Die missionarische Dimension des katholischen Religionsunterrichts in Deutschland


Diplomarbeit, 2007

88 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


0. Einleitung

Durch das im Rahmen des Theologiestudiums durchgeführte und ein zusätzliches freiwillig absolviertes Schulpraktikum verstärkte sich bei mir das ohnehin schon länger gehegte Interesse am Religionsunterricht. Ein weiteres Interessensgebiet, die Mission in Europa und Deutschland, ergab sich ebenfalls aus dem Studium in St. Augustin und seinen zahlreichen missionstheologischen Lehrveranstaltungen, formte sich aber auch durch eigene Erfahrungen in der ehrenamtlichen Gemeindearbeit als Katechet und Pfarrgemeinderatsmitglied. Es lag für mich daher nahe, beide Sachverhalte - Religionsunterricht und Mission – zum Thema meiner Diplomarbeit zu machen. Ich wählte den Titel „Die missionarische Dimension des katholischen Religionsunterrichts in Deutschland“ und war mir bewusst, dass ich damit ein sehr weites Feld zu beackern hatte.

Mit der Formulierung dieses Themas stellte ich außerdem klar, dass es für mich eine missionarische Dimension des Religionsunterrichtes tatsächlich gibt. Dass dies ganz offensichtlich nicht gängige Meinung ist, erfuhr ich kurz nach der Einreichung des Themas. Als ich es nämlich verschiedenen Menschen aus meinem Bekanntenkreis vorstellte, gab es dazu unterschiedliche Reaktionen, die sich in zwei Kategorien unterteilen lassen. Die Bekannten, die sich selbst als atheistisch oder kirchenfern bezeichneten, reagierten, wenn nicht mit Gleichgültigkeit und Desinteresse, mit Unverständnis oder Empörung über die Verbindung von Religionsunterricht und Mission. Es war für die meisten nicht nachzuvollziehen, wie man Schule und Mission im selben Atemzug nennen könne, schließlich solle Schule doch ein neutraler Ort sein, an dem Mission – wohl im Sinne eines sich aufdrängenden Bekehrungseifers der katholischen Kirche – nicht hingehöre. Die andere Gruppe, darunter eine ehrenamtlich in der Gemeinde engagierte Mutter, eine Religionslehrerin und ein im Generalvikariat angestellter Priester, stellte mir sofort verwundert die Frage, ob es eine missionarische Dimension des Religionsunterrichtes überhaupt gebe. In beiden Gruppen waren wahrscheinlich die persönlichen Erfahrungen mit Religionsunterricht sowie das Verständnis von Mission ausschlaggebend für die Reaktionen. Mir erschloss sich dabei, welche Schwerpunkte ich für die Gliederung meiner Diplomarbeit zu festzulegen hatte.

Die Diplomarbeit besteht aus drei Hauptteilen. Zunächst wird es im ersten Teil um das Verständnis von Mission in der aktuellen Theologie, einen Überblick über die Missionsgeschichte und die Definition Deutschlands als Missionsland gehen. Im zweiten Teil wird der Religionsunterricht in den Blick genommen, seine rechtlichen und theologischen Voraussetzungen geprüft und seine missionarische Dimension anhand von lehramtlichen Aussagen sowie der Betrachtung seiner Protagonisten – Schülern und Lehrern – dargelegt. Im dritten Teil versuche ich, mit der Untersuchung des Dialogs eine missionarische Perspektive für den Religionsunterricht zu entwerfen und stelle dazu zwei Unterrichtsthemen – Ökumene und Islam - vor. Meine Ergebnisse fasse ich dabei jeweils in einem Fazit nach den Hauptteilen zusammen.

Die Arbeit erfährt bereits im Titel eine notwendige Eingrenzung, denn ich befasse mich ausschließlich mit dem katholischen Religionsunterricht und zwar in der Bundesrepublik Deutschland. Eine weitere Eingrenzung nimmt die Schwerpunktsetzung auf den Religionsunterricht an der öffentlichen Schule und dabei (in den Lehrplan- und Unterrichtsbeispielen) auf den der nordrhein-westfälischen Realschule vor. Deshalb kann z.B. das Verhältnis zwischen Religionsunterricht und Gemeindekatechese nicht vertieft werden und ebenso ist es im Rahmen dieser Arbeit nicht zu leisten, auf die möglichen Unterschiede zwischen öffentlicher Schule und katholischer Schule in freier Trägerschaft oder zwischen weiterführenden Schulen und Berufsschule einzugehen. Auch muss darauf verzichtet werden, den Religionsunterricht im europäischen und weltweiten Kontext von staatlicher Schule und Religion oder anderer missionarisch relevanter Spannungsfelder zu betrachten.

Für seine große Geduld bei der Betreuung dieser Diplomarbeit möchte ich bereits an dieser Stelle Pater Gerd Birk meinen herzlichen Dank sagen. Der Arbeit vorausgeschickt sei auch, dass ich aus Gründen der leichteren Lesbarkeit auf die gleichzeitige Verwendung der männlichen und weiblichen Personen- und Berufsbezeichnungen verzichte. Die Verwendung des generischen Maskulinums bedeutet ausdrücklich keine Herabsetzung des weiblichen Geschlechts, sondern schließt die weibliche Form mit ein.

1. Deutschland – Missionsland?

1.1. Begriffe

1.1.1. Mission

Der Begriff Mission leitet sich vom lateinischen Substantiv missio ab, das aus dem Verb mittere gebildet wird, was soviel bedeutet wie loslassen, schicken, werfen, senden. Missio heißt also Entsendung, Losschicken, Gehen lassen. Mission ist ein spezifisch christlicher Begriff – er wird im deutschsprachigen Raum seit dem 16. Jahrhundert verwendet - und bezeichnet – von einem differenziert begründeten Auftrag ausgehend – originär die aktive Verbreitung des christlichen Glaubens, demnach „die Verkündigung einer Glaubensüberzeugung mit dem Ziel der Bekehrung Andersgläubiger“[1]. Da eine vergleichbare, von grundsätzlicher Überzeugung motivierte Expansionsabsicht in vielen anderen Religionen fehlt, wird im Bezug auf nichtchristliche Religionen der Missionsbegriff nur in abgewandelter Form angewandt. Häufig taucht im katholischen Bereich das Begriffspaar Volksmission (oder auch innere Mission) und Weltmission auf, das eine geographische Aufteilung impliziert: die Mission im eigenen Volk/Land und die Mission in der Fremde, in der restlichen Welt.

1.1.2. Evangelisierung

Evangelisierung oder Evangelisation kommt von dem griechischen Verb euangelisein bzw. euangelisésthai und bezieht sich auf die Ausbreitung des Evangeliums bzw. der Frohen Botschaft Jesu vom Reich Gottes. Was Evangelisierung konkret ist, wird verschieden bis widersprüchlich beschrieben. Evangelisierung wird zum einen nach einer Methode, nämlich als öffentliche Predigt, und zum anderen nach einem Resultat, der Bekehrung von Menschen definiert. Eine andere Definition grenzt Evangelisierung gegenüber der Mission ab und bestimmt sie auf ihre ‚Objekte’ hin, d.h. Mission „hat es dann mit Menschen zu tun, die noch nicht Christen sind (insbesondere in der ‚Dritten Welt’), Evangelisation mit solchen, die nicht mehr Christen sind (vor allem im Westen).“[2] Diese Unterscheidung taucht heute zwar gelegentlich noch auf, wird aber mittlerweile mehrheitlich abgelehnt. Mission und Evangelisierung richten sich nach aktuellem Verständnis an alle Menschen und werden weitgehend synonym verwendet, auch wenn den Begriffen die unterschiedliche Objektausrichtung noch anhaftet. Häufig wird auch die Bezeichnung Neu- oder Re-Evangelisierung verwendet, wenn es um einen Neuanfang bzw. eine Rückkehr entfremdeter Christen geht. Erst-Evangelisierung meint demzufolge die Mission von Menschen ohne christliche Vergangenheit. Der Missionstheologe David J. Bosch definiert Evangelisierung als eine missionarische Dimension, „die jedem Menschen an jedem Ort durch Wort und Tat eine wirkliche Gelegenheit bietet, sich zu einer radikalen Neuorientierung herausfordern zu lassen.“[3]

1.1.3. Inkulturation

Der in der Mitte des 20. Jahrhunderts neu geschöpfte Begriff Inkulturation meint das „Sich-Einlassen einer Kultur auf eine andere Kultur.“[4] Als eine missionstheologische Programmatik beschreibt er den Prozess, bei dem die Kulturen, Werte- und Traditionssysteme, zum Ausgangspunkt und zur Ausdrucksform des christlichen Glaubens werden. Im Gegensatz zur Akkulturation, bei der eine Kultur Elemente einer fremden Kultur aufnimmt, und zur Enkulturation, bei der sich Individuen eine bestimmte Kultur aneignen, ist Inkulturation als ein Geschehen zu verstehen, in dem die christliche Botschaft eine Kultur – auch eine nicht-europäische - durchdringt, sie prägt, verändert und sich auch durch sie ausdrückt. Wenn Inkulturation in der Mission als programmatisch angesehen wird, so steckt dahinter die Überzeugung, dass die Kirche „an keine besondere Form menschlicher Kultur […] gebunden ist.“[5] Christentum kann sich demzufolge in jeder Kultur ausdrücken, entwickeln und diese auch umformen.

1.2. Warum Mission?

1.2.1. Missionsbefehl Jesu

Als biblische Begründung christlicher, universaler Mission wird oft auf den so genannten Missionsbefehl des auferstandenen Christus (Mt 28,19; Mk 16,15b) sowie vergleichbare Sendungsworte verwiesen. Theologisch wird damit die ganz selbstverständliche missionarische Praxis der Urkirche durch die Vollmacht Christi gerechtfertigt.

Der Missionswissenschaftler Horst Rzepkowski weist allerdings darauf hin, dass man nicht einen Text des Neuen Testaments allein „zur theologischen Grundlage und zur Grenze von Inhalt und Ziel der Mission machen kann.“[6] Mission, als das Fundament der Kirche, sieht er in der Osterbotschaft und im Pfingstereignis begründet; im Glauben, dass die Frohe Botschaft Jesu für alle Völker gilt.

„Die Osterberichte des Neuen Testaments kennen eine Reihe von Sendungsworten. Diese Sendungsworte geben die Überzeugung der urchristlichen Gemeinde wieder, daß auf ihr ein Auftrag zur Weitergabe der Botschaft von Jesus Christus liegt.“[7]

Die in der Missionsgeschichte so bedeutsame Perikope Mt 28,16-20 ist dabei eine Zusammenfassung des urchristlichen Glaubensbekenntnisses ‚Jesus ist der Herr’ und richtet so den Blick auf das Wesentliche: Jesus Christus. Dieses Bekenntnis weist nach Rzepkowski über den Kreis der Jünger hinaus, „es geht die Welt an“[8] und deshalb sei Mission die einzige Antwort auf die Überzeugung von der Herrschaft Jesu Christi. Eine andere Begründung als diese apostolische – im Sinne von Gesandt sein und kontinuierlicher Nachfolge - sieht Rzepkowski nicht. Im Predigtstil Jesu, einmal an Gleichgesinnte als Gemeindepredigt und einmal an Außenstehende als Missionspredigt, erkennt Rzepkowski „die Wurzel christlicher Mission. Das Verhalten und die Predigt Jesu sind für die Kirche Typos und Norm.“[9]

1.2.2. Missio Dei

Das Handeln Gottes, der als Schöpfer und Christus selber sendet und als Christus und Geist selber gesandt ist, seine gesamte trinitarische Weltzuwendung, wird als Missio Dei bezeichnet. Als Begründung christlicher Mission geht sie über die Begrenzung auf einzelne biblische Missionsbefehle hinaus.

„Insofern Gott sich in seinem Sohn selber als sendend und gesandt offenbart, ist die Mission und Sendung der Kirche als Gehorsamsakt der Kirche gegenüber dem Sendungswillen Gottes zu verstehen. […] Der Christ und die Kirche können nur missionarisch sein.“[10]

Mission erfährt durch den Gedanken der Sendung Gottes eine Weitung, die keine Begründungen durch Sondersendungen und keine isolierte Stellung im Bewusstsein der Kirche benötigt. Die Kirche ist in ihrem Wesen eine missionarische Kirche und als Folge der Sendung Christi selbst Missio Dei in der Gegenwart. Wie Gott soll auch die Kirche sich der Welt zuwenden. „Die ‚Mission’ Gottes im Rahmen seiner Weltzuwendung ist weltveränderndes Geschehen, das die Menschen engagiert.“[11]

Die missionarische Praxis stellt sich in Geschichte und Gegenwart sehr vielseitig dar. Nach der jungen Definition der Missio Dei wird heute alle Gestaltung der Wirklichkeit aus christlichem Glauben heraus mit missionarischer Praxis in Verbindung gebracht. Jeder christliche Lebensvollzug – im Bewusstsein des Gesandt sein - ist in diesem Sinne missionarisch. Mit der missionarischen Praxis, ihrer theologischen Erkundung, Darstellung und Deutung befasst sich die Missionswissenschaft.

1.3. Kirchliche Missionstätigkeit in Geschichte und Gegenwart

1.3.1. Historischer Überblick bis zur Neuzeit

Das Christentum hat in der Menschheitsgeschichte seine Spuren hinterlassen, es hat Gesellschaften und Kulturen geprägt und gestaltet – ausgehend von der Überzeugung, eine Botschaft für die gesamte Menschheit zu haben. Von Anfang an war es auf Ausbreitung und Erfassung aller Menschen aus, auch wenn es dafür im Altertum „weder eine einheitliche Missionsidee noch ein entsprechendes Instrumentarium [geschaffen hatte]. Die missionarischen Fortschritte gingen auf Einzelinitiativen zurück.“[12] So waren vor allem asketische Wanderprediger die Träger der Mission, die insgesamt trotz Widerstände und Christenverfolgungen erfolgreich war. Mit der Konstantinischen Wende (ab 313 n. Chr.) erlangte das Christentum den Rang einer Staats- und Reichskirche (380 n. Chr.), doch erst durch Gregor den Großen (7. Jh. n. Chr.) wurde die Mission organisiert.

Die Ausbreitung des Christentums im 2. und 3. Jh. war demnach nicht aufgrund einer organisierten Mission erfolgreich sondern beruhte hauptsächlich auf „dem zwischenmenschlichen Umgang in Haus und Gesellschaft“[13] und der überzeugenden christlichen Lehre (Gottes-, Welt- und Menschenbild). Die Ausbreitung des Christentums gelingt am besten in den Städten[14]. Eine immer schneller wachsende Anzahl Neugetaufter unterschiedlichster sozialer und kultureller Herkunft verlangte den christlichen Gemeinschaften auch eine innere Weiterentwicklung ab. Die ursprüngliche Botschaft war gegen Häresien zu verteidigen. Erste Schismen traten auf, die Lehre musste geklärt, bereinigt und vertieft werden, entsprechende kultische Praktiken waren zu regeln. All das brachte eine größere Institutionalisierung mit sich.

„Schon das frühe Christentum hat den Übergang aus der eigenen Kultur und dem eigenen Volksgefüge in ein anderes, das hellenistische, vollzogen. Das erforderte aber die Unterscheidung zwischen Kern und Schale der Botschaft.“[15]

Waren es im Altertum ganz normale Christen, die als Träger der Mission auftraten, sind es im Mittelalter vor allem Mönche, die Mission organisierten und durchführten. Durch die Völkerwanderung kam das Christentum in Kontakt mit neuen Völkern und Kulturen und die Kirche konnte weiter wachsen. Überall in Europa leben Christen, auch wenn sie oft nur eine Minderheit darstellen. Mehrere Missionsphasen kennzeichnen das Mittelalter, so z.B. die keltisch-irische und angelsächsische Mission des 6. bis 8. Jahrhunderts (durch Gestalten wie Gallus, Willibrord, Bonifatius und andere), die byzantinische Osteuropa-Mission bis ins 11. Jahrhundert hinein (z.B. durch Kyrill und Method) und die katholische Mission in Nord- und Zentraleuropa (z.B. durch Ansgar von Bremen). Das Christentum dringt im 13. bis 15. Jahrhundert, vor allem durch den Missionseifer der Franziskaner und Dominikaner, bis nach Indien und China vor. Das Motiv für die Mission wird nun deutlicher formuliert, nämlich als die „Befreiung der Heiden aus der Teufelsherrschaft.“[16] Hinzu kommt eine enge Verflechtung politischer und religiöser Motive sowie gewaltsame Auswüchse[17], wie die Sachsenmission Karls des Großen (ab 772), der eine Eingliederung der heidnischen Sachsen ins fränkische Reich nur durch deren gewaltsame Missionierung für möglich hielt. Auf der anderen Seite steht die Gewalt der Heiden gegenüber den christlichen Wandermönchen, bekanntes Beispiel ist die Ermordung Bonifatius’ durch heidnische Friesen (754 oder 755). Es besteht ein Antagonismus zwischen innerer Mission – z.B. durch die von der Benediktinerabtei Cluny ausgehende Erneuerungsbewegung[18] und äußerer Mission, vor allem im zweifelhaften Missionseifer der Kreuzzüge als Rückeroberungsfeldzüge gegen den Islam und nach deren Fehlschlagen in den Osteroberungen durch die Orden der Kreuzritter. Ein Schlagwort des Mittelalters lautet Christianisierung, die aufgrund des Stammesverständnisses individuelle Entscheidungen, wie wir sie heute betonen, kaum zuließ.

Die politische Verstrickung der Mission ist – wie es auch dem Selbstverständnis der Kirche als politische Kraft entsprach und später bei Reformation (16. Jahrhundert) und Dreißigjährigem Krieg (17. Jahrhundert) noch eine Rolle spielte - zu Beginn der Neuzeit präsenter denn je. Bei den großen Entdeckungen des 15. und 16. Jahrhunderts wurde aus dem Missionsauftrag immer wieder auch das Recht der Eroberung und Landnahme abgeleitet. Mission in der Neuzeit ist eng verwoben mit dem Kolonialismus der Spanier und Portugiesen sowie der Patronatsmission. Damit ist gemeint, dass den weltlichen Herrschern durch die Kirche bestimmte Zugeständnisse gemacht wurden, wenn sie dafür bei ihren Eroberungen für die Ausbreitung des christlichen Glaubens sorgten und z.B. christliche Missionare unterhielten. Rzepkowski sieht die Patronatsmission zwiegespalten, sie habe „trotz aller Vorbehalte eine große Laienhilfe für die Mission in Bewegung gesetzt“,[19] war aber durch die überspitzten Ansprüche der Patronatsinhaber ein Hindernis für die Entwicklung der jungen Kirchen.

Die Missionen der römisch-katholischen Kirche, der Spanier und Portugiesen bringen das Christentum nach Lateinamerika, Indien, Sri Lanka, Burma, Siam, China, Japan und Afrika. Das grausame Vorgehen der Kolonialmächte wird zwar schon früh von einzelnen Missionaren kritisiert, „ohne allerdings das Kolonialsystem selbst in Frage zu stellen.“[20] Versuche der Jesuiten, in China und Indien das europäische Christentum an die dortige Kultur anzupassen, wurden auf Grund von Intrigen und Desinformationen durch Rom untersagt.[21] Zur Koordinierung der Mission und um die Patronatsmission zu beenden, wurde 1622 die römische „Kongregation für die Evangelisierung der Völker“ gegründet, deren Ziel es unter anderem war, in den Missionsgebieten einen einheimischen Klerus heranzubilden. Zu dieser Zeit beginnt auch das missionarische Wirken der protestantischen Kirchen, die bisher überwiegend binnenländisch orientiert waren.

Aufklärung, Französische Revolution, das Verbot des Jesuitenordens und der Niedergang Spaniens und Portugals bringen den religiösen Eifer Europas und die Mission im 18. Jahrhundert nahezu zum Erliegen. Erst mit dem Beginn der europäischen Expansion, des Imperialismus im 19. Jahrhundert, kommt auch ein neuer missionarischer Aufbruch, sowohl für die katholische als auch in entscheidendem Ausmaß für die evangelischen Kirchen. Missionarische Orden erfahren eine Renaissance und zahlreiche neue Missionsgesellschaften werden gegründet, zwischen denen es – auch konfessionsübergreifend – zu verschiedenen Formen der Zusammenarbeit kam. Diese Organisation z.B. im ‚Internationalen Missionsrat’ (1910) hatte zur Folge, dass die Mission allmählich zu einer Weltmission, d.h. zu einer gemeinschaftlichen, interkonfessionellen Aufgabe wurde. Diese Weltmission konnte auch nicht mehr nur als eine Bewegung von Westeuropa aus zu anderen Erdteilen angesehen werden, sondern die Missionsländer selbst stiegen in die Missionstätigkeit ein.

Die Mission des 19. Jahrhunderts leitete vor allem durch die Missionsschulen die Entkolonialisierung ein, obwohl sie diese koloniale Unterwerfung zuvor stark begünstigt hatte. Sie setzte „dem europäischen Patriarchalismus die geistige und spirituelle Emanzipation der Gemeinden“[22] entgegen. Auch wurde Mission immer mehr von ihrer humanitären Aufgabe her betrachtet, z.B. wenn es um den Kampf gegen Sklaverei und Drogenhandel, um Entwicklungshilfe oder die Wiedergutmachung der Folgen europäischer Kolonialisierung ging.

1.3.2. Gegenwart

Die Mission der katholischen Weltkirche ist heute vor allem durch echte Universalität und durch Ökumene gekennzeichnet. Der Heidelberger Missionswissenschaftler und Religionshistoriker Hans-Werner Gensichen spricht dabei vom Übergang von der „Westmission zur Weltmission“,[23] 1990 waren bereits 10% der katholischen Missionsmitarbeiter Nichteuropäer und Nicht-Nordamerikaner, die evangelische Mission lag weit unter dieser Marke. Seit 1958 nimmt die röm.-kath. Kirche – heute als ordentliches Mitglied - an der Konferenz für Weltmission und Evangelisation des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) teil und begreift Mission sehr viel ökumenischer als beispielsweise evangelikale Kreise auf protestantischer Seite. Ein weiterer Aspekt der Gegenwart ist, dass neben die klassische Evangeliums-Verkündigung „vornehmlich das soziale Handeln, der Einsatz für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“[24] treten.

Im Folgenden sollen exemplarisch für das heutige Missionsverständnis drei Meilensteine der gegenwärtigen Missionstheologie vorgestellt werden, einmal das Dekret ‚Ad gentes’ (1965) des Zweiten Vaticanums, dann das Apostolische Schreiben ‚Evangelii nuntiandi’ von Papst Paul VI., sowie die Enzyklika ‚Redemptoris missio’, mit der Papst Johannes Paul II. 1990 der Zäsur des Konzils im Bereich der Mission Nachdruck verlieh. Ein Augenmerk liegt dabei bereits auf den Aspekten, die für die später zu entwickelnde missionarische Dimension katholischen Religionsunterrichts hilfreich sind.

1.3.2.1. Das Zweite Vatikanische Konzil

Das am 07.12.1965 verabschiedete Dekret ‚Ad gentes’ (AG) beinhaltet die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils ‚über die Missionstätigkeit der Kirche’ und vollzieht einen Bruch mit zahlreichen Haltungen zur Mission.

Die Kirche ist „ihrem Wesen nach ‚missionarisch’ (d.h. als Gesandte unterwegs)“,[25] Mission ist deshalb weder eine Randerscheinung noch ein Anhängsel, sondern gehört wesentlich zum kirchlichen Handeln. Begründet wird dies mit der Sendung Gottes (Missio Dei) und seiner Weltzuwendung. Das Evangelium soll nicht nur verinnerlicht sondern auch nach außen, in alle Welt getragen werden, um das Angesicht der Welt zu verändern.[26] „Die Sendung (= Mission) der Kirche wird nicht bloß vom Gebot des Herrn her [Missionsbefehl], sondern auch als Fortsetzung der Sendung Christi selbst verstanden [Missio Dei].“[27] Träger der Mission ist die ganze Kirche, d.h. alle Ortskirchen und jeder einzelne Christ sind zur Evangelisation verpflichtet.[28] AG mach auch deutlich, dass Mission eine ökumenische Aufgabe ist.

Das Dekret spricht im Hinblick auf ca. zwei Milliarden Menschen, die das Evangelium noch nicht oder nur kaum von ihm vernommen haben, davon, den christlichen Glauben den Menschen anzubieten und die Kirche – durch ein lebendiges Zeugnis ihrer Mitglieder - in diesen Gruppen einzupflanzen.[29] Es geht nicht mehr um die Eroberung und Bekehrung aller Menschen, sondern um Inkulturation, also zunächst darum, anderen Religionen und Kulturen zu begegnen und sich in der Nachfolge Jesu von der „konkreten sozialen und kulturellen Welt des Menschen einschließen“[30] zu lassen.

Vor allem ‚Gaudium et spes’ (GS), die ‚pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute’, die dazu auffordert, die „Zeichen der Zeit“[31] zu ergründen und im Licht des Evangeliums zu deuten, war bahnbrechend für das Verständnis von Inkulturation:

„Zugleich ist die Kirche wohl zu allen Völkern, welcher Zeit und welchen Landes auch immer, gesandt, jedoch an keine Rasse oder Nation, an keine besondere Art der Sitte, an keinen alten oder neuen Brauch ausschließlich und unlösbar gebunden. Sie läßt zwar den Zusammenhang mit ihrer eigenen geschichtlichen Herkunft nicht abreißen, ist sich aber zugleich der Universalität ihrer Sendung bewußt und vermag so mit den verschiedenen Kulturformen eine Einheit einzugehen, zur Bereicherung sowohl der Kirche wie der verschiedenen Kulturen.“[32]

Dies war vor allem für die aus den europäischen Kirchen hervorgegangenen Ortskirchen in der sog. ‚Dritten Welt’ wichtig, die auch mit dem Dekret AG eine Stärkung erfuhren[33] und dazu aufgerufen wurden, eigene Theologien zu entwickeln. Seit dem Zweiten Vaticanum entwickelten sie sich von Minderheiten zu jungen, dynamischen Kirchen.[34]

Zur Methode der Mission äußert sich das Konzil eindeutig:

„Die Kirche verbietet streng, daß jemand zur Annahme des Glaubens gezwungen oder durch ungehörige Mittel beeinflußt oder angelockt werde, wie sie umgekehrt auch mit Nachdruck für das Recht eintritt, daß niemand durch üble Druckmittel vom Glauben abgehalten werde.“[35]

Vielmehr propagiert das Konzil ein christliches Zeugnis im täglichen Leben der Christen und im Umgang miteinander und mit Andersgläubigen. Ein wichtiges Stichwort zum christlichen Zeugnis ist die bedingungslose Liebe. Christen sollen den Menschen, denen sie begegnen, wohlwollende Empathie und Solidarität entgegen bringen, besonders den Armen und Leidenden. Auch dort, wo Christus nicht immer und überall ganz verkündet werden kann, soll das christliche Zeugnis „durch die enge Verbindung mit den Menschen in ihrem Leben und Arbeiten“[36] zu ihrem Heil beitragen.

1.3.2.2. Das Apostolische Schreiben ‚Evangelii nuntiandi’

Am 08.12.1975, zehn Jahre nach dem Konzilsbeschluss AG, gibt Papst Paul VI. das Apostolische Rundschreiben ‚Evangelii nuntiandi’ (EN) ‚Über die Evangelisierung in der Welt von heute’ heraus und führt damit den Begriff ‚Evangelisierung’ neu in die missionstheologische Diskussion der katholischen Kirche ein. Seine Missionstheologie entwickelt er aus einem streng christologischen Ansatz, der Christus als Urheber, Vorbild und Ziel der Mission angibt.[37] Evangelisierung ist daher die eigentliche Aufgabe der Kirche:

„Evangelisieren ist in der Tat die Gnade und eigentliche Berufung der Kirche, ihre tiefste Identität. Sie ist da, um zu evangelisieren, d. h. um zu predigen und zu unterweisen, Mittlerin des Geschenkes der Gnade zu sein, die Sünder mit Gott zu versöhnen, das Opfer Christi in der heiligen Messe immer gegenwärtig zu setzen, welche die Gedächtnisfeier seines Todes und seiner glorreichen Auferstehung ist.“[38]

Der Papst spricht sich zudem für eine Evangelisierung der Kulturen aus und meint damit – mit Verweis auf die Religionsfreiheit - die Inkulturation des Glaubens,[39] betont aber auch die Notwendigkeit der Taufe des Einzelnen als Besiegelung von Bekehrung und Erneuerung.[40] Bemerkenswert ist der Anspruch einer Kontextualisierung des Glaubens, den Paul VI. so formuliert:

„Doch wäre die Evangelisierung nicht vollkommen, würde sie nicht dem Umstand Rechnung tragen, daß Evangelium und konkretes Leben des Menschen als Einzelperson und als Mitglied einer Gemeinschaft einander ständig beeinflussen. Darum fordert die Evangelisierung eine klar formulierte Botschaft, die den verschiedenen Situationen jeweils angepaßt und stets aktuell ist, und zwar über die Rechte und Pflichten jeder menschlichen Person, über das Familienleben, ohne das kaum eine persönliche Entfaltung möglich ist, über das Zusammenleben in der Gesellschaft, über das internationale Leben, den Frieden, die Gerechtigkeit, die Entwicklung; eine Botschaft über die Befreiung, die in unseren Tagen besonders eindringlich ist.“[41]

EN nimmt dabei vorsichtige Unterscheidungen vor und zwar zwischen der ersten Verkündigung, die im Sinne einer weltweiten Bestimmung das Evangelium denen verkündet, die Jesus Christus noch nicht kennen,[42] der Sorge um die Gläubigen (als Glaubenshilfe)[43] sowie der notwendigen erneuten Verkündigung, die sich im weitesten Sinne an eine entchristlichte Welt wendet:

„[…] und zwar für sehr viele, die zwar getauft sind, aber gänzlich außerhalb eines christlichen Lebensraumes stehen, dann für einfache Menschen, die zwar einen gewissen Glauben haben, seine Grundlagen aber kaum kennen, ferner für Intellektuelle, die das Bedürfnis spüren, Jesus Christus in einem anderen Licht kennenzulernen als bei der Unterweisung in ihrer Kinderzeit, und schließlich für viele andere.“[44]

Einen besonderen Schwerpunkt legt EN auf Solidarität, Liebe und im Hinblick auf den humanitären Charakter der kirchlichen Sendung „auf die ‚ganzheitlich verstandene Befreiung’ des Menschen von Abhängigkeiten und Unterdrückungen unterschiedlichster Art.“[45]

1.3.2.3. Die Enzyklika ‚Redemptoris missio’

Über 70% aller Katholiken leben in den Ländern der sog. Dritten Welt, „im christlichen Abendland dagegen verdunstet der Glaube und zeigen sich zunehmend entchristlichte Zonen und Milieus“.[46] Während das Konzil bei der Bearbeitung des Missions-Themas hauptsächlich noch Missionsländer außerhalb Europas vor Augen hatte, lenkt Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika ‚Über die fortdauernde Gültigkeit des missionarischen Auftrags’ (‚Redemptoris missio’ / RM) vom 07.12.1990, dem 25. Jahrestag des Dekrets AG, den Blick verstärkt auf das ‚nachchristliche Europa’ und die Neuevangelisierung des Abendlandes.

Die Enzyklika bekräftigt die Aktualität des Dekrets über die Mission der Kirche und möchte „zu einer Erneuerung des missionarischen Eifers einladen.“[47] Der Papst sieht in der Mission den vorrangigen Dienst, den die Kirche der heutigen Menschheit erweisen kann, quasi in Form einer missionarischen Seelsorge, in der der Glaube angeboten bzw. vorgeschlagen wird.[48] Wie AG und EN betont deshalb auch RM die Freiheit der Kulturen und die Achtung vor dem Positiven in allen Religionen[49] und sieht als Grund aller Mission die Sendung Christi selber.[50]

Wie Paul VI. stellt Johannes Paul II. die Notwendigkeit der „Neuevangelisierung“[51] der alten Christenheit fest und umreißt ebenfalls drei Situationen: Völker und Gruppen, in denen der christliche Glaube nicht bekannt ist, Gemeinden, die fest im Glauben verankert sind und schließlich

„gibt es eine Situation dazwischen, vor allem in Ländern mit alter christlicher Tradition, aber manchmal auch in jüngeren Kirchen, wo ganze Gruppen von Getauften den lebendigen Sinn des Glaubens verloren haben oder sich gar nicht mehr als Mitglieder der Kirche erkennen, da sie sich in ihrem Leben von Christus und vom Evangelium entfernt haben. In diesem Fall braucht es eine ‚neue Evangelisierung’ oder eine ‚Wieder-Evangelisierung’.“[52]

Johannes Paul II. unterscheidet das Handeln der Kirche nach diesen drei Situationen und spricht von der spezifischen Mission (Mission ad gentes), die sich an Nichtchristen in nichtchristlicher Umgebung wendet, von der Seelsorge, die sich an gläubige Christen in relativ festen kirchlichen Strukturen wendet und von der ‚Neuevangelisierung’, deren Adressaten Christen ohne oder mit wenig Glauben sind (‚Nicht Praktizierende’). Er macht aber auch zugleich deutlich, dass es bei aller Vorrangstellung der Mission ad gentes eine scharfe Trennung der drei missionarischen Handlungsweisen nicht geben kann.[53] Die Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland (Würzburg 1971 – 1975) hatte in ihrem Dokument ‚Missionarischer Dienst’ vier missionarische Situationen beschrieben: Mission in nichtchristlicher, halbchristlicher, antichristlicher und nachchristlicher Welt, um die unterschiedlichen Handlungsfelder und Umgebungen christlicher Mission zu charakterisieren.[54]

Als ‚Wege der Mission’ führt der Papst das persönliche Zeugnis, die Verkündigung und in deren Zuge die Bekehrung und Taufe, die Bildung von Ortskirchen und Basisgemeinden, Inkulturation und interreligiösen Dialog sowie die Entwicklungshilfe und die Option für die Armen an.[55]

Für die missionarische Dimension des Religionsunterrichts bedeutsam ist, dass auch Johannes Paul II. – neben den Ämtern und institutionellen Strukturen - die Verantwortlichkeit der Laien in der Mission betont, die durch die Taufe im Allgemeinen und als Katecheten im Besonderen zur Missionsarbeit berufen und verpflichtet sind.[56]

1.4. ‚Missionarisch Kirche sein’ in Deutschland

1.4.1. Kurze Bestandsaufnahme

Wenn in den vorhergegangenen Dokumenten von der Entchristlichung des europäischen Kontinents im Allgemeinen die Rede ist, so trifft dies ohne Zweifel auch für Deutschland im Speziellen zu. Eine volkskirchliche Struktur wie noch in den 1960er Jahren ist nicht mehr vorhanden, viele Studien befassen sich derzeit mit der Auflösung und Verschiebung kirchlicher Milieus. „Die konfessionelle Landschaft Deutschlands ist dreigeteilt: katholisch, evangelisch und konfessionslos.“[57] Vor allem in Ostdeutschland, das lange durch ein anti-religiöses, totalitäres System geprägt war, ist die Entchristlichung spürbar, ca. 70% der Bevölkerung der neuen Bundesländer sind konfessionslos. Der Erfurter Theologe Eberhard Tiefensee nennt, in Anlehnung an Erich Loest,[58] den Großteil der Ostdeutschen, aber auch viele Westdeutsche, ‚untheistisch’ oder ‚areligiös’, da sie „keine Position bezüglich der Gottesfrage einnehmen“[59] und sich an Stellung von religiösen Fragen, wie z.B. ob es einen Gott gibt, überhaupt nicht beteiligen. Anders als Atheisten, die sich mit der Problematik zumindest auseinander setzen bzw. gesetzt haben. Da im Osten Deutschlands so gut wie keine religiösen Vorstellungen vorhanden sind, so Tiefensee, ginge es auch nicht darum, falsche Vorstellungen zu zerstören oder einer aggressiv-kirchenfeindlichen Haltung – wie in Westdeutschland – gegenüber zu treten. Ostdeutschland sei von erstaunlicher Neugier und Offenheit und in einer Zurückführung von Christen auf ihre Kernkompetenzen, auf den Kern ihres Glaubens und Lebens.[60]

An dieser Stelle würden eine Definition von Religiosität bzw. Religion und die Diskussion, ob es Menschen ohne Religion überhaupt gibt, zu weit führen. Festzuhalten ist aber: Religiosität bzw. die Sinnsuche und Sehnsucht nach transzendentem Erleben sind nicht auf dem Rückzug, im Gegenteil. Das wachsende Interesse an Spiritualität, Esoterik und religiöser Lebenshilfe deutet, nach dem Mainzer Pastoraltheologen Michael Sievernich, auf eine „Revitalisierung der Religion“[61] hin, die nie wirklich verschwunden war. Der evangelische Theologe Theo Sundermeier bringt dies auf den Punkt:

„Anders als es in modischer Theologie lange Zeit üblich war, für die Zukunft eine religiös neutrale, wenn nicht ‚religionsfreie’ Gesellschaft zu erwarten, ist Religion in mehrfacher Hinsicht das Unausweichliche geworden. Dem müssen wir uns stellen.“[62]

Der religiöse Markt ist pluraler geworden, die Religionsausübung hingegen individueller und dieser Spagat zwischen Individualisierung und Pluralisierung ist charakteristisch für die ‚entfaltete Moderne’. „Der religiöse Bezug wird immer diffuser, weniger auf einen personalen Gott ausgerichtet, weniger kirchlich orientiert.“[63] Religion ist Privatsache und das Angebot an religiösen und spirituellen Antworten, Möglichkeiten und Bausteinen ist unerschöpflich groß. Die katholischen und evangelischen Volkskirchen haben dabei ihre Führungsrolle verloren, sie erscheinen als (mäßig erfolgreiche) Mitbewerber.[64] Die Religion ist in Bewegung und Sievernich sieht die Herausforderung der Kirche darin, den vielen Suchenden entgegen zu gehen.[65]

1.4.2. Mission als Tabu

Mission war und ist in Deutschland oft noch immer ein Tabu, sowohl was die Begrifflichkeit angeht, als auch in Bezug auf konkrete pastorale Konzepte für die deutsche Kirche. Der Begriff Mission stößt bei vielen Zeitgenossen auf Kritik, Vorurteile und Vorwürfe. Zweifellos ist er vorbelastet, einerseits geschichtlich durch die Verstrickungen mit Kolonialismus und Imperialismus, andererseits durch missionarische Verhaltens- und Denkmuster, die durch gegenwärtige Missionstheologien eigentlich aufgehoben sein sollten. Der Hammer Theologe und Soziologe Matthias Sellmann macht dabei eine Ambivalenz aus: wird der Begriff aktiv gebraucht, in dem Sinn, dass jemand eine Mission hat, eine Idee oder ein höheres Ziel auch gegen Hindernisse verfolgt, schwingt dem eine positive, wertschätzende Konnotation mit. Unbehaglich wird der Missionsbegriff erst im passiven Gebrauch, im Sinne von missioniert zu werden, Objekt einer Mission zu sein.

„So sehr man den Helden auf der Straße seiner Mission bewundern mag – ihm zu begegnen, hieße, von ihm überfahren zu werden. Missioniert zu werden erscheint wenig vereinbar mit den Errungenschaften des modernen Individualismus und einer selbstbestimmten Lebensführung.“[66]

Verstärkt wird diese negative Deutung besonders im religiösen Kontext. Religiöse Mission ruft dann die verschiedensten negativ geprägten Bilder hervor: Bekehrung, Intoleranz, Zwangs- und Massentaufe, Zerstörung von Kulturen, Gewalt, Unterdrückung und wirtschaftliche Vorteilnahme.

Aus dieser „kulturellen incorrectness des Missionsbegriffs“[67] folgt nach Sellmann die pastorale Tabuisierung. Mission wird allenfalls als bedeutsam für Afrika oder Asien angesehen, nicht aber für Deutschland. Mit dem Begriff Evangelisierung scheint auf der terminologischen Ebene ein Kompromiss für die – hauptsächlich außerhalb der theologischen Diskussion - umstrittene bzw. missverständliche Vokabel Mission gefunden zu sein. Womit Theologen und Nicht-Theologen sich jedoch weiterhin auseinanderzusetzen haben ist die Abneigung, Evangelisierung in die Tat umzusetzen. Obwohl die Theorie klar zu sein scheint, nämlich eine gesandte, dem Wesen nach missionarische Kirche zu sein und auch angesichts der Realitäten von Entchristlichung und verstärkter individueller Sinnsuche die Notwendigkeit der Evangelisierung in Deutschland anerkannt wird, verharren nicht wenige Christen in der Defensive.[68] Eine missionarische Seelsorge ist in Deutschland anscheinend ein schwer auszuräumendes Tabu.

Etwas positiver sieht das der praktische Theologe Klaus Vellguth, der einen Gegentrend zur Tabuisierung der Mission beobachtet und feststellt, „dass der Begriff zu Beginn des dritten Jahrtausends wieder Konjunktur hat.“[69] Auch Karl Kardinal Lehmann meint im Geleitwort zum Dokument ‚Zeit zur Aussaat’: „Ein Grundwort kirchlichen Lebens kehrt zurück: Mission.“[70]

1.4.3. Das Schreiben der deutschen Bischöfe ‚Zeit zur Aussaat’ (2000)

Im Folgenden soll die Schrift ‚Zeit zur Aussaat. Missionarisch Kirche sein’ vorgestellt werden, die im November 2000 als Wort der deutschen Bischöfe vom Sekretariat der DBK herausgegeben wurde und sich inhaltlich stark an der 25 Jahre älteren Enzyklika ‚Evangelii nuntiandi’ orientiert. Für die deutsche katholische Kirche ist ‚Zeit zur Aussaat’ (ZzA) das zentrale Dokument für Mission in Deutschland. Auch die Würzburger Synode umreißt in ihren Beschlüssen Deutschland als Missionsland. Die Synode stellt einen „Prozeß der Säkularisierung des gesamten Lebens“[71] fest, was wie bereits erwähnt aus heutiger Sicht allerdings vielfach bestritten wird und nennt die Bewusstmachung der missionarischen Aufgabe im eigenen Land eine der dringendsten Erfordernisse der Pastoral. Die Anstöße von ZzA allerdings wurden dann auch von zahlreichen pastoralen Initiativen missionarischer Seelsorge aufgegriffen, ähnlich dem im April 2001 von der EKD herausgegebenen Dokument ‚Das Evangelium unter die Leute bringen’ auf evangelischer Seite. Erwähnenswert ist an dieser Stelle die Initiative der katholischen Bischöfe Frankreichs, die im November 1996 unter dem Titel ‚Den Glauben anbieten in der heutigen Gesellschaft’ einen für die missionarische Neuausrichtung Europas wegweisenden ‚Brief an die Katholiken Frankreichs’ verfasst haben.[72]

Bei den Erklärungen zur Mission in Deutschland wird aus bekannten Gründen immer wieder ein Fokus auf die Situation in Ostdeutschland gerichtet, so auch bei ZzA, wo beispielsweise der Erfurter Bischof Joachim Wanke aus der Sicht eines ostdeutschen Bischofs in einem dem Dokument beigefügten Brief den Missionsauftrag der deutschen Kirche erläutert.

Das Rundschreiben der Bischöfe verwendet vielfach das biblische Bild vom Sämann (Mk 4,3-9) - worauf auch der Titel ‚Zeit zur Aussaat’ anspielt - und macht damit deutlich, dass der Erfolg von Mission letztendlich nicht in der Hand des Menschen liegt. Wie der Sämann zwar den Samen aussät und auf reiche Frucht hofft, ist der Erfolg der Aussaat von vielen Faktoren abhängig, die nicht mehr vom Sämann beeinflusst werden können: von der Beschaffenheit des Bodens, auf den die Saat fällt, von den äußeren Umständen, dem Wetter und vom Segen Gottes. Dieses Bild, auf die Evangelisierung übertragen, ruft zur Gelassenheit und zum Vertrauen im missionarischen Handeln auf, aber auch zu Mut und „demütigem Selbstbewusstsein“[73] für die missionarische Sendung und nicht zuletzt zum Gebet als Quelle aller missionarischen Haltungen.

ZzA spricht im Zusammenhang mit missionarischem Handeln auch von der „Einladung zum Glauben“[74] und von der „Einladung Gottes“.[75] Dabei sind sich die Bischöfe bewusst, dass es bei der Evangelisierung in Deutschland zum einen um Menschen geht, die bereits Christen sind und auf eine neue Weise angesprochen werden müssen und zum anderen aber auch um Menschen, die zum ersten Mal dem christlichen Glauben begegnen. Als Weg der Evangelisierung greifen die deutschen Bischöfe die empfohlenen Schritte aus ‚Evangelii nuntiandi’ auf, nämlich das Zeugnis des Lebens und des Wortes, die Zustimmung des Herzens, den Eintritt in die Glaubensgemeinschaft, die Feier der Sakramente und schließlich die Beteiligung am Apostolat, das bedeutet sich selbst als Gesandte und Weitergeber des Glaubens zu verstehen.

1.4.3.1. Zeugnis des Lebens

ZzA bezeichnet das gelebte Zeugnis als indirekte Verkündigung. Aus der Geschichte der Mission ist bekannt, dass es sich dabei um die ursprünglichste Form christlicher Mission handelt, nämlich das Evangelium im eigenen Verhalten und im Umgang mit anderen sichtbar werden zu lassen und somit andere aufmerksam und neugierig zu machen, auf die Motivation und die Gründe eines überzeugten christlichen Lebens. Die Bischöfe betonen dabei besonders die Nächstenliebe und die Gastfreundschaft. Christliche Lebensprägungen drücken sich, auch dort wo Glaube keine Rolle mehr spielt, verschiedentlich aus, nämlich

„- durch die Art, wie Christen Menschen wahrnehmen und Kontakte zu ihnen pflegen,
- durch entgegenkommende Umgangsformen,
- durch kulturelles und sozialcaritatives Engagement,
- durch die Bereitschaft, das öffentlichen [sic] Leben mitzugestalten,
- durch christliche Gastfreundschaft.“[76]

Diese Formen der Verkündigung geschehen demnach wie von selbst, wenn Menschen aus dem Glauben heraus leben und handeln.

[...]


[1] Antes 1987, 274.

[2] Bosch 1987, 102.

[3] Ebd., 105.

[4] Collet 2006, 503.

[5] GS 42

[6] Rzepkowski 1992, 299.

[7] Ebd., 299.

[8] Ebd., 297.

[9] Ebd., 299.

[10] Ebd., 296.

[11] Ebd., 296.

[12] Brox 2006, 303.

[13] Ebd., 303.

[14] In den Städten und großen Handels- und Kulturzentren gab es durch das vorherrschende Griechisch weitaus

weniger Sprachbarrieren als auf dem Land.

[15] Adolf von Harnach, zitiert nach: Rzepkowski 1992, 300.

[16] Angenendt 2006, 306.

[17] „Schwertmission und Wortmission griffen ineinander.“ (Wolter 1985, 277.)

[18] Die cluniazensische Reform war eine geistliche Reformbewegung des Hochmittelalters, die die Erneuerung

des Mönch- und Papsttums sowie der persönlichen Frömmigkeit im Sinne der benediktinischen Regel beabsichtigte.

[19] Rzepkowski 1992, 342.

[20] Ebd., 301.

[21] Ritenstreit

[22] Gensichen 2006, 308.

[23] Ebd., 309.

[24] Rivinius 2006, 310.

[25] AG 2

[26] „Was aber vom Herrn ein für alle mal verkündet oder in ihm für das Heil des Menschengeschlechts getan

worden ist, muß ausgerufen und ausgesät werden bis ans Ende der Erde […]“ (AG 2)

[27] Rahner / Vorgrimler 1968, 600.

[28] „Da die ganze Kirche missionarisch und das Werk der Evangelisation eine Grundpflicht des Gottesvolkes ist […]“ (AG 35, Vgl. LG 48), „Deshalb mögen alle Kinder der Kirche ein lebendiges Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Welt besitzen, eine wahrhaft katholische Gesinnung in sich hegen und ihre Kräfte für das Werk der Evangelisierung einsetzen.“ (AG 36)

[29] Vgl. AG 10; 11

[30] AG 10

[31] GS 4

[32] GS 58

[33] „[…] die Teilkirche ein getreues Abbild der Gesamtkirche […]“ (AG 20)

[34] Vgl. Rivinius 2006, 310.

[35] AG 13

[36] Vgl. AG 12

[37] Vgl. EN 6ff.

[38] EN 14

[39] „Der Bruch zwischen Evangelium und Kultur ist ohne Zweifel das Drama unserer Zeitepoche, wie es auch das anderer Epochen gewesen ist. Man muß somit alle Anstrengungen machen, um die Kultur, genauer die Kulturen, auf mutige Weise zu evangelisieren. Sie müssen durch die Begegnung mit der Frohbotschaft von innen her erneuert werden.“ (EN 20)

[40] Vgl. EN 36

[41] EN 29

[42] Vgl. EN 51

[43] Vgl. EN 54

[44] EN 52

[45] Rivinius 2006, 311.

[46] Ebd., 310.

[47] RM 2

[48] „[...] wendet sich die Kirche an den Menschen im vollen Respekt vor seiner Freiheit. Die Mission bezwingt die Freiheit nicht, sondern begünstigt sie. Die Kirche schlägt vor, sie drängt nichts auf: Sie respektiert die Menschen und Kulturen, sie macht Halt vor dem Heiligtum des Gewissens. Vor denen, die sich unter den verschiedensten Vorwänden der Missionstätigkeit widersetzen, wiederholt die Kirche: Öffnet Christus die Türen!“ (RM 39)

[49] Vgl. RM 3

[50] Vgl. RM 4-5

[51] RM 32

[52] RM 33

[53] „Andererseits sind die Grenzen zwischen der Seelsorge der Gläubigen, der Neu-Evangelisierung und der ausgesprochen missionarischen Tätigkeit nicht eindeutig bestimmbar und es ist undenkbar, zwischen ihnen Barrieren oder scharfe Trennungen zu machen. Doch darf die Kraft nicht verlorengehen für die Verkündigung und Gründung von neuen Kirchen unter Völkern oder Menschengruppen, wo es sie noch nicht gibt. Denn die erste Aufgabe der Kirche ist ihre Sendung zu allen Völkern und bis an die Grenzen der Erde. Ohne die Mission ad gentes wäre die missionarische Dimension der Kirche selbst ihres ursprünglichen Sinnes und ihrer gezielten Umsetzung beraubt.“ (RM 34)

[54] Vgl. Synodenbeschluss: Missionarischer Dienst 3., in: Bertsch / Boonen 1976, 826-828.

[55] RM 41-60

[56] RM 71-74

[57] John 2004, 46.

[58] „[…] und vom nächsten Tag an war er Atheist. Besser: Er war Untheist. Gott existierte für ihn nicht mehr, kein Glaube gab ihm Kraft; Religion oder Nichtreligion wurden ihm nie wieder zum Problem.“ (Aus der Autobiografie von Erich Loest, zitiert nach: Tiefensee 2006, 18-19)

[59] Tiefensee 2006, 20.

[60] Vgl. ebd., 28.

[61] Sievernich 2006, 285.

[62] Sundermeier 2006, 42.

[63] Sievernich 2006, 284.

[64] „Es kann also kein Zweifel darin bestehen, dass der Katholizismus auf allen Erdteilen außer Europa eine enorm wachsende Größe darstellt, während er in Europa, nicht zuletzt aufgrund der demographischen Entwicklung, langsam, aber sicher quantitativ abnimmt. In Deutschland ist der Saldo der Zugänge (Taufen, Übertritte, Wiedereintritte) und Abgänge (Todesfälle, Austritte) schon seit den 70er Jahren negativ.“ (Sievernich 2006, 282.)

Bemerkenswert ist allerdings, dass das kirchliche Leben, was das weiterhin hohe Verlangen nach den Sakramenten zu Lebenswenden (Taufe, Erstkommunion, Ehe) angeht, äußerlich geordnet ist und auch die Kultur und Werte größtenteils christlich geprägt sind.

[65] Vgl. Sievernich 2006, 286.

[66] Sellmann 2004, 10.

[67] Ebd., 10.

[68] Vgl. Sievernich 2006, 286.

[69] Vellguth 2002, 7.

[70] ZzA, 5.

[71] Synodenbeschluss: Missionarischer Dienst 3., in: Bertsch / Boonen 1976, 828.

[72] Der Brief wurde in deutscher Übersetzung 2000 vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz in der Reihe Stimmen der Weltkirche (37) herausgegeben.

[73] ZzA, 13.

[74] ZzA, 24.

[75] ZzA, 24.

[76] ZzA, 17.

Ende der Leseprobe aus 88 Seiten

Details

Titel
Die missionarische Dimension des katholischen Religionsunterrichts in Deutschland
Hochschule
Fachhochschule Bonn-Rhein-Sieg
Note
1,5
Autor
Jahr
2007
Seiten
88
Katalognummer
V82102
ISBN (eBook)
9783638847759
ISBN (Buch)
9783638845922
Dateigröße
852 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Dimension, Religionsunterrichts, Deutschland
Arbeit zitieren
David Hassenforder (Autor:in), 2007, Die missionarische Dimension des katholischen Religionsunterrichts in Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82102

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