Tiersymbolik im "Parzival" Wolframs von Eschenbach

Das Beispiel der Elster


Hausarbeit, 2006

25 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Gliederung

I. Einleitung

II. Das Symbol der Elster

III. Die Elster in Wolframs Parzival
a. Exkurs: Vögel bei im Parzival
b. Die Figur des Feirefiz
c. Die Elster im Kontext der Zweifelmetaphorik
d. Der Kampf Parzivals mit Feirefiz

IV. Fazit

V. Bibliographie

I. Einleitung

Entstanden zwischen 1200 und 1210[1] und in 80 Handschriften und Fragmenten sowie einem Druck (1477) überliefert, stellt Wolframs von Eschenbach Parzival heute ein Werk von übermäßigem, kaum vergleichbarem historischen Wert dar. Unzählige Studien befassen sich mit dem auf der Urfassung Chrestiens fußenden Ritterepos um die Artusrunde und den heiligen Gral; die mittelalterliche Vorlage liefert Stoff für immer wieder neue Verfilmungen und literarische Motivabwandlungen – ein schier unerschöpflicher Fundus. Besonders gerühmt werden häufig Wolframs eigentümlicher Erzählstil und seine illustrative Symbol- und Bildsprache – und so zielt auch die vorliegende Arbeit darauf ab, sich in die Reihe der metapherndeutenden Analysen einzugliedern.

Bereits im die narrative Position des Erzählers in Relation zu seinem fingierten Publikum präsentierenden Prolog treffen wir auf ein für das gesamte Epos entscheidendes, immer wieder metaphorisch erscheinendes Tier: die Elster. Das charismatische Federtier wiederum erweist sich schnell als Sinnbild einer wichtigen thematischen Sentenz, welche das Gesamtwerk quasi leitmotivisch durchzieht, und zwar die Problematik des (menschlichen) zwivels.[2] Bezeichnenderweise beginnt das Vorspiel folgendermaßen:

Wenn das Herz mit Zweifeln lebt,

so wird es für die Seele herb.

Häßlich ist es und ist schön,

wo der Sinn des Manns von Kraft

gemischt ist, farblich kontrastiert,

gescheckt wie eine Elster.

Und doch kann er gerettet werden,

denn er hat an beidem teil:

am Himmel wie der Hölle. (1.1-9)[3]

Schon in diesen ersten Versen wird das Bild des Zweifels und Schwankens in einen hochkomplexen Konnex eingeflochten: Der Erzähler integriert es unverzüglich in den verzweigten metaphorischen Rahmen um komplementäre Gewalten (Himmel und Hölle) und ein manifestes animalisches Ideogramm: das der Elster. Einem gefiederten Leitfaden gleich taucht das schwarz-weiße Tierbild im Laufe des Versepos immer wieder auf, wobei es durchaus unterschiedliche Funktionen sowie Konnotationen anzunehmen vermag. Besonders vielsagend ist Wolframs trickreiche, einen gewieften narrativen Kunstgriff darstellende, weil das Tiersymbol quasi humanisierende Transformation des Vogelwesens – und somit auch seiner Bedeutungsträchtigkeit – in die Gestalt des von schwarzen und weißen Flecken auf Haut wie Haaren übersäten Halbbruders Parzivals, des Heiden Feirefiz, welcher bei einem Liebesabenteuer des gemeinsamen Vaters, Gahmuret, im fernen Afrika mit der schwarzen Königin von Zazamanc, Belacane, gezeugt wurde. Etymologisch gesehen ist die Namensgebung der Elsterngestalt, Feirefiz, wahrscheinlich herzuleiten von der französischen Bezeichnung „ vaire fiz“, scheckiger Sohn.[4] Dieses Faktum zeugt von erhöhter Relevanz: Feirefiz’ Name, sein gesamtes Gepräge also und folglich auch seine Persönlichkeit, wird somit unweigerlich gekoppelt an die signifikante und symbolstarke äußere Erscheinung des lange Zeit im Orient Beheimateten, welche, so kann gefolgert werden, die innerste Bedeutung seines Wesen auf entscheidende Weise determiniert und daher selbstverständlich einer gründlichen Analyse zu unterziehen sein wird.

Lange Zeit weiß Parzival nichts von seinem exotischen Blutsverwandten, erst im Ausklang des Epos enthüllt sich – ausgerechnet im Zweikampf mit dem Fremden – den Brüdern ihre Identität. Dieser Kampf und vor allem auch die gesamte Beziehung der beiden Ritter halten besonders viel symbolisches Material bereit, bedürfen daher einer differenzierten und dezidierten Betrachtung – durch ihre äußerlich-optischen und innerlich-religionszugehörigen Kontraste stets unter dem Zeichen des zweifarbigen Elsternvogels und seiner Farbmetaphorik stehend.

Allein schon die Vieldeutigkeit der Symbolfarben konstituiert ein buntes Interpretationsfeld – und die spezifische Komplementärkombination der – wie sich zeigen wird, jeweils ambivalent angelegten – Kontrastfarben Schwarz und Weiß stellt einen besonders auffallenden und gegensätzliche Empfindungen vereinenden Wirkungskomplex dar, bedarf daher der eingehenden Prüfung.

Die Elster, wohl eines der bedeutungsträchtigsten aller bei Wolfram auftauchenden Tiere, welches in seiner Zwiespalts-Metaphorik wie ein Paradigma über dem Gesamtepos zu schweben scheint, gilt es nun in all seinen Symbolebenen zu erhellen und aufzuschlüsseln – zunächst einmal, noch recht losgelöst von der Wolframschen Darstellung, auf seine traditionellen Konnotationen und interkulturellen wie interdisziplinären Bedeutungsansätze hin, im Folgenden dann – einer Synthese gleichend – auf das spezifische Beispiel im Kontext des Parzivals, und hier besonders auch in der wahrhaften Vermenschlichung der Elster, dem Feirefiz und dessen Bezug zum verbrüderten Protagonisten.

II. Das Symbol der Elster

Vermutlich hat - außer der Rabenkrähe - kein Vogel in Deutschland einen so schlechten Ruf wie die Elster. Sie gilt als Nestplünderer und Vogelmörder. Auch soll sie diebisch sein, und geschwätzig. Gleichzeitig sagt man ihr aber auch nach, klug zu sein.[5]

Die Elster gilt heute, vor allem in Mitteleuropa, häufig als das „Symbol der Geschwätzigkeit und Dieberei“,[6] wird sie doch im Allgemeinen mit Redensarten wie „diebische Elster“ oder zänkische Elster“ belegt, welche auf in der Realität verwurzelte biologische Verhalten des eigenwilligen, lauten Vogels.[7] Die ihr zugesprochene Klugheit der Elster, ihre Gerissenheit in einem vielmehr hinterhältigen Sinne, spiegelt sich, dies nur am Rande, beispielsweise in dem fabelartigen Gedicht „Der Fuchs und die Elster“ von Christian Fürchtegott Gellert wider, einem Text, in welchem der redegewandte Rabenvogel den ansonsten als Inbegriff der Gerissenheit geltenden Reinecke gewitzt überlistet.[8]

Das Symbol der Elster ist allerdings weitaus vielfältiger konnotiert, als man im ersten Augenblick vielleicht annehmen würde. Zwar finden sich mitunter – wie im Symbollexikon Udo Beckers – radikalisierende Darstellungen, die den schwarz-weißen Vogel lediglich als negatives Sinnbild darstellen, etwa die im Mittelalter verwurzelte Koppelung der Elster mit dem Bösen, dem frühen Tod und dem Zustand der Verfolgung.[9] Doch sollte diese Verdammung des Tieres in jedem Fall kritisch erfasst werden, da sie aus interkultureller und historischer Perspektive nicht tragbar ist: So schreibt man dem kontrastfarbenen Vogel beispielsweise in China den Beinamen der „Freudenelster“ (chin. „hsi-ch’iao“) zu und verehrt diese als einen Glücksbringer und Verkünder guter Nachrichten. Im chinesischen Symbolismus steht dem positiv konnotierten Elsternvogel ein völlig oppositionelle Suggestionen implizierender Kontrastvogel gegenüber: der todverheißende schwarze Rabe, welcher sich dem fernöstlichen Glauben nach komplementär von der Elster unterscheidet.[10] Eine dem chinesischen Bild annähernd kongruente Rollenzuschreibung, nämlich die des Wahrheit überbringenden Informanten, findet sich – wenn auch in einer eher fatalistisch-ungünstigeren Form – bereits in einem Text aus dem 5. Jahrhundert n.Chr. Demnach war es so, dass „in alter Zeit Mann und Frau bei einer vorübergehenden Trennung einen Spiegel in zwei Teile brachen. Bei Ehebruch verwandelte sich der Spiegelteil des Sünders in eine Elster und kündete dem betrogenen Partner die Missetat an.“[11] Die Elster bekommt hier die bezeichnende Bedeutung eines Wahrheitsträgers; dies involviert die weiterführende Assoziation, dass sich hinter ihrer symbolträchtigen Erscheinung stets eine zu deutende Wahrheit verbirgt – diese Überlegung verweist bereits auf die im Folgenden angeschlossene Textinterpretation der Parzival-Episode um den Elsternmenschen Feirefiz.[12]

Das oben dargestellte heutige Bild der eloquent-geschwätzigen Elster – rekurrierend auf der Koppelung von Vielrederei mit dem femininen Geschlecht – favorisiert des Weiteren eine weitere Auslegung: das schwarz-weiße Federtier als Symbol der Weiblichkeit. Schon in Ovids vermutlich ein Jahrhundert nach Christius geschriebenen[13] Metamorphosen wird die Verwandlung flegelhafter Mädchen in Elstern als Vergeltungsakt der Götter eingesetzt, als sie „sich in einen Gesangswettstreit mit ihren Musen einließen, die Götter schmähten und nach ihrer Niederlage schimpften“.[14] Der zwiefarbene Vogel wird hier nicht nur mit dem Strafgedanken in Verbindung gebracht, wodurch erneut eine primär negative Seite impliziert wird, zudem stellt sich die Elster hier als spezifisch weibliches Verwünschungstier dar – der feminine Charakter wird im deutschen entsprechend durch die Artikelzuweisung „die“ suggeriert. Adäquat hierzu ist das Faktum, dass in der mittelalterlichen Darstellung der Lebensalter die Elster (meist zusammen mit einem Spiegel) „Attribut der dreißigjährigen Frau“ war,[15] also die herangereifte Weiblichkeit repräsentierte.[16]

Und auch im christlichen Glauben ist die Elster ein symbolträchtiges Tier;[17] die Legende besagt, dass ihre schwarz-weiße Färbung daher rührt, dass sie bei der Kreuzigung Christi keine Trauer gezeigt habe.[18]

Das wahrlich Besondere an der Elster ist ihre eigenwillige, hervorstechende Färbung, welche zwei Extrema vereint und daher symbolisch von hohem Deutungswert ist.

Schwarz wird als dunkelste Farbe meist mit Missstimmungen, mit Tod, Leid und Trauer, mit Niedergeschlagenheit, Angst und Schrecken und nicht zuletzt mit Sündigkeit, Demütigung und Verfluchung in Bezug gesetzt.[19] Schwarze Tiere wie etwa der Rabe werden oft als Vorboten des Todes auslegt oder mit Schmutz, Tränen und dem Teufel verbunden.[20] Ebenso ist die dunkelste aller Farben in Beziehung zu setzen mit Hexerei und finsteren Mächten. Entsprechend werden zudem negative, düstere Ahnungen gemeinhin als „Schwarzmalerei“ bezeichnet. Und auch im Bereich menschlicher Hautfarben hat das Schwarz zumeist mit durch Rassismus angetriebenen Vorurteilen zu kämpfen – zu lange wurde in der Geschichte der schwarze Mann mit negativen Gefühlen assoziiert.[21]

Der Ursprung aller rassistischen Bedenken gegen dunkelpigmentierte Menschen – und dies ist auch für die folgenden Betrachtungen in Richtung des Wolframschen Werkes hochinteressant –wurzelt in der Zeit des Mittelalters. Denn damals schon „wurden schwarze Menschen [...] mit viel Argwohn betrachtet, weshalb zur Milderung des Vorurteils gegen den Erdteil Afrika und seine Bewohner einer der „heiligen drei Könige“ […] in dieser Form dargestellt wurde.“[22] Eine von Andersheit heraufbeschworene Skepsis treffen wir auch im Parzival wieder.[23]

Die weiße Farbe hingegen gilt als Sinnbild des Friedens, der Unschuld und auch des Sieges.[24] Ihr wird Wahrheit und Reinheit ebenso eingeschrieben wie das Paradiesische, die Herrlichkeit und der Himmelsweg. Wo schwarze Tiere der Unterwelt bei satanistischen Messen dargeboten werden, werden himmlische Götter mit weißen Opfern bedacht. Entsprechend ist das Symboltier des heiligen Geistes auch die weiße Taube.[25] In der Alchemie ist eine zunehmende Weißung, also Aufhellung, ein Zeichen dafür, dass sich „Urmaterie zum Stein der Weisen hin“ bewegt.[26] In China ist Weiß daher auch in erster Linie die Farbe des (lebensweisen) Alters, aber auch des Westens, des Herbstes und sogar – im Gegensatz zur europäischen Vorstellung – der Totentrauer und des Unglücks. Jedoch kann auch in unseren Kulturkreisen – dies sollte nicht vergessen werden – der hellste aller Farbtöne ebenso gut negativ konnotiert sein: Weiß wird, dem menschlichen Erblassen im Tode wegen, mit dem Lebensende in Zusammenhang gebracht und ist überdies die furchterregende Farbe der Gespenster. Es ist daher nicht nur Zeichen allen Anfangs, sondern auch des (Lebens-)Endes. Gleichsam ist selbst Schwarz, trotz seiner soeben vernichtend negativ erscheinenden Wirkung, zugleich auch Zeichen künftiger Auferstehung, wie Biedermann hervorhebt.[27] Außerdem kann es sowohl „totalen Mangel wie auch die Fülle des Lebens ausdrücken“ und partizipiert als Farbe der Nacht am heterogenen Zirkel des „Symbol-Komplex Mutter – Fruchtbarkeit – Geheimnis – Tod“.[28] Ambivalenz schwingt dementsprechend– auch bei den zunächst eindeutig wirkendsten Symbolen – immer mit.

[...]


[1] Diese Daten sind lediglich ableitbar anhand der Hinweise auf politische Ereignisse der Zeit, wie etwa die Zerstörung der Weingärten.

[2] „Zwîvel“ ist bezeichnenderweise bereits das zweite Wort der Gesamterzählung, denn der erste Originalvers lautet: „Ist zwîvel herzen nâchgebûr“.

[3] Wie dieses erste werden auch die folgenden Zitate aus dem Wolframschen Primärwerk allesamt in der Übertragung Dieter Kühns angeführt. (Siehe Primärliteratur.)

[4] Diese Deutung wurde ursprünglich suggeriert von Karl Bartsch (vgl. Bartsch, 138); Unterstützung findet diese Vermutung z.B. bei Blamires, 442-443.

[5] http://www.ijon.de/elster/index.html

[6] Vgl. Biedermann, 120.

[7] Vgl. Udo Bährmanns 70seitiges Heftchen über die Elster.

[8] Vgl. Christian Fürchtegott Gellert: Fabeln und Erzählungen, 1. Buch. Leipzig: Reclam 1860.

[9] Vgl. Becker, 72.

[10] Vgl. Biedermann, 120.

[11] Ebd., 120.

[12] Vgl. Kapitel III.b.

[13] Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Metamorphosen_%28Ovid%29.

[14] Lurker, 170.

[15] Ebd.

[16] An dieser Stelle lässt sich bereits eine vorgreifende Deutung formulieren: In der männlichen Verkörperung der gemeinhin eher weiblich erfassten Elsterngestalt vereint Wolfram bereits zwei konträre Konzepte: die Prinzipien des Maskulinen und des Femininen.

[17] Vgl. Lurker, 170.

[18] Christentum spielt nun, wie Kapitel III.c verdeutlicht, auch eine große Rolle im gesamten Parzival.

[19] Vgl. Knuf, 34.

[20] Vgl. ebd., 40f.

[21] Lediglich die Assoziation Schwarzen Körpern mit Stärke stellt eine positive Art der Auslegung dar.

[22] Biedermann, 393.

[23] Vgl. Kaptitel III.

[24] Vgl. Knuf., 37.

[25] Vgl. Biedermann, 480.

[26] Ebd.

[27] Vgl. Biedermann, 480. Diese Symbolik rekurriert auf dem Faktum, dass ohne den jeweiligen Gegenpol das Positivum niemals möglich wäre: Erst durch das Ableben kann der Körper – in einer allmählichen Abstufung der Schwarzfärbung über Grau nach Weiß – Auferstehung erfahren.

[28] Becker, 265.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Tiersymbolik im "Parzival" Wolframs von Eschenbach
Untertitel
Das Beispiel der Elster
Hochschule
Universität Siegen  (FB 3: Literatur-, Sprach- und Medienwissenschaften)
Veranstaltung
„Mythisches - Heiliges - Höfisches: Parzival und der Gral. Ein literarischer Stoff und seine Medialisierungen vom Mittelalter bis in die Gegenwart“
Note
1,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
25
Katalognummer
V82631
ISBN (eBook)
9783638906173
ISBN (Buch)
9783638906234
Dateigröße
520 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Tiersymbolik, Parzival, Wolframs, Eschenbach, Heiliges, Höfisches, Parzival, Gral, Stoff, Medialisierungen, Mittelalter, Gegenwart“
Arbeit zitieren
Sabine Buchholz (Autor:in), 2006, Tiersymbolik im "Parzival" Wolframs von Eschenbach, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82631

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