Von außen nach innen: Parallelstrukturen von Text und Psyche in E.T.A . Hoffmanns "Das öde Haus"


Seminararbeit, 2005

15 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Voraussetzungen

2. Aufbau der Erzählung
2.1 Erzählerfunktion in Rahmen- und Binnenhandlung

3. Struktur
3. Erzählräume
3.1. Der imaginäre phantastische Raum
3.2. Der 1. phantastische Raum: die Vision Theodors
3.3. Der 2. phantastische Raum: die Erscheinung im Spiegelbild
3.3.1. Belebung des toten Gegenstands
3.3.2. Innere Projektion
3.2. Der 3. phantastische Raum: Das Eindringen in das öde Haus

4. Die psychische Erkrankung
4.1. Kindheitstrauma und Folgen
4.2. Das Spiegelmotiv
4.2.1. Enthüllung des öden Hauses

5.1. Das Heraustreten des Inneren ins Äußere
1. Identitätskrise der Dichter

Literaturverzeichnis

1. Vorraussetzungen

Ernst Theodor Amadeus Hoffmanns 1817 erschienene Erzählung Das öde Haus steht an exponierter Stelle des zweiten Teils des Zyklus Nachtstücke. Obwohl eini-ge Ähnlichkeiten mit dem dazu im ersten Teil parallel gestellten Sandmann vor-handen sind, wird sich hier nur auf den Text des öden Hauses selbst bezogen. Nach einer strukturellen Analyse wird gezeigt, dass das öde Haus einen sehr eigenen Wirklichkeitsanspruch hat. Die Arbeit steht unter der Prämisse, dass eine klar von außen nach innen verlaufende Struktur erkennbar ist, die schon in der Form ange-legt ist. Parallel dazu entwickelt sich der Krankheitsverlauf Theodors, der während dieses Fortschreitens immer tiefer in die Psyche eindringt. Der Versuch einer psy-choanalytischen Deutung liegt also nahe. Strukturell kann man von einem parallel zum Krankheitsverlauf Theodors immer tiefer ins Innere fortschreitenden Äußeren sprechen. Es wird also zunächst einmal auf Form und Funktion eingegangen wer-den, um dann unter Berücksichtigung von stilistischen Aspekten und Motiven auf Deutungsweisen zu kommen. Am Ende wird auf die gesellschaftlichen Verhältnis-se des 19. Jahrhunderts übertragen. Dabei wird sich auf den Handlungsablauf kon-zentriert werden und nicht auf die Aufklärung der Geschehnisse am Ende, welche für die Struktur nicht von großer Bedeutung ist.

2. Aufbau der Erzählung

2.1. Erzählerfunktion in Rahmen- und Binnenhandlung

Die Erzählung Das öde Haus wird von einem auktorialen Erzähler berichtet, der aber nur während der Rahmenhandlung, dem Gespräch unter Freunden, auftritt. In dieser werden die „theoretischen Grundlagen“ geschaffen, indem erörtert wird, welches Prinzip mit der anschließenden Binnenhandlung veranschaulicht werden soll. Während der eigentlichen Handlung erzählt Theodor, sodass allgemeingültige Feststellungen, die letztlich unentbehrlich für die Aussage der Erzählung sind, nur anfangs und am Ende gemacht werden.

Weite Teile werden vom personalen Erzähler Theodor systematisiert vorgetragen. Das erzählende Ich zielt auf die effektivste dramatische Wirkung, und kann durch das vorherige „Niedergeschrieben-Haben“ des Erlebten[1] sowie seinen, wenn auch begrenzten, Wissensvorsprung vor dem Zuhörer strukturieren, wie die häufigen, direkt an den Hörer gerichteten Einwürfe zeigen, die zugleich rechtfertigend sind, wie Sheila Dickson bemerkt: “They are passages of self-justification, or explanations which preempt criticism.“[2] Trotzdem werden in direkter Rede die Aussagen weiterer Personen wiedergegeben, deren Beobachtungen widersprüchlich zu denen Theodors sein können, wie die des alten Mannes: „Ei ei, mein Herr, wohl habe ich mit unbewaffnetem Auge das hüb-sche Gesicht dort im Fenster gesehen, aber es war ja ein, wie es mir schien, recht gut und lebendig in Öl gemaltes Portrait.“[3] (179) In der personalen Erzählsituation selbst entfalten sich demnach weitere personale Erzählräume. Der Gesamtüberblick über das Geschehen ist also trotz Theodors vermeintlichen Wissens nicht gegeben, auch der auktoriale Erzähler der Rahmenhandlung löst die gegebenen Rätsel nicht weiter auf. Dennoch lassen sich einige signifikante Punkte analysieren:

2.2 Struktur

Die Hoffmannsche Erzählung Das öde Haus weist eine kongruent zur Thematik des Innen und Außens verlaufende Struktur auf. In der Binnenhandlung wird das Prinzip des „von außen nach innen Dringens“ durch die Erzählform weitergeführt. Die Einzelaussagen verschiedener Personen ermöglichen dem Leser ein durch viele Sichtweisen geprägtes Wahrnehmen des Geschehens, sodass sich aus dem Ganzen ein mehr oder weniger einheitliches Bild ergibt. So wird zum Beispiel das Gesche-hen um Angelika aus mehreren Perspektiven beleuchtet[4].

Die auf den ersten Blick recht lineare Struktur der Handlung führt sie also immer tiefer in sich selbst hinein. Jeder neue Abschnitt der Erzählung eröffnet kleinere Binnenerzählungen, die Stück für Stück in das tiefere Verständnis führen. Der Leser wird so in den Prozess des Verstehens, den auch der Protagonist erlebt, miteinbezogen, die Erzählung kann also gleichsam als belehrend charakterisiert werden: „aber – am Ende kommt die Moral, die euch zu Boden schlägt, horcht nur auf!“(167).

Möglich gemacht wird dieses durch die dialektische Struktur der Binnenhand-lung: Es wird ein Erlebnis oder eine Erscheinung dargestellt, auf die im Anschluss ein rationaler Erklärungsversuch und die vorübergehende Annahme dessen durch das erlebende Ich folgt. Dann tritt ein neuer Faktor hinzu, der die bisher gewonnen-en Erkenntnisse zunichte macht und eine neue Aufklärung fordert. Das öde Haus gleicht seiner Struktur nach einer Detektivgeschichte[5], in der immer neue Fakten bewertet, akzeptiert und dann dennoch wieder durch eine neue, immer „wunder-lichere“ Wendung verworfen werden. Beispielsweise ist Theodor davon überzeugt, durch das Medium des Spiegels ein Mädchen am Fenster erblickt zu haben. Ein alter Mann klärt ihn auf, dass es sich um ein Ölbild handle. Daraufhin wandelt Theodor seine Meinung: „Mir kam die Überzeugung, daß der Alte recht hatte, und daß nur in mir selbst das tolle Gaukelspiel aufgegangen, das mich mit dem öden Hause, zu meiner eignen Beschämung, so garstig mystifizierte.“(179) Trotz dieser Einsicht und der daraus resultierenden Bestimmung des Spiegels zum „prosaischen Hausbedarf“ aber erscheint ihm das Zauberbild kurz darauf wieder: „Alle meine Pulse stockten, mein Innerstes bebte vor wonnigem Grauen! – ja so muß ich das Gefühl nennen, das mich übermannte, als ich, so wie mein Hauch den Spiegel überlief, im bläulichen Nebel das holde Antlitz sah, das mich mit jenem wehmü-tigem, das Herz durchbohrendem Blick anschaute!“(180)

Die rationale Erklärung funktioniert nicht bis zur letzten Konsequenz. Exem-plarisch wird so das Ringen des Menschen um Erkenntnis dargestellt, welches the-matisch schon im Rahmengespräch angelegt ist: „Ach das ist ja eben die entsetz-lichste Folge unserer Entartung nach dem Sündenfall, daß diese Erkenntnis uns fehlt!“(163). Im öden Haus wird deutlich, dass selbst „sehende“ Menschen am Ende immer nur bis an eine gewisse Grenze gelangen, vollkommene Erkenntnis nicht möglich ist.

3. Erzählräume

Die Wahrnehmungen verschiedener Leute zählen folglich zu den sich in der Bin-nenhandlung eröffnenden Erzählräumen, genau wie die in aller Kürze gehaltene Parallelgeschichte des Schicksals eines vom Liebeszauber letztlich in den Tod getriebenen Obristen. Sie veranschaulicht, auf welchen Abgrund sich Theodor zubewegt - die Einsicht dessen führt so auch zum dramatischen Höhepunkt des Geschehens: ,„ Ich hörte nicht mehr, was der Mann noch seiner Geschichte hinzusetzte; denn in dem Entsetzen, das mich ergriffen, als ich in des italienischen Obristen Zustand den meinigen erkannte, ging mit wütendem Schmerz eine solche wahnsinnige Sehnsucht nach dem unbekannten Bilde auf“ (188). Eine tiefere Ebe-ne der Erzählstruktur spricht Theodor somit direkt an und kann als Auslöser für die vermeintliche Katastrophe gelten.

[...]


[1] [1] Vgl. Claudia Lieb, Und hinter tausend Fenstern..., S. 62.

[2] [2] Sheila Dickson, The narrator and narrative perspective, S. 173.

[3] [3] E.T.A. Hoffmann, Das öde Haus, S. 179. Alle weiteren Zitate beziehen sich auf diesen

Text und werden durch die Angabe der Seitenzahl im Text gekennzeichnet.

[4] [4] Sheila Dickson, The narrator and narrative perspective, S.71.

[5] [5] vgl. Claudia Lieb, Und hinter tausend Fenstern, S. 63.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Von außen nach innen: Parallelstrukturen von Text und Psyche in E.T.A . Hoffmanns "Das öde Haus"
Hochschule
Universität Münster
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
15
Katalognummer
V83085
ISBN (eBook)
9783638893572
Dateigröße
414 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Parallelstrukturen, Text, Psyche, Hoffmanns, Haus
Arbeit zitieren
Meike Kohl (Autor:in), 2005, Von außen nach innen: Parallelstrukturen von Text und Psyche in E.T.A . Hoffmanns "Das öde Haus", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83085

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