahr, darstellen kann, den Dialog der Kulturen sinnvoll zu erhalten oder aber aus einem Dialog einen vermeintlichen „Kampf der Kulturen“ zu initiieren.

2 Methodische Begründung

Im folgenden Abschnitt soll die Vorgehensweise innerhalb der Diskursforschung betrachtet werden. Es soll dabei aufgezeigt werden, dass die Diskursforschung kein einheitliches Forschungsfeld darstellt. Innerhalb dieses Forschungsgebietes gibt es je nach Forschungsinteresse und Fragestellung unterschiedliche Ansätze, die sich bis in die theoretischen Grundlagen differenzieren (vgl. Keller 2007, Reuber & Pfaffenbach 2005).

2.1 Diskursanalytischer Sprachschatz

Innerhalb der Diskursforschung gibt es einen eigenen Sprachschatz, mit dessen Hilfe eine eigene Wirklichkeit konstruiert wird. Einen Überblick über diesen Sprachschatz soll Tabelle 2 geben.

Tabelle 2: Überblick über die Begriffe der Diskursforschung

(Quelle: verändert nach Keller 2007:64f)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.2 Die Diskursforschung

Die Diskursforschung entstammt den Sozialwissenschaften und versucht die „gesellschaftliche Bedeutung von Wissen und symbolischen Ordnungen“ (Keller 2007:7) zu rekonstruieren. Der Begriff des Diskurses kann dabei nicht beliebig eingesetzt werden. Eine Verwendung dieses Begriffes impliziert immer eine konkrete Perspektive auf die Konstruktion und Konstitution der Welt (Keller 2007:7), denn der konkrete gesellschaftliche Zeichengebrauch, die Sprache, ist es, die „den Raum“ (Reuber & Pfaffenbach 2005:198) zu dem macht, für den wir ihn gemeinhin halten. Die Diskursanalyse betont, „dass im praktischen Zeichengebrauch der Bedeutungsgehalt von Phänomenen sozial konstruiert und diese damit in ihrer gesellschaftlichen Realität konstituiert werden“ (Keller 2007:8, vgl. Reuber & Pfaffenbach 2005:199). Damit wird auch deutlich, dass nichts per se gegeben ist, sondern vielmehr das Ergebnis eines „aktiv-interpretierenden Umgangs sozialer Akteure“ (Keller 2007:9) ist. Die Diskursanalyse ermöglicht einen interpretativen Zugang zur Wirklichkeit.

In der Fachliteratur lassen sich zahlreiche Ansätze zur Diskursanalyse finden. Diese unterscheiden sich unter anderem in der Bezugsebene, im Verständnis über den Diskurs selbst oder aber in der Frage nach dem handelnden Subjekt.

Im Folgenden sollen die wichtigsten diskurstheoretischen Ansätze kurz dargestellt werden. Die Ausführungen konzentrieren sich dabei auf Keller (2007), da dies die aktuellste Aufschlüsselung der diskurstheoretischen Ansätze darstellt.

2.2.1 Discourse Analysis

Unter dem Begriff der „discourse analysis“ (Keller 2007:20) wird eine Sammlung verschiedenster Inhalte verstanden. Diese reichen von linguistischen Analysen bis hin zur psychologischen Perspektive auf Kommunikationsprozesse. Die Inhalte hinter diesem Begriff begleitet das Manko der Kontextlosigkeit. Der Rahmen einer solchen Diskursanalyse wird durch die Forschungsfrage bestimmt. Zentrum der Analyse ist hier die Frage nach dem Subjekt, wie, warum und wann es Sprache gebraucht (Keller 2007:20).

2.2.2 Critical Discourse Analysis

Die „Critical Discourse“ (Keller 2007:26) versucht eine Verknüpfung aus linguistischen und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen zu konstruieren. Das Prädikat „critical“ beruht dabei auf dem Anspruch durch Praxiskritik Verbesserungen zu erreichen. Damit ist auch der Unterschied zur „discourse analysis“ erkennbar. Während sich erstere auf die Kognitionsforschung stützt, gilt für zweitere eine sozialtheoretische und kollektive Wissensordnung als Basis (Keller 2007:26). Die Diskurse konstituieren nach dieser Auffassung die Welt und werden rückwirkend durch die Welt konstituiert, „sie (re-) produzieren und transformieren die Gesellschaft; sie leisten die Konstruktion sozialer Identitäten, die Herstellung sozialer Beziehungen zwischen Personen und die Konstruktion von Wissens- und Glaubenssystemen“ (Keller 2007:28). Im Mittelpunkt der „critical discourse analysis“ steht der Text. Er kann in schriftlicher, bildlicher oder akustischer Version vorliegen. Dieser Datenkern wird anschließend auf Form, Bedeutung, Vokabular, strategischen Sprachgebrauch und Verschiedenes mehr untersucht. Dabei wird auch auf den Kontext des Textes, die Textproduktion, -verarbeitung und -konsumtion eingegangen (Keller 2007:29).

2.2.3 Kritische Diskursanalyse

Für den deutschen Sprachraum wurde die „kritische Diskursanalyse“ (Keller 2007:31) entwickelt. Der grundlegende Unterschied zur „critical discourse analysis“ liegt in der theoretischen Basis. Diese Grundlage beruht „auf den Arbeiten von Michel Foucault, deren Rezeption und Weiterführung durch Jürgen Link (2006) und der marxistisch-psychologischen Tätigkeitstheorie von A. N. Leontjew“ (Keller 2007:31) stattfand. Im Kern der „kritischen Diskursanalyse“ steht die Untersuchung der Beziehungen zwischen verschiedenen Diskursen (Keller 2007:31).

2.2.4 Kulturalistische Diskursforschung

Als kulturalistische Diskursforschung bezeichnet Keller (2007:34) all jene Diskursanalysen, die die gesellschaftliche Bedeutung von Symbolen analysieren, denn die symbolischen Ordnungen werden in Diskursprozessen von sozialen Akteuren ausgehandelt. Damit wird der Einzigartigkeit der sozialen Akteure entsprochen und ihre Leistungen werden bei der Konstruktion und Rekonstruktion der symbolischen Ordnungen hervorgehoben (Keller 2007:34f).

2.3 Wissenssoziologische Diskursforschung

Als letzter und vielleicht entscheidender Ansatz für diese Arbeit soll hier die „Wissenssoziologische Diskursanalyse“ (Keller 2007:56) vorgestellt werden. Diese verbindet die kulturalistischen Ansätze mit verschiedenen Diskurstheorien, besonders mit derjenigen von Michel Foucault (In: Keller 2007:42-52). Basis dieser Verbindung ist die Annahme, dass alles Wissen sozial und damit diskursiv konstruiert ist und sich die Welt für uns nicht per se erschließt. Ziel der „wissenssoziologischen Diskursanalyse“ ist es nun diese sozialen Produktionspraktiken zu rekonstruieren und die Auswirkungen dieser Prozesse zu untersuchen. Die Analyse erfolgt dabei auf verschiedenen Ebenen/Feldern, wie zum Beispiel in den Feldern der Wissenschaften, der alltäglichen Praktiken oder der Politik. Ein Diskurs kann dabei analytisch abgegrenzt werden und ist in eine diskursive Gesamtstruktur eingebettet, die eine strukturelle Basis vorgibt, dabei aber durch den Diskurs selbst transformiert wird (Keller 2007:57-59). Die „wissenssoziologische Diskursforschung“ versteht Texte somit nicht als subjektive oder objektive Strukturen. Sie sind vielmehr das materialisierte Ergebnis einer „gesellschaftlichen Wissensordnung“ (Keller 2007:74).

Für die hier vorliegende Arbeit stellt dieser diskursanalytische Ansatz die Orientierungsgrundlage dar, da sie sowohl handelnde Subjekte beinhaltet als auch die historischen und gesellschaftlichen Kontexte der Diskurse beachtet. Es kann sich nur um eine Orientierungsgrundlage handeln, da die Methodik der Diskursanalyse auf jeden Forschungsfall angepasst werden muss und eine Suche nach dem berühmten „Schema F“ ins Leere laufen würde.

3 Perspektiven auf den Islam als Religion

Der Islam stellt, genau wie das Christentum, kein homogenes Konstrukt dar. Er ist in zahlreiche Glaubensrichtungen gespalten, die jede für sich eine eigene Auslegung des Korans und seiner heiligen Propheten praktizieren.

3.1 Die Mannigfaltigkeit des Islam

Wer den Islam als eine homogene Glaubensrichtung sieht, verkennt die historische Entwicklung dieser Religion. Die ersten Ursprünge des Islam lassen sich in das Jahr 622 n.Chr. zurückverfolgen (Krämer 2005:21). Dieses Jahr ist das erste Jahr der islamischen Zeitrechnung. Auslösendes Ereignis war die Flucht Muhammads aus Mekka nach Medina. Aber warum war diese Flucht so bedeutungsvoll?

Muhammad war ein reisender Geschäftsmann in einer Zeit, in der die arabische Gesellschaft durch Polytheismus der einzelnen Stämme geprägt war. Durch seine Reisen konnte Muhammad die verschiedenen Glaubensrichtungen kennen lernen, bis er im Jahr 610 n. Chr. eine Offenbarung durch Gott erhielt und zum Propheten berufen wurde, der die Worte des Korans verkünden sollte. In der Folgezeit trat Muhammad in Mekka als Moralprediger und Reformator auf und versuchte die Menschen von seiner Offenbarung zu überzeugen. Er traf jedoch auf immer stärker werdenden Widerstand und musste schließlich aus Mekka fliehen.

In Medina fand Muhammad eine Zufluchtsstelle, in der mehrere Clans und Stämme lebten. Unter ihnen befanden sich auch jüdische Clans, denen die monotheistischen Vorstellungen Muhammads nicht fremd waren. Unter den Clans und Stämmen gab es zahlreiche Fehden und Muhammad trat als Schlichter auf und konnte recht schnell die Clans unter sich einigen und von seiner Offenbarung überzeugen, mit Ausnahme der jüdischen Clans. Somit trat Muhammad nicht nur als religiöser Führer auf, sondern auch als Politiker! Nachdem die Juden Muhammad nicht als Propheten anerkannten, begann ein offener gewaltsamer Konflikt zwischen den Anhängern des Islam und den Juden in Medina. Grund dafür war unter anderem, dass Muhammad das Judentum und das Christentum als verfälschende Nachzöglinge des ursprünglich-reinen Islams wertete (Krämer 2005:21-23).

Von Medina aus führte Muhammad seinen Kampf gegen die Gegner des Islam fort und konnte im Jahre 630 n.Chr. Mekka erobern und den Islam als alleinige Religion in ganz Arabien durchsetzen (Grabner-Haider & Prenner 2004:121).

Mit dem Tod Muhammads 632 n.Chr. (Krämer 2005:25) begann die Frage nach seinen rechtlichen Nachfolgern, was zur großen Spaltung des Islam führte. Während die Schiiten sich für Ali, den Vetter und Schwiegersohn Muhammads, entschieden, verfolgten die Sunniten das Prinzip des Kalifats (Grabner-Haider & Prenner 2004:122). Als Kalif gilt eine gewählte Person aus der Umma, der islamischen Gemeinde (Metzger 2002:4).

Zwischen beiden Richtungen entbrannten erbitterte Kämpfe um die legitime Nachfolge des Propheten, bei denen die Sunniten als Gewinner hervorgingen. Während die Sunniten als fast geschlossene Mehrheit auftreten, sind die Schiiten in verschiedene Gemeinschaften gespalten (Grabner-Haider & Prenner 2004:122). Einen Überblick über die verschiedenen Richtungen und Gemeinschaften des Islam gibt Abbildung 1.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Glaubensrichtungen des Islam (Quelle: Metzger 2005:4)

Wie in Abbildung 1 zu erkennen ist, haben sich innerhalb der sunnitischen Glaubensrichtung einige Reformsekten herausgebildet. Zu diesen zählen die Wahabiten, die Senussi und die Ahmadiyya. Die Ahmadiyya sollen im Laufe dieser Arbeit noch genauer betrachtet werden.

3.2 Der Islam im heutigen Europa

In Westeuropa leben heute schätzungsweise 15 Mio. Muslime (Golz 2005:2). Dabei halten sich die meisten Muslime in Frankreich und den Niederlanden auf (Landman 2005:562). In Deutschland leben davon lediglich ca. 3,5 Mio. Muslime (Golz 2005:2).

Augenfälligstes Merkmal der wachsenden muslimischen Bevölkerung im vergangenen Jahrhundert war die Errichtung von Gebetshäusern, den Moscheen. Sie sollten den Bedarf und die Kontinuität an religiösen Traditionen befriedigen und waren damit auch Ausdruck der neuen Zukunftsperspektive vieler Muslime, die nun in Europa leben wollten. Für das Jahr 2000 werden zwischen 3500 und 4000 Moscheen, überwiegend provisorische Moscheen in Wohnhäusern und Hinterhöfen, gezählt (Landman 2005:563).

Innerhalb des Islam gibt es heute wieder zahlreiche Konflikte um die Erneuerung bzw. die Erhaltung des ursprünglichen Glaubens. Besonders die Muslime, die in der dritten oder vierten Generation in Europa leben, haben sich den europäischen Umständen angepasst und in Dublin den „Conceil Européen de la fatwa et la Recherche“ gegründet, der sich um die Probleme der Muslime in der westliche Welt kümmert (Roy 2006:7). Man ist in einem Prozess, in dem man seine Religion umformuliert „und zwar außerhalb einer Kultur, in der man sich nicht mehr wieder erkennt,...“ (Roy 2006:7).

Genau an diesem Punkt sollte ein wichtiger Aspekt eingegliedert werden. Es ist im heutigen Diskurs zwingend notwendig einen Unterschied zu treffen zwischen Muslimen und Islamisten. Der gewichtigste Unterschied zwischen beiden Gruppen ist die Interpretation der heiligen Schrift, des Korans. Während die Muslime einen traditionell gewachsenen Islam in der jeweiligen Region akzeptieren und praktizieren, versteifen sich die Islamisten auf die wortwörtliche Auslegung des Korans und sehen diesen gleichzeitig als Ideologie an (Metzger 2002:8). Ein solches Beispiel aus Deutschland stellt der Fall Metin Kaplan, welcher in Köln einen Kalifatstaat führte und öffentlich zum Mord an Widersachern aufrief (Spalink 2007), dar.

Es ist zur islamischen Entwicklung in Europa zurückzukehren. Die meisten Moscheen und verschiedenen muslimischen Einrichtungen entwickelten sich zunehmend zu Zentren ihrer kulturellen Aktivitäten. Neben den Gebeten und dem Koranunterricht werden in vielen Moscheen Sprachkurse und Computerkurse gegeben. Somit muss zwischen rein religiösen und gesellschaftlichen Moscheen unterschieden werden (Landman 2005:564).

Neben den offensichtlichsten Merkmalen der Konstruktion einer islamischen Kultur in Europa gibt es zahlreiche weniger direkt ersichtliche Merkmale dieser kulturellen Konstruktion. Zu diesen zählen verschiedene Initiativen, wie islamischer Unterricht, Dienstleistungen im Bereich der Ernährung (rituelle Schlachtung von Tieren), Beerdigungen und Zahlungsverkehr (Zinsverbot durch den Koran). Des Weiteren entwickelten sich Ende des letzten Jahrhunderts mehrere islamische Medien (z.B. Verlag der Islam) (Landman 2005:564-566).

3.3 Der Islam in Deutschland

Im Folgenden möchte ich nun die Entwicklung des Islam in Deutschland genauer betrachten.

Auffallendes Merkmal in Deutschland ist nach Landman (2005:587) die seit Jahrzehnten anhaltende Diskussion um die Diskrepanzen des Korans mit dem deutschen Grundgesetz. Dabei wurde in regelmäßigen Abständen auf die taqìya (Landman 2005:587) hingewiesen. Damit ist gemeint, dass die Muslime sich nach außen hin an das Grundgesetz anpassen, aber ihre wahren Absichten dadurch verschleiern wollen. Als Belege dieser Taktik werden Schriften angeführt, die als deutschsprachige Publikationen die Achtung und den Respekt gegenüber der deutschen Gesellschaft betonen. Die türkischsprachigen Publikationen sind hingegen von einer triumphalen Ästhetik der islamischen Gesellschaft über die Andersgläubigen und die gottlosen Gesellschaften geprägt.

Eine weitere Besonderheit wurde im Jahre 2000 von Friedrich Merz aufgegriffen, der Begriff der „Leitkultur“ (Landman 2005:587). Die kontroverse Debatte um diesen Begriff und mögliche Alternativen, wie z.B. der Begriff des „Verfassungspatriotismus“ (Keskin 2006:96) werde ich in Kapitel 4 näher ausführen.

Zurück zur Entwicklung des Islam in Deutschland.

Wie kam es aber überhaupt zur Ansiedelung der Muslime in Deutschland? Schließlich war Deutschland keine Kolonialmacht wie England oder Frankreich.

Die ersten Kontakte zwischen Muslimen und Deutschen auf deutschem Boden können auf das Jahr 777 datiert werden, als im Reichstag von Paderborn Karl der Große den Stadthalter von Saragossa empfing. Neben der Beteiligung einiger deutscher Fürsten an den Kreuzzügen, welche das muslimische Bild der Europäer bis heute mitprägt, spielt auch das Bild der Türken vor Wien im 16. Jahrhundert ein wichtige Rolle für die europäische Wahrnehmung der Muslime (Spuler-Stegmann 1998:32).

In der neueren Zeit ist ein wichtiger Ausgangspunkt für die Entwicklung die Verpflichtung von zwanzig Muslimen als Elitegarde von Friedrich Wilhelm I. Die Handlungen beider Seiten reichten aber nicht über Kriegsereignisse hinaus. Erst 1761 wurde der erste Handelsvertrag zwischen Preußen und der Hohen Pforte geschlossen. Auch beeinflusste der orientalische Baustil den hiesigen erst im 18. Jahrhundert, wie zum Beispiel das türkische Palais in Dresden, welches leider nicht erhalten werden konnte. Im Jahre 1866 wurde in Berlin der erste islamische Friedhof eingeweiht. Enge politische Kontakte zwischen Preußen und dem Osmanischen Reich besitzen eine lange Tradition. Diese reichen von Friedrich II. bis zu Kaiser Wilhelm II., welcher den militärischen Rang eines türkischen Marschalls hatte. Auch die Bündnisse der Türken mit den Deutschen während der beiden Weltkriege liegen in der Linie dieser Traditionen (Spuler-Stegmann 1998:34).

So gibt es verschiedene Bemühungen den Islam stärker in die deutsche Geschichte zu integrieren, um aus dem Schattendasein zu entfliehen. Eine wichtige Person ist hierbei Muhammad Salim Abdullah, der verschiedene historische Beispiele aufzählt, in denen die deutsche Geschichte mit der des Islam verwoben ist. Zu den wichtigsten Beispielen zählen (Landman 2005:588):

- 20 Türken, die unter Friedrich Wilhelm I. dienten und einen eigenen Gebetsraum erhielten
- Bau einer Moschee in Wünschdorf auf Befehl Friedrich Wilhelm II.
- Zeitung „Moslimische Revue“ während der Weimarer Republik.

Nach Ende des zweiten Weltkrieges begann in Deutschland und in Europa der Wiederaufbau, was zu einem Mangel an Arbeitskräften führte. Nach Spuler-Stegmann (1998:36) beginnt hier erst die tatsächliche Geschichte des Islam in Deutschland. In den 1960er Jahren wurden die ersten Arbeiter mit einer begrenzten Aufenthaltsgenehmigung nach Deutschland geholt. Der größte Teil dieser Arbeitsmigranten stammte aus der Türkei (Landman 2005:588). Aufgrund des oben skizzierten geschichtlichen Verlaufs bezeichneten sich die ersten Gastarbeiter aus der Türkei auch als Waffenbrüder der Deutschen (Spuler-Stegmann 1998:34). Aber die heute schätzungsweise 2,7 Mio. in Deutschland lebenden Türken befinden sich in einem sehr diffusen rechtlichen Status. „40 Jahre nach der ersten großen Einwanderungswelle wurde über diese Gemeinschaft noch immer als ‚Ausländer’ gesprochen [...]. In der Tat haben erst 340.000 Türken die deutsche Staatsbürgerschaft“ (Landman 2005:588).

Verursacht durch die sich weltweit verschärfenden Kämpfe um Ressourcen und Märkte, begann Ende des 20. Jahrhunderts eine „neue Völkerwanderung“ (Richter 2005:3) in die Industriestaaten.

Durch die steigende Zahl an Migranten in Deutschland wuchs auch das Bedürfnis sich in einem Netzwerk zu organisieren und zu agieren. Zu diesem Zweck gründeten die Schüler des Süleyman Hilmi Tunahan den Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) mit Hauptsitz in Köln. Dieser Verband erstreckte sich über alle Länder Westeuropas und schloss in Deutschland ca. 300 Gemeinden ein. Neben der Organisation von Religionsunterrichten war der Verband bemüht in den 1990er Jahren die Kommunikation mit der nichtislamischen Umwelt zu intensivieren. Durch die Übernahme der Verbandsleitung durch Arif Ahmet Denizolgun wurden diese Bemühungen abgebrochen und es wurden verstärkt religiöse Aspekte in den Mittelpunkt der Gemeinschaft gestellt (Landman 2005:589f).

Die wahrscheinlich bekannteste aller türkisch-islamischen Verbände ist die Mili Görüs Bewegung, seit 1995 Islamische Gemeinschaft Mili Görüs (IGMG). Sie entspringt dem politischen Islam und vereinigte besonders die Anhänger des Necmettin Erbakan, der die Islamisierung der Türkei forderte. In Deutschland zählen ca. 300 Moscheegemeinden zur Mili Görüs. Auch die heutige Partei des kürzlich wiedergewählten Ministerpräsidenten der Türkei Receb Tayyip Erdogan, die AKP, ist aus der Mili Görüs Bewegung in der Türkei hervorgegangen, wenn auch gemäßigter und proeuropäischer ausgerichtet. Ein radikalerer Flügel spaltete sich 1983 unter Cemaleddin Kaplan, dem Vater von Metin Kaplan, ab. Der Verband der Islamischen Vereine und Gemeinden e.V. (ICCB) agierte für eine Islamisierung der Türkei und für eine Vereinigung der islamischen Welt unter einem Kalifen. Dazu rief er im Jahr 1994 einen fiktiven Kalifatstaat aus und ernannte sich selbst zum Kalifen. Aufgrund von Nachfolgestreitigkeiten spaltete sich die ICCB auf und radikalisierte sich teilweise weiter. Dies führte unter anderem dazu, dass der Kalifatstaat, inklusive der angehörigen Organisationen, vom Bundesinnenminister verboten wurde. Anführer dieser radikalen Minderheit war der bereits erwähnte Metin Kaplan, welcher 2004 an die Türkei ausgeliefert und zu lebenslanger Haft verurteilt wurde (Landman 2005:590f).

Neben den bereits genannten Organisationen gibt es noch zahlreiche weitere, von denen hier einige tabellarisch aufgelistet werden sollen.

Tabelle 1: Übersicht der größten Islamischen Verbände in Deutschland

(Quelle: eigene Zusammenstellung nach Landman 2005:589-594)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Wie sich anhand der Tabelle 1 erkennen lässt, zeichnet sich ein äußert heterogenes Bild des Islam in Europa und in Deutschland ab. Dies stellt unweigerlich die Frage nach einer eindeutigen Repräsentation dar. Um einen Schritt in diese Richtung zu gehen, wurde, ausgehend vom türkischen Staat, eine Infrastruktur aufgebaut, unter der sich alle türkischen Moscheen in Europa zusammenfanden. Das verwaltende Zentralorgan ist die Diyanet, das Direktorat für religiöse Angelegenheiten des türkischen Staates. Diese Politik führte dazu, dass sich in Deutschland die „Türkisch-islamische Union der Anstalt für Religion“ (DITIB) als die größte Gemeinschaft mit 870 Mitgliedsorganisationen durchsetzen konnte und alle anderen Organisationen an den Rand der Bedeutungslosigkeit drängte. Die DITIB konnte dabei von zwei Faktoren profitieren; zum einen vom finanziellen Faktor, denn der türkische Staat bezahlte die Imame. Zum anderen profitierte die DITIB vom organisatorischen Faktor, der eine ausgefeilte Propaganda beinhaltete. Die DITIB vertritt keine geschlossene religiöse Richtung, wird aber von einer sunnitischen Orthodoxie geprägt und gilt als freundschaftlich und loyal gegenüber der nichtislamischen Umwelt und den nichtislamischen Regierungen (Landman 2005:592).

Damit einhergeht, dass nahezu jede größere Organisation eigene Betriebe, vom Lebensmittelgeschäft über Finanzinstitutionen bis hin zu eigenen Immobiliengeschäften, unterhält (Landman 2005:595). Dies zeigt, dass „sich in fast allen Lebensbereichen eine autarke muslimische Parallelgesellschaft entwickelt hat“ (Spuler-Stegmann 2001:221).

Seit den 1980er Jahren versuchen die muslimischen Verbände den Islam als Religion öffentlich-rechtlich anerkennen zu lassen. So wurde 1986 der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland gegründet, dem die Mili Görüs, die Süleymanlis und die Nurcus angehörten. Aufgrund von Streitigkeiten verließen die Süleymanlis 1988 den Islamrat wieder. Daraufhin wurde 1994 der Zentralrat der Muslime in Deutschland als Gegenorganisation gegründet, unter anderem auch durch die Süleymanlis. Allerdings fanden sich auf der Mitgliederliste keine größeren muslimischen Vereine. Im Jahre 2000 verließen die Süleymanlis wieder den Zentralrat. Die DITIB, die Süleymanlis und der VIKZ gehen somit ihre eigenen Wege und tragen zur weiteren Heterogenität der Repräsentation der Muslime in Deutschland bei (Landman 005:595f).

Die staatliche Anerkennung des Islam in Deutschland schreitet weiterhin nur langsam voran. Die Stadt Berlin hat im Jahre 2000 die Islamische Föderation anerkannt und ihr damit das Recht erteilt, offiziell Religionsunterricht zu geben. Auch im Bundesland Hessen darf eine Islamische Religionsgemeinschaft, die IRH, islamischen Religionsunterricht erteilen. Weitere Streitfragen, wie zum Beispiel das rituelle Schlachten von Tieren, das Tragen des Kopftuches im öffentlichen Dienst oder die Anerkennung islamischer Feiertage bleiben weiterhin offen und bestimmen somit den Fortschritt der Integration in Deutschland mit (Landman 2005:596f).

3.4 Der Islam im deutschen Medienkontext

Die mediale Berichterstattung über den Islam prägt nachhaltig die Wahrnehmung der Menschen. Besonders nachhaltig ist in diesem Falle die krisenorientierte Berichterstattung, das heißt, es handelt sich bei Berichterstattungen über den Islam auffällig oft um Krisenberichte (Schiffer 2005:23). Aktuelles Beispiel (September 2007) ist die medial inszenierte Verhaftung der mutmaßlichen Attentäter aus dem Sauerland.

Die Auswahl bestimmter Symbole entscheidet dabei letztlich, welche Ausschnitte aus der Wirklichkeit wahrgenommen werden und welche ausgeblendet werden. Als ‚Framing’ (Schiffer 2005:24) kann dabei bezeichnet werden, „dass in den deutschen Medien ‚die’ Muslime zunehmend als homogene Masse wahrgenommen werden, die bedrohlich oder zumindest rückständig erscheint“ (Schiffer 2005:24). „Wir schicken Ingenieure in ein Land, was im Grunde genommen, aus meiner Sicht in der Welt, in der Bronzezeit lebt – Afghanistan“ (Swietlik 2007, Zeilen:574-576).

Dies macht deutlich, dass in der Vielfalt des Islam (vgl. Kapitel 3) die Gefahr der medialen Informationsdarstellung liegt. Je diffuser ein Kontext erscheint, desto leichter lassen sich Stereotypen bilden, denn es „lässt sich einfacher finden, was man sucht“ (Schiffer 2005:25).

Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf die Zuschreibung von Symbolen. Denn „was bleibt als Symbol für den Islam, wenn Moscheen, Gebete, Kopftücher und Bärte bereits als Symbole für Islamismus herhalten müssen?“ (Schiffer 2005:27). Dies erklärt, auch durch die Titelseitenberichte über die Razzien in verdächtigen Moscheen, den Bedeutungswandel, den Moscheen erfahren haben. Galten sie früher als Orte der Spiritualität, so sind sie heute Symbole der Verschwörung (Schiffer 2005:28).

Eine Reaktion, auf diese überwiegend einseitige Berichterstattung, ist bereits feststellbar. „Inzwischen ist ein Bedrohungsempfinden auf beiden Seiten feststellbar. Nichtmuslime fühlen sich vom Islam bedroht; Muslime pauschal vom Westen oder von einer Gesetzgebung, die aus dem Angstszenario resultiert. Auf beiden Seiten sind, unterschiedlich gewichtet, ähnliche Reaktionsmuster feststellbar: Resignation und Rückzug, Idealisierung und Radikalisierung. Viele resignieren in ihrem Bemühen um weitere Integration“ (Schiffer 2005:30).

4 Das Entstehen von Zugehörigkeiten – die Konstruktion einer Kultur

Was bedeutet Kultur im eigentlichen Sinne? Wie wird sie definiert? Ist der Begriff durch die häufige Benutzung in unserem Alltag nicht schon längst an die eigenen individuellen Bedürfnisse angepasst und abgenutzt? Schließlich gibt es die Esskultur, die Debattenkultur, die Konsumkultur oder die literarische Kultur. Gibt es aber auch DIE Kultur?

Betrachtet man den Kontext der fachwissenschaftlichen Abstammung des Begriffes, nämlich der Soziologie, so hat der Begriff aufgrund seiner Ubiquität keine Chance auf Eindeutigkeit. Allen Auslegungen dieses Begriffes liegt die Annahme zu Grunde, dass es sich bei diesem Begriff um eine Anleitung für unser alltägliches oder außeralltägliches Handeln bietet (Nassehi 1997:184f).

Neben einer handlungszentrierten Interpretation des Kulturbegriffs ist nach Luhmann (1995:32) auch eine historische Interpretation möglich. Diese betrachtet den Kulturbegriff als „Gedächtnis sozialer Systeme“ (Luhmann 1995:47) und lässt die Frage zu: „Wie werden kulturelle Phänomene als Kultur erzeugt?“ (Nassehi 1997:186).

Möchte man nun bestimmen, was Kultur ist, etwas historisch Gewachsenes und durch alltägliche Handlungen Erhaltenes, muss man feststellen, dass eine solche Bestimmung nur möglich ist, wenn man abgrenzende Kriterien zur Verfügung hat. Woher stammen aber wiederum diese Kriterien? Auch diese besitzen einen kulturellen Hintergrund. Dies führt zu der Erkenntnis, dass Kultur eine vergleichende Perspektive durch Reflexion besitzt und diese dieser auch bedarf (Luhmann 1995:49). „Selbst Religionen können jetzt als Kulturerscheinungen verglichen und dabei explizit oder implizit (Lessings Nathan) als gleichberechtigt behandelt werden“ (Luhmann 1995:36).

Dies führt zu der „paradoxen Wirkung“ (Nassehi 1997:187), dass die eine Kultur ihren eigenen Horizont im Horizont anderer Kulturen bestimmt. Bildlich gesprochen könnte man es mit einem Hering vergleichen, der sich innerhalb des Heringsschwarms versucht selbst zu definieren. Somit kann Kultur als eine Praxis der Erzeugung gesellschaftlicher Identitäten gekennzeichnet werden. Diese Definition beinhaltet gleichzeitig eine Eingrenzung der Handlungsmöglichkeiten für die einzelnen Akteure (Nassehi 1997:188). Aber die „kulturellen Bedeutungssysteme entlasten uns [zugleich], indem sie uns mit Fraglosem versorgen“ (Nassei 1999:349).

Kulturen sind demnach nichts Gegebenes, sondern etwas Konstruiertes. Wir produzieren unsere kulturelle Wirklichkeit und rückwirkend auch die Wirklichkeit dieser Konstruktionen. Der Begriff der Konstruktion darf hierbei nicht, wie einige jetzt denken mögen, mit Beliebigkeit verwechselt bzw. gleichgesetzt werden (Nassehi 1999:355).

Die durch gesellschaftliche Produktion entstandene Identität kann auch als eine regionale Identität wahrgenommen werden und bezeichnet somit eine kollektive Wahrnehmung einer bestimmten Region (Strüver 2001:210). Es ist mit dem umgangssprachlichen Begriff des „Heimatgefühls“, dem Bewusstsein über einen bestimmte Zugehörigkeit, gleichzusetzen. Aber auch diese Zugehörigkeit ist nicht etwa per se gegeben, sie ist ebenfalls konstruiert.

Als Beispiel hierfür möchte ich kurz auf Jena eingehen. Als zugezogener Student mit hier angemeldetem Hauptwohnsitz werde ich offiziell als „Jenaer“ bezeichnet. Die Bezeichnung „Jenenser“ kann ich aufgrund meiner Biographie nie erhalten, da ich nicht das Kriterium – in Jena geboren – erfülle. Um eine solche Zugehörigkeit zu beschreiben, gibt es nach Luhmann (1994) die Begriffe „Inklusion“ und „Exklusion“.

Wie dieses Beispiel zeigt, können auf einfachstem Wege Zugehörigkeiten produziert werden. Die Einfachheit dieses Prozesses ermöglicht aber auch einen einfachen Missbrauch, die dieser zu Zeiten des Nationalsozialismus erfahren musste.

Folgt man der Argumentation, so muss endgültig festgestellt werden, dass Kultur und Gesellschaft bzw. das Soziale zusammenfallen und Kultur „dann zu einem gewissermaßen unsichtbaren Algorithmus des sozialen Lebens“ (Nassehi 2006:34) wird. Kulturen bilden somit Identitäten aus (Nassehi 2006:34).

4.1 Die Konstruktion einer „deutschen“ Kultur?

Wie konstruieren wir nun unsere Kultur im starren Rahmen des Nationalstaates Deutschland? „Deutschland ist ein Einwanderungsland – nicht erst seit gestern“ (Belwe 2007:2). Dies bedeutet zugleich, dass wir in Deutschland nicht DIE eine Kultur vorfinden. Zwar wurde durch die Äußerung von Friedrich Merz im Jahr 2000 eine solche gefordert, als er den Begriff der „Leitkultur“, genauer gesagt, eine „freiheitlich deutsche Leitkultur“ (Merz 2000) nutzte. Es fällt jedoch auf, dass „diese Leitkultur [...] sich bei näherem Hinsehen als unglaubwürdige Suggestion eines vorhandenen, ausgefeilten Katalogs an Verhaltensregeln der einen von der angemessenen, an die Gepflogenheiten des ‚Gastlandes’ angepassten Form“ (Richter 2005:4) des alltäglichen Handelns erweist. Das Ziel einer solchen „Leitkultur“ würde bedeuten, dass die Migranten ihre Kultur leugnen und vollständig in das Einwanderungsland assimiliert werden, gemäß dem Filmzitat: „We are the Borg. Existence, as you know it, is over. We will add your biological and technological distinctiveness to our own“ (Internet 1).

[...]

Ende der Leseprobe aus 96 Seiten

Details

Titel
Moscheen in Deutschland. Eine Diskursanalyse zum regional-kulturellen Milieu
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Note
1,7
Autor
Jahr
2007
Seiten
96
Katalognummer
V83477
ISBN (eBook)
9783638872560
ISBN (Buch)
9783638872652
Dateigröße
1545 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Moscheen, Deutschland, Eine, Diskursanalyse, Milieu
Arbeit zitieren
Jens Ender (Autor:in), 2007, Moscheen in Deutschland. Eine Diskursanalyse zum regional-kulturellen Milieu, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83477

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