Vom „Deutsch-Römer“ zum „Rom-Deutschen“

Ferdinand Gregorovius’ interkulturelle Leistungen in den „Wanderjahren durch Italien“


Hausarbeit, 2004

24 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Über den Autor

3. Merkmale von Interkulturalität
3.1 Theoretischer Hintergrund
3.2 Literarischer und historischer Hintergrund
3.3 Herangehensweise
3.4 Autorintention
3.5 Stil
3.6 Gregorovius und Rom

4. Lob und Kritik

5. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Triebfeder für die bis ins hohe Alter andauernde Reiselust, die Gregorovius auszeichnete, war sein Hunger nach Wirklichkeitserfahrung.“[1] Man könnte es auch die Sehnsucht nach dem Neuen und Fremden nennen, aus deren Erkenntnis man eigene Schlüsse zieht. Mit der Suche nach diesen Resultaten, die zwischen der deutschen und italienischen Kultur liegen und die sich durch die Literatur Gregorovius’ manifestieren, wird sich diese Arbeit beschäftigen.

Neben Johann Wolfgang von Goethe galt Ferdinand Gregorovius als einer der wichtigsten Autoren über das Italien im 19. Jahrhundert. Heute ist der Schriftsteller nahezu unbekannt und das, obwohl er vor gerade einmal 150 Jahren begann seine Berichte über Italien zu verfassen. Seine Verdienste um die deutsch-italienische Verständigung im intellektuellen und kulturellen Sinne werden weniger gelobt als die anderer Italienspezialisten der damaligen Zeit, die entweder nur auf die künstlerisch-schriftstellerische oder die wissenschaftlich-historische Interpretation ihre Schwerpunkte legten. Dass gerade Gregorovius es verstand beide Komponenten in Einklang zu bringen, ist die herausragende Leistung des Deutschen, der mehr als 20 Jahre in Italien verbracht hat.

Diese Zeit in der Fremde sollte sich zwangsläufig in der Ausgestaltung und Interpretation seiner Texte bemerkbar machen, denn schließlich handelt es sich um ein Eintauchen in eine andere Kultur. Den Aspekt der Interkulturalität, dem wechselseitigen und gleichberechtigten Austausch der Kulturen, gilt es demnach in dieser Arbeit zu untersuchen. Neben der allgemein zugänglichen Forschungsliteratur müssen dafür zur besseren Bewertung von Gregorovius’ Persönlichkeit und der Darstellung der italienischen Kultur Tagebuchnotizen und Briefe hinzugezogen werden.

Die Berücksichtigung von Erfahrungsmaterial, das nicht direkt der Literatur angehört, ist umso notwendiger, als die dichterische Gestaltung Italiens dazu neigt, sich von ihrer Vorlage tendenziell zu lösen, sich gegenüber die Wirklichkeit sogar völlig zu verselbständigen und ein stereotypes Bild des Landes zu entwerfen.[2]

Genau deshalb gilt es auch zu überprüfen, ob solche Stereotypen in der Literatur Gregorovius’ zu finden sind. Ausgehend von der Annahme eines interkulturell agierenden Menschen, müsste dieser Umstand, wenn überhaupt, sehr gering ausfallen.

Auf den ersten Blick erscheint die Literatur zu diesem Thema eher spärlich auszufallen. Vertieft man allerdings das Sujet, finden sich doch einige Veröffentlichungen zu Gregorovius’ Leben und Wirken, wobei diese teilweise auch in andere Themenkomplexe integriert wurden. Besonders herauszuheben ist die Aufsatzsammlung von Arnold Esch und Jens Petersen, die in ihrer „Kritischen Würdigung“ verschiedene deutsche und italienische Autoren zu Wort kommen lassen. Zudem existiert eine sehr ausführliche Biographie, die von Johannes Hönig verfasst wurde. Außerdem kann man auf einen Aufsatz von Hanno-Walter Kruft zurückgreifen, der in den Sitzungsberichten der Bayerischen Akademie der Wissenschaften veröffentlicht wurde; er unterscheidet sich allerdings nur wenig von seinem Aufsatz bei Esch und Petersen. Nichtsdestotrotz bietet er umfangreiche Informationen zu Gregorovius in seiner Funktion als Dichter. Gemeinsam mit Markus Völkel hat Kruft die „Römischen Tagebücher 1852-1889“ herausgegeben. Sie sind, wie bereits erwähnt, unerlässlich für eine interkulturelle Einordnung von Gregorovius’ Werken. Ebenfalls interessant sind die Ausführungen des Geographen Herbert Lehmann, der die Landschaftsbeschreibungen von Goethe und Gregorovius gegenüber gestellt hat. Anzumerken ist jedoch bereits hier schon, dass der Aufsatz durchaus lesenswert ist, dass sich aber die beiden Dichter in ihrer Intention deutlich voneinander unterschieden haben, was ein duales Gleichsetzen schwierig macht. Hinweisen möchte ich noch auf die Veröffentlichung von Stefan Oswalds „Italienbildern“ sowie auf zwei deutsch-italienische Studien aus der Reihe der Villa Vigoni, die sich zwar nicht unmittelbar mit Gregorovius beschäftigen, aber trotzdem einen guten Einblick in das deutsch-italienische Kunst- und Literaturbild geben. Unerlässlich sind zudem die von Bernd Thum und Gonthier-Louis Fink herausgegebenen Veröffentlichungen der Gesellschaft für interkulturelle Germanistik, die zur spezifischen Einordnung des hier behandelten Themas begleitend herangezogen wurden.

2. Über den Autor

Ferdinand Adolf Gregorovius wird am 19. Januar 1821 in Neidenburg als jüngstes von acht Kindern geboren. Sein Vater ist in der ostpreußischen Kleinstadt Kreisjustizrat. „Die Mitglieder der Familie wählten mit Vorliebe den Beruf von Rechtsgekehrten und Predigern.“[3] Dem folgend beginnt auch Ferdinand nach dem Gymnasium seine Ausbildung und studiert Theologie und Philosophie an der Königsberger Universität. Nach seiner Promotion in Philosophie über „Plotins Ästhetik“, beendet er 1843 sein Studium und unterrichtet bis 1852 an einer Privatschule in Königsberg.

Seine eigentliche Berufung sucht er jedoch als Lyriker, Erzähler und Dramatiker, auch wenn Ernst Osterkamp in seinem Aufsatz darauf hinweist, dass „Gregorovius’ dichterisches Werk nahezu durchgängig von beklemmender Mittelmäßigkeit“ sei und er „sich über den künstlerischen Wert seiner Dichtung […] durchaus nicht im unklaren“[4] war. Das ist wohl auch der Grund, weshalb Gregorovius in Deutschland anfänglich nicht unter seinem eigenen Namen sondern mit dem Pseudonym Ferdinand Fuchsmund veröffentlichte. Gregorovius kann somit etwa als Epigone in künstlerisch-schriftstellerischer Hinsicht zu seinen literarischen Vorgänger, wie beispielsweise Goethe und Heine gesehen werden. Als Historiker wird er sich jedoch von ihnen absetzen können.

Aus Enttäuschung über die gescheiterte Revolution von 1848 und um seinen Freund, den Maler Ludwig Bornträger, in Italien zu besuchen, verlässt er 1852 Deutschland. „Italien war für ihn zu diesem Zeitpunkt ,Rettung’ aus persönlicher Ausweglosigkeit, aber noch nicht erkennbares Ziel.“[5] Jens Petersen geht weiter und meint, dass Gregorovius’ Reise „eine Flucht vor den unerträglich empfundenen Verhältnissen seiner Gegenwart und ein politisches und persönliches Exil [war][6]. Ein Beleg dafür ist auch ein Brief, in dem Gregorovius am 30. November 1851 an Bornträger seinen Verdruss in Deutschland, seine Sehnsucht nach Italien und seine Bewunderung für historische Geschichtsschreiber beschreibt:

Ich versuche mich aus diesen Fatiguen deutscher Literatur und Geschichte in das Italienische hinüberzuretten. […]Aber vortrefflich sind ihre Historiker, vor allem Machiavelli – könntest Du seine Florentinischen Geschichten lesen, in der Nähe von Florenz! Das müsste ein Genuß sein, wie wenn man Ilias in Ionien, den Tacitus in Rom liest.[7]

Als Gregorovius in Italien ankommt, ist Bornträger verstorben, so dass er erst einmal nach Korsika weiter reist. Bereits hier sind erste Zeichen seines Interesses für das Andersartige und Fremde festzustellen. Gregorovius’ Aufzeichnungen über Korsika spiegeln seine Neugier und die Bereitschaft, sich auf die fremde Kultur einzulassen, wieder. Sein Interesse an den geschichtlichen Hintergründen ist zwar vorhanden, spielt aber noch nicht die Rolle, die es in seinen späteren Berichten einnehmen wird.

Gregorovius hat die Reise nicht gemacht, um Baudenkmäler oder Museen zu besuchen. Er ist gekommen, um Menschen zu treffen, die Korsen selbst – übrigens hat er davor ein wenig Angst – und er wird nicht enttäuscht. Wie auch in seinen italienischen Reiseberichten, finden wir schon hier seine Vorliebe für Genreszenen, die die verschiedenen sozialen Typen und die lebendigen Portraits von Personen, die den Leser immer wieder erfreuen.[8]

Beachtenswert an Francis Pomonis Äußerung ist der Einschub über die Befürchtungen Gregorovius, sind sie doch ein Zeichen natürlicher Vorsicht dem Fremden gegenüber. Allerdings müssen sie relativiert werden, denn gerade das Interesse an den Menschen gleicht wohl die Ängste vor ihnen wieder aus.

Zwei Jahre später betritt Gregorovius am 2. Oktober 1854 Rom. Von da an sollen Italien und Rom 22 Jahre im Mittelpunkt seines Lebens und Schaffens stehen. Dabei muss man hinsichtlich seiner Tätigkeit als Historiker anfänglich beachten, dass „er keineswegs mit dem Vorsatz nach Italien [ging], historische Quellenstudien zu betreiben […]“.[9]

Der Ostpreuße schreibt zunächst Artikel über Italien, die in der „Allgemeinen Augsburger Zeitung“, für die übrigens auch Heine tätig war, abgedruckt werden. Sie haben maßgeblich mit dazu beigetragen, dass Beschreibungen aus Italien in Deutschland gelesen werden konnten. Zur genaueren Interpretation können viele Briefe und Tagebucheinträge, die das Italien der damaligen Zeit beschreiben, herangezogen werden. Die fünf Bände umfassenden „Wanderjahre in Italien“ sind ursprünglich unabhängig voneinander erschienenen Veröffentlichungen aus den Jahren 1852 bis 1875.

Als Gregorovius’ größte Leistung seines Lebens und Wirkens muss aber die „Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter“ angesehen werden. In diesen acht Bänden liegt Gregorovius’ Herzblut. Am 25. Dezember 1872 schreibt er in sein Tagebuch:

Mit dem Jahr 1872 schließt sich eine runde Epoche von 20 Jahren römischen Lebens für mich ab. Ich blicke mit Befriedigung auf diesen langen Weg zurück, wo ich mich unter unsagbaren Mühen ans Licht emporgearbeitet habe. Meine Lebensaufgabe ist vollendet.[10]

Natürlich liegt Gregorovius’ berühmteste und wohl auch umfangreichste Schaffenszeit in Italien, allerdings wandte er sich auch anderen Themen zu. Nachdem er sich viele Jahre auf Rom konzentriert hatte, zieht er 1874 nach München. Von dort aus reist er immer wieder nach Italien, entdeckt aber nach den Italienwerken auch Griechenland und den Orient für sich. Als Pendant zur Rom-Geschichte entsteht so das Werk „Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter. Von der Zeit Justinians bis zur türkischen Eroberung“. Auch hier versucht Gregorovius seine gewohnt akribische Recherchearbeit zu Papier zu bringen; es gelingt ihm aber nicht in der viel beachteten und hochgeschätzten Form, wie bei der Geschichte Roms.

1876 wird Gregorovius als erstem Deutschen die Ehrenbürgerwürde der Stadt Rom verliehen. Fritz Schillmann schreibt dazu:

Voll Stolz führte er, der freiheitlich gesinnte Mann, der manche äußere Ehrung ausgeschlagen hatte, später den Ehrentitel eines civis romanus, ohne daß er in den alten deutschen Fehler verfallen wäre, ihm sein Nationalbewusstsein zu opfern.[11]

Am 1. Mai 1891 stirbt Ferdinand Gregorovius im Alter von 70 Jahren in München.

3. Merkmale von Interkulturalität

3.1 Theoretischer Hintergrund

Will man Ferdinand Gregorovius in einem interkulturellen Gesamtzusammenhang verstehen, muss man vorab definieren, was damit gemeint ist. Klar ist, dass es sich um ein komplexes Zusammenspiel verschiedener kulturbestimmender Aspekte handelt, die als einzelne schon viel Raum für die Analyse seiner Werke lassen würden. Interessant wird es jedoch, wenn man den Versuch unternimmt, sie mit einander in Korrespondenz zu bringen. Die Gesamtheit einzelner Aspekte, wie beispielsweise bildende Kunst, Literatur und Musik stellen die schöpferische Kraft einer Gesellschaft dar, sie bilden ihre Kultur. Wird einer dieser Parameter verändert, hat das Auswirkungen auf die gesamte gesellschaftliche Kultur. Dass diese Veränderungen nicht zwangsläufig empirisch messbar sind, ist bedingt durch die einzelnen Komponenten, die einer gewissen individuellen Interpretation unterliegen. Trotzdem kann man eine gewisse Veränderung ohne weiteres unterstellen.

Für die Werke von Gregorovius gilt nun die Frage, was Literatur, also Sprache, in dem oben beschriebenem Zusammenhang darstellt und welche Funktion ihr zugeteilt werden kann. Sprache an sich ist ein Kommunikationsmittel, das als Zeichensystem auf körperlichen, phonetischen und materiellen Regeln basiert. Gleichzeitig gestatten diese Regeln jedoch, dass sich Sprache verändern kann. Sprache kann somit als ein offenes, vitales System angesehen werden, denn es unterliegt ständigen Veränderungen.

Sprache hat aber auch eine historische Dimension. Sie dient als Mittel der kulturellen Archivierung und Überlieferung. Anhand dieser Aufzeichnungsfunktion von Vergangenheit kann man auch bei Gregorovius und seinen Beschreibungen ansetzen, denn sein jahrzehntelanger Aufenthalt in Italien wird sich unter Umständen auch auf seinen Sprachgebrauch niedergeschlagen haben. Denn „Texte reagieren auf die Verstehensrahmen, auf die sie bezogen werden.“[12]

Sprachen sind Elemente transzendierender Gedanken und gesellschaftlicher Zustände. Das heißt, sie dienen auch der Überwindung und Erneuerung von bestehenden Verhältnissen. Außerdem sind sie Ausdrucksmittel und zu Worten gewordene Ausdrucksform bestimmter Lebensformen und –umstände. Demzufolge ist Sprache ein sehr praktikabler Maßstab, wenn es darum geht, Interkulturalität an bestehenden Texten festzumachen. Die Fragestellung muss demnach sein, ob zum einen eine Veränderung anhand von Gregorovius’ Sprache zu erkennen ist, und zum anderen, wo sich im Gebrauch der Sprache interkulturelle Vermittlungsansätze finden.

Wie bereits erwähnt, hat Sprache eine bestimmt kulturelle und persönliche Ausdruckskraft und wirkt dadurch identitätsbildend und identitätsstiftend. Als solches Mittel der Identitätsbildung kann Sprache auch die Entwicklung des Autors wieder spiegeln. Wenn dem so ist, kann daraus eine weitere These entwickelt werden: Nämlich die Frage, inwieweit in diesem Fall die Sprache, mit der Gregorovius seine Berichte schreibt, zum Transport des kulturellen, also des italienischen Erbes beiträgt – und kann sich auch im Umkehrschluss eine Integration von seiner eigenen, deutschen Kultur mit dem Fremden feststellen lassen. Dazu muss natürlich beachtet werden, inwiefern man von einer Selbstreflexion des Autors ausgehen kann, beziehungsweise wie die Intention des Autors in seinen Werken aus sieht.

Unabdingbare Voraussetzungen für den interkulturellen Kontakt sind in jedem Fall das Interesse an der Umwelt und ihren Wandlungsprozessen sowie ein gewisses Maß an Mobilität, sowohl physisch als auch psychisch. Damit verbunden ist die persönliche Bereitschaft für ein reziprokes Geben und Nehmen, d.h. man muss erkennen, dass beide Seiten gleichberechtigt existieren. Zudem gilt es, die eigenen Vorurteile zu hinterfragen, man muss mit offenen Augen die Welt betrachten. Denn erst, wenn man versucht nicht ungeklärt und kritiklos mit der eigenen Sprache fremde Dinge zu beschreiben, und sie durch dieses aufdringliche Verhalten zu stören, werden interkulturelle Prozesse in Gang gesetzt. Dass hierbei auch der Humor hilfreich sein kann, wird auch an den Texten von Gregorovius deutlich, wenn er beispielsweise von „ein paar schlichte[n], ganz schweigsame[n] Tischgäste[n], ein[em] mittelmäßige[n] Wein, ein[em] dürftig[en] Mittagbrot und ein[em] billige[n], freundliche[n] Wirt“[13] spricht. Denn teilweise ist es sinnvoller, bestimmte Dinge kurios zu beschreiben als sie aufgrund der fehlenden eigenen Erfahrungen als tragisch darzustellen.

In allen folgenden Punkten ist die Auswirkung auf ein interkulturelles Erleben und Beschreiben des Autors relativ einfach und zweifelsfrei nachzuweisen. Ein vollständiges Bild entwickelt sich allerdings erst, wenn man die einzelnen Teilaspekte miteinander in Verbindung setzt. Im Falle von Gregorovius dienen hierfür der historische Hintergrund, der beispielsweise literarisch durch Goethe vorgegeben wird, aber auch die Veränderungen der Zeit, wie Industrialisierung, Staatenbildung, und neues Selbstverständnis der Bürger. Nicht zuletzt muss aber der Autor selbst, also seine Intention, seine Sichtweise der Dinge und seine Integration in das jeweilige Thema in Betracht gezogen werden.

3.2 Literarischer und historischer Hintergrund

Jakob Burckhardts „Cicerone“ und Ferdinand Gregorovius’ „Wanderjahre in Italien“ gelten nach Johann Wolfgang von Goethes „Italienischer Reise“ als Klassiker der Italienliteratur im 19. Jahrhundert. Dabei bezieht sich „Cicerone“ eher auf die italienische Kunstgeschichte, bei Goethe steht vor allem Rom im Mittelpunkt. Zudem war Italien, und insbesondere Rom, für deutsche Künstler, Dichter, Schriftsteller und Intellektuelle, wie Wilhelm Heinse, Johann Gottfried Seume, Wilhelm von Humboldt oder Heinrich Heine ein beliebter Aufenthaltsort geworden. Da es zur damaligen Zeit schon beinahe modern war, nach Italien zu reisen, liegen natürlich auch von ihnen Beschreibungen Italiens vor[14]. Allerdings beziehen sich diese mehr auf die Zeit des auslaufenden 18. und die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts, so dass sie in einem anderen zeitkulturellen Zusammenhang gesehen werden können[15]. Einige Jahrzehnte nach ihnen nimmt Gregorovius anfänglich natürlich Goethes Italienreise als Vorbild, findet später aber seinen eigenen Weg.

Goethes „Italienische Reise“ musste für Gregorovius den inneren Bezugspunkt bilden, als er nach Italien kam. Aber seine Italienerlebnisse sind nicht Goethe nachempfunden. Die entscheidende Lektion, die Gregorovius aus Goethes „Italienischer Reise“ empfangen konnte, besteht darin, in Italien das Land existentenzieller Reinigung und Klärung zu sehen. Dies konnte nicht darin liegen, sich zum Goethe-Epigonen zu entwickeln. Auch in den Wanderjahren geht Gregorovius seinen eigenen Weg. Allerdings wird man in den „Römischen Figuren“ einen gewissen Wettstreit mit Goethes „Römischem Karneval“ nicht verkennen dürfen.[16]

[...]


[1] Jens Petersen: Das Bild des zeitgenössischen Italien in den Wanderjahren von Ferdinand Gregorovius. In: Ferdinand Gregorovius und Italien. Hg. von Arnold Esch u. Jens Petersen. Tübingen 1993. S. 92.

[2] Stefan Oswald: Italienbilder. Heidelberg 1985. S. 8.

[3] Johannes Hönig: Ferdinand Gregorovius. Eine Biographie. Stuttgart 1944. S. 3.

[4] Ernst Osterkamp: Vom Ideal der „mäßigen Form“. In: Ferdinand Gregorovius und Italien. Hg. von Arnold Esch u. Jens Petersen. Tübingen 1993. S. 187.

[5] Hanno-Walter Kruft: Gregorovius und die Anschauung Roms. In: Ferdinand Gregorovius und Italien. Hg. von Arnold Esch u. Jens Petersen. Tübingen 1993. S. 2.

[6] Jens Petersen: a.a.O. S. 75.

[7] Ferdinand Gregorovius zit. nach Johannes Hönig: Ferdinand Gregorovius. Eine Biographie. S. 161.

[8] Francis Pomponi: Gregorovius entdeckt Korsika. In: Ferdinand Gregorovius und Italien. Hg. von Arnold Esch u. Jens Petersen. Tübingen 1993. S. 49.

[9] Hanno Walter Kruft: Gregorovius und die Anschauung Roms. Tübingen 1993. S. 1.

[10] Ferdinand Gregorovius: Römische Tagebücher 1852-1889. Hg. von Hanno-Walter Kruft u. Markus Völkel. München 1991. S. 328.

[11] Fritz Schillmann: Vorwort in: Ferdinand Gregorovius: Wanderjahre in Italien. Dresden 1928. S.14.

[12] Horst Steinmetz: Interpretation und fremdkulturelle Interpretation literarischer Werke. In: Praxis interkulturelle Germanistik. Hg. v. Bernd Thum u. Gonthier-Louis Fink. München 1993. S. 84.

[13] Ferdinand Gregorovius: Wanderjahre in Italien. Dresden 1928. S. 113.

[14] Vgl. Stefan Oswald: Italienbilder. Heidelberg 1985.

[15] Vgl. Deutsches Italienbild und italienisches Deutschlandbild im 18. Jahrhundert. Hg. von Klaus Heitmann u. Teodoro Scamardi. Tübingen 1993.

[16] Hanno-Walter Kruft: Der Historiker als Dichter. München 1992. S. 3.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Vom „Deutsch-Römer“ zum „Rom-Deutschen“
Untertitel
Ferdinand Gregorovius’ interkulturelle Leistungen in den „Wanderjahren durch Italien“
Hochschule
Universität Karlsruhe (TH)  (Institut für Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
Sprach-, Kommunikations- und Mediengeschichte.
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
24
Katalognummer
V83199
ISBN (eBook)
9783638895064
ISBN (Buch)
9783638895125
Dateigröße
511 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Kommentar des Dozenten: "Exzellent! Das Beste, was ich über Gregorovius gelesen habe. Deutlicher Bezug zur Seminarthematik, Kohärenz, Perspektivik, wissenschaftliche Kommunikationsstruktur."
Schlagworte
Sprach-, Kommunikations-, Mediengeschichte
Arbeit zitieren
M.A. Florian Schneider (Autor:in), 2004, Vom „Deutsch-Römer“ zum „Rom-Deutschen“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83199

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