Parodie trifft Filmtheorie

'Die Form, die aus dem Rahmen fällt'


Seminararbeit, 2006

28 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung: Fragestellung und Ziel

2. Die Parodie
2.1 Parodistische Eigenarten
2.2 Parodistische Methoden
2.3 Die untersuchten Parodien

3. Bordwells Filmtheorie
3.1 Kognitive Aspekte
3.2 Das generelle neoformalistische Konzept
3.2.1 Exkurs: Genretheorie
3.2.2 Stilbruch
3.2.3 Bruch mit Normen
3.2.4 Irrealer Einsatz von filmtechnischen Mitteln
3.2.5 Bruch mit Soundkonventionen
3.2.6 Gebrochene Narrativik
3.2.7 Folge-Szenen-Fehler

4. Fazit und weiterführender Ansatz
4.1 Bordwells ‚Bilanz’
4.2 Erfordertes Rezeptionsverhalten
4.3 Abschließender Ausblick: Exemplarische Überprüfung weiterer Filmtheorien

5. Bibliographie

1. Einführung: Fragestellung und Ziel

„Bitte Mister Killer, töte mich nicht! […] Ich hab’ doch nur diesen einen dämlichen Drehtag!“[1]

Der ‚Klassiker’ Hot Shots!, eine Veralberung des Fliegerfilms Top Gun, hat 1991 vorgeführt, wie es geht, mittlerweile gibt es so gut wie kein Genre mehr, dass noch keine parodistische Verarbeitung erfahren hat. Ob die US-Horrorfilmparodie Scary Movie oder deutsche Nachahmungen von Winnetou-Streifen (Der Schuh des Manitu) und Edgar-Wallace-Movies (Der Wixxer): Filmparodien haben Konjunktur und locken Millionen von Zuschauern in die Kinos.[2] Es ist offensichtlich, dass die Werke in vielerlei Hinsicht alles andere als niveauvoll sind und meist haufenweise platte und geschmacklose Witzeleien enthalten. Außerdem scheinen sie viele filmische Regeln des klassischen Hollywood-Kinos bewusst zu missachten, die eigentlich eingehalten werden müssten, um die Fiktion aufrecht zu erhalten. Wie kommt es dann, dass diese Filme dennoch – selbst in Hollywood – solch enorme Publikumserfolge werden konnten bzw. können, und welche Konsequenzen hat die parodistische Form somit für die Filmrezeption?

Zur Beantwortung dieser Fragen macht sich meine Arbeit zum Ziel, Parodien bezüglich ihrer außergewöhnlichen formalen Eigenarten zu untersuchen. Hierbei wird hauptsächlich interessant sein zu erforschen, wie Parodien mit eingefahrenen Filmkonventionen umgehen. Als theoretischer Ansatz, anhand dessen die Genretechniken untersucht werden können, bieten sich vor allem formal-orientierte Konzepte an. Ein Mann genießt aufgrund derartiger theoretischer Denkanstöße seit einiger Zeit besonders große Popularität: der amerikanische Filmwissenschaftler David Bordwell. Bordwell hat sich – gemeinsam mit seiner Ehefrau Kristin Thompson – im filmtheoretischen Diskussionsraum der 80er Jahre einen Namen als Hauptvertreter des Neoformalismus gemacht.[3] Seine Ansätze sind kognitiv orientiert und versuchen, „das interaktive Verhältnis von Zuschauer und filmischer Textstruktur zu bestimmen und den Prozeß [sic!] filmischer Textverarbeitung schematheoretisch zu modellieren.“[4] Der Filmtheoretiker nimmt dabei insbesondere Bezug auf die geschichtliche Poetik des Films, reflektiert also die methodologischen Grundlagen der Ausbildung von filmischen Stilen in ihrer zeitlichen Entwicklung. Seine Überlegungen beschäftigen sich somit nicht nur mit reiner Filmtheorie, sondern auch -analyse und -geschichte. Ziel Bordwells neoformalistischer Ausführungen ist es, eine möglich geschlossene filmische Theorie zu liefern, die das Medium mit all seinen formalen, stilistischen, technischen und rezeptionsästhetischen Details erfasst – und das hinsichtlich all seiner Genreformen.

Es gilt nun im Folgenden zu beleuchten, wie sich Bordwells Kategorien und theoretische Entwürfe mit dem Genre der Parodie vertragen. Sind sie auch auf diese Filmform anwendbar? Oder ergeben sich hier vielleicht unvereinbare Widersprüchlichkeiten? Diese Überlegungen stellen den Ausgangspunkt meiner Arbeit dar.

Zunächst einmal soll allerdings das zentrale Genre dieser Studie kurz vorgestellt werden, die Parodie.

2. Die Parodie

Es gibt (überraschend) viel Forschungsmaterial, das Parodien bzw. Parodistisches untersucht, wobei es sich hier jedoch meist um literatur- und nicht um filmtheoretische Schriften handelt.[5] Die recht hohe Quantität des Materials ist sicherlich insbesondere darauf zurückzuführen, dass die Textform „Parodie“ auf eine sehr langen Tradition zurückblicken kann: Schon Aristoteles befasste sich in antiken Zeiten mit Parodien epischer Dichtung, und auch im Mittelalter, in der Aufklärung sowie im Klassizismus hat die Form stets Beliebtheit genossen, was sich bis heute nicht geändert hat – und zwar sowohl hinsichtlich literarischer als auch filmischer Werke.[6]

Aufgrund der umfassenden zeitlichen Entwicklung, der verschiedenen Kunstbereiche,[7] in denen die Parodie vorkommt, und der recht offenen Bedeutung des Ausdruckes[8] haben Theoretiker bisweilen zahlreiche Definitionsansätze hervorgebracht, die versuchen, die Gattung – meist als literarische Form, seltener auch als Filmgenre – einzugrenzen. Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, all diese Ansätze[9] zu beleuchten, welche sich vor allem hinsichtlich ihrer Begrifflichkeiten und ihrer Definitionsweite[10] unterscheiden. Für meine Intention soll es an dieser Stelle genügen, eine recht einfache Definition der Parodieform zu liefern und zudem die verschiedenen parodistischen Methoden kurz vorzustellen.

2.1 Parodistische Eigenarten

Ganz wesentlich ist vor allem eins: Eine Parodie bezieht sich stets auf bereits vorhandenes Material, ohne dessen – wenigstens ungefähre – Kenntnis die Rezeption wenig Sinn macht, da es ansonsten zu Verständnisproblemen kommt und der parodistische Effekt verloren geht.[11] Dies gilt für Parodien aller Art. Doch gibt es innerhalb des Genres auch viele Unterschiede: Zum einen kann eine Parodie einen bestimmten Einzeltext als Angriffsfläche nehmen, doch kann sie sich auch gegen ein gesamtes Genre richten.[12] Mitunter wird auch die Schaffensweise eines einzelnes auteurs in Parodien aufs Korn genommen, so beispielsweise diejenige Goethes oder, im filmparodistischen Bereich, der spezifische Duktus der Literaturverfilmungen der Edgar-Wallace-Werke.[13]

Die Parodieform wird bei Rick Altman als „Prototyp der Moderne“[14] bezeichnet. Ihre Verbreitung und Wichtigkeit verdankt sie spezifischen Eigenarten, welche keine andere Textform aufweisen kann: Parodien zeichnen sich dadurch aus, dass sie Bekanntes wieder verwenden und zugleich neu bewerten, indem sie hohe und niedere künstlerische Elemente miteinander mischen.[15] Demzufolge entsteht eine kritische Reflexion der Vorlage, welche vom Rezipienten erhöhte Aufmerksamkeit erfordert. Das gesamte Rezeptionsverhalten kann sich somit durch die Beschäftigung mit parodistischen Texten (oder auch Filmen) ändern, und in der literarischen Evolution fungiert die Parodie daher als eine Art „konstruktiver Innovationsmotor“,[16] weil sie in der Lage ist, festgefahrene (Rezeptions-)Normen zu destruieren.[17] Entsprechendes gilt, wie diese Arbeit noch zeigen wird, für die Filmparodie.

Nachvollziehbar werden diese Behauptungen, wenn man beispielsweise einen Hypotext wie den Film Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast nach der Rezeption der Parodie Scary Movie, welche sich u.a. mit dem erstgenannten Werk auseinandersetzt, noch einmal anschaut: Scary Movie weist durch (sehr überzogene) Imitationen des Originals auf die Horrorfilm-Techniken hin und entlarvt diese oftmals als sehr albern und unrealistisch. So werden etwa Klischee-Verhaltensweisen – zum Beispiel ein unlogisches Agieren auf der Flucht vor dem Mörder – auf verspottende Weise und sehr übertrieben wiedergegeben. Einige Szenen zur Verdeutlichung: Es liegen eine Banane, zwei Messer, eine Handgranate und eine Schusswaffe auf dem Tisch; das verfolgte Opfer greift zielsicher nach der Banane. Eine ähnliche Situation ergibt sich, als dieselbe Verfolgte während ihrer Flucht auf zwei Schilder trifft, welche mit „Safety“ und „Death“ beschriftet sind, sie rennt in Richtung „Death“. Kritisiert wird ebenso das absurde Verhalten von Mörderfiguren bei ihrer an ein Versteckspiel erinnernden Jagd auf das Opfer: Der Killer versucht beispielsweise, sich unter einem Teppich zu verbergen. Grotesk wirkt auch die Szene, in der der Maskierte erst einmal schaurig und ein Messer zückend auf dem Schulhof stehend gezeigt wird, sich dann aber plötzlich abwendet, um hinter den nächsten Baum zu laufen. Hier wird die Horrorfilm-Gewohnheit, dass der Mörder ständig ungesehen und wie von Geisterhand verschwindet, auf kritische Weise veralbert. Bei erneuter Rezeption des Hypotextes wird sich dessen Wirkung nun mit Sicherheit verändert haben: Was beim ersten Anschauen noch Schauer erzeugte, führt – durch die Erinnerung der Parodie-Szenen – mitunter nur noch zu einem belustigten Schmunzeln oder Kopfschütteln. Die Horrorfilm-Produzenten müssen sich diese parodistischen Effekte zu Herzen nehmen und ihre Techniken ständig weiterentwickeln, um eine Gruselwirkung aufrechterhalten zu können. Demzufolge treibt die Parodieform die filmische Entwicklung unweigerlich voran und verdient es aufgrund ihres enormen kritischen Potentials, näher betrachtet zu werden – auch wenn einige Kritiker in Parodien lediglich eine „Sachbeschädigung“[18] sehen, die keine Funktion zu haben scheint. Sicherlich sind viele der Scherze in klamaukhaften Filmparodien unglaublich platt, derbe und einfallslos, es wird häufig mit sexistischen Anspielungen und Witzen über Drogenmissbrauch operiert, Fäkalscherze finden Verwendung oder absurd-dümmliche Gestalten fungieren als personifizierte Lächerlichkeiten. Derartige triviale Unzulänglichkeiten lässt diese Arbeit allerdings absichtlich außen vor, um sich der – trotz allem höchst interessanten – formalen Seite parodistischer Filme zu widmen.

2.2 Parodistische Methoden

Es gibt zahlreiche parodistische Methoden und Änderungstechniken, die in ebenso zahlreichen verschiedenen Begrifflichkeiten festgesetzt und voneinander differenziert werden können. Im Grunde genommen verbergen sich hinter den unterschiedlichen Namen für die Techniken jedoch meist recht übereinstimmende Methoden, die sowohl im literarischen als auch im filmischen Bereich Geltung finden. Interessant für diese Arbeit ist die auf filmische Werke zugeschnittene Parodietheorie von Dan Harries, in welche ich einen kleinen Einblick geben möchte. Zunächst einmal stellt Harries als essentielle parodistische Technik die Imitation (reiteration)[19] heraus, auf welcher alle weiteren Methoden basieren. Weiter führt er das Verfahren der inversion an, welches mit dem deutschen Wort „Sinnentgegensetzung“ übersetzt werden kann, dann das der misdirection (durch Transformation und Imitation der Vorlage wird ein absurdes Verhältnis erzeugt), die literalization, einer selbstreferenziellen Technik, die sozusagen ein – verbales, auditives oder visuelles – Zitat oder Wortspiel aus der Vorlage ist, die extraneous inclusion (Einbezug fremder Elemente) und natürlich die exaggeration, also die quantitative bzw. auch qualitative Übertreibung.[20] Als Grundregel für Parodien kann bezüglich dieser Techniken weiterhin gesagt werden, dass bei ihrer Anwendung auf ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Veränderungen und Beibehaltungen der Vorlagensequenzen geachtet werden muss, um komische Effekte zu erzeugen.[21]

[...]


[1] Zitat aus Scary Movie.

[2] Zu den konkreten Zahlen vgl. Kapitel 2.III.

[3] Vgl. Britta Hartmann u. Hans J. Wulff: Vom Spezifischen des Films. Neoformalismus – Kognitivismus – Historische Poetik. monatage/av 4/1/1995, S. 5ff.

[4] Ebd., S. 6.

[5] Explizit mit Filmparodien befassen sich u.a.: Dan Harries: Film Parody. London: British Film Institute Publications 2000; Wes D. Gehring: Parody as Film Genre. „Never Give a Saga an Even Break“. Contributions to the Study of Popular Culture, Nr. 69. London: Greenwood Press 1999.

[6] Vgl. Theodor Verweyen und Gunther Witting: Die Parodie in der neueren deutschen Literatur. Eine systematische Einführung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1979, S. 9-14.

[7] Parodien gibt es sowohl in Literatur und Film als auch recht häufig im musikalischen Bereich.

[8] Wünsch betont, dass mit Parodie sowohl eine Gattung als auch eine Schreibart bezeichnet werden kann. Vgl. Frank Wünsch: Die Parodie. Zu Definition und Typologie. Hamburg: Verlag Dr. Kovac 1999, S. 21.

[9] Vgl. auch Gérard Genette: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1993; Margaret Rose: A Parody: Ancient Modern and Post-Modern. Cambridge: University Press 1993.

[10] Einige fassen z.B. Satire, Travestie und Persiflage zur Parodie, andere trennen diese Formen voneinander.

[11] Vgl. Genette, Palimpsete, S. 47; vgl. auch Rose, A Parody: Ancient Modern and Post-Modern, S. 41.

[12] Vgl. Gehring, Parody as Film Genre, S. 13.

[13] Die aktuellste Wallace-Parodie ist die deutsche Produktion Der Wixxer. (Vgl. http://www.weristderwixxer.de.)

[14] Rick Altman: Film/Genre. London: British Film Institute Publications 1999, S. 141.

[15] Rose nennt diesen Aspekt „double-coded nature“ der Parodie. (Rose, A Parody: Ancient Modern and Post-Modern S. 242.)

[16] Verweyen/ Witting, Die Parodie in der neueren deutschen Literatur, S. 62.

[17] Vgl. ebd., S. 98.

[18] Ebd., S. 82.

[19] Dan Harries: Film Parody. London: British Film Institute Publications 2000, S. 37.

[20] Vgl. ebd., S. 37-39.

[21] Vgl. ebd., S. 9.

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Parodie trifft Filmtheorie
Untertitel
'Die Form, die aus dem Rahmen fällt'
Hochschule
Universität Siegen
Veranstaltung
Filmtheorie
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
28
Katalognummer
V82597
ISBN (eBook)
9783638898218
ISBN (Buch)
9783638904551
Dateigröße
471 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Parodie, Filmtheorie
Arbeit zitieren
Sabine Buchholz (Autor:in), 2006, Parodie trifft Filmtheorie , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82597

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