Israels Umgang mit dem Holocaust vor und nach dem Eichmann-Prozess


Seminararbeit, 2005

14 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2.1. Vom Yishuv bis zum Eichmann-Prozess
2.2 Vom Eichmann-Prozess bis zum Sechs-Tage-Krieg
2.3 Vom Sechs-Tage-Krieg bis zur Gegenwart

3. Schlussbetrachtung

4. Literatur

1. Einleitung

Die Erinnerung an den Holocaust ist heute für die meisten Israelis der Angelpunkt ihres Selbstverständnisses. Jeder ausländische Politiker der nach Israel kommt, besucht die zentrale Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem um einen Einblick in das die israelische Identität primär prägende Element zu bekommen und daraus ein Verständnis für die israelische Politik zu entwickeln[1]. Dieser Umgang mit der Geschichte der nationalsozialistischen Judenvernichtung war aber nicht immer so selbstverständlich, sondern machte eine interessante Entwicklung durch, mit der ich mich in dieser Hausarbeit beschäftige. Fast zwei Jahrzehnte lang, nachdem erste Berichte über die Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden Israel bzw. damals den Yishuv erreichten, wurde der Holocaust nicht thematisiert. Erst Anfang der 1960er Jahre kam infolge des Eichmann-Prozesses ein gesteigertes Interesse an diesem Thema auf und entwickelte sich im Laufe der Jahre, immer wieder angestoßen durch besondere Ereignisse wie den Sechs-Tage-Krieg 1967 oder den Libanonkrieg 1982, zum zentralen Punkt israelischer Identität. Dabei ist allerdings umstritten, welchen Stellenwert der Eichmann-Prozess in dieser Entwicklung hat. Der Großteil der Autoren, deren Veröffentlichungen mir für diese Hausarbeit vorlagen, sieht den Prozess gegen Adolf Eichmann 1961 als den Wendepunkt in der Auseinandersetzung mit dem Holocaust an. Einzig Moshe Zimmermann widerspricht in einem der beiden genutzten Texte dieser Bewertung und schätzt die Kriege, die Israel gegen seine arabischen Nachbarn führte, als entscheidender für den Umbruch in der Beschäftigung mit dem Holocaust ein. Ich habe mich der erstgenannten Meinung angeschlossen und sehe den Eichmann-Prozess als den entscheidenderen Einschnitt. Nicht so sehr, weil deren Vertreter in der von mir getroffenen Auswahl an Büchern in der Mehrheit sind, sondern weil ich finde, dass vor allem die grundlegend neue Bewertung der Diaspora nicht ohne den Prozess möglich gewesen wäre. Zwar setzte nach dem Sechs-Tage-Krieg eine so starke Beschäftigung mit dem Holocaust ein, wie nie zuvor. Ohne den Eichmann-Prozess, der erstmals den Blick der israelischen Öffentlichkeit auf dieses Kapitel der Geschichte gelenkt hat, wäre es dazu aber bestimmt nicht gekommen. Zudem hätte man sich ohne die Beschäftigung mit dem Schicksal der Diaspora infolge des Prozesses nur schwer mit selbiger in der Zeit vor dem Sechs-Tage-Krieg identifizieren können.

Diese Arbeit ist also hauptsächlich ein Vergleich des israelischen Umgangs mit dem Holocaust vor und nach 1961. Um aber der Bedeutung, die der Krieg von 1967 für dieses Thema ohne Zweifel hat, gerecht zu werden und da sich diese Dreiteilung der Entwicklung auch in der Literatur durchgesetzt hat[2], habe ich den Abschnitt nach 1967 in einem zusätzlichen Kapitel untergebracht.

2.1. Vom Yishuv bis zum Eichmann-Prozess

Das wesentliche Merkmal des Umgangs mit dem Holocaust im Yishuv[3] und ab 1948 in Israel war bis zum Eichmann-Prozess 1961 die Verleugnung der Judenvernichtung. Die ersten Nachrichten über den Massenmord an den europäischen Juden, die bereits im Frühjahr oder im Herbst 1942[4] in den hebräischen Zeitungen in Palästina erschienen, wurden mit großer Skepsis aufgenommen. Die meist sehr ausführlichen Berichte, die größtenteils aus Osteuropa stammten, wurden für übertrieben gehalten und ihr Wahrheitsgehalt wurde in Frage gestellt. Zudem galt das öffentliche Interesse im Yishuv eher dem Kriegsverlauf in Europa und dem zionistischen Aufbau in Palästina, Berichte über das Schicksal der europäischen Juden fanden sich selten auf der ersten[5]. Doch auch Briefe aus Europa mit Schilderungen der Verfolgung der Juden erreichten Palästina seit Kriegsbeginn. Obwohl also das Wissen über den Holocaust vorhanden war, wurde er aus dem kollektiven Bewusstsein verdrängt und bis zur Staatsgründung in der Erziehung nicht thematisiert. So schrieb beispielsweise Zwi Sohar, ein führender Pädagoge des Yishuv, ein Jahr nachdem erste Berichte über den Holocaust Palästina erreicht hatten, im Sommer 1943 einen Artikel über die Diasporaerziehung und den Einfluss des Krieges auf die jüdische Erziehung, ohne auf den Holocaust einzugehen[6]. Dementsprechend sah auch das Bild beim Lehrmaterial der Schulen aus. Bis 1948 gab es in jüdischen Geschichtsbüchern keine Kapitel oder Abschnitte über den Holocaust und auch in Publikationen der Lehrerausbildung findet sich nur eine kleine Anzahl von Artikeln, die den Holocaust ansprechen[7]. Zwischen Ende 1943 und Anfang 1944 fanden allerdings zwei pädagogische Konferenzen zum Thema Holocaust statt, im Rahmen derer verschiedene Materialien für Erzieher und Lehrer herausgegeben wurden. Eine weitere Konferenz für Kindergärtner mit dem Namen „The Present Holocaust in our work“ im April 1944 widmete sich wiederum der Frage, wie man Kinder vor dem Wissen um den Holocaust schützen könne[8]. Die Gründe, warum der Holocaust nicht zur Kenntnis genommen bzw. verdrängt wurde – ein Zustand der bis Anfang der 1960er Jahre andauerte – sind vielfältig. Anfangs berief man sich darauf, dass die Nachrichten über die Vernichtung uneindeutig und genaue Zahlen der Opfer nicht vorhanden waren. Ein anderer möglicher Grund können Schuldgefühle gewesen sein, nicht genug für die Rettung der europäischen Juden getan zu haben. Am jüdischen Überlebenskampf in Europa beteiligte sich der Yishuv lediglich durch die Aufnahme von jüdischen Kindern und Entsendung von Soldaten, die als Jüdische Brigade[9] in britischen Einheiten gegen die Deutschen kämpften[10]. Es gab auch Bestrebungen, Überlebende der Ghettoaufstände nach Palästina zu bringen, allerdings wurden solche Rettungsaktionen nicht öffentlich propagiert. Dennoch versuchte die politische Führung im Yishuv einzelnen jüdischen Kämpfern, die zuvor aktiv in der Pionierbewegung gewesen waren und für den Aufbau der Siedlungen in Palästina gebraucht wurden, zu befehlen, nach Palästina zurückzukehren. So wurden sie zum Teil durch nach Europa gesandte Emissäre aufgefordert, die Kämpfe gegen die Nazis einzustellen und Europa zu verlassen[11]. Der Hauptgrund für die Verleugnung des Holocaust lag aber in dem Verhältnis des Yishuv zu dem Diasporajudentum.

Ein ideologischer Fixpunkt für die Juden im Yishuv war, die Welt der Diaspora hinter sich zu lassen[12]. Im Zionismus sollte nicht nur die jüdische Realität verändert, also ein jüdischer Staat gegründet werden, es sollte auch der jüdische Mensch verändert und ein „neuer Jude“ geschaffen werden, der sich nicht mehr seinem Schicksal fügt, sondern es selbst in die Hand nimmt. Die Diaspora wurde dabei als Irrtum in der jüdischen Geschichte angesehen[13]. Der Holocaust galt für viele Juden in Palästina als endgültige Bestätigung für die Richtigkeit des Zionismus. Die im Yishuv als „verweichlicht“, „blass“, „untertänig“ und „kriecherisch“[14] angesehen Juden der Diaspora, die sich vermeintlich „wie Schafe zur Schlachtbank“[15] haben führen lassen, so der Vorwurf, standen im krassen Gegensatz zum Selbstbild des „sonnengebräunten“ „starken“, „kämpfenden“, „unabhängigen“[16] Juden im (noch zu errichtenden) eigenem Staat. Angebliche Passivität und Versuche, das Überleben zu organisieren, galten als unangemessene Reaktion auf die Verfolgung und Vernichtung, einzig der bewaffnete Widerstand und Aufstände wurden als adäquate Antwort akzeptiert. Daher gab es nur einige in der Diaspora, die dem Bild des kämpfenden Juden entsprachen und mit denen man sich identifizieren konnte und wollte, die jüdischen Partisanen und Widerstandskämpfer[17]. Somit war die Aufarbeitung nach der Staatsgründung geprägt von einer einseitigen Betonung des jüdischen Widerstands, auch wenn der Holocaust als einer von sechs Gründen für die Errichtung des jüdischen Staates in der israelischen Unabhängigkeitserklärung genannt wird[18]. Im 1953 verabschiedeten „Gesetz über die staatliche Bildung“ hieß es u.a., es sei „die Bildung im Staate auf die kulturellen Werte Israels zu gründen, auf die Leistung der Wissenschaft, auf die Liebe zum Vaterland und die Treue zum Staat und zum Volke Israel, auf die bewußte [sic!] Erinnerung an den Holocaust und den jüdischen Widerstand [...]“[19]. Obwohl kein Lehrplan existierte, der dies ausdrücklich vorschrieb, wurde in den Schulen in Zusammenhang mit dem Holocaust hauptsächlich vom heldenhaften Kampf der Angehörigen der zionistischen Jugendgruppen in den Ghettos gelehrt. Auch der Holocaustgedenktag (27. Nisan) wurde 1951 auf das Datum des Beginns des Warschauer Ghettoaufstands gelegt. Heyl meint, dass nur in Verbindung mit der Erinnerung an heldenhaften Widerstand eine Auseinandersetzung mit dem Mord an sechs Millionen Juden überhaupt möglich war[20]. Der hebräische Begriff Schoah (hebr. für „Zerstörung/Katastrophe“) wurde daher anfangs nur als Teil des Begriffspaars Schoah veGevurah (hebr. für „Katastrophe und Heldentum“)[21] verwendet.

Zwei Ereignisse erhitzten die Gemüter in den 1950er Jahre besonders und führten zu scharfen Auseinandersetzungen über die Deutung des Holocaust. Das Gedenken an die sechs Millionen Ermordeten wurde erstmals zu einer Angelegenheit der Allgemeinheit, als die BRD Israel Ende 1951/Anfang 1952 Wiedergutmachungszahlungen anbot. In Verhandlungen mit den „Mördern“ einzutreten wurde in der israelischen Bevölkerung als Verrat an der Ehre der Opfer gesehen und abgelehnt. Die gewalttätigen Proteste können ein Zeichen dafür sein, dass die Bevölkerung auf die öffentliche Thematisierung des Traumas der Vernichtung nicht vorbereitet war[22]. Der 1954 geführte Kastner-Prozess führte erstmals zu einer Thematisierung der Lebensgeschichten der Überlebenden. Allerdings wurde hier, wie auch bei der Debatte um die Wiedergutmachungszahlungen, der eigentliche Anlass von der damaligen Opposition dazu instrumentalisiert, die Regierung zu delegitimieren und zu stürzen[23]. Deshalb kann in beiden Fällen von keiner ernsthaften Debatte, die der Erinnerung an den Holocaust oder dem Andenken der Opfer diente, die Rede sein. Die Regierung dagegen unternahm Versuche das Gedenken zu institutionalisieren und so wurde 1953 durch ein Gesetz die zentrale Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem (hebr. für „Denkmal und Name“) gegründet. Sie erinnert gemäß ihrem offiziellen Namen "Gedenkstätte der Märtyrer und Helden des Staates Israel im Holocaust" an die Opfer des Holocaust, die Widerstandskämpfer und an die „Gerechten der Völker“[24]. Trotz dieser Bemühungen waren auch die 1950er Jahre weitestgehend gekennzeichnet von einem anhaltenden Desinteresse am Holocaust.

[...]


[1] Vgl. Zimmermann, Moshe: Israels Umgang mit dem Holocaust. In: Steininger, Rolf (Hg.): Der Umgang mit dem Holocaust. Europa-USA-Israel. Wien, Köln, Weimar, 1994, S. 387

[2] Vgl. Heyl, Matthias: Erziehung nach Auschwitz-Eine Bestandsaufnahme. Deutschland, Niederlande, Israel, USA. Hamburg, 1997, S. 105

[3] Bezeichnung für die jüdische Gemeinschaft im britischen Mandatsgebiet Palästina

[4] verschiedene Angaben in der Literatur, vgl. Hass, Matthias: Gestaltetes Gedenken. Frankfurt/M., 2002, S. 39 und Dror, Yuval; Barzel, Neima: Die Shoah in der israelischen Erziehung. In: Boschki, Reinhold; Konrad, Franz-Michael Konrad (Hg.): Ist die Vergangeheit noch ein Argument? Aspekte einer Erziehung nach Auschwitz. Tübingen, 1997, S. 69

[5] Vgl. Hass, Matthias, S. 42

[6] Vgl. Dror/Barzel, S. 71

[7] Vgl. Dror/Barzel, S. 70f

[8] Vgl. Dror/Barzel, S. 72

[9] „[...] die Jüdische Brigade war [...] die erste ausschließlich jüdische Militäreinheit, die in einem Krieg diente. Sie bestand aus 5.000 Soldaten und wurde im September 1944 in Italien eingesetzt. Die Auflösung erfolgte 1946.“ Haganah, http://de.wikipedia.org/wiki/Haganah

[10] Vgl. Dror/Barzel, S. 70

[11] Vgl. Hass, Matthias, S. 44

[12] Vgl. Heyl, Matthias, S. 106

[13] Vgl. Hass, Matthias, S. 50

[14] Moshe Zimmermann: Vom Yishuv zum Staat. Die Bedeutung des Holocaust für das kollektive Bewußtsein und die Politik in Israel. In: Faulenbach, Bernd; Schütte, Helmuth (Hg.): Deutschland, Israel und der Holocaust. Zur Gegenwartsbedeutung der Vergangenheit (= Geschichte und Erwachsenenbildung Bd. 7). Essen, 1998, S. 48; Hass, Matthias, S. 50

[15] Eine in diesem Zusammenhang oft benutzte Formulierung aus der Bibel (z.B. Jesaja 53,7 oder Jeremia 11,19).

[16] Zimmermann, Moshe 1998, S. 48; Hass, Matthias, S. 50

[17] Vgl. Heyl, Matthias, S. 107

[18] Unabhängigkeitserklärung vom 14. Mai 1948, http://www.hagalil.com/israel/independence/azmauth.htm

[19] zitiert nach Dror/Barzel, S. 77

[20] Vgl. Heyl, Matthias, S. 107

[21] Dies war auch bis in die 1970er Jahre hinein der Name des Holocaust-Gedenktages. Vgl. Reichel, Peter: Nach dem Verbrechen. Nationale Erinnerungen an Weltkrieg und Judenmord. In: Assmuss, Bernhard (Hg.): Holocaust. Der Nationalsozialistische Völkermord und die Motive seiner Erinnerung, Berlin 2002, S. 229

[22] Vgl. Hass, Matthias, S. 46

[23] Vgl. Hass, Matthias, S. 47

[24] Die „Allee der Gerechten unter den Völkern“ ist ein Teil der Gedenkstätte Yad Vashems, in dem nichtjüdische Personen und Organisationen geehrt werden, die während der Zeit des Nationalsozialismus Juden gerettet haben.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Israels Umgang mit dem Holocaust vor und nach dem Eichmann-Prozess
Hochschule
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Alte und Neue Formen des Antisemitismus
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
14
Katalognummer
V82758
ISBN (eBook)
9783638898348
ISBN (Buch)
9783638904711
Dateigröße
426 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die vorliegende Hausarbeit war nach Angaben des Dozenten die Beste des Seminars. Er bezeichnete sie zudem als angenehm lesbar.
Schlagworte
Israels, Umgang, Holocaust, Eichmann-Prozess, Alte, Neue, Formen, Antisemitismus
Arbeit zitieren
David Zimmermann (Autor:in), 2005, Israels Umgang mit dem Holocaust vor und nach dem Eichmann-Prozess, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82758

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