Der Gegenwartsbezug im Geschichtsunterricht


Seminararbeit, 2007

14 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Der Gegenwartsbezug im Geschichtsunterricht
2.1. Die Theorie der Gegenwarts- und Zukunftsbezogenheit
2.2. Die Didaktik der Gegenwarts- und Zukunftsbezogenheit
2.2.1. Ursachen- und Sinnzusammenhänge
2.2.2. Der thematische Längsschnitt
2.2.3. Die historische Fallstudie
2.3. Erkennbare Vergangenheitsbezüge als didaktische und methodische Grundlage des Unterrichts
2.4. Planung von Unterricht

3. Fazit

4. Bibliographie

„Historia magistra vitae.“

(Cicero)

1. Einleitung

Der Topos der Geschichte als Lehrmeisterin des Lebens wurde erstmals im ersten Jahrhundert vor Christus von Marcus Tullius Cicero formuliert.[1] Ihren Ursprung hatte diese Erkenntnis allerdings bereits in früherer Zeit gehabt, ablesbar an der Thukydidesphrase des Lukian, die besagt, „daß man, wenn jemals wieder Ähnliches sich begeben sollte, [man] an dem Aufgezeichneten sich orientieren und mit der gegenwärtigen Lage fertig werden zu könne“[2]. Dieses Verständnis beruht auf der antiken Hypothese, dass „das Vergangene […] nicht schlechthin vergangen ist, sondern gerade dadurch, dass es einmal Realität war, als prinzipielle Möglichkeit weiter besteht, die in einer nicht oder noch nicht bekannten Zukunft sich wiederum realisieren wird“[3] – ein zirkulares Bild des historischen Geschehens. Wie auch heutzutage üblich, so sahen ebenso die antiken Historiker Geschichte, historia, als die möglichst wahrheitsgetreue Überlieferung vergangener Ereignisse und Ereignissequenzen.[4] Aus derartigen Berichten ist es nach unserem gegenwärtigen Verständnis der Nachwelt jedoch verwehrt, abgesehen von historischen Fakten nutzbringende Erkenntnisse zu erlangen. Das heutige Konzept von Geschichte beruht nur noch im weiten Sinne auf der Kreislauftheorie des Aristoteles, die zwar wiederkehrende gleiche Abläufe von Wandel und Veränderung zulässt, gänzlich Neues jedoch ausschließt. [5] Die moderne Zyklentheorie meint eben nicht die Identität von Vergangenheit und Zukunft sondern die Identität von prinzipiellen Gesetzmäßigkeiten und Strukturen.[6] Historia kann nur etwas lehren, wenn das „schlechthin Einzelne aus seiner Einzelheit erlöst wird, indem es für ein anderes zu stehen kommt, und damit an einem Allgemeinen teilhat“[7]. Durch derartige Analogie kann das Besondere in einem Ereignis erkannt werden und „zur Erkenntnis eines anderen beitragen“[8]. Die Übertragung von Veränderungsstrukturen vergangener Ereignisse auf Gegebenheiten der Gegenwart ermöglicht also, sich an bereits gemachten Erfahrungen zu orientieren, um Entscheidungen für die Zukunft sicherer planen zu können.

Diese Erkenntnis der Sinnhaltigkeit von Geschichte muss SchülerInnen bewusst gemacht werden, um sie für den Geschichtsunterricht begeistern zu können. Sie müssen im Unterricht ihre eigenen Fragen und Interessen in historischen Themen wieder erkennen und, wie die Moral aus einem Märchen, eine Orientierungshilfe für ihre eigene Gegenwart und Zukunft daraus ableiten können.[9] Möglich ist dies nur, wenn sich der Geschichtsunterricht mit der Geschichte der SchülerInnen, beziehungsweise mit der ihrer Lebensumwelt – ihrer Umgebung, ihrer Vorfahren usw. –, beschäftigt.[10] Weiterhin müssen SchülerInnen hierzu sowohl Methoden für das eigenständige Erforschen ihrer Fragen erlernen, sowie im Unterricht die Möglichkeit von Mitarbeit erhalten, auch wenn sie leistungsschwächer sind als ihre Mitschüler.[11] Historische Inhalte ohne jeglichen Gegenwartsbezug sind für SchülerInnen nicht relevant und daher nicht an sie vermittelbar.[12]

In der vorliegenden Arbeit soll auf Möglichkeiten eines bewusst gegenwarts- und zukunftsorientierten Geschichtsunterrichts eingegangen werden: ein Unterricht, der dem Lernenden die Fähigkeit erbringt, Verbindungen zwischen Ereignissen und Verhältnissen zu ziehen, um aufzuzeigen, wann, wo und auf welche Weise historische Gegebenheiten nützlich sind für die Gegenwart.

2. Der Gegenwartsbezug im Geschichtsunterricht

2.1. Die Theorie der Gegenwarts- und Zukunftsbezogenheit

„Geschichte ist historische Erinnerung“[13], die Erinnerung an Gegebenheiten, die größtenteils vor unserer eigenen Existenz geschehen sind.[14] Die Fähigkeit der „Erinnerung“ ermöglicht dem Menschen, sich bestimmten Ereignissen oder Lebensabschnitten der eigenen Lebensgeschichte bewusst zu werden – sie als Erfahrungen zu „vergegenwärtigen“[15] – um aus ihnen zu lernen und in ähnelnden Situationen der Gegenwart klüger und weiser zu handeln als zuvor.[16] Das Nachdenken über Vergangenes findet immer unter dem Einfluss von Gegenwartserfahrungen statt und wird von spezifischen Zukunftserwartungen beeinflusst.[17] Abhängig von ihrer Erfahrung wird eine Kultur vorhandene „Quellen“, also die ursprünglichen Überlieferungen der Vergangenheit, anders befragen und deuten und somit unterschiedliche und neue Erkenntnisse erlangen.[18]

Der Begriff der „Vergegenwärtigung“ von Geschichte, also im weiten Sinne die Herstellung von Gegenwartsbezügen, wird in der Literatur divers diskutiert. Joachim Rohlfes sieht darin einen Akt der Umformung, bei welchem „ausschließlich das Gegenwärtige das Vergangene interpretiert, während beim ‚Gegenwartsbezug’ der Erklärungseffekt wechselseitig ist“[19]. Die „Vergegenwärtigung“ beinhaltet nach Rohlfes demnach die Gefahr, das Vergangene nicht aus seinem eigenen Kontext und seiner eigenen Struktur heraus zu verstehen. Vielmehr verschwindet die wichtige Unterscheidung zwischen Vergangenheit und Gegenwart aufgrund gegenwärtiger Semantik und Vorstellungen. Peter Schulz-Hageleit hingegen betrachtet die „Vergegenwärtigung“ eher als eine Methodik der Veranschaulichung und des besseren Begreifens vergangenen Lebens: „Wer Geschichte vergegenwärtigen will, wird bestimmte Methoden und Medien bevorzugen. Er wird Geschichte erzählen oder dramatisieren, zeigen in Bildern oder Gegenständen, er wird Geschichte handgreiflich rekonstruieren und die Angebote der modernen Museumspädagogik nutzen[20]. Hans-Jürgen Pandel und Gerhard Schneider vereinigten richtiger Weise beide Thesen indem sie darauf hinwiesen, dass die abstrakten Erkenntnisse der Geschichtswissenschaft veranschaulicht werden müssen, „damit sie von den Schüler[Innen] überhaupt verstanden werden können“[21]. Ferner muss beim Vergegenwärtigen „von den vielen konkreten zeitgebundenen und zeittypischen Einzelheiten, Umständen und Bedingungen gerade abgesehen werden, damit der Schüler erkennt, dass es um solche Probleme geht, die sich ihm in seiner Gegenwart stellen und die in der Vergangenheit auf unterschiedliche Weise beantwortet wurden […] Veranschaulichung zielt somit auf Detaillierung, Vergegenwärtigen aber auf Generalisierung“[22].

2.2. Die Didaktik der Gegenwarts- und Zukunftsbezogenheit

Während empirische Geschichtsforscher keine Rechenschaft über den Nutzen ihrer Forschung für die Gesellschaft abzulegen brauchen, befinden sich GeschichtslehrerInnen in einer anderen Verantwortung. Wie Nietzsche es forderte,[23] müssen sie ihre SchülerInnen aufklären über den praktischen Nutzen der Geschichte, um sie für den Unterricht zu motivieren und das Bestehen des Geschichtsunterrichts in Schulen zu rechtfertigen.[24] Besondere Bedeutung erlangt dabei die Beantwortung gegenwärtiger, lang anhaltender ethisch-politischer Fragen.[25] Die Geschichtsdidaktik wendet sich an führende Wissenschaftler und Intellektuelle, um aus ihren objektiven Analysen und Beschreibungen gesellschaftlicher Probleme und aus den Ansichten verschiedener Fachrichtungen einen stellvertretenden Querschnitt gegenwärtiger und zukünftiger Herausforderungen zu ermitteln.[26] „Didaktik ist die Spezialwissenschaft des Bedeutsam-Allgemeinen“[27] – deren Erkenntnissen und Theorien, die für SchülerInnen lernwürdig und bedenkenswert erachtet werden können.[28] Demnach kann eine gute Geschichtslehrerin bzw. ein guter Geschichtslehrer nur derjenige sein, der für die SchülerInnen entscheidende gegenwärtige und wohl zukünftig relevante gesellschaftliche Probleme erkennt und diese für seinen Unterricht nutzt.[29] Viele eklatante Probleme der Gegenwart und der absehbaren Zukunft spiegeln sich in der Vergangenheit wieder.[30] Unter diesen findet sich zum Beispiel die Frage nach Gerechtigkeit und gutem Leben, nach Partizipation und Mitbestimmung, nach Gleichberechtigung der Geschlechter, nach dem Umgang mit Minderheiten oder nach schutzwürdigen Errungenschaften.[31] Viele solche entscheidenden Probleme sind in der Wissenschaft und in der Politik bereits erkannt, doch ist oft noch unklar, wie ihnen zu begegnen sei, um sie zu lösen. Die Geschichtswissenschaft kann den historischen Ursprung derartiger Herausforderungen ermitteln, um „das Übel an der Wurzel zu packen“. Entscheidender ist jedoch, dass sie ebenso historische Lösungsansätze sowie Wertvorstellungen unserer Vorfahren erforscht, um unsere heutige Erfahrung auszudehnen und Ratschläge für gegenwärtige Bemühungen zu geben.[32] Zu solchen Erkenntnissen gelangt die Geschichtswissenschaft mittels des Ursachen- bzw. Sinnzusammenhangs.

[...]


[1] Kessler, Eckhard: Historia magistra vitae. Zur Rehabilitation eines überwundenen Topos. In: Schörken, Rolf (Hrsg.): Der Gegenwartsbezug der Geschichte. Stuttgart 1981. S.11-33. S. 12.

[2] Lukian, wie zitiert in Kessler: Historia, S. 12f..

[3] Kessler: Historia, S. 13.

[4] Ebd.

[5] Ebd., S. 14.

[6] Ebd.

[7] Ebd., S. 13.

[8] Ebd.

[9] Meier, Klaus-Ulrich: Der Geschichte auf der Spur – ein handlungsorientierter Beginn des Geschichtsunterrichts in der Sekundarstufe I. In: Bergmann, Klaus; Rohrbach, Rita (Hrsg.): Kinder entdecken Geschichte. Theorie und Praxis historischen Lernens in der Grundschule und im frühen Geschichtsunterricht. Schwalbach/Ts. 2001. S. 164-178. S. 165f.

[10] Ebd.

[11] Ebd.

[12] Bergmann, Klaus: Der Gegenwartsbezug im Geschichtsunterricht. Schwalbach/Ts. 2002. S. 8.

[13] Ebd., S. 15.

[14] Ebd.

[15] Ebd.

[16] Ebd.

[17] Ebd., S. 18.

[18] Ebd., S. 19.

[19] Rohlfes, Joachim: Gegenwartsbezug als Kategorie der Geschichtswissenschaft und der Geschichtsdidaktik. In: Schörken Gegenwartsbezug, S. 60.

[20] Schulz-Hageleit, Peter: „Vergegenwärtigung“ und „Gegenwartsbezug“. Zum Verhältnis zweier didaktischer Kernbegriffe mit einem Unterrichtsbeispiel zur Pariser Kommune. In: Schörken: Gegenwartsbezug, S. 85 (Hervorhebungen wie im Original).

[21] Pandeln, Hans-Jürgen; Schneider, Gerhard: Veranschaulichen und Vergegenwärtigen. Zu zwei Kategorien der geschichtsdidaktischen Mediendiskussionen. In: Pandel, Hans-Jürgen; Schneider, Gerhard (Hrsg.): Handbuch Medien im Geschichtsunterricht. Band 24. Düsseldorf 1985. S. 3-10. S. 9.

[22] Ebd.

[23] „Gewiss, wir brauchen Historie, aber wir brauchen sie anders als sie der verwöhnte Müßiggänger im Garten des Wissens braucht […] Nur soweit die Historie dem Leben dient, wollen wir ihr dienen.“; Nietzsche, Friedrich: Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben (1874). In: Nietzsche, Friedrich: Unzeitgemäße Betrachtungen. Stuttgart 1964. S. 95-196. S. 97.

[24] Bergmann: Gegenwartsbezug, S. 21.

[25] Ebd., S.22.

[26] Lucas, Friedrich J.: Geschichte als engagierte Wissenschaft. Zur Theorie einer Geschichtsdidaktik. Stuttgart 1985. S. 176f.

[27] Hilligen, Wolfgang: Zur Didaktik des politischen Unterrichts. Wissenschaftliche Voraussetzungen – Didaktische Konzeptionen – Praxisbezug. Bonn 1985. S. 23

[28] Bergmann: Gegenwartsbezug, S. 23.

[29] Ebd., S. 24.

[30] Ebd., S. 27.

[31] Ebd., S. 27f.

[32] Ebd., S. 30.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Der Gegenwartsbezug im Geschichtsunterricht
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel  (Historisches Seminar)
Veranstaltung
Einführung in die Geschichtsdidaktik
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
14
Katalognummer
V83360
ISBN (eBook)
9783638899338
Dateigröße
491 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
"In jeder Hinsicht sehr überzeugende Arbeit!" (Anmerkung des Dozenten)
Schlagworte
Gegenwartsbezug, Geschichtsunterricht, Einführung, Geschichtsdidaktik
Arbeit zitieren
Gunnar Linning (Autor:in), 2007, Der Gegenwartsbezug im Geschichtsunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83360

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