Zwischen Anpassung und Widerstand. Die Ethik des Naturwissenschaftlers unter politischem Druck bei Brecht und Kipphardt

„Leben des Galilei“ und „In der Sache J. Robert Oppenheimer“


Seminararbeit, 2006

18 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Verhältnis von Naturwissenschaft und Politik im Italien zu Zeiten Galileis und in den USA zu Zeiten Oppenheimers

3. Die moralische Entwicklung von Brechts Galilei und Kipphardts Oppenheimer
3.1. Galilei
3.2. Oppenheimer

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Ich glaube, solange uns die Sorgfalt bei der Prüfung der Rückwirkungen unserer Erfindungen auf das menschliche Leben nicht ebenso selbstverständlich ist wie die Sorgfalt beim Experimentieren, sind wir zum Leben im technischen Zeitalter nicht reif.1

Dieses Zitat Carl Friedrich von Weizsäckers könnte als die den Stücken „Leben des Galilei“ von Bertolt Brecht und „In der Sache J. Robert Oppenheimer“ von Heinar Kipphardt2 gemeinsame Mo­ral angesehen werden. In beiden Stücken spielt die Ethik des Naturwissenschaftlers eine große Rolle, wobei sowohl die Figur des Galilei als auch die des Oppenheimer innerhalb des Stücks eine durch politischen Druck beeinflusste Entwicklung ihrer ethischen Ansichten und Handlungsweisen zeigen. Die beiden Figuren stehen in einem Spannungsverhältnis zwischen Anpassung und Widerstand. In dieser Arbeit soll gezeigt werden, wie und warum sich die Ethik der Wissenschaftler unter politischem Druck entwickelt und inwieweit das durch diesen Druck beeinflusste Verhalten Galileis und Oppenheimers in den beiden Stücken übereinstimmt oder Unterschiede aufweist. Dabei soll zunächst auf die historischen und politischen Umstände, die eine solche Entwicklung bedingen, eingegangen werden.

2. Das Verhältnis von Naturwissenschaft und Politik im Italien zu Zeiten Galileis und in den USA zu Zeiten Oppenheimers

Da die Politik alle Lebensbereiche durchdringt, beeinflusst sie auch immer wieder die Wissenschaft. Besonders deutlich wird das in einer Gesellschaft mit autoritären Tendenzen3, in denen Wissenschaftler und deren Erkenntnisse eine starke politische Vereinnahmung erfahren und oft zur Machterhaltung missbraucht oder wegen dieser unterdrückt werden. Sowohl in „Leben des Galilei“ als auch in „In der Sache J. Robert Oppenheimer“ werden solche autoritäre Tendenzen aufgezeigt.

Galileis Italien war in viele Staaten zerfallen.4 Durch die fehlende staatliche Einheit gab es in­nerhalb des Gebietes, das das heutige Italien ausmacht, verschiedene Staatsformen. Für Galilei rele­vant sind die Freie Republik Venedig mit der Universitätsstadt Padua, das Großherzogtum Toskana mit Florenz und der Universitätsstadt Pisa sowie der römische Kirchenstaat. Galilei ist zu Anfang des Stückes von Brecht „Lehrer der Mathematik zu Padua“5. Das bedeutet, dass er in einer Republik lebt, die zwar aristokratisch regiert wird, aber „die Freiheit der Forschung garantiert“6, dies allerdings nur, solange die durch wissenschaftliche Forschung gewonnenen Erkenntnisse ihren der Republik zugute kommenden praktischen Nutzen haben.7 Die Jesuiten, die damals in der Kirchenpolitik eine wichtige Rolle spielten8, waren 1606 aufgrund eines starken Spannungsverhältnisses aus der Republik Venedig vertrieben worden.

Das Großherzogtum Toskana, in das Galilei aufgrund finanzieller Vorteile geht, wird regiert durch die Kaufmannsfamilie der Medici und zeichnet sich durch eine starke Abhängigkeit von Rom und damit auch von der Inquisition aus.9

Im römischen Kirchenstaat, wo der Papst sowohl geistlicher als auch weltlicher Herrscher ist, hat die erst 1542 gegründete römische Inquisition ihren Sitz. Sie ist für die „Reinhaltung der Glaubens- und Sittenlehre“ sowie für die Bücherzensur verantwortlich.10 Galilei ist im Stück zweimal in Rom, um seine Lehre zu verteidigen.11 Im Jahr 1600 war Giordano Bruno als Verfechter der koper­nikanischen Lehre auf Befehl der römischen Inquisition verbrannt worden. Schon vorher hatte Kopernikus gezögert, sein Werk „De revolutionibus orbium coelestium libri VI“, das das neue Weltbild enthielt, zu publizieren. Es wurde 1543 erst nach seinem Tod veröffentlicht, zusätzlich mit einem von einem Nürnberger Mathematiker gefälschten Vorwort, das die Lehre als hypothetisch darstellte und somit ihrer Schärfe beraubte. Fleckenstein ist der Meinung, dass Galilei nicht hätte widerrufen müssen, wenn er sich nur wie ein Jesuit verhalten, d.h. nach der Maxime „omnia ad ma­jorem gloriam Dei“ seine neuen Entdeckungen ebenfalls nur als hypothetisch propagiert hätte, sodass sie die damalige Weltsicht nicht beeinträchtigt hätten.12 Einen überzeugten Koper­nikaner konnte die Kirche jedoch nicht akzeptieren, „da der Nachweis eines einzigen Fehlers bei Aristoteles [und somit also auch eines Fehlers im ptolemäischen Weltbild] auch das gesamte christ­liche Gedankengebäude ins Wanken bringen“13 konnte. Die Kirche hatte das wenig veränderliche Gedankengebäude des Aristoteles übernommen und in ihre christliche Lehre integriert. Bei einer Änderung der Weltsicht musste sie mit einem Verlust ihrer Macht rechnen, was laut Lucke umso schlimmer war, da in die Zeit Galileis beispielsweise der Dreißigjährige Krieg ragt und die katho­lische Kirche noch aufgrund der Reformation geschwächt war.14 Um einer weiteren Schwächung zu entgehen, stützte sich die Kirche oft (z.B. im Großherzogtum Toskana) auf die weltlichen Herrscher, wie Ludovico im Stück einer ist. Umgekehrt wurde die Herrschaft der Aristokraten dadurch aufrechterhalten, dass die Kirche eine Weltsicht propagierte, die dieses Herrschaftssystem stützte und mit einem Sinn versah.

Galilei konnte seine Forschungen noch mit relativ einfachen und damit kostengünstigen Mitteln be­treiben.15 Das ist im 20. Jahrhundert anders, Wissenschaftler sind oft auf staatliche Zuschüsse angewiesen und die Regierung der USA ist zu Oppenheimers Zeiten, „[a]ls sich nun herausstellte, daß Wissenschaft und Technik kriegsentscheidende Bedeutung zukam“, gern zu solchen Zuschüssen bereit.16 Wie Rémy Charbon weiter schreibt, hatten dabei in den USA die meisten Wissenschaftler [...] keinerlei Bedenken, das großzügige Anerbieten anzunehmen. In jenen Tagen ver­stärkter Kriegsgefahr, als die Sicherheit der demokratischen Staaten aufs äußerste gefährdet war, schienen wissen­schaftliche Bedürfnisse und moralische Forderungen sich zu decken. [...] Kaum einer der vielen tausend Ge­lehrten, die schließlich an militärischen Projekten arbeiteten oder indirekt von der neuerschlossenen Geldquelle profitierten, machte sich Gedanken über die Konsequenzen dieser staatlichen Intervention.17

Auch Oppenheimer war einer dieser Wissenschaftler, die erst mit der Anwendung ihrer For­schungen – also dem Abwurf der Atombombe auf Hiroshima – begannen, sich Gedanken über ihre Zusammenarbeit mit dem Staat zu machen. Dann jedoch verweigerte er die direkte Mitarbeit an der H-Bombe, was schließlich dazu führte, dass er sich 1954 vor einem Untersuchungsausschuss verant­worten musste. Es wurde bezweifelt, dass man ihm noch die Sicherheitsgarantie erteilen konnte. Dieser Zweifel hängt mit einer regelrechten Kommunistenparanoia – ausgelöst durch das Wettrüsten mit der Sowjetunion im Kalten Krieg18 – in den USA der 50er Jahre zusammen. Durch diesen Antikommunismus wurden die „Freiheit der Wissenschaftler, die Ansprüche, die sie an ihre Auftraggeber stellen durften, ihre persönliche Bewegungsfreiheit und die Freiheit der Kommunikation wurden weiter eingeschränkt.“19 Eine bestimmte politische Gruppe bzw. Individuen, denen man Verbindungen zum Kommunismus nachsagte, wurden zum Sündenbock für das Versagen des Staates im Bereich der Rüstungsfor­schung gemacht. Letztendlich ging es so auch im Oppenheimer-Hearing hauptsächlich um dessen kommunistische Bekanntschaften und Neigungen.20 Die Sicherheitsgarantie wurde dem „Vater der Atombombe“ nicht mehr erteilt.21 Grund dafür waren neben der Verweigerung zur Mitarbeit an der H-Bombe der angebliche Kommunismus Oppenheimers, obwohl dessen „Ansichten [...] den zuständigen Stellen [schon] bekannt [gewesen waren], als er 1942 aufgefordert wurde, die [...] Bemühungen zur Herstellung einer Atombombe zu koordinieren [...]“22, was damals die Erteilung der Sicherheitsga­rantie nicht verhindern konnte.

Sowohl Galileis als auch Oppenheimers Forschen hatte also einen prekären historischen Hin­tergrund. Galilei lebte in einem Staat mit totalitären Zügen und Oppenheimer in der hysterischen Gesellschaft der McCarthy-Ära. Konsequenz davon ist, dass der so auf die Wissenschaftler ausgeübte politische Druck deren Forschungen und Handlungen beeinflusst.

3. Die moralische Entwicklung von Brechts Galilei und Kipphardts Oppenheimer

3.1. Galilei

Die Figur des Galilei macht in Brechts Stück eine starke Entwicklung durch. Anfangs scheint der Wissenschaftler noch willens zu sein, für die Durchsetzung der kopernikanischen Lehre und des heliozentrischen Weltbildes zu kämpfen. Später aber unterwirft er sich immer mehr den Forderungen der von der Kirche verkörperten weltlichen Obrigkeit23, bis das Drama schließlich in der 13. Szene mit dem Widerruf Galileis seinen Höhepunkt findet. In der 14. Szene jedoch wird der negativen Entwicklung des Wissenschaftlers teilweise die Schärfe genommen, indem er seinen Feh­ler in einer Selbstanalyse zugibt und kritisiert.

Die erste Szene beginnt mit Galilei, der sich wäscht und gleichzeitig mit Andrea Sarti, dem Sohn seiner Haushälterin, wissenschaftliche Gespräche führt24. Schon hier sind Körperlichkeit und Den­ken eng miteinander verbunden. Beides ist in Galileis Charakter vereint, was auch Brecht in einer Notiz betont:

Galilei ist natürlich kein Falstaff: als überzeugter Materialist besteht er auf physischen Freuden. Bei der Arbeit würde er zwar nicht trinken; wichtig ist, daß er auf sinnliche Weise arbeitet. Es bereitet ihm Genuß, seine Instru­mente mit Eleganz zu handhaben. Ein großer Teil seiner Sinnlichkeit ist geistiger Natur.25

Auch die Experimente26, die Galilei mit Andrea macht, um ihn von den Ideen des Kopernikus zu überzeugen, sind geprägt von Sinnlichkeit.

[...]


1Weizsäcker (1978), S. 15.

2Für diese Arbeit werden die Berliner Fassung von Brechts „Leben des Galilei“ (1955/56) und die 2., überarbeitete Fassung von Kipphardts „In der Sache J. Robert Oppenheimer“ (1977) verwendet.

3Auch in einer Demokratie wie der in den USA kann es autoritäre Tendenzen geben. Vgl. hierzu Charbon (1974), S. 214-216 sowie S. 218-219 (über die Figuren Pash und Robb in Kipphardts Stück).

4Vgl. zu diesen und den folgenden Ausführungen zu den historischen Hintergründen in „Leben des Galilei“ den Auf­satz von Hans Lucke (1968), S. 67-71.

5Brecht (1963), S. 7.

6Brecht (1963), S. 17.

7Galilei kritisiert im Stück diesen marktwirtschaftlichen Umgang mit der Wissenschaft: „Und was nützt freie For­schung ohne freie Zeit zu forschen?“, fragt er den Kurator. Vgl. Brecht (1963), S. 18.

8Vgl. Fleckenstein (1965), S. 34-53. Fleckenstein erwähnt z.B., dass einige Mitglieder der Inquisition, so z.B. der im Stück eine wichtige Rolle spielende Kardinal Bellarmin, Jesuiten waren (S. 41).

9Galileis Freund Sagredo will den Physiker in Brechts Stück davon abhalten, nach Florenz zu gehen, da „die Mönche dort herrschen“ und er Galilei schon „auf brennenden Scheiten stehen“ sieht. Vgl. Brecht (1963), S. 38-39.

10Lucke (1968), S. 68.

11Dargestellt in der 6. bis 8. Szene des Stückes.

12Fleckenstein (1965), S. 34 und S. 42. „Es sei deshalb nötig, von der Erdbewegung nur als Voraussetzung „e supposi­tione“ zu sprechen, womit er [Kardinal Bellarmin] Galilei einen wohlgemeinten Rat gab.“ (S. 42).

13Lucke (1968), S. 69.

14Lucke (1968), S. 69 und 71.

15Zum Wandel der finanziellen Bedingungen von wissenschaftlicher Forschung vgl. Charbon (1974), S. 38-39.

16Charbon (1974), S. 39.

17Charbon (1974), S. 39.

18Vgl. Charbon (1974), S. 196-197. Charbon betont die Bedeutung der Entwicklung der ersten H-Bombe durch die Sowjetunion, wodurch in den USA Hysterie entstand.

19Charbon (1974), S. 143. Charbon erwähnt die damalige Parole „Sprich nicht, schreib nicht, rühr dich nicht!“.

20Vgl. Charbon (1974), S. 194.

21Vgl. Charbon (1974), S. 193.

22Charbon (1974), S. 194.

23Vgl. dazu eine Anmerkung Brechts: „Die Kirche ist in diesem Stück aber vornehmlich als weltliche Obrigkeit be­handelt. Die spezifische kirchliche Ideologie ist von der Seite aus gesehen, wo sie als eine Stütze praktischer Herr­schaft erscheint.“ Zitat aus: Hecht (1981), S.71.

24Andrea bringt außerdem Galilei dessen Milch. Zur Bedeutung von Nahrungsmitteln für Galilei siehe Knust (1973), S. 239-241.

25Hecht (1981), S. 61. Vgl. Knopf (1980), S. 175.

26Gemeint sind das Stuhl- und das Apfel-Experiment. Vgl. Brecht (1963), S. 11 und S. 13-14.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Zwischen Anpassung und Widerstand. Die Ethik des Naturwissenschaftlers unter politischem Druck bei Brecht und Kipphardt
Untertitel
„Leben des Galilei“ und „In der Sache J. Robert Oppenheimer“
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
18
Katalognummer
V81985
ISBN (eBook)
9783638885584
ISBN (Buch)
9783656755401
Dateigröße
539 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Zwischen, Anpassung, Widerstand, Ethik, Naturwissenschaftlers, Druck, Bertolt, Brechts, Galilei“, Heinar, Kipphardts, Sache, Robert, Oppenheimer“
Arbeit zitieren
Katja Stöckigt (Autor:in), 2006, Zwischen Anpassung und Widerstand. Die Ethik des Naturwissenschaftlers unter politischem Druck bei Brecht und Kipphardt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/81985

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