MigrantInnen in der Politik

Eine qualitative Untersuchung über den Verlauf der Einstellungen von politisch aktiven MigrantInnen zur Politik und zur politischen Partizipation


Masterarbeit, 2006

119 Seiten, Note: 5.5 (6=Höchstnote)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung ins Thema der Einstellung von MigrantInnen zur Politik
1.1 Einleitung
1.2 Forschungsfragen
1.3 Definition der Begriffe
a) MigrantIn
b) Politisch aktiv
c) Soziale Einstellung
d) Politik

2. Situation der MigrantInnen in der Schweiz und Forschungsstand
2.1 Die sozio-ökonomische Struktur der MigrantInnen
a) Demographische Merkmale und Herkunftsland
b) Bildungsstand und berufliche Stellung
c) Einwanderungsgrund
2.2 Die politischen Rechte von MigrantInnen
a) Vorhandene politische Rechte und Mitwirkungsmöglichkeiten
b) Beteiligung an Wahlen im Aufnahmeland
2.3 Forschungen über die Beziehung von MigrantInnen zur Politik
a) Studien aus der Schweiz
b) Studien aus anderen Ländern
2.4 Relevanz der Informationen in Bezug auf die Fragestellung

3. Theoretische Ansätze zur Einstellung und zur politischen Sozialisation
3.1 Modelle zur sozialen Einstellung
3.2 Bereiche der Einstellung zur Politik und politischen Partizipation
a) Das Konzept des politischen Vertrauens
b) Subjektive Kompetenzen
c) Motivation der politischen Partizipation
d) Wahrgenommene Erwünschtheit
3.3 Sozialisation als ein lebenslanger Prozess
a) Sozialisation
b) Politische Sozialisation
c) Politische Sozialisationsinstanzen

4. Methodisches Vorgehen
4.1 Wahl der qualitativen Methode
4.2 Ablauf der Datenerhebung
a) Auswahl der InterviewpartnerInnen und Kontaktaufnahme
b) Datenerhebung nach dem problemzentrierten Interview
c) Interviewleitfaden
d) Erhebungssituation und Ablauf des Gesprächs
4.3 Datenauswertung in Anlehnung an Andreas Witzel
a) Datenaufbereitung
b) Bearbeitung der Transkripte mittels einer Satz-für-Satz Analyse
c) Auswertung mittels eines Codierleitfadens
d) Falldarstellung der einzelnen Interviews
e) Verwendung von Memos
4.4 Beurteilung des Forschungsverfahrens
a) Beurteilung des Forschungsverfahrens nach sechs Gütekriterien
b) Grenzen des methodischen Vorgehens

5. Ergebnisse und Interpretation
5.1 Soziodemographische Merkmale der befragten MigrantInnen
5.2 Einstellungen zu Beginn des Aufenthaltes in der Schweiz
a) Bild der Politik und Interesse an politischen Angelegenheiten
b) Subjektive Kompetenzen
5.3 Einstellungen zum Zeitpunkt der Befragung
a) Einstellungen zur Politik und zu den politischen Parteien
b) Subjektive Kompetenzen
c) Motivation der politischen Partizipation
d) Wahrgenommene Erwünschtheit
e) Unterschied zwischen eingebürgerten und nicht eingebürgerten Personen..
5.4 Die Sozialisationsinstanzen im Leben der Befragten
a) Zentrale Instanzen der politischen Sozialisation im Herkunftsland
b) Instanzen mit pädagogischer Relevanz im Aufnahmeland
c) Flankierende Sozialisationsinstanzen im Aufnahmeland
d) Elemente des politischen Systems im Aufnahmeland
5.5 Typische Verläufe der Einstellungen der befragten MigrantInnen
a) Typischer Verlauf I: Frau Kaya
b) Typischer Verlauf IV: Frau Medina

6. Schlussfolgerungen
6.1 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse
6.2 Kritische Würdigung und Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhang
Anhang A: Das Ausländerstimmrecht auf kantonaler und kommunaler Ebene ...
Anhang B: Brief an die InterviewpartnerInnen
Anhang C: Interviewleitfaden
Anhang D: Kurzfragebogen
Anhang E: Postscriptum
Anhang F: Interviewtranskription (Auszug)
Anhang G: Auswertungsraster für die Fallanalyse

Abstract

Die vorliegende Lizentiatsarbeit untersucht die Einstellungen von MigrantInnen zur Politik und zu ihrer eigenen Partizipation. Mit Hilfe von problemzentrierten Interviews wurden MigrantInnen in politischen Ämtern darüber befragt, wie sie zum politischen System in der Schweiz stehen und wie sie ihre eigene politische Partizipation in diesem System wahrnehmen. Es zeigte sich, dass die MigrantInnen trotz eines teilweise bereits vorhandenen politischen Bewusstseins zu Beginn ihres Aufenthaltes in der Schweiz die Politik als etwas Entferntes wahrnehmen und ihre Einflussmöglichkeiten auf die Politik tief einschätzen. Dies vor allem aufgrund eingeschränkten politischen Rechten, wenig Sprachkenntnissen und geringem Sozialkapital. Dank positiven Reaktionen ihres sozialen Umfeldes auf ihr Engagement, mehr politischen Rechten und erhöhtem Human- sowie Sozialkapital verringert sich mit der Zeit die Distanz zur Politik, und die Befragten glauben vermehrt an ihre Einflussmöglichkeiten auf politische Entscheidungen.

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Begriffsdefinition MigrantIn

Abb. 2: Einwanderung der ständigen ausländischen Wohnbevölkerung nach Einwanderungsgrund, 1998-2004 (kumuliert)

Abb. 3: Das Dreikomponentenmodell der sozialen Einstellung

Abb. 4: Die Unterteilung des politischen Vertrauens

Abb. 5: Kapitalformen und ihr Zusammenhang zu den subjektiven Kompetenzen

Abb. 6: Ablaufschema der Datenauswertung

Abb. 7: Verwendete Transkriptionsregeln

Abb. 8: Die Funktion der Sozialisationsinstanzen im Prozess der Einstellungs- veränderung

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Ständige Wohnbevölkerung zwischen 25-64 Jahren nach Staatsangehörigkeit und Bildungsstand 2003

Tabelle 2: Typologie der Sozialisationsinstanzen

Tabelle 3: Kriterien der Stichprobenauswahl

Tabelle 4: Geplante und tatsächliche Stichprobe der Untersuchung

Tabelle 5: Bildungsstand der befragten Personen

Tabelle 6: Beobachtete Unterschiede zwischen den Einstellungen von eingebürgerten und nicht eingebürgerten MigrantInnen

Tabelle 7: Anzahl befragter Personen pro typischer Verlauf

1. Einführung ins Thema der Einstellung von MigrantInnen zur Politik

In diesem Kapitel wird in das Thema der Lizentiatsarbeit eingeleitet sowie der Aufbau der Arbeit erläutert. Danach folgen die Präsentation der Forschungsfrage und die Definitionen der wichtigsten Begriffe.

1.1 Einleitung

MigrantInnen tragen erheblich zum wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Leben in der Schweiz bei. Die Teilnahme an verschiedenen Bereichen des gesellschaftlichen und politischen Lebens ist ihnen jedoch untersagt. Offensichtlich sind dabei die beschränkten politischen Rechte von MigrantInnen und die daraus folgenden begrenzten Einflussmöglichkeiten auf politische Entscheidungsprozesse. Viele dieser Personen sind hier geboren oder leben bereits viele Jahre in der Schweiz. Daher werden die formale politische Exklusion und die eingeschränkten Partizipationschancen dieser Bevölkerungsgruppe vermehrt als ein Problem angesehen.

Es gab immer wieder Anstrengungen, die politische Integration von MigrantInnen mittels einer rechtlichen Besserstellung zu fördern; viele dieser Versuche sind aber gescheitert. Beispielsweise erstellte der Bund zur Förderung der Integration von AusländerInnen ein Schwerpunkteprogramm für die Jahre 2004 bis 2007. Dabei wird zwischen drei Säulen der Integration unterschieden. Neben der strukturellen sowie der kulturellen und sozialen Integration soll auch die politische Integration von MigrantInnen gefördert werden. Zur politischen Integration wird geschrieben, sie werde in der Regel durch den Erwerb des Bürgerrechts ermöglicht, daher wolle der Bund durch zwei Vorlagen1 die Einbürgerung für Angehörige der zweiten und dritten Generation erleichtern (Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement, 2003, 3). Diese Vorlagen wurden jedoch in einer Volksabstimmung im September 2004 von Volk und Ständen verworfen. Somit bleiben in der Schweiz die Anforderungen für eine Einbürgerung, verglichen mit anderen europäischen Ländern, sehr hoch. Zudem wird im Schwerpunkteprogramm erwähnt, dass mehrere Kantone die politische Integration unterstützen, indem sie das Stimm- und Wahlrecht auf die ausländische Bevölkerung ausdehnen oder die Gemeinden hierzu ermächtigen (ebd., 3). In der Deutschschweiz ist jedoch das Ausländerstimmrecht nur in sehr wenigen Gemeinden eingeführt worden.2 In den 90er Jahren fanden insgesamt elf

Abstimmungen über die Einführung des Stimm- und Wahlrechts statt: In fast allen Kantonen wurde das Ausländerstimmrecht deutlich abgelehnt (Heusser, 2001, 1). Der politischen Integration werden somit durch beschränkte politische Rechte und hohe Einbürgerungsanforderungen klare Grenzen gesetzt.

Neben den rechtlichen Rahmenbedingungen gibt es noch weitere Ausschlussmechanismen, von denen MigrantInnen betroffen sein können. Beispielsweise kann die Teilhabe an politischen Prozessen durch die soziale Schichtzugehörigkeit oder aufgrund Erwartungshaltungen der Bevölkerung erschwert werden.

Trotz dieser schwierigen Ausgangslage gibt es MigrantInnen mit oder auch ohne schweizerische Staatsangehörigkeit, welche Mitglied in einer Kommission sind, ein politisches Amt in einem Ausländerbeirat besetzen oder in den Stadtrat gewählt wurden. Im Oktober 2002 kandidierten beispielsweise zum ersten Mal in der politischen Geschichte des Kantons Zürich 33 eingebürgerte MigrantInnen als eigenständige Gruppe, oder in Basel wurden im Jahre 2005 fünf MigrantInnen aus der Türkei ins Kantonsparlament gewählt (vgl. Bueno, 2005, 3). Zudem werden in verschiedenen Kantonen oder Gemeinden Kommissionen geschaffen, welche nicht eingebürgerten MigrantInnen ermöglichen, ein politisches Amt zu übernehmen. Über den Weg, den diese MigrantInnen zurückgelegt haben und darüber, wie sie ihre Beteiligung in der schweizerischen Politik erleben, weiss man wenig. Die meisten Studien über die politische Beteiligung von MigrantInnen befassen sich mit den Partizipationschancen von MigrantInnen in der Schweiz (vgl. Bühler, 2006; Nigg, 2005; Heusser, 2001; Mahnig & Wimmer, 1998)3. Die subjektive Sichtweise der MigrantInnen wird dabei grossteils ausgeklammert.

Da bisherige Studien die Wahrnehmung der Betroffenen nur am Rande untersuchen, soll in dieser Lizentiatsarbeit die Sichtweise der MigrantInnen im Mittelpunkt stehen. Dabei werde ich der Frage nachgehen, wie die MigrantInnen zum politischen System in der Schweiz stehen, wie sie ihre eigene politische Partizipation in diesem System wahrnehmen und welches ihre Motivation ist, sich politisch zu beteiligen. Neben dieser Erhebung der Einstellungen werde ich in einem zweiten Teil den Verlauf der Einstellungen der MigrantInnen − seit Beginn ihrer Ankunft in der Schweiz bis zum Zeitpunkt der Befragung − untersuchen. Mit dieser Forschungsarbeit möchte ich einen Beitrag leisten, um die Beziehung von MigrantInnen zur Politik in der Schweiz besser zu verstehen. Dieses Wissen kann hilfreich sein für Projekte, welche die Partizipationschancen von MigrantInnen erhöhen möchten.

Die vorliegende Lizentiatsarbeit gliedert sich in sechs Teile. Nach diesem einleitenden Kapitel (Kapitel 1) werden die Rahmenbedingungen, in denen sich MigrantInnen in der Schweiz bewegen, sowie die Ergebnisse bisheriger Studien aufgezeigt (Kapitel 2). Darauf folgt ein Kapitel (Kapitel 3) über die theoretischen Ansätze zu verschiedenen Bereichen der Einstellung, wie: politisches Vertrauen, subjektive Kompetenzen, Motivation der politischen Partizipation und wahrgenommene Erwünschtheit. Neben diesen Bereichen der Einstellung wird auch auf die politische Sozialisation eingegangen. Im Kapitel 4 folgt die Beschreibung des methodischen Vorgehens, welches speziell an den Untersuchungsgegenstand angepasst wurde. Die Ergebnisse werden im Kapitel 5 vorgestellt und interpretiert. Auch werden sie mit den erarbeiteten theoretischen Ansätzen konfrontiert und mit den Vorannahmen verglichen. Das Kapitel 6 schliesst mit einer Diskussion der Ergebnisse und einem Ausblick.

Bei der Erarbeitung dieser Lizentiatsarbeit bin ich zirkulär vorgegangen. Das heisst vor der Erhebung wurden verschiedene Theorien erarbeitet, die Ergebnisse bisheriger Studien zusammengetragen und die Rahmenbedingungen von MigrantInnen in der Schweiz untersucht. Mit diesem Hintergrundwissen konnten die Einstellungen − mittels qualitativen Interviews mit MigrantInnen in politischen Ämtern − gezielt erhoben werden. Die Erkenntnisse der Interviews brachten neue Aspekte zum Vorschein, welche nach der Erhebung im Theorieteil ergänzt wurden.

1.2 Forschungsfragen

Die Möglichkeiten von MigrantInnen an politischen Entscheidungsprozessen in der Schweiz teilzunehmen sind eingeschränkt. Es gibt verschiedene Studien darüber, welche Partizipationsmöglichkeiten MigrantInnen haben, jedoch nur selten wird dabei die Wahrnehmung der MigrantInnen untersucht. Deshalb liegt das Forschungsinteresse dieser Lizentiatsarbeit in den subjektiven Einstellungen von politisch aktiven MigrantInnen. Diese Einstellungen bilden sich in einem Prozess und können sich auch während des Lebens verändern. Daher soll neben der Frage nach den vorhandenen Einstellungen auch der Prozess der Einstellungsbildung untersucht werden. Um diese Aspekte zu vereinen, wurde folgende Hauptfragestellung formuliert:

Welches sind die Einstellungen von politisch aktiven MigrantInnen zur Politik und zu ihrer eigenen politischen Partizipation, und wie haben sich diese Einstellungen seit der Ankunft in der Schweiz verändert?

Der Begriff „Einstellung“ ist sehr breit. Daher habe ich Unterfragen gebildet, welche dazu dienen, die Hauptfragestellung zu beantworten und gleichzeitig etwas einzugrenzen:

- Welches Bild haben MigrantInnen von der Politik in der Schweiz, und wie hat sich dieses mit der Zeit verändert?
- Wie schätzen die MigrantInnen ihre Einflussmöglichkeiten auf politische Entscheidungsprozesse ein?
- Welches ist die Motivation von MigrantInnen politisch aktiv zu sein, und wie ist diese entstanden?
- Sehen die MigrantInnen ihre politische Partizipation als erwünscht/ nicht erwünscht an?
- Wie ist das Interesse an der Politik in der Schweiz entstanden, und welche politischen Sozialisationsinstanzen sind dabei von Bedeutung?
- Kann ein Unterschied zwischen den Einstellungen von eingebürgerten und nicht eingebürgerten MigrantInnen festgestellt werden?

Ausgehend von diesen Unterfragen sollen in einem ersten Schritt die Einstellungen von MigrantInnen zu Beginn ihres Aufenthaltes in der Schweiz und zum aktuellen Zeitpunkt erhoben werden. Dabei wird einerseits die Haltung, welche MigrantInnen zum politischen System in der Schweiz haben, untersucht. Andererseits soll danach gefragt werden, wie die MigrantInnen ihre eigene Position im politischen System wahrnehmen. Wie bewerten sie ihre Einflussmöglichkeiten, wie gehen sie mit den Erwartungshaltungen der Bevölkerung um und was bewegt sie zur politischen Partizipation? Da eingebürgerte sowie nicht eingebürgerte MigrantInnen befragt werden, kann eventuell ein Unterschied zwischen den Einstellungen dieser beiden Gruppen festgestellt werden. In einem zweiten Schritt soll der Frage nachgegangen werden, wie sich der Prozess der Einstellungsänderung vollzogen hat. Dabei soll speziell untersucht werden, wie das Interesse an der Politik in der Schweiz entstanden ist und mit welchen Sozialisationsinstanzen die MigrantInnen in Kontakt kamen.

Ich beschränke mich auf Personen, die zum Zeitpunkt der Befragung politisch aktiv sind. Dies vor allem weil es mich interessiert, wie sich ihre Einstellungen mit der Zeit verändert haben. Zudem haben sich diese Personen mit der Politik auseinandergesetzt und können gut über ihre Einstellungen zu diesem Thema sprechen. Nach Oppermann (1977, 69-70) ist es schwierig, politisch nicht aktive Personen nach ihren Einstellungen zur Politik zu befragen, da sie teilweise aufgrund einer mangelnden Sensibilität keine Einstellungen zum Thema äussern können.

1.3 Definition der Begriffe

Im Folgenden werden die zentralen Begriffe der Hauptfragestellung definiert. Die Begriffsdefinitionen ermöglichen eine Präzision der Fragestellung und eine Klärung der Begriffsverwendung in der Lizentiatsarbeit. Zuerst wird auf die Begriffe „MigrantIn“ und „politisch aktiv“ eingegangen, um so die Zielgruppe genauer zu beschreiben. Danach folgen Erläuterungen dazu, was unter den Begriffen „Einstellung“ und „Politik“ verstanden werden soll.

a) MigrantIn

In meiner Untersuchung beziehe ich mich auf die Definition des Bundesamtes für Statistik. Nach dieser Definition gelten alle im Ausland geborenen, zu Beginn nicht schweizerische Staatsangehörige und später in die Schweiz eingewanderten Personen, einschliesslich jener mit Schweizer Pass, als MigrantInnen. In der Schweiz geborene und aufgewachsene Personen der zweiten und dritten Ausländergeneration erfüllen nicht die Kriterien der MigrantInnen (Rausa-de Luca, 2005, 5-6). Die folgende Abbildung zeigt die ständige Wohnbevölkerung der Schweiz und welche Gruppen als MigrantInnen bezeichnet werden:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Begriffsdefinition MigrantIn

Quelle: Rausa-de Luca, 2005, 5.

Mit dem Begriff „MigrantIn“ werden somit die Gruppe a) und die Gruppe b) zusammengefasst. Das heisst die Zielgruppe der Untersuchung besteht einerseits aus MigrantInnen der ersten Ausländergeneration ohne Schweizer Pass und andererseits aus eingebürgerten MigrantInnen.

b) Politisch aktiv

In dieser Forschungsarbeit sollen die Einstellungen von politisch aktiven MigrantInnen erhoben werden. Um den Begriff „politisch aktiv“ einzugrenzen, beschränkt sich diese Untersuchung auf die Einstellungen von Personen, welche ein politisches Amt in der Deutschschweiz, besetzen. Ein Amt kann folgendermassen definiert werden: „Ein festgelegter Aufgabenbereich, der an eine Person (Amtsträger) in Form einer Handlungsermächtigung delegiert wird und mit der Pflicht zur Rechenschaftsablegung verbunden ist“ (Lenz & Ruchlak, 2001, 6). Man kann dabei zwischen einem Verwaltungsamt und einem politischen Amt unterscheiden, wobei man in ein politisches Amt durch eine Wahl berufen wird. Einige dieser Ämter können nur schweizerische Staatsangehörige besetzen, jedoch stehen gewisse Ämter in Kommissionen und Beiräten auch Personen ohne schweizerische Staatsangehörigkeit offen.

Folglich werde ich Personen befragen, welche auf Bundes-, Kantons- oder Gemeindeebene ein politisches Amt ausüben. Diese Ämter haben gemeinsam, dass bei ihnen die aufnahmelandorientierte Politik im Vordergrund steht. Es steht somit nicht die Kultur, die Politik oder die Religion der Herkunftsländer im Mittelpunkt, sondern es sind Institutionen, welche sich mit der Politik in der Schweiz befassen. Obwohl nur Personen befragt werden, die zum Zeitpunkt der Befragung in der aufnahmelandorientierten Politik tätig sind, kann das herkunftslandorientierte politische Engagement nicht ganz ausgeklammert werden. Denn die Personen werden nach dem Weg gefragt, den sie zurückgelegt haben, bis sie in das politische Amt gewählt wurden. Dieser Weg kann über das herkunftslandorientierte Engagement, wie beispielsweise das Engagement in einem Kulturverein oder in einer Exilkommission, führen.

c) Soziale Einstellung

Unter dem Begriff „Einstellung“ kann man die Stellungnahme oder Bewertung einer Person gegenüber anderen Personen, Objekten, Sachverhalten oder Ideen verstehen (Bierbrauer, 2005, 139). Diese Einstellungen sind Bewertungen, da sie auf einer positiven oder negativen Reaktion basieren. Menschen sind keine neutralen Beobachter der Welt, sondern werten und urteilen ständig über Dinge, die sie sehen oder erleben (Aronson, Wilson & Akert, 2004, 230).

In der Einstellungsforschung wurde lange davon ausgegangen, dass sich Einstellungen mit der Zeit verfestigen und sich nicht mehr verändern. In neueren Forschungen wird aber die Einstellungsbildung als ein lebenslanger Sozialisationsprozess gesehen. Da sich nach dieser Sichtweise die Einstellungen entwickeln und verändern können, werden sie wieder vermehrt durch biographische Forschungen untersucht (Bock, 2000, 35).

d) Politik

In der jüngeren Diskussion über die Definition des Politikbegriffs wird Politik als ein dreidimensionaler Begriff gesehen. Die erste Ebene ist die institutionelle Dimension, welche durch Verfassung, Rechtsordnung und Tradition festgelegt ist. Die Zweite ist die inhaltliche Dimension, welche sich auf die Ziele und Gegenstände der Politik bezieht. Drittens hat Politik eine prozessuale Dimension, welche den Prozess der politischen Willensbildung beinhaltet (Von Alemann, 1998, 544). Wenn ich in der Untersuchung von den Einstellungen zur Politik spreche, verstehe ich darunter lediglich die institutionelle Dimension der Politik. Somit werden neben den Einstellungen zur eigenen Partizipation, die Einstellungen zu den sichtbaren politischen Institutionen und ihren Repräsentanten untersucht. Konkret sind das in der Schweiz die Regierung, die Parlamente und die Parteien auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene.

2. Situation der MigrantInnen in der Schweiz und Forschungsstand

Der Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Forschungsarbeit sind MigrantInnen, welche ein politisches Amt besetzen. Leider wurden keine Informationen dazu gefunden, wie diese Zielgruppe zusammengesetzt sein könnte und welche MigrantInnen sich speziell in der Politik engagieren. Daher wird in diesem Kapitel allgemein auf die Situation von MigrantInnen in der Schweiz und auf ihre Beziehung zur Politik eingegangen. Wie im Kapitel 1.3 bereits erläutert, werden unter dem Begriff „MigrantInnen“ alle im Ausland geborenen und in die Schweiz eingewanderten Personen zusammengefasst. Somit wird auf die Situation von MigrantInnen der ersten Generation und von eingebürgerten MigrantInnen eingegangen.

In einem ersten Teil werden die demographische und sozio-ökonomische Struktur sowie die Einwanderungsgründe der MigrantInnen in der Schweiz dargelegt. Im zweiten Teil wird auf die politischen Rechte der MigrantInnen eingegangen. Dabei sollen die vorhandenen Rechte aufgezeigt sowie auch Resultate von Wahlforschungen über die Beteiligung von MigrantInnen dargestellt werden. Im dritten Teil werden verschiedene Studien, die sich mit der Wahrnehmung der politischen Beteiligung befassen, vorgestellt. Im letzten Unterkapitel wird schliesslich diskutiert, welche Bedeutung die zusammengetragenen Informationen für die vorliegende Untersuchung haben.

2.1 Die sozio-ökonomische Struktur der MigrantInnen

Die nachfolgenden Daten basieren auf zwei Publikationen des Bundesamtes für Statistik, welche im Jahre 2005 veröffentlicht wurden. Dies ist einerseits der Bericht „Ausländerinnen und Ausländer in der Schweiz“, welcher auf den Ergebnissen des Ereignisjahres 2004 basiert und andererseits eine Ausgabe von DEMOS mit dem Titel „Die Bevölkerung mit Migrationshintergrund“ von Fabienne Rausa-de Luca, welche die Ergebnisse des Moduls „Mobilität und Migration“ der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE) 2003 vorstellt.

a) Demographische Merkmale und Herkunftsland

Der Anteil der ausländischen Wohnbevölkerung in der Schweiz ist − mit Ausnahme der Rezessionsjahre 1975-1979 sowie 1983 − ununterbrochen gestiegen. Die Zahl der MigrantInnen hat vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg, als in der Schweiz ein Arbeitskräftemangel bestand, zugenommen (Rausa-de Luca, 2005, 3). Damals kamen hauptsächlich Arbeitnehmende aus Italien, später auch aus Spanien, Portugal und aus dem ehemaligen Jugoslawien. Diese MigrantInnen hatten häufig einen Saisonarbeiter Status und hielten sich maximal neun Monate pro Jahr in der Schweiz auf. Mit der Zeit entfernte man sich jedoch vom Rotationsprinzip und wandte sich einer auf Integration ausgerichteten Politik zu, welche Niederlassungen und Einbürgerungen ermöglichte (Bundesamt für Statistik [ BFS ], 2005, 12).

Im Jahre 2004 betrug der Ausländeranteil in der Schweiz 21.8%. Der grösste Teil dieser AusländerInnen kommen aus europäischen Ländern. Der Anteil der Staatsangehörigen eines nichteuropäischen Landes beträgt lediglich 14.6 %. Trotz vielen Rückwanderungen sind die ItalienerInnen am meisten vertreten in der Schweiz. Die am zweithäufigsten vertretene Nation ist Serbien und Montenegro, gefolgt von Portugal, Deutschland, Türkei und Spanien (BFS, 2005, 8-24).

Der Anteil der eingebürgerten Bevölkerung lag 2003 bei 8,5 % der Wohnbevölkerung ab 15 Jahren. Dabei handelt es sich um ca. zwei Drittel Frauen und ein Drittel Männer (Rausa-de Luca, 2005, 8-9). Im Vergleich zur Gesamtzahl der ausländischen Wohnbevölkerung erwirbt nur ein geringer Anteil die schweizerische Staatsangehörigkeit (BFS, 2005, 18). Die Kriterien für eine ordentliche Einbürgerung sind in der Schweiz, verglichen mit anderen Ländern, sehr restriktiv. Das Einbürgerungsverfahren ist dreistufig, dabei hat der Bund gewisse Kriterien4, welche der/die AntragstellerIn erfüllen muss, und die Gemeinden und Kantone haben zusätzliche Wohnsitz- und Eignungs- voraussetzungen. Die hohen Anforderungen, die lange Dauer sowie auch die teilweise hohen Kosten des Einbürgerungsverfahrens halten viele davon ab, sich einbürgern zu lassen (Heusser, 2001, 130). Wenn man nach der früheren Staatsangehörigkeit fragt, sind die Staatsangehörigen aus Serbien und Montenegro am zahlreichsten, gefolgt von jenen aus Italien, der Türkei und Bosnien und Herzegowina (BFS, 2005, 40).

Allgemein kann beobachtet werden, dass der Anteil der ausländischen und der eingebürgerten Bevölkerung der Schweiz mit den Einwanderungswellen zwischen 1950 und 2000, der Einbürgerungspolitik und der Geburten- und Sterbeziffer der ausländischen Bevölkerung zusammenhängt.

b) Bildungsstand und berufliche Stellung

Die sozio-ökonomische Struktur der MigrantInnen in der Schweiz ist für die Lizentiatsarbeit von Bedeutung, da die Struktur der MigrantInnen mit den Partizipationschancen und dem Partizipationsinteresse zusammenhängen kann. Es wurde beispielsweise in Studien festgestellt, dass sich Personen mit geringen ökonomischen Ressourcen und tiefer Bildung weniger für Politik interessieren als Personen, welche mit viel ökonomischem und kulturellem Kapital ausgestattet sind (vgl. Verba, Schlozman & Brady, 2001).

In der folgenden Tabelle wird der Bildungsstand der SchweizerInnen, der eingebürgerten MigrantInnen und der ersten Ausländergeneration beschrieben. Es werden nur Personen ab 25 Jahren berücksichtigt, damit hauptsächlich Personen mit abgeschlossener Bildung erfasst werden.

Tabelle 1: Ständige Wohnbevölkerung zwischen 25-64 Jahren nach Staatsangehörigkeit und Bildungsstand 20035 6

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Rausa-de Luca, 2005, 23.

AusländerInnen der ersten Generation weisen allgemein einen tieferen Bildungsstand auf als gebürtige oder eingebürgerte SchweizerInnen. Die Mehrheit hat nach der obligatorischen Schulzeit keine weitere Ausbildung durchlaufen. Auffallend ist, dass die eingebürgerten Personen einen ähnlichen Bildungsstand wie die SchweizerInnen aufzeigen. Der Anteil der Personen mit tertiärer Ausbildung ist sogar höher als derjenige der SchweizerInnen.

Es ist bei diesen Aussagen jedoch zu berücksichtigen, dass die Bevölkerungsstrukturen der verschiedenen Gruppen sehr unterschiedlich sind. Zum Beispiel besteht die eingebürgerte Bevölkerung aus zwei Drittel Frauen und ist allgemein jünger als SchweizerInnen. Andererseits sagt der Bildungsstand nicht in jedem Fall etwas darüber aus, ob eine Person an wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ressourcen teilnehmen kann. Teilweise werden Bildungsabschlüsse, welche im Herkunftsland erworben wurden, in der Schweiz nicht anerkannt.

Aus diesem Grund sollte auch die berufliche Stellung berücksichtigt werden. In Bezug auf die berufliche Stellung zeigt sich, dass der Anteil der SchweizerInnen, welche einen höher qualifizierten Beruf ausüben, grösser ist als bei AusländerInnen. Es gibt auch erhebliche Unterschiede zwischen den AusländerInnen je nach Herkunftsgebiet. Dasselbe gilt für die Löhne: Personen aus Nord- und Westeuropa verdienen durchschnittlich mehr, hingegen SüdeuropäerInnen und Arbeitnehmende aus dem Westbalkan verdienen deutlich weniger als SchweizerInnen. Ausländische Staatsangehörige sind im Vergleich zu den SchweizerInnen zudem häufiger von Arbeitslosigkeit oder Armut betroffen (BFS, 2005, 9, 52).

c) Einwanderungsgrund

Während früher die MigrantInnen hauptsächlich aus wirtschaftlichen Gründen in die Schweiz einreisten, kommen heute die meisten MigrantInnen durch Familiennachzug (BFS, 2005, 33). Die folgende Abbildung zeigt, welches die Einwanderungsgründe von MigrantInnen sind, und wie diese prozentual verteilt sind.

Abb. 2: Einwanderung der ständigen ausländischen Wohnbevölkerung7 nach Einwanderungsgrund, 1998-2004 (kumuliert)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: BFS, 2005, 33 (Prozentzahlen wurden auf ganze Ziffern gerundet).

In den Jahren zwischen 1998 und 2004 kamen rund 40% aller MigrantInnen aufgrund eines Familiennachzugs und 32% im Rahmen der Kontingente zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in die Schweiz. Der Anteil der anerkannten Flüchtlinge beträgt lediglich 1%. Obwohl dieser Anteil sehr tief ist, könnte diese Gruppe von speziellem Interesse für die Untersuchung sein, da diese Personen in ihrem Heimatstaat wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder aufgrund ihrer politischen Tätigkeit verfolgt wurden. Dieser politische Hintergrund kann einen Einfluss auf die Einstellungen zur Politik in der Schweiz haben.

2.2 Die politischen Rechte von MigrantInnen

In diesem Kapitel wird auf die politischen Rechte, die Mitwirkungsmöglichkeiten am politischen System in der Schweiz und auf die Stimm- und Wahlbeteiligung von MigrantInnen eingegangen.

a) Vorhandene politische Rechte und Mitwirkungsmöglichkeiten

Um die politischen Rechte von MigrantInnen zu erläutern, dient die Unterscheidung zwischen politischen Rechten im engeren und politischen Rechten im weiteren Sinne. Als politische Rechte im engeren Sinne werden die institutionalisierten Formen der Teilnahme der Stimmberechtigten an der Willensbildung des Staates bezeichnet. Konkret berechtigen sie zur Teilnahme an Volksabstimmungen und Volkswahlen sowie zur Unterzeichnung von Referendumsbegehren und Volksinitiativen. Die politischen Rechte im weiteren Sinne hingegen erlauben einer Person, sich an der politischen Willensbildung des Staates in einer nicht institutionalisierten Form zu beteiligen. Zu diesen Rechten, welche man auch Freiheitsrechte nennt, gehören zum Beispiel die Vereins- und Versammlungsfreiheit, die Pressefreiheit oder die allgemeine Meinungsäusserungsfreiheit (Heusser, 2001, 8).

In der Schweiz stehen auf Bundesebene die politischen Rechte im engeren Sinne gemäss Art. 136 Abs. 1 der Bundesverfassung nur Personen zu, welche das Schweizer Bürgerrecht besitzen (Cueni & Fleury, 1994, 156). Der Bund beschränkt somit das Stimm- und Wahlrecht auf Bundesebene auf Personen mit der schweizerischen Staatsangehörigkeit, hält jedoch fest, dass die Kantone die politischen Rechte auf kantonaler und kommunaler Ebene regeln. Er überlässt es den Kantonen, ob sie das Ausländerstimmrecht unter Beachtung einiger bundesrechtlicher Einschränkungen auf kantonaler oder kommunaler Ebene einführen wollen (Cueni & Fleury, 1994, 156). Das kantonale und kommunale Stimm- und Wahlrecht für AusländerInnen, welche eine bestimmte Anzahl Jahre im Kanton wohnen, besteht zurzeit lediglich in den Kantonen Neuenburg und Jura. Das kommunale Ausländerstimmrecht wurde ausserdem in Gemeinden der Kantone Appenzell Ausserrhoden, Graubünden, Genf, Waadt und seit Januar 2006 auch in den Gemeinden des Kantons Freiburg eingeführt (siehe Tabelle im Anhang A).

Personen, welche kein Stimm- und Wahlrecht besitzen, haben jedoch andere politische Rechte, und zwar die politischen Rechte im weiteren Sinne. Diese Freiheitsrechte können keinesfalls als Ersatz des Stimm- und Wahlrechts gesehen werden, jedoch berechtigen sie − auch wenn in eingeschränkter Form − am politischen Diskurs teilzunehmen. Beispielsweise ermöglichen diese Rechte das Publizieren von politischen Interviews, die Gründung von politischen Vereinen oder die Teilnahme an Demonstrationen (Heusser, 2001, 8).

Auf den verschiedenen Ebenen des politischen Systems wurde versucht, Alternativen zum Stimm- und Wahlrecht zu finden. Dadurch soll die politische Integration der ausländischen Bevölkerung gefördert und den AusländerInnen trotz eingeschränkten politischen Rechten ermöglicht werden, sich am politischen Leben in der Gemeinde zu beteiligen (Heusser, 2001, 157). Beispielsweise wurden in vielen Gemeinden so genannte Konsultativorgane eingesetzt; dies können Ausländerparlamente, Ausländerbeiräte oder Ausländerkommissionen sein. Sie haben entweder die Rechtsform eines privatrechtlichen Vereins oder werden als Kommissionen der Gemeinde mit öffentlich-rechtlichem Charakter eingesetzt. Der privatrechtliche Verein als Rechtsform hat den Vorteil, dass er unabhängig von der Gemeinde ist, jedoch kann es schwierig sein, als Teil des politischen Systems in der Gemeinde akzeptiert zu werden. Eine von der Gemeinde eingesetzte Kommission hat hingegen den Nachteil, dass sie von den offiziellen Gemeindebehörden abhängig ist. Falls den Behörden die vertretenen Inhalte nicht behagen, kann das Konsultativorgan wieder abgesetzt werden (ebd., 157-158).

Auf Bundesebene gibt es die Eidgenössische Kommission für Ausländerfragen (EKA), welche eine Expertenkommission des Bundesrates ist. Die Mitglieder der Kommission werden vom Bundesrat gewählt und bestehen zur Hälfte aus MigrantInnen. Zudem wurde im Jahre 2000 das „Forum für die Integration von Migrantinnen und Migranten“ (FIMM Schweiz) gegründet. Das FIMM vereinigt rund 300 VertreterInnen von Migrantenorganisationen und vertritt die Interessen von MigrantInnen gegenüber Behörden, Parteien oder der Legislative. Die Kantone Genf und Jura haben kantonale Ausländerkommissionen, und in diversen Schweizer Gemeinden gibt es auch kommunale Ausländerkommissionen. Zum Beispiel gibt es in Wettingen einen konsultativen Ausländerrat, welcher eine ständige Kommission des Gemeinderates ist. Der Rat besteht aus 13 Mitgliedern und jede Nation mit mehr als 50 niedergelassenen Personen hat Anrecht auf eine Vertretung. Auch die Städte Thun und Olten oder die Gemeinde Oftringen besitzen eine Ausländerkommission. Die meisten dieser Kommissionen sind aus SchweizerInnen und AusländerInnen zusammengesetzt. Es gibt aber auch Ausländerbeiräte, wie zum Beispiel derjenige in Zürich, welche voraussetzen, dass man die schweizerische Staatsangehörigkeit nicht besitzt.

Es sollte beachtet werden, dass nicht alleine die vorhandenen Rechte bestimmen, ob eine Person Möglichkeiten hat, sich politisch zu engagieren. Denn auch eingebürgerte MigrantInnen, welche über dieselben politischen Rechte verfügen wie gebürtige SchweizerInnen, können eingeschränkte Partizipationschancen haben. Vor allem beschränkte Ressourcen oder Reaktionen der Öffentlichkeit können die Partizipationschancen von MigrantInnen vermindern (Cueni & Fleury, 1994, 158). In den 90er Jahren fanden insgesamt elf Abstimmungen über die Einführung des Stimm- und Wahlrechts statt. In allen Kantonen wurde das Ausländerstimmrecht deutlich abgelehnt (Heusser, 2001, 1). Dies zeigt, dass ein Teil der Bevölkerung kritisch eingestellt ist gegenüber gleichberechtigten politischen Partizipationsmöglichkeiten von MigrantInnen. Das kann die Partizipationsmöglichkeiten von MigrantInnen zusätzlich einschränken und die politische Integration erschweren.

b) Beteiligung an Wahlen im Aufnahmeland

Über die Wahlbeteiligung von AusländerInnen sind nur sehr beschränkt Aussagen möglich, da wenige Schweizer Gemeinden, welche das Ausländerstimmrecht eingeführt haben, Statistiken zur Stimm- und Wahlbeteiligung führen. Ausführliche Daten zur Stimmbeteiligung sind jedoch beispielsweise in La Chaux-de-Fonds vorhanden. Die Zahlen zeigen, dass sich zwischen 1964 und 1994 durchschnittlich 28% der stimmberechtigten AusländerInnen und 45% der SchweizerInnen an Wahlen beteiligten. Interessanterweise stellen Cueni und Fleury (1994, 214) eine schwächere Wahlbeteiligung während der Jahre 1968, 1972 und 1976 fest und bringen diesen Rückgang mit der fremdenfeindlichen Atmosphäre zu jener Zeit in Verbindung. Hingegen wurden im Kanton Neuenburg im Jahr 2004 Informationsveranstaltungen durchgeführt und Broschüren verteilt mit dem Ziel, die Ausländergemeinschaften mit den Modalitäten des Stimm- und Wahlrechts vertraut zu machen. Nach dieser Aktion ist die Beteiligung der ausländischen WählerInnen in La Chaux-de-Fonds um mehrere Prozente gestiegen (Bundesamt für Zuwanderung, Integration und Auswanderung, 2004, 10).

Auch das Wahlverhalten von eingebürgerten Personen wurde in der Schweiz bisher wenig erforscht (Savoldelli, 2006, 44). Eine Studie aus Deutschland von Andreas M. Wüst (2002) untersucht das subjektive Politikinteresse von eingebürgerten MigrantInnen und vergleicht es mit demjenigen der gebürtigen Deutschen. Dabei stellt sich heraus, dass das Politikinteresse Eingebürgerter geringer ist als jenes der gebürtigen Deutschen. Zudem wurde in der Studie sichtbar, dass unter der Gruppe der Eingebürgerten, speziell bei Frauen und bei Personen mit einer tieferen formalen Bildung, das Politikinteresse schwach ausgeprägt ist. In Bezug auf das Alter konnte festgestellt werden, dass das durchschnittliche Interesse bis zur Gruppe der 45- bis 59- Jährigen zunimmt und danach wieder abnimmt (Wüst, 2002, 130-131).

Diese Informationen aus verschieden Studien sind sehr punktuell, jedoch zeigen sich bei MigrantInnen ähnliche Tendenzen wie bei gebürtigen SchweizerInnen: Männer, Personen mit einer höheren Ausbildung und Personen zwischen 45 und 59 Jahren beteiligen sich am meisten an der aufnahmelandorientierten Politik.

2.3 Forschungen über die Beziehung von MigrantInnen zur Politik

Es wurden bereits Resultate einiger Studien erwähnt, welche sich mit den politischen Rahmenbedingungen oder mit dem Wahlverhalten von MigrantInnen beschäftigen. In diesem Kapitel werden nun Studien, welche sich speziell mit der Beziehung von MigrantInnen zur Politik im Aufnahmeland oder mit den subjektiven Einstellungen zur Politik befassen, vorgestellt.

a) Studien aus der Schweiz

Es gibt in der Schweiz wenige sozialwissenschaftliche Forschungen über die Einstellungen von MigrantInnen zur Politik und zur politischen Partizipation. Es konnten einige politikwissenschaftliche Studien ausfindig gemacht werden, die das Ausländerstimmrecht in der Schweiz untersuchen (Ciccone & Beutel, 2005; Heusser, 2001; Ruiz & Assima, 2001). Diese Studien beschäftigen sich aber vor allem mit der politisch-rechtlichen Situation der MigrantInnen, und die subjektive Sicht der MigrantInnen wird nur am Rande diskutiert. Eine Ausnahme ist die Untersuchung von Cueni und Fleury (1994). Sie haben im Auftrag der „Sektion Sozialwissenschaften der Schweizerischen UNESCO-Kommission“ eine Erhebung zu den Erfahrungen mit dem Ausländerstimmrecht in den Kantonen Neuenburg und Jura durchgeführt. Die Studie ist interessant, da neben Experteninterviews auch die betroffenen AusländerInnen gefragt werden, wie sie das Ausländerstimmrecht bewerten. Auch liefert die Studie Informationen darüber, wie das Stimmrecht die Wahrnehmung, welche AusländerInnen von ihrer Position in der Gesellschaft haben, beeinflusst. Die Untersuchung kommt zum Schluss, dass zwar objektiv gesehen wenige vom Stimmrecht Gebrauch machen, die Einführung des Stimmrechts aber für die AusländerInnen eine symbolische Kraft hat, da die Vorstellung der eigenen Lage in der Gesellschaft verbessert und die Gefühle der Integriertheit gefördert werden. Die befragten Personen nehmen das Stimmrecht als ein minimales Gegengeschenk wahr für die Dienste, welche die ausländische Bevölkerung der Gemeinde durch ihre Arbeit und Steuern erwiesen hat. Dieses Geschenk verpflichtet sie wiederum, mehr Verantwortung in der Wohngemeinde zu übernehmen. Das bedeutet, dass durch das Kommunalstimmrecht die AusländerInnen symbolisch als PartnerInnen der SchweizerInnen ihres Wohnortes eingeführt werden und dieser Status eine Solidaritätspflicht mit sich bringt.

b) Studien aus anderen Ländern

In Nordamerika gibt es einige Studien, welche die Beziehung von LateinamerikanerInnen oder AfroamerikanerInnen zur Politik im Aufnahmeland untersuchen. Vor allem die Dissertation von Neyda H. Long (2003) ist sehr interessant, da sie unter anderem die positiven und negativen Gefühle von LateinamerikanerInnen gegenüber dem politischen System und gegenüber verschiedenen Arten der politischen Partizipation in Kanada erforscht. Long hat 70 qualitative Interviews mit Spanisch sprechenden Personen aus Lateinamerika geführt. Dabei verfolgt sie einen phänomenologischen Ansatz und konzentriert sich darauf, wie Personen die Realität wahrnehmen. Die Ergebnisse sind sehr vielfältig und aufschlussreich für die vorliegende Untersuchung.

Beispielsweise stellt Long fest, dass sich die befragten Personen im Aufnahmeland vor allem in Vereinen und in gemeinnützigen Organisationen engagieren, aber weniger an Abstimmungen teilnehmen oder sich mit der Parteienpolitik befassen. Grund dafür sei nicht das fehlende Interesse, sondern bestimmte Barrieren, welche den Einstieg in die Lokal- oder Regionalpolitik verhindern. Diese Barrieren beruhen vor allem auf mangelnden Sprachkenntnissen, wenigen Beziehungen zum sozialen Netzwerk von Parteien sowie auch auf Vorurteilen, welche auf Seiten der KanadierInnen bestehen. Allgemein stellt Long fest, dass die Befragten sich für die Politik im Aufnahmeland interessieren, aber keine Möglichkeit sehen, in ein politisches Amt gewählt zu werden. Die MigrantInnen schätzen somit ihre Einflussmöglichkeiten eher tief ein. Long untersucht dabei auch die Rolle des Herkunftslandes und beobachtet, dass die Einstellungen zur politischen Beteiligung im Aufnahmeland mit den Erfahrungen im Herkunftsland zusammenhängen. Erstaunlicherweise stellt Long fest, dass Personen aus nicht demokratischen Herkunftsländern mehr an ihre Einflussmöglichkeiten auf die Politik im Aufnahmeland glauben als Personen aus demokratischen Herkunftsländern. Zudem kommt Long zum Schluss, dass das Vertrauen in die PolitikerInnen des Aufnahmelandes auf dem Vertrauen beruht, das die Personen den PolitikerInnen im Herkunftsland entgegenbringen (Long, 2003).

Aufschlussreich ist auch der Zusammenhang von Long, den auch Cueni und Fleury in ihrer Studie beschreiben: Das Interesse an der politischen Partizipation ist an das Zugehörigkeitsgefühl zur Bevölkerung im Aufnahmeland geknüpft. Einige der Befragten fühlen ein beschränktes Zugehörigkeitsgefühl zu Kanada und interessieren sich daher nicht besonders für politische Ereignisse. Bei anderen Personen kommt zum Vorschein, dass durch die Beteiligung ein solches Zugehörigkeitsgefühl gefördert werden kann (ebd., 2003)

Schliesslich stellt Long fest, dass eigene Diskriminierungserfahrungen oder beobachtete soziale Ungerechtigkeiten sich in eine Motivation verwandeln können und eine Person beginnt, sich aktiv in der Gemeinde für gewisse Personengruppen einzusetzen. Jedoch können Diskriminierungserfahrungen auch das Gegenteil bewirken. Personen, welche sich in der Aufnahmegesellschaft diskriminiert und nicht willkommen fühlen, können dazu neigen, sich zurückzuziehen und zeigen wenig Interesse an politischen Belangen im Aufnahmeland (Long & Hughes, 2003, 74-81).

2.4 Relevanz der Informationen in Bezug auf die Fragestellung

In den vorherigen Kapiteln wurde der Kontext, in dem MigrantInnen sich bewegen, beschrieben, da dieser die Einstellungen der MigrantInnen prägen kann. Dabei spielen sicherlich die vorhandenen politischen Rechte eine Rolle. In der Untersuchung sollte berücksichtigt werden, dass die MigrantInnen in einer Demokratie leben und die grundsätzlichen Freiheitsrechte geschützt sind. Jedoch sind ihre politischen Rechte je nach Aufenthaltsstatus mehr oder weniger eingeschränkt. Daher besteht eventuell ein Unterschied in den Einstellungen von eingebürgerten und von nicht eingebürgerten MigrantInnen. Neben den rechtlichen Rahmenbedingungen können auch Erwartungs- haltungen der Bevölkerung die Wahrnehmung der MigrantInnen beeinflussen. Diese sollten bei der Erhebung der Einstellungen miteinbezogen werden.

Neben den Rahmenbedingungen können aber auch individuelle Voraussetzungen die Wahrnehmung der MigrantInnen beeinflussen. Durch die vorgestellten Wahlstudien konnte festgestellt werden, dass sich MigrantInnen tendenziell eher weniger an der formellen Politik beteiligen als SchweizerInnen. Dies ist neben den oben erwähnten Rahmenbedingungen auch darauf zurückzuführen, dass AusländerInnen ökonomisch schlechter gestellt sind und einen tieferen Bildungsgrad aufweisen als SchweizerInnen. Da in der Untersuchung MigrantInnen in politischen Ämtern befragt werden, sollen ihre Kapitalformen beschrieben und biographisch untersucht werden. Eventuell können Zusammenhänge zwischen der Veränderung von verschiedenen Kapitalformen und der Veränderung des politischen Interesses aufgezeigt werden.

Obwohl der Anteil der MigrantInnen in der Schweiz steigt und die politische Integration als eine wichtige Aufgabe angesehen wird, gibt es wenige Studien über die Einstellungen von MigrantInnen zur Politik oder darüber, wie sie ihre eigene Partizipation wahrnehmen. Die zwei vorgestellten Studien zeigen jedoch wichtige Zusammenhänge auf, welche in diese Lizentiatsarbeit eingebracht werden sollen. In der Studie von Long (2003) sowie in jener von Cueni und Fleury (1994) wurde die Bedeutung des Zugehörigkeitsgefühls angesprochen und dessen Bedeutung für das Interesse an der Politik im Aufnahmeland hervorgehoben. Daher soll der Frage nachgegangen werden, ob bei den Befragten ein gewisses Zugehörigkeitsgefühl vorhanden ist und wie dieses mit dem Politikinteresse zusammenhängt.

Eine weitere interessante Feststellung von Long ist, dass die Einstellungen in Bezug auf die Erfahrungen, die man während des Lebens gemacht hat, untersucht werden sollen. Die Interviews dieser Forschungsarbeit werden einen biographisch narrativen Teil enthalten, damit das Erlebte im Herkunftsland sowie die Erfahrungen in der Schweiz erhoben werden können. Dabei kann auch auf die von Long erwähnten Barrieren eingegangen werden. Die Befragten werden danach gefragt, welche Barrieren sie überwinden mussten, um politisch aktiv zu sein und ein politisches Amt zu übernehmen.

3. Theoretische Ansätze zur Einstellung und zur politischen Sozialisation

Die vorliegende Lizentiatsarbeit geht der Frage nach, welche Einstellungen politisch aktive MigrantInnen zur Politik sowie zu ihrer eigenen Partizipation haben und wie sich diese Einstellungen gebildet haben. Der Untersuchungsgegenstand ist ein komplexer Sachverhalt, welcher von verschiedenen Seiten beleuchtet werden soll. Daher habe ich auch einen interdisziplinären theoretischen Zugang gewählt, und es werden verschiedene theoretische Ansätze aus den Bereichen der Sozialpsychologie, der Politikwissenschaft und der Soziologie, welche sich mit Einstellungen oder mit der Veränderung von Einstellungen befassen, vorgestellt.

Im ersten Unterkapitel werden Konzepte der sozialen Einstellung erläutert, welche dazu dienen sollen, die allgemeine Einstellung zur Politik sowie das Interesse an der Politik zu erheben. In den nächsten vier Unterkapiteln folgen theoretische Ansätze zu verschiedenen Bereichen der Einstellung zur Politik. Der letzte theoretische Ansatz der politischen Sozialisation dient dazu, den Prozess der Einstellungsbildung und der Einstellungsänderung zu erforschen.

In jedem Unterkapitel stelle ich jeweils zuerst die theoretischen Ansätze vor. Danach wird der Bezug zur Fragestellung hergestellt und darauf hingewiesen, wie der theoretische Ansatz in der Lizentiatsarbeit verwendet werden soll (kursiv). Teilweise können aus den theoretischen Ansätzen auch Vorannahmen abgeleitet werden.

Wie bereits in der Einleitung erwähnt, wurde in dieser Lizentiatsarbeit zirkulär gearbeitet. Somit habe ich nur einen Teil der theoretischen Ansätze vor der Datenerhebung erarbeitet. Dies ermöglichte mir, das Vorwissen zu strukturieren, auf spezifische Themen sensibilisiert zu sein und gezielte Interviewfragen zu stellen. Nach der Datenerhebung habe ich den Theorieteil ergänzt, da durch die Interviews neue Sinnzusammenhänge sichtbar wurden. Zum Beispiel kam während der Auswertung zum Vorschein, dass die Kapitalformen eine grosse Rolle spielen bei der Veränderung der Einstellung. Daher habe ich die Kapitalformen, welche bereits im Kapitel der subjektiven Kompetenzen vorkamen, näher beschrieben. Zudem wurde das Kapitel zur Motivation verändert und ergänzt, da der verwendete theoretische Ansatz der intrinsisch und extrinsisch motivierten Handlungen sich bei der Auswertung als ungeeignet herausstellte.

3.1 Modelle zur sozialen Einstellung

Gordon Allport stellte bereits 1935 fest, dass das Einstellungskonzept zu den wichtigsten Konzepten der amerikanischen Sozialpsychologie gehört. Zu jener Zeit dominierten behavioristische Ansätze die theoretischen Diskussionen. Im Gegensatz zu seinen Kollegen war Allport hingegen überzeugt, dass menschliches Verhalten weniger von objektiven Bedingungen beeinflusst wird, sondern vielmehr von der Art und Weise, wie eine Person ihre Situation wahrnimmt und deutet. Diese subjektiven Interpretationen sind jedoch nicht willkürlich. Sie sind sozial verankert. Daher haben gewisse Gruppen zu einem Thema oft übereinstimmende Einstellungen (Bierbrauer, 2005, 138).

Wenn man Personen nach ihren Einstellungen zu einem Objekt befragt, enthalten ihre Antworten typischerweise eine positive oder eine negative Bewertung und oft auch eine Stellungnahme, weshalb sie diese Meinung vertreten. Unter dem Begriff „Einstellung“ kann man somit eine Stellungnahme gegenüber Personen, Sachverhalten, Gruppen, Objekten oder Ideen verstehen (Bierbrauer, 2005, 139). Der Einstellungsgegenstand kann alles sein, was eine Person wahrnehmen oder sich vorstellen kann. Somit sind es konkrete Objekte zum anfassen oder abstrakte Objekte, wie in dieser Untersuchung die Politik und die politische Partizipation (Bohner, 2003, 267). Einstellungen können entweder in direktem Kontakt mit dem Einstellungsgegenstand erworben oder durch verherrschende Meinungen und Informationen anderer Personen geprägt worden sein. Die Einstellungsbildung kann durch externe Faktoren, wie die Merkmale des betreffenden Objekts, oder durch sozio-kulturelle Faktoren beeinflusst werden. Jedoch sind auch interne oder persönlichkeitsspezifische Faktoren, wie bereits vorhandene Einstellungen und Motivkonstellationen, bedeutsam (Peuckert, 2001, 63).

Einstellungen sind nicht konkret beobachtbar, sondern werden meistens aus verbalem Verhalten erschlossen. In einigen Fällen schliesst man auch von Beobachtungen offenen Verhaltens (z.B. die Beteiligung an einer Demonstration) auf das Vorhandensein einer entsprechenden Einstellung (Peuckert, 2001, 62).

Wenn man nach Konzepten der Einstellung Ausschau hält, stösst man immer wieder auf das Dreikomponentenmodell, welches die Trilogie psychischer Prozesse widerspiegelt. Es besagt, dass die Einstellung aus drei verschiedenen Teilen besteht: einer kognitiven, einer affektiven und einer handlungsorientierten Komponente (vgl. Aronson et al., 2004, 231). Die kognitive Komponente bezieht sich auf Bewertungen, welche auf Überzeugungen von Eigenschaften des Einstellungsobjektes gründen. Man beurteilt das Objekt nach seinen Vor- und Nachteilen und entscheidet dann, ob man sich damit abgeben möchte oder nicht. In Bezug auf die Einstellungen zur Politik kann es zum Beispiel sein, dass jemand die Ereignisse in der Politik beobachtet und zum Schluss kommt, Politik sei nichts für ihn, da es viel zu lange dauere bis man zu einer Entscheidung gelangt. Die affektive Komponente beruht nicht auf einer rationalen Untersuchung von Fakten, sondern bezieht sich auf Äusserungen über Gefühle und Werte. Zum Beispiel kann man Vertrauen in einen Politiker haben, ohne dass man viel von dieser Person weiss. Es ist vielmehr das Gefühl, welches man einem bestimmten Kandidaten gegenüber hat. Die dritte Komponente wird die handlungsorientierte Komponente genannt, da sie Ausdruck von Verhaltensintentionen in Bezug auf das Einstellungsobjekt ist (Bierbrauer, 2005, 137-146; Aronson et al., 2004, 231-234). Die Bedeutung dieser dritten Komponente wird in der Forschungsliteratur unterschiedlich erläutert. Einige AutorInnen beschreiben die handlungsorientierte Komponente als Äusserungen, bei denen man das eigene Verhalten gegenüber dem Einstellungsobjekt beobachtet und daraus auf die eigene Einstellung schliesst (Aronson et al., 2004, 231- 234). Andere AutorInnen verstehen unter der handlungsorientierten Komponente eine Äusserung über eine Verhaltensabsicht, ohne dass die befragte Person auf ihre Einstellung schliesst (Bierbrauer, 2005, 140).

Das folgende Schema zeigt Beispiele von Einstellungen zur Politik und politischen Partizipation und wie diese sich kognitiv, affektiv oder im Verhalten manifestieren:

Abb. 3: Das Dreikomponentenmodell der sozialen Einstellung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Obwohl die drei Komponenten klar verschiedene Ursprünge haben, können sie nicht strikte voneinander getrennt werden und stehen in einer Wechselwirkung zueinander. Daher bevorzugen gewisse AutorInnen ein eindimensionales Modell der Einstellung. Diese TheoretikerInnen machen keine Unterscheidung zwischen der affektiven, kognitiven und handlungsorientierten Komponente, sondern definieren Einstellungen als eine positive oder negative Bewertung eines Objektes (Bierbrauer, 2005, 144-146).

Bei der Auswertung der Interviews stellte es sich als schwierig heraus, die Aussagen in die drei Komponenten einzuteilen, da viele Äusserungen verschiedene Komponenten beinhalteten. Das Dreikomponentenmodell der Einstellung dient als Hintergrund, jedoch wird vor allem mit dem eindimensionalen Konzept der positiven und negativen Bewertung gearbeitet. Zudem wird untersucht, wie die Einstellung zur Politik entstand und sich mit der Zeit verändert hat.

3.2 Bereiche der Einstellung zur Politik und politischen Partizipation

Die im vorgehenden Kapitel beschriebenen Konzepte der Einstellung sollen dazu dienen, allgemeine Äusserungen zur Politik sowie das Interesse an der Politik zu erfassen. Neben dieser allgemeinen Bewertung der Politik wird zusätzlich auf vier bestimmte Bereiche der Einstellung eingegangen.

In den folgenden Unterkapiteln werden diese vier Bereiche, konkret das Konzept des politischen Vertrauens, die wahrgenommenen Einflussmöglichkeiten, die Motivation der politischen Partizipation und die wahrgenommenen Erwünschtheit, theoretisch erläutert.

a) Das Konzept des politischen Vertrauens

Die Frage nach dem politischen Vertrauen wird an dieser Stelle diskutiert, da sie als Mittel dienen kann, die Haltung der MigrantInnen gegenüber der Regierung und Parteien zu untersuchen. In einem ersten Schritt wird allgemein beschrieben, was Vertrauen bedeutet, um in einem zweiten Teil speziell auf das politische Vertrauen einzugehen.

Vertrauen im Allgemeinen kann die Haltung beschreiben, welche eine Person gegenüber einer anderen Person oder Institution hat. Sie beruht auf einem Glauben oder einer Erwartung, dass sich die Person auf eine bestimmte Art und Weise verhält. Somit bedeutet Vertrauen auch Erwartungssicherheit. Das Vertrauen kann sich mit der Zeit verändern. Zum Beispiel wenn die Erwartung enttäuscht wird, ist es schwer, das Vertrauen wieder aufzubauen (Göhler, 2002, 225). Vertrauen ist grundsätzlich positiv konnotiert und steht oft an einem Beziehungsbeginn, während Misstrauen negativ konnotiert ist und eine Beziehung beenden kann (Dederichs, 1997, 64).

Nach Dederichs (1997, 65) ist Vertrauen ein Produkt der Beziehungsarbeit zwischen dem Akteur und seiner Umwelt und dient dazu Ressourcen, wie beispielsweise Informationen oder Aufwand, einzusparen. Eine weitere Charakteristik des Vertrauens ist, dass es zum Zug kommt, wenn das Wissen über etwas fehlt. Falls man nicht genug Wissen über einen Zusammenhang besitzt, stützt man sich auf das Vertrauen. So kann man auch sagen, dass das Vertrauen eine Verringerung von Unsicherheit mit sich bringt und eine Reduzierung der Komplexität ist (ebd., 65).

Wenn man vom politischen Vertrauen spricht, stellt sich die Frage, auf wen sich dieses Vertrauen bezieht. Die Demokratien gründen auf dem Konzept der Repräsentation. Somit meint politisches Vertrauen das Verhältnis von den WählerInnen zu ihren Repräsentanten und bezieht sich in erster Linie auf Personen. Man erwartet von ihnen, dass sie die Interessen der WählerInnen wahrnehmen und sich in Belangen der Allgemeinheit vernünftig und nachvollziehbar verhalten. Das Vertrauen dient auch der Einschätzung und Bewertung politischer Systeme. Dieses Vertrauen beruht nicht auf der Verlässlichkeit einer Person, sondern auf der Verlässlichkeit von Regeln. Man kann diese beiden Arten des Vertrauens klar unterscheiden, jedoch kann man sie nicht vollständig voneinander entkoppeln. Die Ebenen sind eng miteinander verbunden, weil die BürgerInnen meist personenbedingte Rückschlüsse auf das gesamte System ziehen (Göhler, 2002, 224-229/ Huth, 2003, 105).

Die Frage nach dem politischen Vertrauen in Institutionen wird häufig auf das von Easton (1965/ 1975) entwickelte Konzept der politischen Unterstützung bezogen. Easton unterscheidet zwei grundsätzliche Arten von Unterstützung, welche ein politisches System von den BürgerInnen erhält: Zum einen die „spezifische Unterstützung“, die aus der Zufriedenheit mit den Leistungen des Systems besteht, zum anderen die „diffuse Unterstützung“, welche auch als grundsätzliches politisches Vertrauen gesehen werden kann. Dieses Vertrauen ist weitgehend unabhängig von den aktuellen Leistungen des Systems. Grundsätzliches politisches Vertrauen hat man in ein System für das, was es repräsentiert, jedoch nicht für das, was es tut (Easton, 1975, 444 zit. nach Krüger, 1995, 248).

Auch das Vertrauen in Personen kann weiter unterteilt werden. Das eine ist das Vertrauen in Personen im unmittelbaren sozialen Umfeld. Dieses Vertrauen besteht in Beziehungen mit einer häufigen Interaktion, und in der man sich gegenseitig kennt. Diese Art von Vertrauen kommt vor allem in Familien und im Freundeskreis vor. Man kann aufgrund der Erfahrungen, die man mit der Person gemacht hat, eine Einschätzung ihres Verhaltens machen und schenkt ihr Vertrauen oder nicht. Im Gegensatz dazu steht das Vertrauen zu Fremden, welches sich in der Regeln nicht auf einer Erfahrungsgrundlage stützen kann und daher schwieriger aufzubauen ist (Gabriel, Kunz, Rossteutscher & van Deth, 2002, 52-57). Dies ist zum Beispiel der Fall beim Vertrauen in eine Institution oder in eine Person, die man nicht kennt, wie es beim Vertrauen in PolitikerInnen oder politische Parteien häufig vorkommt. Die Ursprünge des Vertrauens in Personen, die man nicht kennt, können sehr vielfältig sein. Offe (1999, 65- 77) stellt drei mögliche Ursprünge vor. Ein Beispiel ist, dass man zwar die Person nicht kennt, man aber aufgrund ihrer Rolle oder ihrer Position in einer Institution zu wissen glaubt, wie sich die Person verhalten wird. Dabei wird deutlich, wie das Vertrauen in Institutionen mit dem Vertrauen in Personen verbunden ist. Man vertraut sozusagen den Regeln der Institution und geht davon aus, wenn sich die Person nicht nach diesen Regeln verhält, wird sie durch Mechanismen innerhalb der Institution sanktioniert. Man vertraut darauf, dass sich die Person gemäss den Normen der Institution verhält (Offe, 1999, 65). Die zweite Möglichkeit Personen zu vertrauen, mit denen man keine Erfahrungen gemacht hat, sind geteilte Werte. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn man einer Person vertraut, weil diese einer bestimmten Gemeinschaft angehört. Dies kann eine Nation, eine religiöse Gruppe, eine Schule oder ein Verein sein. Da ich die Tradition, Kultur und Werte dieser Gruppe kenne, generalisiere ich das Vertrauen auf alle Personen, die dieser Gruppe angehören. Diese Form von Vertrauen gegenüber ganzen sozialen Kategorien basiert oft auf vertrauenswürdigen Stereotypen (ebd., 63). Auch eine Möglichkeit einer Person zu vertrauen ist, dass man ihr aufgrund ihrer Erscheinung, ihrem Ruf oder anderen persönlichen Merkmalen vertraut (ebd., 77).

Zusammenfassend können die verschiedenen Konzepte politischen Vertrauens folgendermassen dargestellt werden:

Abb. 4: Die Unterteilung des politischen Vertrauens

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung.

In der Lizentiatsarbeit untersuche ich das personale sowie auch das institutionelle Vertrauen. Ich konzentriere mich dabei vor allem auf das Vertrauen zu Beginn des Aufenthaltes in der Schweiz, da Vertrauen oft zum Zug kommt, wenn Wissen über etwas fehlt (vgl. Dederichs, 1997, 65). Ich vermute, dass die Befragten in den ersten Jahren nicht viel Wissen über das politische System in der Schweiz besitzen. Auch soll der Frage nachgegangen werden, ob es sich bei diesem Vertrauen um eine spezifische oder diffuse Unterstützung handelt.

Ein weiterer interessanter Aspekt ist, dass man einer Person vertraut aufgrund der Werte, die man mit ihr teilt oder aufgrund der Gemeinschaft, der sie angehört. Somit könnte es sein, dass MigrantInnen zu Beginn den Schweizer PolitikerInnen nicht vertrauen, da diese einer anderen Gemeinschaft angehören. Es wäre hingegen auch möglich, dass man die Werte, welche die schweizerische Politik vertritt, unterstützt und daher dem politischen System Vertrauen schenkt.

b) Subjektive Kompetenzen

Ein mit der Theorie des politischen Vertrauens verwandtes Konzept ist jenes der wahrgenommenen Einflussmöglichkeiten. Almond und Verba (1989, 136) nennen diese wahrgenommen Einflussmöglichkeiten „subjektive Kompetenzen“. Eine Person mit hohen subjektiven Kompetenzen sieht sich fähig, die Entscheidungen der Regierung zu beeinflussen. Hat hingegen eine Person geringe subjektive Kompetenzen, sieht sie politische Entscheide als etwas an, das sie nicht beeinflussen kann. Nach Almond und Verba kann man diese subjektiven Kompetenzen klar von den objektiven Kompetenzen unterscheiden. So kann es sein, dass eine Person denkt, sie habe einen grossen Einfluss auf die Entscheidungen des Staates, jedoch in Wirklichkeit hat sie keinen. Oder jemand denkt, er habe keinen Einfluss, jedoch die Regierung berücksichtigt in Tat und Wahrheit die Bedürfnisse der Gruppe, welcher er angehört (ebd., 137-140).

Anstatt von subjektiven Kompetenzen zu sprechen, benutzen gewisse AutorInnen den Begriff der „politischen Effektivität“. Teil des Konzeptes der politischen Effektivität ist die Unterscheidung zwischen interner und externer politischer Effektivität. Die interne politische Effektivität bezieht sich auf die individuellen Eigenschaften einer Person, das heisst auf die Einschätzung der eigenen politischen Fähigkeiten und auf die Rolle der BürgerInnen im politischen Prozess. Die externe politische Effektivität beschreibt mehr die wahrgenommenen Eigenschaften des politischen Systems und, ob das eigene politische Verhalten einen Einfluss auf den politischen Prozess hat (Hoffmann-Lange, Krebs & de Rijke, 1995, 360-361).

Die subjektiven Kompetenzen werden häufig in Zusammenhang mit vorhandenen Kapitalformen8 diskutiert. Dabei wird von verschiedenen AutorInnen auf das Humankapital, das Sozialkapital sowie das institutionelle und politische Kapital hingewiesen. Die folgende Darstellung zeigt auf, wie die verschiedenen Kapitalformen mit den subjektiven Kompetenzen zusammenhängen können.

[...]


1 Vorlage Nr. 510: Bundesbeschluss vom 03.10.2003 über die ordentliche Einbürgerung sowie über die erleichterte Einbürgerung junger Ausländerinnen und Ausländer der zweiten Generation. Vorlage Nr. 511: Bundesbeschluss vom 03.10.2003 über den Bürgerrechtserwerb von Ausländerinnen und Ausländer der dritten Generation.

2 Das Stimm- und Wahlrecht für AusländerInnen gibt es in der Deutschschweiz lediglich in drei Gemeinden des Kantons Appenzell Ausserrhoden, in fünf Gemeinden des Kantons Graubünden und seit Januar 2006 in allen Gemeinden des Kantons Freiburg. Ausführliche Übersicht über das Ausländerstimmrecht auf kantonaler und kommunaler Ebene siehe Anhang A.

3 Zudem gibt es ein aktuelles Projekt am Institut für Sozialanthropologie der Universität Bern. Es untersucht die Partizipationsmöglichkeiten der ausländischen Bevölkerung in der Schweiz. Zugriff am 9.8.2006 auf: http://www.research.unibe.ch/abstracts/A_66584618.html.

4 Die Voraussetzungen zur ordentlichen Einbürgerung auf der Stufe des Bundes sind: 12 Jahre Wohnsitz in der Schweiz, Eingliederung in die schweizerischen Wohnverhältnisse, Vertrautsein mit den schweizerischen Lebensgewohnheiten, Sitten und Gebräuchen, Beachtung der schweizerischen Rechtsordnung und keine Gefährdung der inneren und äusseren Sicherheit der Schweiz. Zugriff am 28.7.2006 auf: http://www.bfm.admin.ch/index.php?id=130.

5 In Klammern wird die Zahl in Tausend angegeben.

6 Die Sekundarstufe I betrifft die obligatorische Schulzeit, daran schliesst die Sekundarstufe II an, welche eine Berufslehre oder Maturitätsschule sein kann. Eine Ausbildung an einer Universität oder Fachhochschule befindet sich auf der Tertiärstufe (Rausa-de Luca, 2005, 13).

7 Ohne internationale Funktionäre.

8 Unter dem Begriff Kapital können nach Diehl (2002, 48) „alle Ressourcen, die dem Individuum bei der Erreichung seiner Ziele zur Verfügung stehen, subsumiert werden“.

Ende der Leseprobe aus 119 Seiten

Details

Titel
MigrantInnen in der Politik
Untertitel
Eine qualitative Untersuchung über den Verlauf der Einstellungen von politisch aktiven MigrantInnen zur Politik und zur politischen Partizipation
Hochschule
Université de Fribourg - Universität Freiburg (Schweiz)  (Sozialarbeit und Sozialpolitik)
Note
5.5 (6=Höchstnote)
Autor
Jahr
2006
Seiten
119
Katalognummer
V83198
ISBN (eBook)
9783638047050
Dateigröße
1192 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Politik, politische Partizipation;, Ausländerstimmrecht;, Migration
Arbeit zitieren
Corinne Widmer (Autor:in), 2006, MigrantInnen in der Politik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83198

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