Wille und Philosophie in Azoríns Roman 'La voluntad'


Hausarbeit, 2007

21 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Einleitung
2.1. Politische und wirtschaftliche Situation Spaniens zu Ende des 19. Jahrhunderts
2.2. Azorín und die Generación del ’98
2.3. Thematik und Synthese des Romans La Voluntad
2.4. Verschiedene philosophische Konzepte in La Voluntad
2.5. Azorín und Schopenhauer
2.6. Philosophiekritik

III. Schlussbemerkung

Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Begriff des Willens und philosophischen Konzepten in dem 1902 erschienenen Roman La Voluntad von José Augusto Trinidad Martínez Ruiz, auch bekannt unter dem Pseudonym Azorín. Im ersten Teil meiner Arbeit möchte ich auf die wirtschaftliche und politische Situation Spaniens zu Ende des 19. Jahrhunderts eingehen. Es werden kurz innen- und außenpolitische Zusammenhänge dargestellt und danach auf die literarische Generación del ’98 eingegangen, zu der Azorín gezählt wird. Es folgt eine Synthese des Romans La Voluntad und die Darstellung der wichtigsten im Roman vorkommenden Themenpunkte. Zunächst wird auf die Rolle der Natur und Landschaft, die einzelnen im Roman vorkommenden Figuren sowie die Rolle von Zeit und Geschichte eingegangen. Ein kleiner landeskundlicher Exkurs zur comarca de Yecla rundet diesen Teil ab. Danach werden die wichtigsten philosophischen Konzepte und Ansatzpunkte unter die Lupe genommen und zum Romangeschehen und zur zeitgenössischen Situation in Bezug gesetzt.

Es wird dabei vor allem auf die deutschen Philosophen Schopenhauer, Kant und Nietzsche, aber auch auf den irischen Empiristen George Berkeley oder den französischen Moralisten Blaise Pascal eingegangen.

Ziel der Arbeit soll es sein, die im Roman geschilderten Zustände auf dem Lande und in der Stadt, die Seelenzustände der dort lebenden Menschen sowie philosophische Konzepte im Kontext der Generación del ’98 darzustellen und zu diskutieren.

Zentraler Gegenstand der Untersuchung in allen Themenbereichen ist die Rolle und Beschreibung des Willens des Einzelnen und des Allgemeinwillens.

II. Einleitung

2.1. Politische und wirtschaftliche Situation Spaniens zu Ende des 19. Jahrhunderts

Außenpolitisch stand das ehemals große Spanien so schwach wie nie zuvor da.

Mit dem Kubanischen Unabhängigkeitskrieg in den Jahren 1868-1878 gingen die letzten großen Kolonien Kuba, die Philippinen und Puerto Rico verloren.1

Innenpolitisch fand die borbonische Restauration nach der Revolution 1868 statt. Nach dem Tod Ferdinand des Siebten im Jahre 1833 kam es zum Krieg zwischen den Carlisten, die sich für den Bruder Ferdinands Karl aussprachen, und den liberalen Anhängern der Tochter Ferdinands Isabella. Der erste carlistische Krieg dauerte bis 1839, es war auch ein Krieg absolutistischer Ideen gegen die Vorstellung Spanien in eine konstitutionelle Monarchie verwandeln zu können (vgl. Kinne/ Torrent Lenzen 2005: 67). Mit dem Estatuto Real im Jahre 1834 setzte die damalige Regentin und Mutter Isabellas Maria Christina von Bourbon die konstitutionelle Monarchie als Regierungsform ein.

Im Jahre 1840 musste Maria Christina nach einem von General Espartero durchgeführten Staatsstreich ins Exil flüchten. Espartero übernahm die Macht, wurde aber 1843 seinerseits wieder von der inzwischen mündigen Isabella und deren Anhänger abgesetzt. 1845 wurde von Isabella eine Verfassung verkündet. 1847 bis 1849 folgte der zweite Carlistenkrieg, bei dem Isabella als Siegerin hervorging. Eine Reihe von Aufständen der progresistas und moderados 3 mündete in der Revolution von 1868. Isabella wurde entmachtet und floh ins Exil, während General Serrano die Macht übernahm (vgl. Kinne/ Torrent-Lenzen 2005:68).

Es wurde durch die Cortes 1869 erneut eine Verfassung deklariert, die zu einer konstitutionellen Monarchie unter Amadeus von Savoyen führte. Er dankte 1873 ab, da er die Ordnung im Lande nicht wiederherstellen konnte und im Jahre 1872 der dritte Carlistenkrieg ausbrach. Es wurde die Erste Republik ausgerufen, die nach nur elf Monaten von der Monarchie und dem neuen König Alfons dem XII. aus dem Haus der Bourbonen ersetzt wurde. Im Jahre 1876 wurde der dritte Carlistenkrieg schließlich beendet und es folgte eine Zeitspanne relativer Stabilität, die sogenannte Restauración3, die spätestens mit der Ermordung des konservativen Führers Cánovas el Castillo im Jahre 1897, dem Tod des liberalen Sagasta 1902 und dem Beginn des Unabhängigkeitskrieges auf Kuba 1896 beendet wurde (vgl. Kinne/ Torrent-Lenzen 2005: 69). Ökonomisch stellte das letzte Viertel des 19. Jahrhunderts einen Kontrast zur wirtschaftlichen Situation der vorangehenden Jahrzehnte dar, da vor allem im Baskenland und in Katalonien ein gehöriger Industrialisierungsschub stattfand, der die regionalen Strukturen veränderte (vgl. Bernecker 1990: 181). Die Landwirtschaft wurde agrarkapitalistisch betrieben, der Eisenbahnbau und die Textilindustrie boomten und auch der Bergbau erfuhr nach 1868 ein beachtliches Wachstum. Nichtsdestotrotz blieb die Landwirtschaft der bestimmende Faktor Viele Kleinbesitzer erreichten wegen der ungerechten Landverteilung (Großgrundbesitzer: 33,29 % der Fläche, Kleinbetriebe: 35,72 %) jedoch nur ein Existenzminimum.

Die Anbaumethoden und –produkte blieben die gleichen: Weizen, Wein und Öl. Viele Spanier mussten auswandern um der Misere zu entfliehen (vgl. Bernecker 1990:185). Der Norden des Landes erreichte durch Kohlebergbau und Metallindustrie den größten industriellen Fortschritt und Reichtum in Spanien, während der landwirtschaftlicher geprägte Süden bis heute wirtschaftlich schwach bleibt.

Diese wirtschaftlich-industriellen sowie politisch- historische Entwicklungen begünstigten die immer stärkere Zunahme regionalistischer Tendenzen.

2.2. Azorín und die Generación del ’98

Nach den Verlusten der Kolonien und den innenpolitischen Geplänkeln befand sich Spanien in einem kollektiven traumatischen Zustand. Die schmähliche Niederlage in der kriegerischen Auseinandersetzung mit den Vereinigten Staaten reduzierte das spanische Selbstbewusstsein auf ein Minimum. In der Literatur und der Kunst wurde versucht, sich auf spanische Stärken zu konzentrieren, einen spanischen Geist heraufzubeschwören und eine Quelle der Inspiration zu finden. Verschiedenste Autoren wie Maeztu, Unamuno, Baroja, Gánivet, versuchten die Situation und die vorherrschenden Probleme der spanischen Halbinsel zu analysieren und Lösungsmöglichkeiten vorzustellen. Es wurden dabei nicht nur politische und philosophische Konzepte diskutiert, sondern es wurde eine bewusste Rückbesinnung auf spanische Werte und Eigenheiten versucht. Alle Autoren dieser Zeit des Umbruches und der Neubesinnung, die sich kritisch mit Spanien, seiner Zukunft und Vergangenheit auseinander setzten, werden zur Generación del ’98 gezählt.4

Die meisten der genannten Autoren reisten durch Spanien, beschrieben das Land, verlassene und stille Dörfer, die Städte und Monumente, Menschen, Schicksale, Bräuche und Ähnliches um die Geschichte Spaniens literarisch aufzuarbeiten und sich klar zu werden, was Spanien überhaupt ist und ausmacht.5

Auch der Autor José Martinez Ruiz alias Azorín schrieb viele Artikel und Chroniken sowie einige Romane und auch wenig erfolgreiche Theaterstücke zu den Problemen seiner Zeit. Seine Romane lassen vier Tendenzen erkennen. Zum einen sind es Romane, die autobiographische und landschaftliche Elemente enthalten wie La Voluntad (1902) oder Antonio Azorín (1903). Dazu kommen Romane, in denen der Autor seine Ängste und Beunruhigungen und philosophische Fragen wie Schicksal, Zeit und Fatalität in die Protagonisten seiner Romane projiziert wie in Doña Iñes (1925) oder Don Juan (1922). Es folgten durch die Avantgarde und den österreichisch-deutschen Dichter Rainer Maria Rilke inspirierte Romane, die von persönlichen und kosmologischen Dramen gekennzeichnet sind. Die wichtigsten Romane Azorins aus dieser Zeit sind Félix Vargas (1928), Superrealismo (1929) y Pueblo (1939). Schließlich schrieb er nach dem spanischen Bürgerkrieg narrative Romane wie El escritor (1941), María Fontán (1943) y La isla sin aurora (1944). (vgl. Fox 1973: 61)

2.3. Thematik und Synthese des Romans La Voluntad

La Voluntad ist im Jahre 1902 neben Camino de perfección von Baroja, Sonata de otoño von Valle-Inclán und Amor y pedagogía von Unamuno ein neuer Romantypus, bei dem mit alteinhergebrachten narrativen Mitteln des Realismus gebrochen wird und neue Ausdrucksformen verwendet werden (vgl. Fox 1972: 27). Der egoistische und enttäuschte Protagonist, den alle vier genannten Romane gemeinsam haben, ist das Symbol der intellektuellen, politischen und wirtschaftlichen Krise zu Ende des 19.Jahrhunderts (vgl. Fox

1972: 27). Die Hauptperson des Romans La Voluntad ist Antonio Azorín.6

[...]


1 Die militärische Intervention der Vereinigten Staaten von Amerika aus wirtschaftlichen, strategischen und angeblich humanitären Gründen auf Kuba nach dem immer noch ungeklärten Untergang des Kriegsschiffes Maine am 15. Februar 1898 zog nach kurzem Krieg auf Kuba für Spanien den Verlust der Philippinen und Puerto Rico nach sich, der im Pariser Vertrag vom 10. Dezember 1898 konkretisiert wurde. Die Amerikaner besetzten diese beiden Kolonien und sind mit Puerto Rico bis heute verbunden. Puerto Rico ist Teil der Vereinigten Staaten, aber kein Bundesstaat. Die Insel besitzt den Status Dominion (vgl. Palacio Atard 1981: 553-569).

2 Die moderados wurden vor allem von oligarchischen Großgrundbesitzern, der industriellen Bourgeoisie und der gemäßigten Mittelklasse unterstützt. Sie vertraten die Meinung, dass nur diejenigen, die privaten Besitz hatten, das Recht besäßen an die Macht zu gelangen. Sie etablierten deshalb ein beschränktes Wahlrecht, das die unteren Klassen von den Wahlen ausschloss. Die progresistas vertraten die Interessen der unteren Klassen und kämpften für weitreichendere soziale und politische Reformen. Die progresistas initiierten deshalb im 1868 den Staatstreich, die Revolución de Septiembre, und stürzten Isabella (vgl. Kinne/ Torrent-Lenzen 2005: 69).

3 Joaquín Costa, einer der Vorläufer der Generación del ’98, nannte das System der Restauration eine „unheimliche Orgie von Oligarchie und Kazikentum.” In seinem Werk Oligarquía y caciquismo. Colectivismo agrario y otros escritos aus dem Jahre 1898 verurteilt er die caciques, lokale oder regionale Bosse, Bürgermeister, Pfarrer Hofverwalter oder Grundbesitzer „deren Macht auf einem Netz vielfältiger Anhängigkeitsverhältnisse beruhte, das wiederum durch Klientelbildung und politischer Patronage zusammengehalten wurde. Der Kazike übernahm es die Unwissenheit und Armut, den Analphabetismus und die politische Apathie der Wähler auszunutzen und zugunsten einer der beiden dynastischen Parteien auszunutzen. Die Oligarchie setzte sich aus teils adligen, teils großbürgerlichen Agrareigentümern zusammen, die mit den übrigen Wirtschaftssektoren (Banken- und Kreditwesen, Eisenbahnen, Kolonialhandel, Werftindustrie) eng verwandt oder verschwägert waren (vgl. Bernecker 1990: S.178).”

4 Der Begriff Generation in einem literarischen Sinne wurde vom deutschen Kritiker Julius Petersen 1930 analysiert. Seiner Meinung nach können verschiedene Autoren zu einer Generation zusammengefasst werden, wenn bestimmte Prämissen erfüllt sind. Zum einen müssen die Autoren Zeitgenossen sein: Miguel de Unamuno (1864-1936), Ángel Ganivet (1865-1898), Pío Baroja (1872-1956), José Martínez Ruiz „Azorín” (1873-1967), Ramiro de Maeztu (1874-1936), Antonio Machado (1875-1939) und Ramón del Valle-Inclán (1866-1936). Sie müssen eine ähnliche intellektuelle Bildung und Prägung erfahren haben, im Falle der Generación del ’98 wäre dies der Liberalismus. Es muss zudem ein Ereignis geben, dass die Autoren in gleicher Weise erlebt haben und zusammenschweißt. Dieses Ereignis ist das desastre del año 1898 mit dem Verlust der Kolonien. Sie müssen sich in ihrem Stil gleichen und von den vorangegangen literarischen Bewegungen absetzen. Der Stil der Autoren der Generación del ’98 ist überwiegend klar, sachlich und es werden einfache Sätze im Vergleich zu der ansonsten vorherrschenden geschwollenen Prosa zu Ende des Jahrhunderts verwendet (vgl. Petersen 1930: 28-42). Die Bezeichnung Generación del ’98 wurde von Azorín im 1910 veröffentlichten Artikel „Zwei Generationen” im ABC vorbereitet. Als wesentliches Merkmal dieser Gruppe sah Azorín ihre Öffnung für Ideen aus dem Ausland an. Beispielsweise von Nietzsche, Ibsen, Tolstoi, Kant und anderen (vgl. Franzbach 1988: 5-7).

5 Hinzuweisen wäre, dass es sich beim Thema Geschichte nicht um große Schlachten oder Persönlichkeiten handelte, sondern um die Geschichte der kleinen Leute und die Geschichte ihres täglichen monotonen Lebens in der Provinz. Unamuno spricht in diesem Zusammenhang von den „millones de personas sin historia” und der „intrahistoria” des Landes und seiner Menschen in seinem Roman Paz en la Guerra (vgl. Gutiérrez 1986: 270).

6 Dass es sich hierbei um einen autobiographischen Bezug zum Autor Juan Martinez de la Ruiz handelt, wird nicht nur durch die Annahme des Namens als Pseudonym und die Identifikation mit der Romanfigur deutlich, sondern es gibt weitere zahlreiche Parallelen zum Leben des Autors. Im kurz danach erschienen Roman Antonio Azorín (1903) spielt der gleichnamige Protagonist die Hauptrolle. Yecla war zudem die Heimatstadt seines Vaters und der Autor verbrachte einen Teil seiner Jugend in der comarca de Yecla. Weitere Hinweise finden sich in zahlreichen im Roman eingeschobenen Briefen, Artikeln und Episoden aus dem Leben des Autors.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Wille und Philosophie in Azoríns Roman 'La voluntad'
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Note
1,7
Autor
Jahr
2007
Seiten
21
Katalognummer
V81867
ISBN (eBook)
9783638884082
ISBN (Buch)
9783638892469
Dateigröße
477 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wille, Philosophie, Azoríns, Roman
Arbeit zitieren
Sebastian Braun (Autor:in), 2007, Wille und Philosophie in Azoríns Roman 'La voluntad', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/81867

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