Untersuchungen zu Mundöffnungsräumen von Tierfriedhöfen. Im Vergleich


Magisterarbeit, 2007

114 Seiten, Note: gut


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. Einleitung

2. Die Bedeutung der Tierverehrung
2.1 Definition der heiligen Tiere bzw. Tempeltiere
2.2 Wahrnehmungen des altägyptischen Tierkultes bei Angehörigen zeit­genössischer Völker und Glaubensgemeinschaften
2.3 Wahrnehmungen des altägyptischen Tierkultes aus der moderneren Sicht

3. Die Wcb.t-Anlage und der dazugehörige Mundöffnungsraum
3.1 Der allgemeine Aufbau der Tierkultanlage
3.2 Der allgemeine Aufbau der Wcb.t-Anlage
3.3 Bestimmung des Mundöffnungsraumes mit Hilfe der archäologi­schen Funde

4. Diverse Funktionen der Wcb.t-Anlage und des dazugehörigen Mundöff­nungsraumes
4.1 Exkurs: Der allgemeine Aufbau von Festen
4.1.1 Die Choiakfeste
4.1.2 Das Neujahrsfest
4.2 Das Einwirken des Osiris-Mythos in den Tierkult
4.2.1 Die Natur des Osiris
4.2.2 Die Wiederspiegelung des Osiris-Mythos im Tierkult
4.3 Die Einbalsamierung
4.4 Das Mundöffnungsritual
4.4.1 Zur Geschichte des Rituals
4.4.2 Der Verlauf des Mundöffnungsrituals
4.4.3 Die verschiedenen Räumlichkeiten des Mundöffnungsrituals
4.5 Die Zusammenfassung der Funktionen der Wc b.t-Anlage und des dazugehörigen Mundöffnungsraumes

5. Die Rekonstruktion der verschiedenen Mundöffnungsräume
5.1 Der Mundöffnungsraum vom Serapeum von Memphis
5.1.1 Hintergrundinformationen über das Serapeum
5.1.2 Die 3-D Rekonstruktion des Mundöffnungsraumes
5.2 Der Mundöffnungsraum von Tuna el-Gebel
5.2.1 Hintergrundinformationen über Tuna el-Gebel
5.2.2 Die 3-D Rekonstruktion des Mundöffnungsraumes
5.3 Der Mundöffnungsraum von Elephantine
5.3.1 Hintergrundinformationen über Elephantine
5.3.2 Die 3-D Rekonstruktion des Mundöffnungsraumes

6. Zusammenfassung

7. Anhang
7.1 Eine 3-D Bildergalerie des rekonstruierten Mundöffnungsraums
7.2 Eine 3-D Bildergalerie des rekonstruierten Mundöffnungsraums vom Serapeum in Memphis
7.3 Eine 3-D Bildergalerie des rekonstruierten Mundöffnungsraums in Tuna el-Gebel
7.4 Eine 3-D Bildergalerie des rekonstruierten Mundöffnungsraums in

Elephantine

Danksagung

Literaturverzeichnis

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

3.1 Der allgemeine Aufbau der Wabet-Anlage nach der Athribis-Inschrift. Quelle: Nach [Jelinkova-Reymond(1961)] gefertigt

3.2 Grundriss des Mundöffnungsraumes. Quelle: NADINE Vaksic

3.3 3-D Ansicht des Mundöffnungsraumes (Blick auf Norden). Quelle: Nadine Vaksic

3.4 3-D Ansicht des Mundöffnungsraumes (Blick auf Nord-Osten). Quel­le: Nadine Vaksic

4.1 Szenen des Mundöffnungsrituals im Grab Nebsumenu (von links): der Gang zum Grab, eröffnende Räucherungen und Reinigungen. Quelle: [Assmann(2001)]

4.2 Szenen des Mundöffnungsrituals im Grab Nebsenemu (von rechts): die Vision des Sem und Anweisungen an die Handwerker. Quelle: [Assmann(2001)]

4.3 Szenen des Mundöffnungsrituals im Grab Nebsenemu: die zweite Schlachtung sowie die zweite Mundöffnung und die Investitur der Statue. Quelle: [Assmann(2001)]

4.4 Darstellung der Mundöffnung an zwei Sarkophagen in der Werk­statt; Grab 217. Quelle: [Otto(1960b)]

4.5 Darstellung der Mundöffnung im Grab des Nefersecheru; Grab 107, hier Text 48. Quelle: [Otto(1960b)]

5.1 Allgemeiner Lageplan von Saqqara. Quelle: [Arnold(2000)]

5.2 Apis-Galerie in Memphis. Quelle: [Dodson(2005, S. 72-105)]

5.3 Die Wcb.t-Anlage beim Ptah-Tempel. Quelle: Nach [Vos(1993)] ge­fertigt

5.4 Ansicht von Oben auf das Serapeum. Quelle: Nadine Vakšic

5.5 Blick von Nord-Westen auf das Serapeum. Quelle: Nadine Vakšic

5.6 Blick von Süd-Westen auf das Serapeum. Quelle: Nadine Vakšic

5.7 Übersichtsplan der unterirdischen Tiernekropole von Tuna el-Gebel. Quelle: http://www.aegyptologie.lmu.de/Tuna/tunahome.htm

5.8 3-D Grundriss der Tierkultanlage in Tuna el-Gebel. Quelle: PA­TRICK BOSE

5.9 Grundriss der Tierkultanlage in Tuna el-Gebel. Quelle: Ausgra­bung von Tuna el-Gebel

5.10 Blick von Oben auf die Tierkultanlage. Quelle: Nadine Vakšic

5.11 Blick von Westen auf die Tierkultanlage. Quelle: Nadine Vakšic

5.12 Blick von Norden auf die Tierkultanlage. Quelle: Nadine Vakšic

5.13 Planskizze der Tempelbezirke. Quelle: [Arnold(2000)]

5.14 Grundriss des Widderfriedhofs mit den bisher freiliegenden Räu­men. Quelle: [Ziermann(1987, S. 101-107)]

5.15 Widderfriedhof, Rekonstruktion der Kultstätte über dem Bestat­tungsraum A. Quelle: [Ziermann(1987, S. 101-107)]

5.16 Blick von Oben auf die Tierkultanlage. Quelle: Nadine Vakšic

5.17 Blick von Süd-Westen auf die Tierkultanlage. Quelle: Nadine Vakšic

5.18 Blick von Nord-Westen auf die Tierkultanlage. Quelle: Nadine Vakšic

1. EINLEITUNG

„Überall das hinaus aber, seien es nun die Geheimnisse von Himmel und Erde oder von Gut und Böse, weiß der Mensch, und nur er, auch noch, dass er sterben muss. Das wissen die Götter nicht, weil sie unsterblich sind, und das wissen die Tiere nicht, weil sie nicht vom Baum der Erkenntnis gegessen haben. [...] Der Mensch, durch sein Zuviel an Wissen aus den Ordnungen der Natur herausgefallen, muss sich eine künstliche Welt erschaffen, in der er leben kann.“1

Das obige Zitat nach ASSMANN2 erklärt kurz und prägnant, warum der Mensch sich seiner Vergänglichkeit bewusst war. Dadurch wollte der Mensch unsterblich sein wie die Götter und erschuf sich hierfür ein Leben nach dem Tod. Gerade die alten Ägypter, die ihr Leben in ihrem geliebten Land schätzten, wollten um jeden Preis diesen Zustand für die Ewigkeit erhalten. Für diesen Glauben finden sich Belege in diversen Pyramiden-, Sargtexten oder im Totenbuch.

Dagegen wissen Tiere nichts von ihrem Schicksal, weshalb sich für sie auch nicht die Notwendigkeit ergibt, Vorsorge für ein jenseitiges Leben zu treffen und damit auch nicht das Bedürfnis eines Totenkultes auszuüben. Sie leben in den Tag hinein und reagieren nur auf aktuelle Reize und Gefahren, ohne sich um übergrei­fende Sinnperspektiven Sorgen zu machen3. Daher trafen nach HOPFNER4 die alten Ägypter die Vorsorge für den Totenkult derjenigen Tiere, welche für heilige bzw. göttliche Personifikationen oder auch Inkarnationen angesehen wurden, um ihnen auch eine Garantie für eine Weiterexistenz zu sichern5. Somit konnten nach HORNUNG6 alle Tiere, sowohl die hohen als auch die niederen, in das menschliche Totenreich eingehen. Ihre teilweise gleichberechtigte Partnerschaft mit Göttern und Menschen reicht über die Totenschwelle hinaus ins Jenseits. Sonnenhymnen der Ramessidenzeit bestätigen dies und darüber hinaus ergänzen sie die frühen Aussagen.

Diese Vorsorge findet in der Wcb.t-Anlage statt, die man sowohl in der Gegend der Göttertempel, als auch, wie dann in dieser Magisterarbeit beschrieben, bei Tierfriedhöfen antrifft. Die ersten fassbaren Belege hierfür findet man erst ab Amenophis III., davor ist durch mangelnde Funde nichts genaues zu sagen.

Vergegenwärtigt man sich insbesondere den Umstand, dass es sich bei den Tiermumien auf dem Friedhof um jene handelt, die im Zentrum von verschie­denen Festen für den König und den Jahreswechsel in den Tempeln standen, so scheint eine allgemeine Betrachtung des Tierkultes sowie eine Darstellung seiner Wahrnehmung bei Zeitgenossen nebst möglicher Erklärungen für ihr Vorhanden­sein an den Anfang dieser Arbeit zu stellen, nicht nur gerechtfertigt, sondern auch geboten.

Im Anschluss soll im Rahmen dieser Arbeit versucht werden, die für den Tier­kult gebauten Tempelanlagen, vor allem die Wcb.t-Anlage und im speziellerem der Mundöffnungsraum, zu analysieren. Die ersten Probleme, die am Anfang dieser Untersuchung auftraten, lagen schon in der Begrifflichkeit und der Semantik. Denn der Mundöffnungsraum selber wird in der altägyptischen und ägyptologischen Li­teratur nicht erfasst, da die meisten Quellen über Tempelbau und Tempelstruktur erhalten sind und die geheimen Vorgänge der Feste nur für die Priester Vorbehal­ten waren. Die am Fest beteiligten Priester wussten den Zweck der Räume im Rahmen der Riten. Der Mundöffnungsraum sollte geheim und für die restliche Bevölkerung ausgeschlossen sein. Schließlich galt das Wissen der Priester um die Riten, welche im Verborgenen und Heimlichen stattfanden, als „Geheimwissen“. Somit konnte in dieser Arbeit der Mundöffnungsraum nur anhand seiner Innen­ausstattung und Platzierung identifiziert werden. Besonders ist der Erkenntnis von Prof. Dr. DIETER Kessler zu verdanken, dass der Mundöffnungsraum ein Teil der Wcb.t-Anlage ist. Fraglich bleibt nur, ob er sich innerhalb oder außerhalb der Wcb.t-Anlage befindet. Dennoch wird durch Parallelen aus den verschiedenen, erhaltenen Tierkultanlagen versucht, eine konkrete Örtlichkeit für den Mundöff­nungsraum zu bestimmen.

Desweiteren stellt sich die Frage, ob diese Wcb.t-Anlage ausschließlich nur für den Totenkult gebraucht oder ob sie doch noch bei anderen Geschehnissen ge­nutzt wurde. Mit Hilfe bestimmter Ereignisse, wie beispielsweise der Choiakfeste und des Neujahrsfestes, soll auch im Rahmen dieser Arbeit der Versuch unter­nommen werden, die Frage nach einer Funktion der Mundöffnungsräume bzw. des in der Literatur erfassten Begriffs Wc b.t innerhalb des Jahres zu beantworten. Es ist von einer ausgedehnteren Funktionsbreite der Wcb.t-Anlage auszugehen, denn nur eine Einbalsamierung des verstorbenen Tempeltieres meist in größe­ren Jahresabständen wäre den Aufwand der gigantischen Anlagen, beispielsweise von Memphis, Tuna el-Gebel oder Elephantine, nicht wert gewesen. Schließlich mussten die Wcb.t-Anlagen versorgt und gepflegt werden und allein durch „eine“ Mumifizierung konnte ihre wirtschaftliche Existenz nicht gesichert werden.

Abschließend soll ein Überblick über Aufbau, Ausstattung und Funktion der Wcb.t-Anlage, bzw. soweit möglich über den Mundöffnungsraum, gegeben werden.

2. DIE BEDEUTUNG DER TIERVEREHRUNG

In diesem Kapitel soll eine Antwort für die Entstehung der Tierkulte und weshalb ein so großer Aufwand für Tiere betrieben wurde, gefunden werden. Desweiteren wird durchleuchtet, warum so ein einzelnes Tier eine „höher gestellte Position“ als der Mensch bekommen konnte.

Zunächst wird im Einzelnen die Definition der Tempeltiere und ihrer Eigen­schaften näher erläutert, um im Anschluss die verschiedenen Wahrnehmungen des altägyptischen Tierkultes aus unterschiedlichen Zeitepochen von der Antike bis zur heutigen Zeit darzustellen.

2.1 Definition der heiligen Tiere bzw. Tempeltiere

In wiefern Tierkulte vor dem Neuen Reich existierten, ist wegen mangelnder Funde nicht konkret zu bestimmen. Dies jedoch ändert sich schlagartig zu Beginn des Neuen Reiches mit dem Auftauchen der Tierkultanlagen und ihrer zugehörigen Friedhöfen. Allerdings galten in den Kultanlagen alle darin befindlichen Tiere nicht als gleichwertig. So zeichnen sich für SOURDILLE7 zwei Gruppen heraus:

1. Die Tiere, welche bis zum Tod eine bestimmte Gottheit verkörpern, leben im Tempel und werden dort in höchster Heiligkeit verehrt. So werden diese Gotttiere Inkorporationsexemplare oder Tempeltiere genannt.
2. Dagegen galten die Artgenossen dieser göttlichen Tiere nicht als göttlich, da sie keine Inkarnationen waren. Aber sie wurden trotz dessen für heilig und unverletzlich gesehen.

KESSLER8 fügt noch eine dritte Gruppe hinzu, nämlich die so genannten „Fe­tischtiere“. Diese Tiere sind einzelne Exemplare einer heiligen Gattung, die im Privathaus gehalten und eventuell beim Tode des Privatmannes mit mumifiziert wurden. Man verehrte diese Fetischtiere, um sich dem Gott als gefällig zu erweisen.

Die erste Gruppe der heiligen Tiere lebte sorgfältig gepflegt und hochheilig verehrt bis zu ihrem natürlichen Tode im Tempel, der speziell für sie gebaut worden ist.

Das Tempeltier musste bestimmte gottesspezifische Merkmale besitzen, da­mit der Gott ihn als potenzielle Hülle erkennt. Darüber hinaus haben die heiligen Zeichen eine symbolische Bedeutung mit Rücksicht auf die Stellung des sich inkor- pierenden Gottes in der Religion und vor allem in der Mythologie. Dies ist nicht nur durch Berichte antiker Autoren bezeugt, sondern auch durch Denkmäler9, wie beispielsweise die Mendesstele oder im Falle des Apis10, wo seine 29 heiligen Zei­chen in heiligen Büchern niedergeschrieben worden sind11. Diese heiligen Bücher befanden sich in den Tempelbibliotheken und galten schon damals als ein Geheim­wissen, welches nur für eine bestimmte Priesterklasse, genannt Hierogrammaten12, zugänglich war.

Die Tempeltiere besitzen an den unterschiedlichen Kultorten auch spezifische Erkennungszeichen. Ein weiteres Merkmal für das Tempeltier ist eine übernatür­liche Zeugung durch den Gott selbst13. Die Auffindung konnte sich als besonders schwierig gestalten, denn es konnte nur ein Tempeltier mit den jeweiligen Zeichen an jedem Kultort sein14. So veranlasste der König dieses bestimmte Tier auch in den Nutztieren der Bevölkerung zu suchen. Sobald man das Inkorporationsexemplar gefunden hatte, wurde der Finder reich belohnt, und hoch geehrt. Anschließend feierte man große Feste15 zu Ehren des Tempeltieres.

Wichtig war, dass die Tempeltiere gut umsorgt und versorgt wurden. Es gab di­verse Stiftungen für die heiligen Tiere und eigens angebaute Felder. Man gewährte auch diesen Inkorporationsexemplaren Freilauf. So bauten die alten Ägypter be­stimmte Gehege für die jeweiligen Tiere16. Um den Tempeltieren auch Sicherheit vor Räubern oder Plünderern zu gewähren, hatten sie eigene Wärter, Pfleger und Priester. Dies wird sowohl auf den Denkmälern17 selber erwähnt, als auch von HerüDöT18 in seinen Berichten:

„Jedes Tier hat seinen Wärter, Männer und Weiber von ägyptischen Leuten, und diese Würde wurde vererbt sich vom Vater auf den Sohn.“

Dadurch, dass die Tempeltiere als Personifikationen der Götter galten, genos­sen sie dieselbe göttliche Verehrung von Seiten der Priestern wie auch vom Volk. Dies wird wiederum durch die Denkmäler19 belegt. Sie zeigen wie die Priester damals die Tempeltiere in ihrer stehenden, knienden oder zu Boden geworfene Haltung verehrten. Ebenso gossen sie den Tieren Weinspenden aus oder brachten Opfer dar und ehrten sie mit Weihrauchdüften.

Außerdem findet man oft Abbildungen von Tieren auf Stelen20 von Verstor­benen. Es wurden auch zahlreiche Nachbildungen in verschiedenen Größen aus mannigfaltigen Materialien entdeckt, welche in den Gräbern von Toten gefunden worden sind. Zudem wurden diese Figürchen auch den Tempeln geweiht, was ei­nige Inventarverzeichnisse21 von Tempeln wiedergeben22.

Die Tempeltiere gewannen auch dadurch an großen Einfluss, dass sie die Gabe für Prophezeiungen23 besaßen. Vor allem der Apis, das Sebakkrokodil und der Löwe24. Durch PlüTARCH wird berichtet, dass beispielsweise beim Apis-Stier im Tempelhof des Apiskultes Kinder spielten und die Ägypter darauf achteten, welche Worte die Kinder aussprachen25. Vergleichbar erwähnt auch PliniüS, dass sobald sich der Apis-Stier der Öffentlichkeit präsentiert, eine Schar von Knaben um ihn ein Lied singen, außer sich geraten und wahrsagen, während der Apis alles versteht und zur Anbetung auffordert26.

Das Verhältnis zwischen Tempeltier und seinen Artgenossen sah man, soweit dies im Allgemeinen verfolgt wurde, als eine Art Monarchie. Das Tempeltier galt als König seiner Gattung, für welche er sorgte, sie beschütze und im Falle einer Ermordung zur Blutrache verpflichtet war27. Das bezeugen auch einige Darstellun­gen, in welcher mehrere heilige Tiere in einer Reihe abgebildet sind. Dies bedeutet laut HOPFNER28, dass das erste Tier das Tempeltier ist und der Rest der Stab an heiligen Artgenossen.

Ihre Beisetzung war im Gegensatz zum Tempeltier weniger aufwendiger. Al­lerdings sollte das Weiterleben der Seele garantiert werden29, daher wurden auch sie konserviert. Dennoch begnügte man sich bei der Balsamierung mit einer ein­facheren und billigeren Methode30, wie es auch die Ausgrabungen von den Mas­senfriedhöfen bezeugen31.

Hingegen wurde das eigentliche heilige Tier, welches als göttliche Inkorpora­tion galt, vor Opferung und allgemeiner Tötung verschont, da es der Ermordung einer Gottheit gleichkommen würde32. Daher konnten die Tempeltiere bis zu ihrer Verendung in Ruhe leben und wurden bei ihrem Tod im ganzen Gau betrauert. Ihr Tod bewirkte zudem eine offizielle Trauer in ganz Ägypten. Während diesen 70 Tagen wurde das Tempeltier sorgfältig einbalsamiert und prunkvoll beigesetzt33. Der Einbalsamierungsprozess der heiligen Tiere ist vergleichbar mit demjenigen der Menschen. Die alten Ägypter wollten auch für das Tempeltier ein Weiterle­ben der Seele garantieren34 So gelten seit dem Neuen Reich, gestorbene Tiere wie menschliche Verstorbene als „Osiris“35, da sie im Erleiden des Todes in Wesen und Rolle dieses Gottes, der allen Geschöpfen vor-stirbt und vor-lebt, eintreten. Dieses „Werden zu Osiris“ bringt die gestorbenen Tiere in eine Mittlerstellung zwi­schen Göttern und Menschen und trägt sicher mit dazu bei, dass sich die göttliche Verehrung einzelner Tiere in einem früher nicht gekannten Ausmaß auf ganze Tier­gattungen überträgt36. So glaubte man nach KÁKÜSY37, dass die heiligen Tiere als lebende Inkorporationen einen höheren Grad des ewigen Lebens als die Men­schen erhalten werden. Dies bezeugt das Dekret38 von Kanopos, welches bestätigt, dass an der Prinzessin Berenike dieselben Riten vollzogen werden wie im Falle der Apis- und Mnevisstiere.

Gleichzeitig wurde, während der Trauerzeit, auch der Nachfolger gesucht und meistens auch gefunden39. Im Falle eines nicht rechtzeitigen Fundes des zukünfti­gen Tempeltieres wurde die Trauerzeit im Tempelbezirk und innerhalb der Pries­terschaft einfach verlängert. Die Trauer um das Tempeltier wurde auf verschiede­ne Art und Weise gezeigt, vor allem bei Priester durch Fasten und Kahlscheren40. Durch eine erfolgreiche Nachfolgerschaft des Tempeltieres konnten die alten Ägyp­ter unmittelbar nach der Bestattung das Fest der Epiphanie41 des neuen Gotttieres feiern42.

Aus dem oben gesagten wird deutlich, dass der Tierkult für die alten Ägyp­ter von enormer Bedeutung war. Der Aufwand, mit dem die alten Ägypter ihren Tierkult betrieben haben, scheint schließlich gigantisch gewesen zu sein. Verge­genwärtigt man sich alleine den Umstand, dass diese Tiere über viele Jahre das ganze Jahr hindurch versorgt und gepflegt werden mussten und für sie darüber hinaus eine saubere Behausung geschaffen werden musste. Dieser enorme Aufwand wirft die Frage nach Sinn und Zweck dieser Tierverehrung auf, jedoch sprechen altägyptische Quellen kaum Gründe dafür an. So erzwingt sich die Notwendigkeit, die darüber berichtende antiken Autoren hinzu zu nehmen. Sie können etwas Licht ins Dunkle auf die Wahrnehmung zeitgenössischer Völker bringen.

2.2 Wahrnehmungen des altägyptischen Tierkultes bei Angehörigen zeitgenössischer Völker und Glaubensgemeinschaften

Die antiken Autoren erwähnen verschiedenartige heilige Tiere in den einzelnen Tierkultankagen. Sie heben aber meist nur auffallende Einzeltiere der Stadtgötter in ihren Ställen neben dem Sanktuar des Stadtgottes vor dem Gotteshaus des Landesgottes hervor. Nicht selten beschreiben die alten Schriftsteller die Haltung einer heiligen Herde oder die Heilighaltung einer ganzen Tiergattung. Sie bemer­ken beiläufig, wo die Mehrzahl der heiligen Tiere gehalten wurde.

So berichten HerüDöT ebenso wie STRABO und DlüDOR ausführlich und neutral über die heiligen Tiere am Nil43. Da diese drei Reiseberichter im Allge­meinen über die Einrichtungen und Sitten der alten Ägypter, wie man später bei der Entzifferung der Hieroglyphen feststellen konnte, geeignet bewerten, kann man dasselbe auch für den Tierkult annehmen. Dennoch finden sich unter den heidnischen Schriftstellern solche, die im Tierdienst eine grobe Verirrung zu sehen glaubten. Dabei gab es auch Andere, erinnere man sich beispielsweise an CICERO, der die Ägypter deswegen verachtete und auswies.

Auch bei Juden und Christen wirkte dieser Tierkult abstoßend. Sie, die Vor­kämpfer und Bekenner der monotheistischen Lehre44, haben die Verkörperung des Gottesgedanken im Tierleibe als die schändlichste Form des Götzendienstes be­trachtet. Gerade im Tierdienst der Ägypter glaubten sie die Absurdität der heid­nischen Anschauungen und Vorstellungen am schärfsten ausgeprägt vorzufinden. Daher ließen sie kaum eine Gelegenheit vorübergehen, gerade an dieser Kultform ihre Abscheu, ihre Verachtung und ihren Hass Ausdruck zu verleihen. So sagt der alexandrinische Jude Philo45:

„Was kann es Lächerlicheres geben als diesen Kult? Natürlich müssen Fremde, die zum ersten Mal nach Ägypten kommen, sich zu Tode lachen, solange sie diesen Wahn noch nicht in ihr eigenes Herz verpflanzt haben. Doch wer eine rechte Bildung besitzt, der ist darüber entsetzt, dass man so unwürdigen Dingen ernsthaft Verehrung bezeugt, beklagt die Leute, die das tun, und hält sie für noch verächtlicher als die Dinge, die sie verehren, in die sie gleichsam ihre Seelen hinübergehen lassen, so dass sie gleich Tieren in Menschengestalt umherzugehen scheinen.“

Ähnliche Urteile liest man bei Kirchenschriftstellern, wie beispielsweise bei dem Apologet ARISTIDES (12)46:

„Weil die Ägypter noch schlechter und unverständiger waren als alle anderen Völker auf Erden, haben sie weit mehr gefehlt denn jedermann; sie begnüg­ten sich nämlich nicht mit den religiösen Vorstellungen der Barbaren und Griechen, sondern sie haben sogar gewisse Tiere als Götter hingestellt... und so haben sie sich verderbt in all dem Wahnsinn und all der Unreinheit mehr als alle anderen Völker auf Erden.“

Dagegen klingen die Äußerungen von EPIPHANIüS (ca. 4. Jh. n. Chr.)47 dem Bischofs von Cypern weitaus schärfer:

„Weit schlimmer als die übrigen Völker irrten die Ägypter ab, indem sie nicht nur ihre eigenen Leidenschaften zum Gegenstande ihrer Verehrung machten, sondern auch geflügelte und vierfüßige Tiere, Geschöpfe des Trockenen und Feuchten, ja sogar gewisse wilde Ungeheuer und jene Tiere, die ihnen der heilige Gott zu ihrem Dienste angewiesen hatte. Denn sie haben die natür­liche Ordnung so verkehrt, dass sie die Tiere als Götter verehren; und sie schämen sich nicht des bellenden Hundes, des geilen Bockes, des blökenden Schafes, des gewürmfressenden Ibis, der Weihe, der Sperbers und Rabens... und der sich windenden und scheusäligen Schlange.“

Ähnlich heißt es auch im Aristeasbrief 13848:

„Was soll man erst der Verblendung der anderen gedenken, der Ägypter und derer, die ihnen ähneln? Denn diese haben ihr Vertrauen sogar Tieren, und zwar meist kriechenden und wilden, zugewendet, und beten sie an und opfern ihnen nicht nur solange sie leben, sondern auch wenn sie gestorben sind.“ (vgl. Sab. 12, 24)

THEODORET (ca. 420 n. Chr.) greift besonders die Verehrung des geilen Bockes heraus, um die Verirrung der Ägypter, welche er auf ihre schändlichen Lüste zu­rückführt, zu brandmarken (cur. 51, Migne, tom. 83, Sp.889)49.

Gerade diesen Widderkult hat der Patriarch von Alexandria (ca. 200 n. Chr.) im Auge, wenn er von den „abscheulichen Gebräuchen der Ägypter“ spricht.

Zugleich versucht der gelehrte und geistreiche KLEMENS aus Alexandria (ca. 2. Jh.) durch Spott und Hohn dieser Ausgeburt des religiösen Empfindens zu Leibe zu gehen50:

„Bei den Ägyptern sind die Tempel, Propyläen, Gemächer und heiligen Be­zirke gar prächtig ausgestattet..., denn die Tempel leuchten von Gold, Silber und Elektron und funkeln in bunten Steinen aus Indien und Äthiopien. Wenn man aber in den innersten Raum des Heiligtums gelangt ist und zum Anblick dessen eilt, was das Ausgezeichnetste ist, da rafft einer von den Priestern, die im Tempel opfern, indem er gar weihevoll dreinschaut und in ägyptischer Sprache einen Lobgesang anhebt, ein wenig den Vorhang zusammen und ver­anlasst uns über den Gegenstand der heiligen Scheu - zu lachen, während er doch beabsichtigte, uns einen Gott zu zeigen: denn man findet jetzt keines­wegs den Gott, zu dem man eilte, sondern eine Schlange oder eine Katze, ein Krokodil oder irgend ein anderes Ungetüm, unwürdig des Tempels, einer Höhle aber oder des Kotes am würdigsten. So zeigt sich uns der Gott der Ägypter, ein Ungeheuer, das sich auf den Purpurteppichen herumwälzt.“

So vergleicht KLEMENS von Alexandria die prachtvollen Tempel mit ihren Tie­ren mit Dirnen, in deren reizend aufgeputzten Körpern eine tierische Seele lebt51. Andererseits zieht derselbe KLEMENS von Alexandria das religiöse Empfinden der Ägypter, dass sich im Tierdienst offenbarte, den religiösen Anschauungen des Griechentums vor; denn er sagt52:

„Um wieviel besser gingen die Ägypter zu Werke, die gau- und stadtweise unvernünftige Tiere verehrten, als die Griechen, die solche Götter (wie etwa Zeus) anbeten! Denn mögen jene auch Tiere sein, sie sind doch nicht dem Ehebruch und unerlaubten Lüsten ergeben und auch kein einziges von ihnen geht solchen Vergnügungen nach, die die Natur nicht gestattet...“

In den bisher erwähnten Überlieferungen findet sich jedoch unglücklicherweise kein Indiz, wodurch sich die Einführung des Tierkultes zeitlich verifizieren lässt. Auch HerüDöT gibt keine Auskunft über seine Entstehung, für ihn ist der Tier­kult Ausdruck „religiöser Scheu“53. Dagegen führt DiüDüR aus, die Tierverehrung sei auf den Befehl eines Königs zurückzuführen54, dies aber wiederum wird von PLUTARCH als „unglaublich“ verworfen. So führt DiüDüR an einer anderen Stelle folgendes auf55:

„Als die Menschen aus dem tierischen Zustande in den geselligen übergin­gen, hätten sie einander gegenseitig aufgefressen; später aber hätten sich die Schwächeren unter Tierzeichen vereinigt und jene Tiere seien dann als Grund der größten Wohltat für heilig gehalten worden... “

„... Oder es seien den verschiedenen Abteilungen im ägyptischen Heere ver­schiedene Tierbilder als Standartenzeichen zugeteilt und die Tiere, welche diese Standarten vorstellen, seien später als göttlich verehrt worden.“

Eben dies erwähnt auch PLUTARCH im Speziellen für die Abteilungen des Hee­res, welches dereinst dem Mythos nach der Gott Osiris befehligt habe. Allerdings revidiert er diese Hypothese, da die Denkmäler beweisen, dass heilige Tiere stets als Standarten hergenommen wurden56. Daher hat auch LORET in Übereinstim­mung mit DIODOR und PLUTARCH die Meinung verfochten, dass der Tierkult zurück auf die Stämme der Urzeit geht. Diese Stämme wählten willkürlich ver­schiedene Symbole in Tiergestalt aus, um sie im Kampf als Feldzeichen zu nutzen, welche dann später als Götter verehrt wurden57.

Selbst mit dieser Theorie wurde die Frage, wieso Tiere als Götter verehrt wur­den und wie dieser Kult entstanden war, nicht befriedigt. So versuchte DlODOR nähere Gründe für die Tierverehrung heraus zu finden. Er sah eine mögliche Er­klärung für das Phänomen des Tierkultes in der Zweckmäßigkeit der Tiere für den Menschen, wofür sie im Laufe der Zeit immer mehr an Ansehen gewonnen ha- ben58. Dieser Erklärungsversuch greift allerdings nicht bei der Gruppe der wilden Tiere wie etwa Löwe, Krokodil, Schakal oder Schlange zu. Hier hingegen scheint das Motiv der Bedrohung und die daraus resultierende Furcht vor dem Tier eine plausible Erklärung zu sein, damit diese durch Verehrung besänftigt wurden59. Trotz verschiedener Theorien und Hypothesen ist kein eindeutiger Grund zu er­kennen, weshalb die alten Ägypter Tiere zu heiligen Hüllen von Göttern dekla­rierten. Dennoch bilden ihre Berichte bis heute die Grundlage für die meisten wissenschaftlichen Betrachtungen über den ägyptischen Tierkult.

Neuere Forschungen lassen einen von antiken Deutungen abweichenden Erklä­rungsversuch des altägyptischen Tierkultes zu.

2.3 Wahrnehmungen des altägyptischen Tierkultes aus der moderneren Sicht

Erst allmählich zeigten die Details, welche bei ausführlichen Ausgrabungen zu Ta­ge kamen, dass die alten Ägypter genau beachteten, welche Tiergattung bestattet wurde. Ferner ließ sich durch die Klärung der hinter den Tieren stehenden Organi­sation schließlich ein Einblick gewinnen, was die Tiere überhaupt in die Friedhöfe gebracht hatte60: Nicht die Sehnsüchte einer Volksmenge, die nach Gottnähe ver­langen, sondern eine theologisch-praktische Notwendigkeit für das Staatswesen, d. h. für die Beziehung zwischen König, Stadt- Landes- und Hochgott. Jede ein­zelne Tiermumie hat für ihre Ablage als „Gott“ eine theologische Begründung, die sich sogar auf die Beziehung der Tierarten gegeneinander ausgeweitet hat61.

Die Tierwelt der Ritualszenen auf den Tempelwänden eines Landestempels ist, entgegen den plastischen Darstellungen der antiken Schriftsteller, infolge der mythologischen Sprache und Schilderungsform eher selten als real zu bestimmen. Selbst Szenen aus den königlichen Sedfesten62 lassen zunächst offen, ob wirklich Gruppen lebendiger Tiere bei den Vorgängen verwendet wurden oder nur das vorgelesene Kultgeschehen an den Tempelwänden illustriert wird.

Die tieferen Kenntnisse um die Feste des Horus lieferten nach KESSLER63 den generellen Schlüssel für die sakrale Rolle der heiligen Tiere, da erkannt wurde, dass Horus bzw. der König mit Hilfe der heiligen Tiere „verjüngt“ wurde. Der ent­scheidende Hinweis zur Deutung des rituellen Vorganges des bei den Festen des Horus stattgefundenen „Vogellaufes“ lieferte Schott64 mit der Erwähnung der frü­hesten Szenen aus dem Karnaktempel Thutmosis III., dem Tempel Thutmosis III. in Kumme und aus dem Deir el-Bahari-Totentempel,dem Haus der Millionen Jahre der Hatschepsut und Platz ihrer solaren Apotheose.

Der Vogellauf, verstanden als Illustration des „Vogelopfertanzes“, kann parallel zum Pavian- und Apislauf65 gesehen werden. Die zusammenraffende Darstellung der Vogellaufszene ist wesentlich komplexer sowie zyklischer zu deuten als das was gezeigt wird, da sie den Tod der Vögel, den Himmelsflug der vogelgestaltigen Göt­ter, die Vereinigung mit Re und Hathor (Hieros Gamos66 ), die Wiedergeburt und die Übergabe der Herrscherinsignien an den Sohn und Nachfolger in einem Bild vereint67. Ziel der stattgefundenen drei Läufe ist die Tiere an den Platz zu setzen, an welchem der Sonnengott thront und wo der König als zukünftiger Erbe zunächst als solarer Hochgott erscheint. Im idealen Fall sollte sich die Apotheose der heili­gen Tiere mit dem solaren Hochgott an die Apotheose des Königs angleichen, und bei der Vereinigung mit Re bzw. das Werden zum Wesen des Re verknüpft werden. Die Vögel durchlaufen ebenso den königlichen Zyklus, der sie zur Vereinigung mit Re bringt, und müssen auch wie der König durch das „Land des Atum“ und die Phasen der Osiriswerdung gehen68. Die Vögel ordnen sich in ein bekanntes allen heiligen Tieren eigenes Schema ein. Alle Vögel haben eine gefährliche typhonische Seite, die vom König zwecks Fortführung der Regentschaft überwunden werden muss (Opfertanzsituation)69. Ihre bedrohliche Seite tritt mit ihrer apotropäischen Funktion für den Sonnengott und seinen Stellvertreter immer wieder hervor, denn alle, auch die scheinbar harmlosen Vögel, verbreiten Schrecken.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der vom König durchgeführte Vogel­lauf mit Schutzstäben und das damit verknüpfte Vogelopfer mit der Gans an der Spitze des ursprüngliches Ritualablauf der Horus-Feste standen, bei dem sich der König zum Zwecke der zyklischen ’h-Werdung und Erneuerung in die Vögel ver­wandeln sollte.

Das Ziel des Festes, „die Apotheose oder die Vereinigung mit dem Vatergott“ und die „im Zeugungs- und Geburtsvorgang ablaufende Erneuerung des Königs“, führten schließlich zu einem komplexen Erneuerungsritual, welcher vom Nacht- und Tagrhythmus der Sonne bestimmt wurde70.

Zu diesem Erneuerungsritual gehörte eben nicht nur die Verwandlung des Kö­nigs in die Vögel bzw. in andere heilige Tiere mit dem dazugehörigem Tieropfer am „See des Pharao“, sondern es fand anschließend auch der Hieros Gamos zwischen Re-Vaterkönig und Hathor-Mutterkönigin ab, welcher die rituelle Lustfahrt des Königs auf dem Palastsee einleitete. Nach KESSLER sollen sowohl das Verwand­lungsgeschehen wie auch die Lustfahrt am See zur Entstehung von mythischen Illustrationen beigetragen haben, aus denen sich die Jagdszenerie71 mit Tieren entwickelte. Die Jagdszenerie „Papyrusreißen“, „Jagd mit dem Schlagnetz auf die Vögel“ und „Vogeljagd mit Wurfholz“, die der König durchführte, haben nichts mit wirklichen Jagdritualen des Königs zu tun, sondern verdeutlichen das Vogelopfer mit dem Vogellauf.

Die für die Feste des Horus und andere Tempelfeste verwendete Gruppe der „lebendigen Ritualtiere“ bestand sowohl aus lebendigen Tieren wie aber auch aus Substitutsfiguren. Beide Gruppen entsprechen den Gattungen der in ptolemäi- scher Zeit in den Tierfriedhöfen abgelegten Tiere. Die lebendigen heiligen Tiere waren nach KESSLER72 „Funktionsgötter“, d. h. sie erfüllten, während der Fest­vorgänge vor dem Gotteshaus so wie auch vor dem königlichen Totentempel eine theologische begründete Funktion, die dadurch zum Ausdruck gebracht wurde, dass sich die Tiere im Tieropfer und durch die der Handlung begleitenden litur­gischen Sprüchen zu Göttern verwandelten.

Da auch die in den Tierfriedhöfen beigesetzten und mit einigem Aufwand be­handelten Tiermumien „Funktionsgötter“ waren, bekräftigt dies die Annahme ei­ner Beachtung der Tiergattung seitens der alten Ägypter.

Nach KESSLER73 treten die Vorgänge der solaren Apotheose und des im Zyklus folgenden „Erscheinens“ im Fest erstmals auf den Darstellungen des königlichen Festtempels von Soleb von Amenophis III. deutlicher hervor. Die Festhandlungen lassen sich in zwei Abschnitte aufteilen, die den geheimen Vorgängen in der Nacht der Inthronisation (mythische Ebene) und den öffentlichen Vorgängen des Festak-tes der Thronbesteigung selbst entsprechen (praktische Ebene). Der Tod des alten Herrschers, verbunden mit der Osiris-Werdung und Apotheose zum Hochgott, wurde durch lebende Ritualtiere zyklisch vervollständigt, beispielsweise erkennt man auf einer Wand des Festgebäudes im Solebtempel einen Falken und einen schreitenden Stier, die nicht als Götterbild, sondern ohne Podest als verwandeln­de Ritualwesen dienen74.

Die Einrichtung des „offiziellen Tierkultes“, die unter Amenophis III. beobach­tet worden ist, hat nach KESSLER mit einer nebenher laufenden volkstümlichen Strömung und einem Kult der lebendigen heiligen Ritualtiere im eigentlichen Sinne nichts zu tun. Diese hängt nach FlTZENREITER75 vielmehr eng mit der gedank­lichen und institutionellen Steigerung der Vergottung des Königs zusammen, die schon immer ein Teil des Neujahrfestes und der Horus-Feste war. Die Anfänge des „offiziellen Tierkultes“ sind, wie in der Einleitung der Arbeit erwähnt, bisher unter Amenophis III. vermutet worden. Dabei wurde schon von KESSLER76 als of­fene Frage formuliert, wie sich eine angeblich volkstümliche religiöse Strömung, in diesem Fall die Tierverehrung, mit der „fortschrittlichen“ Weiterentwicklung der Sonnentheologie vereinbaren lässt. Folglich wird der König mit Hilfe der Tieropfer zum Sohn des Transzendenten, vom lokalen Landesgott gelösten Urgottes und solar-kosmischen Vatergottes erhoben, welcher unter Amenophis III. immer mehr durch den Bau neuer Festtempel nach außen drang77. Die je nach Stadt unter­schiedlichen Tiere, die zu den Festverjüngungen des Königs bei seinem Erscheinen als verjüngter Horus „in der Stadt“ gehörten — sei es im Tempelvorhof oder in der Nekropole — wurden auch für die Verjüngungszyklen der Feste des Horus im Totentempel verwendet.

Der Gruppe der heiligen Tiere konnte bei den Festen jedoch noch eine andere Rolle zukommen. Bei diesen Festen begegneten die Götter den Göttern in Tier­gestalt, welche Re und dem König als verjüngter Horus huldigen und dadurch beispielsweise als Verkörperung des Re verstanden werden. Die Tiere, die Re und den König huldigen, tun dies in der Phase der Vereinigung des Königs mit dem Sonnengott. Dafür wurden heilige Tiere im Ritual vorher zu Göttern, denn auch sie erscheinen nach ihrer solaren Apotheose „verjüngt“ wieder auf der Erde78.

Dementsprechend sind nach KESSLERS79 Ansicht Tierverehrung und Tier­kult eigentlich unzutreffende und unscharfe ägyptologische Schlagworte, vor allem wenn sie dazu dienen sollen, einen angeblich bodenständigen Teil einer altägypti­schen Religiösität ein- und abzugrenzen.

Denn die Ägypter haben die lebendigen Tiere nicht vergleichbar zu den an­deren Göttern kultisch verehrt80, und für sie ein Tempel mit dazugehörigen Kult gestiftet, sondern haben sie nur zeitweise in die Rolle eines Gottes schlüpfen lassen, wie es HORNUNG81 bereits vor Jahrzehnten formuliert.

Aus der ägyptologischen Literatur folgt, dass man lange und sogar heute noch an diesen alten Theorien, um den Tierkult besonders mit dem Postulat einer Verehrung ganzer Tiergattungen in der Spätzeit, festhält. Die Tierkultheorie wie­derum leitet sich von der unbewiesenen und nach KESSLER82 aus dem Befund von Tuna el-Gebel zu widerlegenden Vorstellung ab, dass die massenhaft beigesetz­ten Tiere, wie etwa Ibisse oder Katzen, nur vom Glaubensbedürfnis des Volkes zusammengetragen sein könnten. Doch der Begriff „Tierkult“ als solcher schließt in der Ägyptologie zusätzlich auch riesige archäologische Gruppen wie Statuen in Tierform, Stelen mit Tierbildern, Tierfriedhöfe bzw. Tiermumien, Tierbron­zen, usw. mit ein, wodurch er letztendlich kaum abzuschaffen ist. In der Regel werden vom einfachen „Tierkult“ die vielen Mischformen sowie Tierstandarten und Tierkopfstäbe abgetrennt und als eigener Bestandteil der ägyptischen Hoch­religion akzeptiert. Obwohl die Gruppen der so genannten Tierstatuen, Tierste­len, Tierbronzen und selbst die Mumienbündel des Tierfriedhofs genauso häufig die tierischen Mischformen präsentieren, muss dies noch gezeigt werden83. Der offensichtliche Zusammenhang der heiligen Tiere bzw. ihrer Tierfriedhöfe sowie der dazugehörigen Kulteinrichtungen mit dem königlichen Kultbereich (königli-che Erneuerungsriten; Sedfest; so genannte Totentempel) kann hier nur in einigen ausgewählten Stichworten nach KESSLER84 gezeigt werden, welche die Entwick­lung aber auch die Uberlieferungslücken zum Thema „Tierkult“ bis zum Ende des Neuen Reiches verdeutlichen:

- Erste spätvorgeschichtliche Tiergräber für Stiere in Hierakonpolis85.
- Apislauf des Königs, belegt seit Horus Aha86.
- Amenemhet III. ist auf einem Block aus seinem Totentempel in Hawara „ge­liebt von Spitzmaus und Ichneumon“87.
- Thutmosis III. stiftet Ländereien für die Herde des Mnevis88.
- Unter AmenophisII. werden heilige (Sedfest-)Tiere im Tal der Könige bei- gestzt (KV 50).
- Unter Amenophis III. werden lebendige Widder neben den Widdersphingen von Soleb gehalten.

Unter Amenophis III. wird der deifizierte Apis jetzt mit einem Nekropolen­kult versehen.

Unter Amenophis III. werden die tiergestaltigen Götter in die Höfe der Kö­nigstempel gestellt (auch Mischformen) und die Reihen von Widdersphingen eingerichtet.

- Unter Echnaton wird ein Grab für den Mnevisstier in Amarna eingerichtet89.
- Unter Ramses II. wird eine neue Kultanlage für die Apis-Stiere eingerichtet als Teil eines „pr-Tempels des (wieder-)belebten Apis“ in Saqqara90.

Unter Ramses II. wird eine Gesamtanlage für den Mnevis von Heliopolis eingerichtet und dort auch Mneviskinder (Apiskälber) beigesetzt91.

Unter Ramses II. werden tierische königliche Schutzgötter wie beispielsweise Widdersphinx und Widderprotome in den Dörfern (als Dorfgötter) systema­tisch installiert.

Aus all den oben genannten Äußerungen und Thesen wird ersichtlich, dass der Tierkult für die alten Ägypter deshalb von so tragender Bedeutung war, weil er entgegen langläufiger Deutungen als Teil der Königstheologie anzusehen ist. Dementsprechend diente der Tierkult der bildhaften Darstellung eines Anteils der Königsideologie. Und so war es möglich, dass ein Tier mit einem Mal über einen Menschen stehen konnte und zumindest teilweise dieselbe kultische Verehrung wie ein Gott genoss.

3. DIE Wc B.T-ANLAGE UND DER DAZUGEHÖRIGE MUNDÖFFNUNGSRAUM

3.1 Der allgemeine Aufbau der Tierkultanlage

Der allgemeine Aufbau der Tierkultanlagen kann nur anhand der archäologischen Funde in Ägypten nachkonstriuert werden. Hierzu zieht man vor allem die Aus­grabung von Tuna el-Gebel vor, da die Tierkultanlage dort am besten erhalten ist. Mit Hilfe von Memphis und Elephantine versucht man das allgemeine Schema zu bestätigen.

Eine der wichtigsten Merkmale der Tierkultanlagen sind die gigantischen un­terirdischen Tiergalerien, die sich über hunderte von Metern ziehen. Diese Tierga­lerien verzweigen sich in mehrere Gänge, was sich in allen drei Gebieten bestätigt: Memphis, Tuna el-Gebel und Elephantine. Auch die verschiedenen Papyri der griechisch-römischen Zeit wie pTebtunis I oder pGrenfell II erwähnen diese diver­sen Tiergräber92.

Weiterhin markant für die Tierkultanlagen ist die überhalb der Tiergaleri­en befindliche Wc b.t-Anlage mit einem riesigen Tempelareal im Anschluss. Die Wcb.t-Anlage liegt meistens neben dem Treppeneingang der Tiergalerie, so bei­spielsweise auch bei Tuna. Aber bei dieser Wcb.t-Anlage handelt es sich um die, welche in der transponierten mythischen Ebene für verschiedene Feste93 genutzt wird und nicht um die, in der der praktische Teil der Mumifizierung stattfindet, wie man es fälschlich in der Literatur beim Serapeum liest. Denn mit der in der Literatur erfassten Wcb.t-Anlage des Serapeums, wird grundsätzlich die Wcb.t beim Ptahtempel gemeint sein, in welcher der eigentliche Apis-Stier mumifiziert wurde.

Der Aufbau der Wcb.t-Anlage selbst wird im Kapitel 3.2 näher erläutert. Die Wcb.t-Anlage geht im direkten Anschluss in die riesige Tempelanlage über. Diese beiden Anlagen sind miteinander verschmolzen und können daher nicht strikt von einander getrennt werden.

So kommt man vom vermutlich geschlossen Bereich des Eingangs in die Tier­galerien mit einem kurzem Treppenaufgang in den offenen Tempelhof. In diesem Tempelhof befanden sich meistens 6-8 kleine Kammern, in denen wahrscheinlich Schreine inne wohnten. Vom Tempelhof in Blickrichtung Osten beeindruckte in Tuna el-Gebel3 eine 24 m breite pylonartige Eingangsfassade, deren Seiten durch nach oben offene Säulen und Schrankenplatten gegliedert war.

Dieses ganze Tempelareal mit der Wcb.t-Anlage ist umgeben mit einer Mauer. Ein Mauerzug zwischen dem Großen Tempel, welcher vor allem in Memphis der Ptah-Tempel ist, in Tuna el-Gebel94 der Thot-Tempel und in Elephantine vermut­lich der Chnum-Tempel im Süden und dem Tiergalerieeingang im Norden, zieht sich ca. 261,5 m in die Länge. Möglicherweise war die Mauerkrone begehbar, da sie nur dort angelegt zu sein scheint, wo sich neben dem Aushubhügeln aus dem Ge­steinsschutt der Tiergalerien auch Flugsand in beträchtlicher Höhe angesammelt haben muss.

Das Gelände, vor allem in Tuna el-Gebel, zwischen dem Großen Tempel und dem Tierfriedhof wird durch weiträumige Abschränkungen gegliedert und aus rechteckigen Kalksteinpfeilern gebildet. Sie haben den Tempelbereich im Süden und den Gräberbereich im Osten von den nördlicheren Osirisstätten abgetrennt. So befinden sie sich entsprechend auch am Tempel des Osiris-Pavian und sogar an der Rückwand des Petosirisgrabes im Süden. Parallelen dazu stehen im Serapeum zu Memphis und in den Widderfriedhöfen von Elephantine.

3.2 Der allgemeine Aufbau der Wcb.t-Anlage

Die Wcb.t-Anlage oberhalb der verschiedenen Tierfriedhöfe scheinte einem allge­meinen Bauschema zugrundeliegen95. Archäologische Funde wurden im wesentli­chen in Tuna el-Gebel sowie zum Teil im Serapeum von Memphis und den Wid­derfriedhöfen von Elephantine gemacht. Zum anderen existieren noch zwei weitere schriftliche Belege, die in sich eine Bauanleitung der Wcb.t-Anlage beinhalten, nämlich zum einem die Statue des Dd-Hr-p'-Sd96 und zum anderem das Buch vom Tempel97. Dagegen enthält der Apis-Balsamierungsritual-Papyrus pVindob. 3873 Angaben zum Raumprogramm einer Wcb.t in Memphis, die aus Mangel an archäologischen Quellen zur Rekonstruktion einer Balsamierungswerkstatt heran­gezogen werden können98. Es wurden folgende Raumeinheiten namentlich belegt:

1. Ein Portikus (Pilasterartiger Vorbau vor dem Eingang)
2. Eine große Halle
3. Ein „Bandagierungsraum“ mit der Ziegelmastaba
4. Eine kleine Abstellkammer
5. Ein Schlafraum '.t nm'j.t mit Balsamierungsbett

Über den Aufbau der Anlage lassen sich zunächst folgende Schlüsse aus der Inschrift des Dd-Hr-p'-!Sd99 ziehen: Der gesamte Tempelkomplex wurde von zwei großen Umfassungsmauern umschlossen. Die Eine umfasste die eigentliche Wcb.t- Anlage, während die Andere den Iat-Ma’at-Tempel, der außerhalb der Wcb.t lag, umrahmte. Die zwei großen Mauern wurden unter Nektanebol. errichtet. Der Gang zwischen dem Haupteingang der Umfassungsmauer, der zur Wcb.t führte, wurde mit „schönem weißen Kalkstein“100 ausgelegt.

Die Wcb.t-Anlage glich mit 68 Ellen Höhe und 64 Ellen Breite, d. h. umgerech­net 35, 70 m x 33, 60 m, fast einem Quadrat, in dessen Inneren sich ein großer Saal befand.

Die Türen der Wcb.t stellten etwas besonderes dar, denn jeder Durchgang wurde aus weißen Kalkstein gemeißelt. Die Türflügel bestanden aus S'qjn-Holz und alle Metallteile aus Asie101 (?).

Mit seinen acht Säulen hatte der Eingang (hìy.t) eine gewaltige, ja kolossale Wirkung auf die Zuschauer. Hinzu kam noch ein Thron, der sich in der Mitte des Eingangsdaches befand und den pompösen Anblick noch bekräftigte. In den Thron waren die Initialen des Königs eingraviert, was vermuten lässt, dass seine Aufgabe darin lag, den König bei seiner morgendlichen Erscheinung und Thronbesteigung zu „demonstrieren“102.

Der Balsamierungssaal (wsh.t) der Wcb.t war Schauplatz und Zentrum des Balsamierungsritual für das „göttliche Fleisch“, womit die heiligen Tiere bezeichnet wurden. Die Ritualleiter hrj-sst' führten darin die Mumifizierung aus. Danach wurde die Mumie zum Tierfriedhof gebracht, welcher im Norden des Athribis- Gaues lag, wo auch die Nekropole stand.

Zudem existierten bei der Wcb.t von beiden Seiten Gartenanlagen, von denen die Pflanzen für die Opferdarbringung an die Götter hergenommen wurden. Im Süd-Osten der Wcb.t-Anlage hatte man einen Brunnen ausgehoben. Dieser besaß eine „Tiefe, die bis zum Nun“ reichte. Desweiteren schöpfte man aus dem Brunnen Wasser für die Libation.103

Zuletzt kommt in der Inschrift des Dd-Hr-p'-Sd ein Reingigungsbecken in­nerhalb der Wcb.t vor, welches für das Reinigungsritual genutzt wurde sowie drei Kapellen, die sich im Vorhof je an beiden Seiten erstreckten.

So sieht KESSLER104 in der Publikation die „Inschrift des Dd-Hr-p'-Sdu von JELINKOVA-ReymüND bei den baulichen Verhältnisse zwischen der Wcb.t-Anlage und dem Iat-Ma’at-Tempel Unstimmigkeiten. Denn in der Zeichnung von JelinküVA- ReymüND105 fällt das Verhältnis der Umfassungsmauer zur Wcb.t zu klein aus. So lässt sich folgern, dass beide Tempel innerhalb einer Mauer stehen mussten. Die Mauer selbst dürfte nach KESSLER106 keine eigentliche Mauer gewesen sein, son­dern eher eine Abschrankung aus rechteckigen Steinpfeilern, die auf einem durch­gehenden Steinfundament ruhte und oben waagrechte aneinandergelegte Pfeiler trug. Mit diesen Angaben lässt sich in Tuna el-Gebel die Abgrenzung des Dromo- sareals107 verdeutlichen. Die Mauer um die Wcb.t-Anlage vom Iat-Ma’at-Tempel könnte nach KESSLER der des Großen Tempels in Tuna-Süd entsprechen, sowie der des nördlichen Iseion in Saqqara.

Auch bei QüACK108 wird in seiner Vorpublikation zum „Buch vom Tempel“109 die Wcb.t im memphitischen Raum als ummauertes Areal dargestellt:

„Die Balsamierungsstätte des heiligen Tieres ist an der Ecke der Mauer; ih­re Front zu rechten Seite der Außen[mauer], deren Front vom Tempel nach außen geht auf der linken Seite. Eine Tür ist nach außen geöffnet in der Mauer zum Teich, der außerhalb des Tempels ist. Vorschrift zum Gründen der Balsamierungsstätte: Drei Schreine an seinem Ende, die heilige Kammer (c.t špsj(.t?)), das Resenet-Heiligtum auf der rechten Seite, das Mehenet- Heiligtum auf der linken Seite. Eine Opferhalle (wsh.t-htp.w) ist außerhalb von ihnen. Die Tür des Resenet-Heiligtums ist geöffnet in dieser Halle. Man öffnet eine Tür der ’heiligen Kammer’ (c.t špsj) zu dieser Halle und dem Mehenet-Heiligtum [...] Tür(?) in ihnen. Man machte einen Dromos (hf.t- hr) der „heiligen Kammer“ mittels eines Portikus, der mit allen Edelsteinen eingelegt ist. Man macht den Dromus [...] blockiert(?), geschmückt mit Pig­menten der Umrisszeichner, wie bei der Tür des Resenet-Heiligtums.

Danach eine Halle [...] Licht(?), um die Sonne darin zu sehen, wenn er in Frieden auf seinem Bett(?) kommt in jeder äußeren Halle. Nun sind ihre Türen verschlossen, bis der Tag des Aufsteigens zum Himmel eintritt.“

Ansonsten ähnelt das Bauschema von Athribis sehr dem von Tuna sowie dem von Memphis, obwohl in einigen Maßangaben die Werte auseinandergehen. An­hand dieser Tatsachen können folgende Vermutungen erschlossen werden. Die In­schrift des Dd-Hr-p'-Sd kann als Schilderung einer idealen bzw. perfekten Wcb.t- Anlage dazu dienen, den allgemeinen Aufbau dieser Anlage nachvollziehbar zu machen (Siehe Abb.3.1). Man sieht darin eine latente Grundstruktur, die in der fast quadratischen Wcb.t-Anlage, welche mit einer Abschrankung umfasst ist, er- kennbar wird. Weiterhin offenbart sich eine offene Säulenhalle, die entweder je Seite drei (Tuna el-Gebel) oder vier Paar-Säulen (Athribis) enthält. Desweite­ren befindet sich ein gepflastertes Areal mit einer Toranlage vor der Wcb.t und ein Areal hinter der Gartenanlage mit einigen Baumgruben. Fraglich ist für Tuna el-Gebel allerdings ein Brunnen bzw. ein Wasserbassin. Für Tuna el-Gebel ver­mutet KESSLER110, dass Wasser aus großer Entfernung geholt werden musste, da ein größeres Wasserbecken wegen der Bodenbeschaffenheit nicht zu bauen war.

Bei weiteren Überlegungen stellt sich die Frage bei dem Balsamierungssaal wsh.t aus der Inschrift des Dd-Hr-p'-Sd, ob er überdacht war. Die Athribis- Inschrift gibt darauf keine eindeutige Antwort, für Tuna kann man jedoch mit Hilfe der Fundlage folgern, dass man zunächst in einen nach oben offenen wsh.t - Hof111 gelangte, um für bestimmte frühmorgendliche Riten das Sonnenlicht zu emp­fangen. Auch QüACK112 führt einen offenen Hof in der Nachbarschaft der Wcb.t- Anlage an. Von ihm aus gingen seitlich je drei Kammern ab, die sorgfältig aus Kalkstein errichtet wurden.

Weiterhin vermutet KESSLER113 für die Wcb.t-Anlage einen Ort der Orakelan­frage, welcher im Westen des Vestibülbereiches114 der Tierfriedhöfe lag.

[...]


1 [Assmann(2000), S.12-13]

2 [Assmann(2000), S.12-13]

3 [Assmann(2001), S.3]

4 [Hopfner(1913), S.12]

5 [Hornung(1967, S. 69-84), S.70]

6 [Hornung(1967, S. 69-84), S.70]

7 [Hopfner(1913), S.12]

8 [Kessler(1989), S.5]

9 [Hopfner(1913), S.13]

10 Siehe dazu [Otto(1938)] und [Winter(1978)].

11 Vgl. dazu [Otto(1938), S.5] und [Hopfner(1913), S.13].

12 [Hopfner(1913), S.13]

13 [Hopfner(1913), S.13]

14 [Hornung(1971), S.127]

15 Vgl. dazu [Hopfner(1913), S.13] und Kapitel 4.1.

16 [Hopfner(1913), S.15]

17 [Hopfner(1913), S.16]

18 II, 65 aus [Hopfner(1913), S.16].

19 [Hopfner(1913), S.17]

20 [Kessler(2003, S.33-65), S.39-42]

21 Urkunden des königlichem Museums zu Berlin II, 387 oder p.Rainer 8 aus [Hopfner(1913), S.17].

22 [Hopfner(1913), S.17]

23 [Kessler(2003, S.33-65), S.55] und [Kessler(1989), S.81].

24 [Hopfner(1913), S.17]

25 [ütto(1938), S.26] und [Wiedemann(1890), S.550].

26 [Hopfner(1913), S.82]

27 [Hopfner(1913), S.22]

28 [Hopfner(l913), S.22]

29 [Hopfner(l913), S.22] und [Feder(2003, S. 159-166), S.161].

30 [Hopfner(1913), S.23]

31 Siehe auch die Berichte von den Ausgrabungen z. B. Elephantine, Tuna el-Gebel, Memphis usw. und vgl. [Hopfner(1913), S.23].

32 [Hopfner(1913), S.19]

33 Siehe dazu näheres 4.3, Seite 54.

34 [Hopfner(1913), S.20]

35 Tiere im Jenseits erscheinen schon bereits in den Pyramidentexten (z. B. §386b), wo Gans und Rind z.B. als mögliche Kläger gegen den verstorbenen König vor dem Jenseitsgericht ge­nannt werden vgl. dazu [Morenz(1962, S.42-48)].

36 [Hornung(1967, S. 69-84), S.72]

37 [Kákosy(1970, S. 109-115), S.114]

38 Urkunde II, 145.

39 [Hopfner(1913), S.19]

40 [Hopfner(1913), S.19]

41 Epiphanie, die griechische Bedeutung: epiphaneia „Erscheinung“ aus epi „über, darauf“ und phainesthai „sich zeigen“, drückt zusammen im Sinne von „herausragen, sich hervorheben“ aus. So bezeichnet die allgemeine Bedeutung von Epiphanie die unvermutete Erscheinung oder Selbstof­fenbarung einer Gottheit vor den Menschen, was in der Antike bisweilen auch mit dem Erscheinen eines als göttlich verehrten Herrschers verbunden wurde.

42 [Winter(1978), S.18]

43 [Hopfner(1913), S.4] und [Feder(2003, S. 159-166), S.159].

44 Juden und Christen sahen Gott als etwas unendlich Erhabenes, welches als reiner Geist aufzufassen ist, was den Gedanken einer Verkörperung innerhalb des Tierleibes als unfassbar, abschreckend und unmöglich ansieht.

45 Aus decal. 80, S.194 M im [Hopfner(1913), S.4].

46 [Hopfner(1913), S.4-5]

47 [Hopfner(l913), S.5]

48 Kautsch, die Apokryphen usw. II, 16f aus [Hopfner(1913), S.5].

49 [Hopfner(1913), S.5]

50 In paedagog. III, 2, Migne, tom. 8, Sp.560ff aus [Hopfner(1913), S.5].

51 Vgl. dazu Origines, c. Cels. III, 17, Migne, tom. 11, Sp.457 aus [Hopfner(1913), S.5] und [Feder(2003, S. 159-166), S.163.164].

52 In coh. 2, Migne, tom. 8, Sp.119ff aus [Hopfner(1913), S.5].

53 II, 65 aus [Hopfner(1913), S.6].

54 I, 89 aus [Hopfner(1913), S.6] und [Feder(2003, S. 159-166), S.160].

55 I, 90 und I, 86 aus [Hopfner(1913), S.6].

56 [Hopfner(1913), S.6] und vgl. Löret, Les enseignes militaires des tribus in Rev. Egypt. X, Lyon 1906 S.101ff und XI, S.69ff.; Budge, The Gods of the Egyipt I, London S.27ff.

57 [Hopfner(1913), S.6]

58 [Feder(2003, S. 159-166), S.161]

59 I, 87 aus [Hopfner(1913), S.7].

60 [Kessler(Unpubliziert), S.481]

61 [Fitzenreiter(2003, S.1-32), S.16] und [Kessler(Unpubliziert), S.482].

62 Siehe dazu die Sedfestdarstellung und die Sedfestarchitektur bei [Rochholz(1994)].

63 Vgl. [Kessler(Unpubliziert), S.486] und siehe Kapitel 4.1, S.37.

64 Siehe in [Kessler(Unpubliziert), S.496].

65 [Kessler(1989), S.73]

66 Das Hieros Gamos ist die Heilige Hochzeit und die Heilige Vereinigung entweder zweier Gottheiten oder zweier Priester oder einer Gottheit mit einem Priester. Früher sicherte der Hieros Gamos die Fruchtbarkeit der Natur und der Menschen, galt aber auch als eine Macht- und Kraftübertragung und wurde auch als Inthronisationsritus und Initiationsritus benutzt.

67 [Kessler(Unpubliziert), S.509]

68 [Kessler(Unpubliziert), S.510]

69 [Kessler(Unpubliziert), S.510]

70 [Kessler(Unpubliziert), S.510]

71 Vgl. dazu bei [Altenmüller(1967)].

72 [Kessler(Unpubliziert), S.554]

73 [Kessler(Unpubliziert), S.562]

74 Vgl. dazu dann Kapitel 4.2.2.

75 [Fitzenreiter(2003, S. 1-32), S.17]

76 [Kessler(Unpubliziert), S.561]

77 [Kessler(Unpubliziert), S.570]

78 [Kessler(Unpubliziert), S.635]

79 [Kessler(2003, S.33-65), S.36]

80 [Kessler(2003, S.33-65), S.36]

81 [Hornung(1971), S.125] spricht beim Apis von dem „wandelnden Gott“ und auf [Hornung(1971), S.127] redet vom „lebendigem Tier“, welches ein „Bild und Gefäß einer Gott­heit“ sein soll. Das Tier ist also nur in der Götterrolle, während der Prozessionen und Umzüge. Der Apis ist einmal ein Gott, ein andermal ein heiliges Tier.

82 [Kessler(2003, S.33-65), S.37]

83 [Kessler(2003, S.33-65), S.37]

84 [Kessler(2003, S. 33-65), S.37]

85 Siehe dazu M.A. Hoffmann, The Predynastic of Hierakonpolis, Oxford 1982.

86 Zu den Apisläufen siehe [Kessler(1989), S.70].

87 Siehe E. Brunner-Traut, Spitzmaus und Ichneumon als Tiere des Sonnengottes, Göttin­gen 1964.

88 Stele Kairo JE 65831 bei K. Mysliewiec, Studien zum Gott Atum. Band I: Die heiligen Tiere des Atum, Hildesheim 1978, Taf. IX.

89 Urk. IV, Z.20.

90 Zur Interpretation der verschiedenen Sakralbauten des Neuen Reiches siehe [Kessler(1989), S.18].

91 [Kessler(1989), S.42]

92 [Hopfner(1913), S.21]

93 Siehe dazu Kapitel 4.1, S.37.

94 Siehe dazu die Homepage: http:www.aegyptologie.lmu.de/Tuna/tunahome.htm.

95 [Kessler(im Druck), S.152]

96 [Jelinkova-Reymond(1961), S.96-110]

97 Eine gesamt Publikation ist vorgesehen! Aber vorerst wurden einige Vorberichte publiziert, siehe dazu [Quack(2003, S. 111-124), S.111-124].

98 Vgl. die dementsprechende Passage bei [Vos(1993), S.32f] (rt.,IV 20; rt.IV23 VIa, 11; rt.I 1). Allerdings können diese Raumeinheiten nicht mit dem tatsächlichen archäologischem Befund des Apis-Balsamierungshauses in Memphis abgeglichen werden.

99 [Jelinkova-Reymond(1961), S.96-110]

100 [Jelinkova-Reymond(1961), S.100]

101 [Jelinkova-Reymond(1961), S. 101]

102 [Kessler(im Druck), S.155]

103 Aus der Übersetzung in [Jelinkova-Reymond(1961), S.98f].

104 [Kessler(im Druck), S.153]

105 [Jelinkova-Reymond(1961), S.100]

106 [Kessler(im Druck), S.153]

107 Der griechische Ausdruck Dromos (plur.) Dromoi bezeichnet in der Archäologie einen Zu­gangskorridor (offenen Vorbereich) zu Kammeranlagen oder Felsgräbern.

108 [Quack(2003, S. 111-124), S.114]

109 Übersetzung nach Quack aus [Quack(2003, S. 111-124), S.114].

110 [Kessler(im Druck), S.154]

111 [Kessler(im Druck), S.156]

112 [Quack(2003, S. 111-124), S.121]

113 [Kessler(2003, S. 33-65), S.41] und [Kessler(im Druck), S.152].

114 Als Vestibül (lat.: vestibulum = Vorplatz, Vorhof, Vorhalle) bezeichnet man in der Neuzeit eine repräsentative Eingangs- oder auch Treppenhalle.

Ende der Leseprobe aus 114 Seiten

Details

Titel
Untersuchungen zu Mundöffnungsräumen von Tierfriedhöfen. Im Vergleich
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Note
gut
Autor
Jahr
2007
Seiten
114
Katalognummer
V83405
ISBN (eBook)
9783638882378
ISBN (Buch)
9783638888615
Dateigröße
11545 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Untersuchungen, Mundöffnungsräumen, Tierfriedhöfen, Vergleich
Arbeit zitieren
M. A. Nadine Vaksic (Autor:in), 2007, Untersuchungen zu Mundöffnungsräumen von Tierfriedhöfen. Im Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83405

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