Sinn und Notwendigkeit strafrechtlichen Schutzes vor Bedrohung, Verfolgung und Gewalt: am Beispiel der Stalking-Entwürfe und des Gewaltschutzgesetzes


Hausarbeit, 2006

72 Seiten, Note: 16,0 Punkte (sehr gut)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Gutachten

I. Einleitung

II. Begriffsbestimmung/ Phänomenologie des Stalking
1. „Mildes Stalking“
2. „Schweres Stalking“

III. Kriminologische Erkenntnisse
1. Täter/ Stalkertypologie
a. Statische Faktoren
b. Dynamische Faktoren
c. Situative Faktoren
d. Klassifizierung
aa. „Rejected Stalker“
bb. „Intimacy seeker“
cc. „Incompetent siutors“
dd. „Resentful stalker“
ee. „Predatory stalker“
2. Opfer
3. Prävalenzrate

IV. Strafrechtlicher Schutz – Strafbarkeit nach dem StGB de lege lata
1. Körperverletzungsdelikte, §§ 223f, 229 StGB
2. Nötigung, § 240 StGB
3. Sexuelle Nötigung, §177 StGB
4. Bedrohung, § 241 StGB
5. Freiheitsberaubung, § 239 StGB
6. Hausfriedensbruch, § 123 StGB
7. Beleidigungsdelikte, §§ 185ff StGB
8. Sachbeschädigung, § 303 StGB
Zwischenergebnis:

V. Das Gewaltschutzgesetz
1. Geschichte und Ziel des Gesetzes
2. Gesetzestechnische Konstruktion
a. § 1 GewSchG
b. §§ 2 und 3 GewSchG
c. § 4 GewSchG
d. Verfahrens- und Vollstreckungsregeln
3. Positive Bewertung des Gesetzes
4. Kritische Auseinandersetzung mit dem GewSchG
a. Dogmatische zivil- und strafrechtliche Bindungsprobleme
b. Materiellrechtliche Defizite und Probleme
c. Verfahrens- und vollstreckungsrechtliche Probleme
d. Praktische Probleme
Exkurs: Bewertung des Gewaltschutzgesetzes durch Richter der Amtsgerichte Albstadt und Balingen
Zwischenergebnis

VI. Strafwürdigkeit des Stalking
1. Grundsätze einer Strafwürdigkeitsprüfung
2. Anwendung der Strafwürdigkeitsgrundsätze auf Stalking
a. Das zu schützende Rechtsgut
aa. Verfassungsrang
bb. gesellschaftliche Akzeptanz
b. Sozialschädlichkeit
c. Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips
Zwischenergebnis
3. Schuldfähigkeit des Stalkers

VII. Stalking – Strafbarkeit de lege ferenda
1. Entwicklungsgeschichte der Gesetzesinitiativen
2. Der Gesetzentwurf des Bundesregierung: § 241b, „Nachstellung“
a. Systematik des § 241b
b. § 241b Absatz 1
c. § 241b Absatz 2
3. Der Gesetzentwurf des Bundesrates: § 238 StGB, „Schwere Belästigung“
a. Systematik des § 238 nF
b. § 238 nF Absatz 1
c. § 238 nF Absatz 2
d. § 238 nF Absatz 3
e. § 238 nF Absatz 4
f. § 238 nF Absatz 5
g. § 238 nF Absatz 6
h. die Einführung der Deeskalationshaft

VIII. Ergebnis/Ausblick

Anhang
Gewaltschutzgesetz
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Gesetzentwurf des Bundesrates

Literaturverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Gutachten

I. Einleitung

In dubio pro libertate[1] – dieser Restriktionsgrundsatz wird oft angeführt, wenn unsicher ist, ob durch freiheitsbeschränkende gesetzgeberische Interventionen ein erstrebtes Ziel überhaupt erreicht werden kann. So wundert es nicht, dass diese Maxime auch früh von liberaler Seite gegen die Absicht des Gesetzgebers ins Feld geführt wurde, das Strafgesetzbuch um den Tatbestand des Stalking zu erweitern. Ob die partiell geforderte gesetzgeberische Zurückhaltung auf dem Gebiet des Strafrechts zum Schutz vor Belästigung, Bedrohung und Gewalt auch im Hinblick auf die Erscheinungsformen des Stalking geboten erscheint, oder ob ein sinnvoller Straftatbestand nicht vielmehr längst überfällig ist, soll im Folgenden vor allem mit Blick auf das Gewaltschutzgesetz und die Stalking-Entwürfe untersucht werden.

II. Begriffsbestimmung/ Phänomenologie des Stalking

In die Schlagzeilen geraten ist Stalking erstmals vor ca. 20 Jahren in der Yellow Press der USA, wo der Begriff das exzessive Verfolgen von Prominenten durch besessene Fans beschrieb.[2] Erst mit der Ermordung der Schauspielerin Rebecca Schaefer 1989 durch einen Stalker rückte der Gewaltaspekt des Stalking in den Vordergrund. Daneben wandelte sich auch die Auffassung von Stalking als einem ausschließlich Prominente betreffenden Verhalten und das Verfolgen und Terrorisieren von Normalbürgern rückte in den Mittelpunkt sowohl des öffentlichen als auch des wissenschaftlichen Interesses.

Der Begriff „Stalking“ stammt ursprünglich aus der englischen Jägersprache und kann am besten mit „nachstellen“ und „auf die Pirsch gehen“ übersetzt werden.[3] Er umfasst Verhaltensweisen einer Person, die - meist in Form von wiederholter unerwünschter Kontaktaufnahme – ein Opfer belästigen. Eine Legaldefinition dieses Begriffs im deutschen Recht fehlt; die klinischen, wissenschaftlichen und juristischen Definitionen, von denen keine allgemein akzeptiert ist, sind so breit gefächert wie die Einzeldisziplinen, die sich mit diesem Phänomen befassen.[4] Ein Blick auf einzelne Verhaltensweisen, die mit dem Begriff des Stalking umschrieben werden sollen, ist daher unerlässlich:

Die stark heterogenen Einzelhandlungen des Stalking, die durch ihre Kumulation und Kontinuität zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung beim Opfer führen können, sind mannigfaltig. Es hat sich daher als sinnvoll erwiesen, sie in folgende zwei Hauptverhaltenskomplexe zu unterteilen:

1. „Mildes Stalking“

Diese Kategorie ist vor allem gekennzeichnet durch das Fehlen von körperlicher Nähe und physischer Gewalt. Darunter fallen beispielsweise[5] unzählige Telefonanrufe zu allen Tages- und Nachtzeiten, Schreiben von Liebes- und Drohbriefen, Zusenden von Geschenken (z.B. Blumen oder Konfekt), die jedoch auch maligne entarten können und über pornografische Bilder bis hin zu Grabkränzen und toten Tieren alles Erdenkbare enthalten. Ferner erfolgen häufig Rufschädigung durch Verbreiten von Gerüchten sowohl im Arbeits- als auch im sozialen Umfeld, Auflauern vor der Wohnung und am Arbeitsplatz mit meist anschließender Verfolgung, Bestellung von Waren im Namen von und zur Adresse des Opfers sowie eine Überwachung der sozialen Kontakte. Auch neuere Kommunikationsmittel wie Handy oder das Internet bieten neue Spielräume (sog. Cyberstalking[6] ): die Mailbox des Opfers wird mit E-Mails überflutet, Chatrooms zur Bedrängung missbraucht oder es werden unsittliche Angebote nebst Adresse und Telefonnummer des Opfers auf ominösen Websites publiziert.[7]

2. „Schweres Stalking“

Die unter diese Kategorie fallenden Verhaltensweisen fallen bedeutend gravierender aus: hierunter fallen beispielsweise Beschimpfungen aller Art, Einschüchterungsversuche, Todesdrohungen und Gewaltandrohungen, körperliche Angriffe, sexuelle Belästigung sowie Vandalismus.[8]

Die hier aufgezeigten Verhaltensweisen sind nur exemplarisch und keinesfalls abschließend. Der Begriff „Stalking“ als übergeordnete Gattungsbezeichnung ist nur ein plakatives Etikett, das aus kriminologischer Sicht eine Mehrheit von Verhaltensweisen beschreibt, die auf die Beeinträchtigung des Verhaltens einer anderen Person abzielen, vom Geschädigten als belästigend wahrgenommen werden und bei diesem Angst, Sorge oder Panik auslösen.[9] Um zu einer auch strafrechtlichen Bewertung dieser Verhaltensweisen zu gelangen bedarf es zunächst einer fundierten Analyse dieses Phänomens. Hierzu soll im Folgenden das empirische Faktenmaterial der bisher ergangenen kriminologischen Grundlagenforschung betrachtet werden:

III. Kriminologische Erkenntnisse

Zur Erforschung des Phänomens „Stalking“ wurden in Deutschland bislang nur wenige Studien durchgeführt.[10] Die bisherigen Untersuchungen ergaben folgendes Bild:[11]

1. Täter/ Stalkertypologie

Bei einer Untersuchung des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim lag der Anteil der weiblichen Täter[12] bei nur 14,5 %, der der männlichen dagegen bei 85,5 %[13], wobei deren Alter zwischen 13 und 58 Jahren schwankte und im Durchschnitt 31 Jahre betrug. Die typische Täterpersönlichkeitsstruktur[14] ist nach diversen Studien folgende:

a. Statische Faktoren: In verschiedenen Untersuchungen[15] wurde das Vorhandensein von pathologischen Bindungsmustern in der Persönlichkeit von Stalkern festgestellt, die von einer frühkindlichen sozial-emotionalen Fehlentwicklung infolge einer instabilen Beziehung zur Pflegeperson zeugen. Untersuchungen anhand der sog. Big Five-Persönlichkeitsdimensionen ergaben niedrige Werte auf den Dimensionen „Verträglichkeit“ und „emotionale Stabilität“ sowie erhöhte Werte auf der Dimension „Autonomie“.[16] Diese Personengruppe kann damit als egozentrisch, autoritär und emotional labil beschrieben werden mit der Fähigkeit zu analytischem und flexiblem Denken. Auch Leugnung und Verdrängung sind Merkmale, die einen Großteil der Stalker kennzeichnen. Häufig sind Persönlichkeitsstörungen zu beobachten, insbesondere solche mit Borderline-Elementen. Aus psychodynamischer Sicht ist Stalking meist eine narzisstische Reaktion auf eine Zurückweisung.[17] So korrelierte bei einer Untersuchung von Stalkern auf der Basis der „Narcissistic Personality Inventory“ der NPI positiv mit Werten der Skalen „Selbstbewusstsein“, „selbstbezogene Aufmerksamkeit“, „Bedürfnis nach Einzigartigkeit“ und „mangelnde Diskrepanz zwischen tatsächlichem und idealem Selbst“.[18] Passend zu diesem Bild ist auch das Ergebnis der rechtstatsächlichen Untersuchung zum Gewaltschutzgesetz, wonach Täter, gegen die eine Anordnung beantragt wurde, „fast ausschließlich der Überzeugung [sind], zu Unrecht Gewalthandlungen bezichtigt worden zu sein“[19] und den beteiligten Professionen mangelnde Kompetenz und Parteilichkeit zugunsten der Opfer unterstellen. Auch hat eine Befragung von Stalkern, ob sie sich bewusst sind, „zu weit gegangen zu sein“ gezeigt, dass nur wenige dies eingestehen.[20] Als statistisch robuste Faktoren erwiesen sich ferner eine Vorgeschichte von Alkohol- und Drogenmissbrauch, Gewalttätigkeiten und früheren Drohungen gegen das Opfer[21] sowie das Vorhandensein von Depression und Eifersuchtswahn.[22] Prägnant ist ferner ein relativ hohes Bildungsniveau[23] sowie die hohe Anzahl lediger und sozial isolierter Täter.

[...]


[1] Zu diesem Grundsatz: Amelung, Rechtsgüterschutz, 326ff.

[2] Sieverding, Kriminalistik 2004, 763, 764.

[3] Dressing/ Kühner/ Gass, FPR 2006, 177.

[4] Der Anglizismus soll daher auch im Folgenden beibehalten werden.

[5] Beispiele von Meyer, ZStW 2003, 249, 252.

[6] Dazu eingehend: Bocij, Cyberstalking.

[7] Knecht, Archiv für Kriminologie 2003, 1, 6.

[8] Löbmann, MschKrim 2002, 25, 26.

[9] Winterer, FPR 2006, 199, 200.

[10] Wagner, RuP 2005, 21.

[11] Sofern deutsche Studien fehlen, wird auf Erkenntnisse vergleichbarer ausländischer, meist US-amerikanischer Studien zurückgegriffen.

[12] Unter „Täter“, „Partner“ etc sei im Folgenden das weibliche Geschlecht impliziert.

[13] Wagner, RuP 2005, 21, 22. Ähnliche Werte haben alle ausländischen Studien ergeben, vgl. nur Mullen/ Pathé/ Purcell/ Stuart, Am J Psychiatry 1999, 1244.

[14] Auffallend ist, dass der Stalkertyp in vielerlei Hinsicht (zB. Alter, Intelligenz, Selbstwergefühl) vom typischen Mehrfachauffälligen abweicht.

[15] Vgl. die Nachweise bei Voß/ Hoffmann, Polizei & Wissenschaft 2002, 4, 9.

[16] Voß/ Küken, FPR 2006, 180, 182.

[17] Habermeyer, FPR 2006, 196, 197.

[18] Voß/ Küken, FPR 2006, 180, 184.

[19] Rupp, Rechtstatsächliche Untersuchung zum GewSchG, 307.

[20] Voß/ Küken, FPR 2006, 180, 185.

[21] Hoffmann, Polizei & Wissenschaft 2002, 35, 38.

[22] Hoffmann, Polizei & Wissenschaft 2002, 35, 38.

[23] Bei der Mannheimer Studie hatten 55% studiert oder zumindest das Abitur gemacht.

Ende der Leseprobe aus 72 Seiten

Details

Titel
Sinn und Notwendigkeit strafrechtlichen Schutzes vor Bedrohung, Verfolgung und Gewalt: am Beispiel der Stalking-Entwürfe und des Gewaltschutzgesetzes
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen  (Institut für Kriminologie)
Note
16,0 Punkte (sehr gut)
Autor
Jahr
2006
Seiten
72
Katalognummer
V82949
ISBN (eBook)
9783638894197
ISBN (Buch)
9783638894371
Dateigröße
741 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sinn, Notwendigkeit, Schutzes, Bedrohung, Verfolgung, Gewalt, Beispiel, Stalking-Entwürfe, Gewaltschutzgesetzes
Arbeit zitieren
Andreas Schaut (Autor:in), 2006, Sinn und Notwendigkeit strafrechtlichen Schutzes vor Bedrohung, Verfolgung und Gewalt: am Beispiel der Stalking-Entwürfe und des Gewaltschutzgesetzes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82949

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