Adipositas im Kindesalter. Ursachen, Folgen und Möglichkeiten der Therapie


Examensarbeit, 2007

79 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Epidemiologie
1.1 Definition von Adipositas im Kindesalter
1.2 Verbreitung der Adipositas

2 Methoden zur Bestimmung von Adipositas
2.1 Der Body Mass Index
2.1.1 Definition
2.1.2 Klassifikation
2.2 Weitere Methoden
2.2.1 Der Broca Index
2.2.2 Calipometrie
2.2.3 Bioelektronische Impendanzanalyse
2.2.4 Waist to hip ratio

3 Der Energiestoffwechsel
3.1 Die Energiebilanz
3.2 Der Grundumsatz
3.3 Die Aktivitätsinduzierte Thermogenese
3.4 Die Diätinduzierte Thermogenese

4 Ätiologie von Adipositas
4.1 Multifaktorielle Entstehung der Adipositas
4.2 Genetische Faktoren
4.2.1 Vererbung: Dicke Eltern = Dicke Kinder?
4.2.2 Molekulargenetische Faktoren
4.2.3 Genetische Syndrome
4.3 Krankheiten mit Adipositas
4.3.1 Hypothyreose
4.3.2 Morbus Cushing
4.3.3 Hypothalamischer Symptomenkomplex
4.3.4 Weitere Krankheiten
4.4 Ernährung und Ernährungsverhalten
4.4.1 Die Regulation der Nahrungsaufnahme
4.4.2 Die Zusammensetzung der Nahrung
4.4.3 Das Ernährungsverhalten von Kindern
4.4.4 Einflussfaktoren auf das Ernährungs- und Essverhalten
4.4.5 Die Set-Point-Hypothese
4.5 Bewegung und Bewegungsverhalten
4.5.1 Bewegung und körperliche Aktivität
4.5.2 Das Bewegungsverhalten von Kindern
4.5.3 Einflussfaktoren auf das Bewegungsverhalten
4.6 Kritische Lebensphasen

5 Psychosoziale Faktoren als Ursache und Konsequenz von Adipositas im Kindesalter
5.1 Psychische Erkrankungen
5.2 Psychosoziale Auslöser und Folgen

6 Medizinische Konsequenzen von Adipositas im Kindesalter
6.1 Die Entstehung von Folgekrankheiten durch Adipositas
6.2 Diabetes-mellitus-Typ-2
6.3 Hypertonie
6.4 Dyslipidämie
6.5 Metabolisches Syndrom
6.6 Respiratorische Probleme und Schlaf-Apnoe
6.7 Orthopädische Probleme
6.8 Mortalität

7 Therapiemöglichkeiten
7.1 Die Therapie im Kindesalter
7.2 Ernährungsumstellung und Diät
7.2.1 Diäten
7.2.2 Langfristige Ernährungsumstellung
7.3 Verhaltenstherapie
7.4 Bewegungstherapie
7.5 Elternschulung
7.6 Pharmakotherapie und Chirurgie
7.7 Kritische Betrachtung der verschiedenen Therapiemöglichkeiten - Kriterien für eine erfolgreiche Therapie

8 Spezielle Therapieprogramme für adipöse Kinder
8.1 OBELDICKS
8.2 Das CHILT Projekt – Children´s Health InterventionaL Trial
8.3 FITOC – Freiburg Intervention Trial for Obese Children
8.4 Moby Dick
8.5 Vergleich und kritische Beurteilung der Therapieprogramme

9 Schlussfolgerung und Ausblick

Literaturverzeichnis

Darstellungsverzeichnis

Einleitung

Übergewicht und Adipositas sind in allen westlichen Industrienationen weit verbreitete Probleme. Die Zahl der Neuerkrankungen steigt jährlich an. „Inzwischen tritt Adipositas in der Welt so häufig auf, dass sie laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Zukunft möglicherweise Unterernährung und Infektionskrankheiten den Rang als wichtigster Auslöser für Gesundheitsbeschwerden bei enormen Krankheitskosten ablaufen wird“ (Barnstorf, 2005, S. IX). Besonders die steigende Prävalenz von Adipositas im Kindes- und Jugendalter ist besorgniserregend. Während Adipositas bis vor einigen Jahren ein Problem darstellte, dass überwiegend Erwachsene betraf, leiden inzwischen immer mehr Kinder unter Adipositas und den physischen und psychischen Folgen. Veränderte Umweltbedingungen sind hierfür die Hauptursache. Wir leben in einer Umwelt, die das Entstehen von Übergewicht und Adipositas begünstigt (Laessle, 2001). Während für die Kinder selbst die psychischen Folgen, wie Stigmatisierung und Hänseleien das größere Problem darstellen, steigt das Risiko ernsthafter Erkrankungen mit zunehmendem Alter und Gewicht. Bereits Kinder können unter adipositas-assoziierten Krankheiten- wie dem metabolischen Syndrom oder ‚Altersdiabetes’ - leiden. Je ausgeprägter die Adipositas ist, desto schlimmer sind in der Regel auch die pathologischen Folgen. Im schlimmsten Fall führen diese Krankheiten im Erwachsenenalter zum vorzeitigen Tod.

Ziel dieser Arbeit ist es, einen Überblick über die Ursachen und Konsequenzen von Adipositas im Kindesalter zu geben. Darauf aufbauend sollen geeignete Therapiemaßnahmen aufgezeigt werden, die sowohl die Adipositas als auch deren Folgen erfolgreich bekämpfen können.

Um einen Einblick in das Thema zu geben, wird im ersten Kapitel die kindliche Adipositas definiert und die Verbreitung in Deutschland dargestellt. Dieses soll die Dringlichkeit der Auseinandersetzung mit dem Problem Adipositas deutlich machen und aufzeigen wie wichtig es ist geeignete Präventions- und Therapiemaßnahmen zu schaffen.

Um die Adipositas zu klassifizieren, bedarf es bestimmter Methoden. Auf diese wird im zweiten Kapitel eingegangen. Da es sehr viele Methoden zur Bestimmung von Adipositas gibt, werden besonders die berücksichtigt, die auch bei Kindern Anwendung finden bzw. Aussagen über den Verlauf adipositas-assoziierter Krankheiten machen können.

Da die Energiebilanz grundlegend für das Entstehen von Adipositas ist, werden im dritten Kapitel der Energiestoffwechsel und dessen Einflussfaktoren beschrieben.

Die Ursachen für Adipositas scheinen auf den ersten Blick allein in der Über- bzw. Fehlernährung und in der mangelnden Bewegung zu liegen. Die Notwendigkeit zur Bewegung nimmt durch die fortschreitende Technisierung (Autos, Rolltreppen, Fahrstühle, etc.) beständig ab, während gleichzeitig das Überangebot an (süßen und fetthaltigen) Nahrungsmitteln steigt. Dennoch sind nicht alle Menschen, die sich zu wenig bewegen und zuviel bzw. falsch essen adipös. Weitere Faktoren, - wie die Genetik oder bestimmte Krankheiten - spielen eine Rolle. Diese werden im vierten Kapitel dargestellt.

Psychosoziale Faktoren – wie Stress, Depressionen oder Essstörungen - können sowohl Auslöser als auch Folge einer Adipositas sein. Sie werden im fünften Kapitel erläutert.

Das sechste Kapitel beinhaltet die häufigsten medizinischen Folgen einer Adipositas. Neben den Krankheiten, die bereits im Kindesalter auftreten können, wird auch das Risiko der Mortalität im Erwachsenenalter deutlich gemacht, dass durch immer früher auftretende Morbiditäten noch verstärkt wird.

Da eingeleitete Präventionsmaßnahmen bislang kaum Erfolge zeigten, soll das siebte Kapitel einen Überblick über die einzelnen Therapiemöglichkeiten geben. Diese werden im Anschluss kritisch betrachtet und es werden Kriterien für eine erfolgreiche Therapie formuliert.

Im achten Kapitel werden spezielle Adipositasinterventionsprogramme für Kinder dargestellt, die verschiedene Therapien verbinden, um so einen besseren Effekt zu erzielen. Anhand der in Kapitel Sieben formulierten Kriterien werden diese Programme beurteilt und verglichen.

Im letzten Kapitel folgt ein Ausblick auf die Zukunft.

1 Epidemiologie

1.1 Definition von Adipositas im Kindesalter

Der medizinische Begriff Adipositas wird allgemein häufig mit dem Begriff Fettleibigkeit übersetzt. Auch die Begriffe Übergewicht oder Obesitas werden synonym für Adipositas gebraucht. Der Begriff Fettsucht, der lange Zeit als korrekte Übersetzung für Adipositas galt, wird heute nicht mehr verwendet, da er medizinisch nicht korrekt und zudem diskriminierend ist (Wirth, 2000). „Experten definieren Übergewicht und Adipositas als eine Vermehrung des Körpergewichtes durch eine über das Normalmaß hinausgehende Vermehrung des Körperfettanteils“ (Ärzte Zeitung, 2001).

Obwohl die Begriffe Übergewicht und Adipositas häufig synonym gebraucht werden, haben sie unterschiedliche Bedeutungen und sollten unterschieden werden: „Übergewicht bedeutet ein oberhalb der Alters- und Geschlechtsnormen liegendes Körpergewicht.“ (Warschburger, 1999, S. 15). Übergewichtig können demnach auch sehr muskulöse Sportler sein. Übergewicht ist zwar aufgrund der Gefahr von weiterer Gewichtszunahme ernst zu nehmen, die medizinischen Folgen sind jedoch in der Regel noch nicht gravierend. Bei der Adipositas hingegen steigt das Risiko von Komorbiditäten und Mortalität deutlich an. „Somit besteht eine klinische Notwendigkeit zwischen Übergewicht und Adipositas zu unterscheiden“ (Wirth, 2000, S. 7). „Adipositas wird durch einen übermäßigen Anteil der Fettmasse am Körpergewicht mit deutlicher Beeinflussung der Gesundheit definiert“ (Warschburger, 1999, S. 15).

Des Weiteren werden primäres und sekundäres Übergewicht unterschieden. Während sekundäres Übergewicht angeboren bzw. vererbt wird (z.B. Prader-Willi-Syndrom, Bardet-Biedl-Syndrom, etc.), wird das primäre Übergewicht durch übermäßigen Kalorienkonsum (insbesondere Fette) bei gleichzeitigem geringen Energieverbrauch verursacht. (Benecke, 2005).

Die Behandlung von Adipositas ist sehr schwierig und langwierig. Adipositas ist daher als chronische Krankheit einzustufen und auch als solche zu behandeln (Benecke, 2005).

Kindliche Adipositas (childhood-onset obesity) kann sowohl im 1. Lebensjahr als auch zwischen dem 4. und 11. Lebensjahr auftreten. Ebenso ist die Pubertät ein typisches Alter für die Entwicklung kindlicher Adipositas (Wirth, 2000, S. 10). Nicht zuletzt aufgrund der möglichen Folgeerkrankungen sollte die Adipositas bereits im Kindesalter sehr ernst genommen werden. Neben schweren psychosozialen Beeinträchtigungen, die häufig zu einer weiteren Gewichtszunahme führen, weisen adipöse Kinder „deutlich erhöhte Risiken für Folgeerkrankungen wie Diabetes, Herzkreislauferkrankungen, Schäden des Bewegungsapparates, metabolisches Syndrom, … auf“ (Moebus, 2005, S. 9). „Auch scheint Übergewicht im Kindesalter eine höhere Prädikation für Herzkreislauf-Erkrankungen zu haben, als Übergewicht im Erwachsenenalter“ (Moebus, 2005, S. 10).Da viele Folgeerkrankungen erst im Erwachsenenalter auftreten, wird die Adipositas im Kindes- und Jugendalter oft unterschätzt.

Es ist sehr wichtig Adipositas bereits im Kindesalter ernst zu nehmen, da übergewichtige Kinder- und Jugendliche häufig auch im Erwachsenenalter unter Übergewicht oder Adipositas leiden. „Junge Erwachsene im Alter von 21 bis 29 Jahren waren 1,3 bis 22,3mal häufiger adipös, wenn sie als Kinder oder Jugendliche übergewichtig waren“ (Wirth, 2000, S. 310). Das Risiko war doppelt so hoch bzw. 6fach höher, wenn ein Elternteil bzw. beide Elternteile unter Adipositas litten.

(Wirth, 2000; Moebus, 2005)

1.2 Verbreitung der Adipositas

In Deutschland und den anderen westlichen Industriestaaten nimmt der prozentuale Anteil der Bevölkerung, die unter Übergewicht und Adipositas leiden, beständig zu. „Aus den Ergebnissen des Bundes-Gesundheitsurveys 1998 (BGS 98) geht hervor,…, dass nur etwa ein Drittel der männlichen Bevölkerung als normalgewichtig zu klassifizieren ist, bei den Frauen ist es etwas weniger als die Hälfte. Über die Hälfte der Bevölkerung ist mindestens übergewichtig, ca. 20% sind als adipös zu bezeichnen“ (Benecke, 2005, S.9).

Auffällig ist, dass übergewichtige und adipöse Personen häufiger in sozial niedrigeren Schichten zu finden sind.

„Die Inzidenz der Adipositas mit all ihren Folgestörungen nimmt, insbesondere im Kindes- und Jugendalter, in den westlichen Industrieländern rasant zu“ (Hebebrand in Petermann, 2003, S. 60). Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass zwischen 10 und 20% der Kinder und Jugendlichen übergewichtig oder adipös sind. „Ergebnisse des Projektes CrescNet aus Leipzig, das Daten von Kindern und Jugendlichen aus Kinderarztpraxen sammelt, zeigen für 2001/2002 bei 7,5% der Mädchen und 7% der Jungen eine Adipositas“ (Benecke, 2005, S. 11). Wabitsch, 2002 zeigt anhand folgender Tabelle die Häufigkeit von Übergewicht und Adipositas bei Kindern in verschiedenen deutschen Städten. Liegt der BMI innerhalb der 90. Perzentile leidet das Kind unter Übergewicht. Ab der 97. Perzentile spricht man von Adipositas.

Darstellung 1: Prävalenz von Übergewicht und Adipositas (in %) bei Kindern in verschiedenen deutschen Regionen (Wabitsch, 2002, S. 100)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Außerdem „findet sich bis zum Jahr 2001 ein kontinuierlicher Anstieg der Prävalenz von Adipositas bei Jungen und Mädchen“ (Wabitsch, 2002, S. 101).

Darstellung 2: Anstieg der Prävalenz von Adipositas zwischen Juni 1999 und Juni 2001 bei Kindern im CrescNet-Projekt (Wabitsch, 2002, S. 102)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Des Weiteren zeigen Studien, dass der prozentuale Anteil von übergewichtigen und adipösen Kindern und Jugendlichen größer wird, je älter sie sind.

Da Übergewicht und Adipositas sehr persistent sind, ist ein Rückgang in nächster Zeit nicht zu erwarten. Sowohl das Ausmaß als auch die Häufigkeit von Adipositas werden vermutlich in den kommenden Jahren weiter ansteigen (Reinehr, 2003).

2 Methoden zur Bestimmung von Adipositas

2.1 Der Body Mass Index

2.1.1 Definition

Um herauszufinden, ob eine Person normal-, unter- oder übergewichtig ist, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Die bekannteste und verbreiteteste Methode ist der Body Mass Index. „Der Body Mass Index (BMI=Gewicht in kg/Größe in m²) ist ein um die Körpergröße korrigiertes Maß des Körpergewichtes“ (Müller in Petermann, 2003, S.30). Der Vorteil des Body Mass Indexes ist, dass er sehr einfach zu errechnen ist und im Unterschied zu einigen anderen Messmethoden keiner Kosten bedarf. Die tatsächliche Fettgewebsmasse bestimmt er sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern relativ genau (Warschburger, 1999). Lediglich bei sehr muskulösen Menschen kann es zu Ungenauigkeiten kommen, da er nicht zwischen Muskel- und Fettgewebsmasse unterscheidet. Als einziges Maß für Übergewicht und Adipositas ist er somit nur begrenzt aussagefähig (Benecke, 2005).

Der Body Mass Index ist für die Bestimmung der Adipositas bei Kindern sehr gut geeignet, da für ihn alter- und geschlechtsspezifische Normtabellen vorliegen.

2.1.2 Klassifikation

Zur Klassifikation von Adipositas müssen Indizes verwendet werden, die einfach messbar und verständlich sind (Wirth, 2000). Den Body Mass Index kann jede Person selbstständig errechnen und anhand folgender Abbildung einordnen.

Darstellung 3: Klassifikation der Adipositas (Müller in Petermann, 2003, S. 29)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bei Personen mit Übergewicht besteht ein erhöhtes Risiko, dass sie an Adipositas erkranken. Daher ist auch ein BMI-Wert zwischen 25 und 29,9 ernst zu nehmen. Bereits bei der Adipositas Grad I ist eine Behandlung notwendig, da eine erhöhte Mortalität und Morbidität besteht. Diese Folgen sind bei der Adipositas Grad II noch schwerwiegender. Bei der Adipositas Grad III (meistens Personen über 130 kg) „sind fast immer gravierende Komorbiditäten vorhanden, die meisten Patienten sind multimorbide“ (Wirth, 2000. S. 8). Laut Wirth, 2000 reichen hier konventionelle Therapien und häufig auch medikamentöse Maßnahmen nicht mehr aus. Wenn adipositas-assoziierte Krankheiten so weit fortgeschritten sind, dass die Gefahr eines vorzeitigen Todes stark erhöht ist, sollte eine operative Therapie in Erwägung gezogen werden (Wirth, 2000).

Da die Adipositas im Kindesalter nicht anhand der Mortalität gemessen werden kann und auch Komorbiditäten häufig erst im frühen Erwachsenenalter auftreten, ist diese Klassifikation für Kinder nicht sinnvoll.

Bei Kindern muss der Gewichtsstatus anhand von geschlechts- und altersspezifischen Tabellen eingeordnet werden, da der Körperfettanteil bei verschiedenen Altersgruppen und auch bei Mädchen und Jungen stark variiert. „Nach einer anfänglichen Zunahme des Fettgewebes, kommt es nach dem ersten Lebensjahr zu dessen sukzessiver Verminderung, während ungefähr ab dem sechsten Lebensjahr das Fettgewebe wieder ansteigt“ (Warschburger, 1999, S. 16).

Der Gewichtsstatus wird dann anhand der Perzentile bestimmt. Perzentile geben an auf welcher Position sich eine Person innerhalb einer bestimmten Gruppe befindet. Liegt der BMI-Wert im Bevölkerungsdurchschnitt (50. Perzentile), ist die Person normalgewichtig. Untergewichtig ist eine Person deren BMI-Wert unterhalb der 10. Perzentile liegt, wohingegen eine Person mit einem BMI-Wert oberhalb der 90. Perzentile unter Übergewicht leidet. Als adipös bezeichnet man alle Personen mit einem BMI-Wert oberhalb der 95. bzw. der 97. Perzentile (je nach Studie) (Müller in Petermann, 2003).

Nach Berechnung des BMIs kann man anhand der folgenden Tabelle die Perzentile bestimmen.

Ein kontinuierlicher Übergang von der Definition der Adipositas im Kindes- und Jugendalter zur Definition der Adipositas im Erwachsenenalter ist möglich, da für die Definition von Übergewicht und Adipositas die BMI-Perzentile verwendet werden, die beim Erreichen des Erwachsenenalters in einem BMI von 25 bzw. 30 münden (Barnstorf, 2005).

Darstellung 4: Perzentile (P) des BMIs (Body Mass Index) für Jungen und Mädchen im Alter von 0-18 Jahren (Müller in Petermann, 2003, S. 34f)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.2 Weitere Methoden

2.2.1 Der Broca Index

Der Broca Index ist neben dem BMI die bekannteste Methode zur Bestimmung des Gewichtstatus. Lange Zeit galt er als sinnvolle Methode zur Klassifizierung von Normal- und Idealgewicht. Hierzu wird die Körpergröße in Zentimetern minus 100 errechnet, um das Normalgewicht zu ermitteln. Eine Person, die 1,70 m groß ist, ist demnach normalgewichtig, wenn ihr Körpergewicht 70 kg beträgt. Zur Berechnung des Idealgewichtes werden bei Frauen 15% (=59,5 kg) und bei Männern 10% (=63 kg) abgezogen (Boggio, 2004).

Der Broca Index gilt inzwischen als veraltet. Dieses liegt überwiegend daran, dass „er relativ schlecht mit der Körperfettmasse bei kleinen und großen Leuten korreliert“ (Wirth, 2000, S. 20). Er eignet sich somit weder als Ergänzung noch als Alternative zum Body Mass Index. Hinzu kommt, dass der Broca Index im Gegensatz zum BMI nicht für Kinder gebräuchlich ist (Benecke, 2005).

2.2.2 Calipometrie

Eine weitere Möglichkeit der Bestimmung des Gewichtsstatuses ist die Calipometrie. Hier wird mittels einer Messzange (Caliper) die Dicke bestimmter Hautfalten gemessen, um so Informationen über den Körperfettanteil und die Fettverteilung zu erhalten. Der Nachteil ist, dass verschiedene Rechnungen erforderlich sind, „um die Daten in Aussagen über die Körperzusammensetzung zu transformieren“ (Warschburger, 1999, S. 15). Außerdem kann mit dieser Messmethode nur der subkutane[1] Fettanteil bestimmt werden, der lediglich 75% der Gesamtkörperfettmasse ausmacht (Wirth, 2000). Die Calipometrie ist besonders bei Kindern sehr gut für die Bestimmung des Körperfettanteils geeignet und sollte daher als Ergänzung zum BMI in Betracht gezogen werden. „Bei ca. 2/3 aller Adipösen kann jedoch die Hautfalte nicht korrekt abgehoben werden, am Abdomen trifft das sogar für die meisten zu“ (Wirth, 2000, S. 22). Dieses kann zu Ungenauigkeiten führen. Somit ist die Calipometrie als alleinige Bestimmungsmethode ebenfalls nur begrenzt aussagekräftig.

2.2.3 Bioelektronische Impendanzanalyse

Die Bioelektronische Impendanzanalyse (BIA) bestimmt mittels Schwachstrom den Wasseranteil des Körpers. Um Rückschlüsse auf den Körperfettanteil zu ermöglichen sind „Informationen über die Hydrierung der fettfreien Masse nötig“ (Warschburger, 1999, S. 15). Diese Methode ist sehr schnell und ohne großen finanziellen Aufwand, jedoch nur in Kliniken oder Arztpraxen, die mit dem entsprechenden Gerät ausgestattet sind, durchführbar. Aufgrund ihrer Genauigkeit ist diese Methode „für klinische Zwecke gut geeignet“ (Wirth, 2000, S. 26). Ungenauigkeiten entstehen lediglich bei Patienten, die an einer Krankheit leiden, die den Wasserhaushalt beeinflusst. „Im Unterschied zur Hautfaltendickenmessung ist sie bei allen Patienten anwendbar, auch bei extrem Adipösen“ (Wirth, 2000, S. 26). Auch bei Kindern kann diese Methode problemlos angewandt werden (Wirth, 2000) und eignet sich somit als Alternative und als Ergänzung zum Body Mass Index.

2.2.4 Waist to hip ratio

Beim waist to hip ratio wird die Relation von der Hüfte zur Taille bestimmt und anhand von Normwerten eingeordnet. Diese Methode ist jedoch nicht sehr genau, da es Personen gibt, „bei denen sich der Body Mass Index im Laufe der Jahre ungünstig entwickelt, bei denen aber das Taillen-Hüft-Verhältnis konstant bleibt“ (Ärzte Zeitung, 2001). Somit sagt das waist to hip ratio lediglich genaueres über die Fettverteilung aus, nicht aber über den Gewichtsstatus.

Außerdem ist diese Methode für die Klassifikation von Adipositas im Kindesalter ungeeignet, weil sich das Fettverteilungsmuster erst am Ende der Pubertät manifestiert (Laessle, 2001). Da man jedoch durch das Verhältnis der Taille zur Hüfte Aussagen über das Risiko von Folgekrankheiten machen kann, soll es hier dennoch näher erläutert werden.

Man unterscheidet:

- Den androiden Typ (Apfelform)
- Den gynoiden Typ (Birnenform)

Androide Fettverteilung:

Frauen: WHR > 0,85

Männer: WHR > 1,0

Gynoide Fettverteilung:

Frauen: WHR < 0,85

Männer: WHR < 1,0

Darstellung 5: Phänomenologie der abdominalen (androiden, zentralen, viszeralen) und der peripheren (gynoiden, glutealfemoralen) Adipositas (Wirth, 2000, S. 9)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Während der gynoide Typ häufiger bei adipösen Frauen vorkommt (ca. 85% Frauen, ca. 20% Männer), ist der androide Typ charakteristisch für an Adipositas erkrankte Männer (ca. 80% Männer, ca. 15% Frauen). Bei der gynoiden Adipositas „sind metabolische Begleitkrankheiten nur geringgradig häufiger anzutreffen als bei Normalgewichtigen“ (Wirth, 2000, S. 9). Folgeerkrankungen sind hier hauptsächlich durch die statische Belastung bedingt. Die androide oder auch abdominale[2] Form der Adipositas beinhaltet dahingegen ein stark vermehrtes Risiko für Stoffwechselerkrankungen. Erkrankungen, „die vorwiegend mit der vermehrten statischen Belastung zusammenhängen“ (Wirth, 2000, S. 9), treten bei beiden Formen der Adipositas gleich häufig auf.

(Wirth, 2000; Laessle, 2001).

3 Der Energiestoffwechsel

3.1 Die Energiebilanz

Für die Regulation des Körpergewichts ist der Energiestoffwechsel zuständig. Die Energiebilanz entscheiden, ob man zu- oder abnimmt. „Unterschreitet der Energieverbrauch die Energiezufuhr (Fasten, Diätieren), so wird das Körpergewicht reduziert. Überschreitet die Energiezufuhr den Energieverbrauch (Überernährung), so kommt es zu einer Gewichtszunahme“ (Laessle, 2001, S. 12). Diese Gewichtszunahme resultiert daraus, dass der Körper „überschüssige Energie in Form von Fett“ (Schusdziarra in Schusdziarra, 2000, S. 20) speichert. Daher spielt bei der Entstehung einer Adipositas die Energiebilanz[3] eine große Rolle. Wird die Energiezufuhr bei gleich bleibendem Energieverbrauch nur minimal erhöht, würde man langfristig zunehmen. Die Erhöhung bzw. Verminderung des Energieverbrauchs kann jedoch durch eine gesteigerte bzw. reduzierte Energiezufuhr zum Teil kompensiert werden.

Zu den Komponenten des Energieverbrauchs gehören der Grundumsatz (GU), die Aktivitätsinduzierte Thermogenese (AIT) und die Diätinduzierte Thermogenese (DIT). Diese werden im Folgenden beschrieben.

3.2 Der Grundumsatz

Der Grundumsatz hat mit etwa 70% den größten Anteil beim Energieverbrauch. Zur Messung des GUs dient die Kalorimetrie[4]. Der Grundumsatz setzt sich aus den lebenswichtigen Funktionen zusammen, die auch unter Ruhebedingen ständig aktiv sind. Hierzu gehören u. A. der Herzschlag, der Blutkreislauf und die Atmung. „Die höchsten prozentualen Anteile am Grundumsatz haben die Leber und das Gehirn mit jeweils 25%“ (Platte in Petermann, 2003, S. 47). Die größten Unterschiede zwischen verschiedenen Personen liegen im Grundumsatz der Muskulatur und der inneren Organe (in der mageren bzw. fettfreien Körpermasse). Je größer die fettfreie Körpermasse, desto höher ist auch der Energieverbrauch. Da bei Adipösen durch die vermehrte Fettmasse auch eine vermehrte fettfreie Masse, in Form von Muskelmasse, vorliegt, ist der Grundumsatz bei ihnen höher als bei Normalgewichtigen.

Neben den lebenserhaltenden Funktionen und der mageren Körpermasse haben auch die Schilddrüsenhormone einen Einfluss auf den Grundumsatz. „Die Schilddrüsenhormone (T3 und Thyroxin (T4)) steuern den Sauerstoffverbrauch und die Wärmeproduktion, beeinflussen aber auch das Zentralnervensystem und die Muskelaktivität“ (Platte in Petermann, 2003, S. 49). Der GU ist höher, wenn der Wert des Schilddrüsenhormons T3 erhöht ist (Schilddrüsenüberfunktion). Durch den gesteigerten GU kommt es zu einer Gewichtsabnahme. Konträr verhält ist es sich bei der Schilddrüsenunterfunktion. „Eine Unterfunktion der Schilddrüse (Hypothyreose) führt zu einer unzureichenden Versorgung der Körperzellen mit Schilddrüsenhormonen und zu einem Abfall des GU“ (Platte in Petermann, 2003, S. 49). Es kommt zu einer Gewichtszunahme (siehe Kapitel 4.3.1).

Ein weiterer Faktor für Unterschiede im Grundumsatz könnte in der Genetik liegen. „Allerdings ist man zurzeit noch weit davon entfernt, spezifische Gene für einen erniedrigten GU gefunden zu haben“ (Platte in Petermann, 2003, S. 49).

Zuletzt sollen Alkohol und Nikotin als Faktoren, die Einfluss auf den GU haben, genannt werden. Beide erhöhen den Grundumsatz. Beim Alkohol ist dieses auf die vermehrte sympathische Aktivität bei alkoholindizierten Leberzirrhosen zurückzuführen (Platte in Petermann, 2003).

3.3 Die Aktivitätsinduzierte Thermogenese

Die aktivitätsinduzierte Thermogenese hat einen Anteil von ungefähr 15-30% am Energieverbrauch. Bei einzelnen Aktivitäten kann der jeweilige Energieverbrauch kalorimetrisch mithilfe von Atemmasken gemessen werden. Soll der Energieverbrauch über einen längeren Zeitraum gemessen werden wird die Doppel-Isotopen-Technik genutzt.

Die AIT beinhaltet den Energieverbrauch bei körperlicher Aktivität. Je nachdem, wie viel sich eine Person bewegt, „kann die AIT bis zum Vierfachen des Grundumsatzes ausmachen“ (Platte in Petermann, 2003, S. 51). Eine derartige Steigerung kommt jedoch nur bei Leistungssportlern oder körperlich schwer arbeitenden Menschen vor.

Mehrere Studien ergaben, dass sich Adipöse weniger bewegen als Normalgewichtige. Allerdings verbrauchen adipöse Personen bei gleicher Aktivität weitaus mehr Energie als Normalgewichtige. Somit „kann angenommen werden, dass … der relative Anteil am Gesamtenergieverbrauch gegenüber dem normalgewichtiger Personen nicht deutlich vermindert ist.“ (Platte in Petermann, 2003, S. 51)

3.4 Die Diätinduzierte Thermogenese

Die diätinduzierte Thermogenese macht ungefähr 5-10% (Platte in Petermann, 2003) bzw. 10-15% (Laessle, 2001) des Energieverbrauchs aus und wird durch die Verdauung und den Stoffwechsel nach der Nahrungsaufnahme bedingt. Durch die Nahrungsaufnahme wird die Sauerstoffzufuhr, die Herzrate und das Schlagvolumen erhöht und dadurch der Grundumsatz gesteigert. Die Höhe der Grundumsatzsteigerung variiert durch die Menge der aufgenommenen Nahrung, die Nahrungszusammensetzung und das Ernährungsmuster. „Der höchste Energiebedarf besteht für die Eiweißaufnahme, der geringste für die Fettaufnahme“ (Laessle, 2001, S. 14). Somit wird der GU nach der Energiezufuhr durch Fette nur sehr gering gesteigert, während Proteine und Kohlenhydrate den GU stärker ansteigen lassen. Außerdem können 4 kleinere Mahlzeiten die DIT um 100% höher ansteigen lassen als eine große. „Diese Veränderung liegt nicht alleine an der Verdauung und Verstoffwechslung, sondern liegt auch an dem Geruch und der Vorfreude auf die Mahlzeit“ (Platte in Petermann, 2003, S. 50) Die Vorfreude auf die Mahlzeit hat einen Anstieg von Noradrenalin und Insulin zur Folge. Dieses lässt wiederum die DIT ansteigen. (Platte in Petermann)

Untersuchungen zur Steigerung des Energieverbrauchs nach Mahlzeiten ergaben, dass bei Adipösen die Erhöhung des Energieumsatzes gerade nach dem Verzehr von Fetten nur sehr gering war, während sie bei Normalgewichtigen 14,4% betrug. Das lässt darauf schließen, dass zugeführte Fette bei Adipösen ohne Energieverbrauch in Form von ‚Depotfett’ angelegt werden (siehe hierzu Kapitel 4.4.2). Geringer – aber dennoch vorhanden - waren die Unterschiede nach dem Verzehr von Kohlenhydraten und Proteinen. (Bönnhoff in Bjarnason-Wehrens, 2005)

4 Ätiologie von Adipositas

4.1 Multifaktorielle Entstehung der Adipositas

Das Entstehen einer Adipositas wird in der Regel von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Als Ursache sind genetische Dispositionen, diverse Krankheiten, Fehlernährung und Bewegungsmangel möglich. Daher ist es notwendig, „das Zusammenwirken von hormonellen, metabolischen, psychologischen und Verhaltensparametern aufzuklären, die zum Phänotyp Adipositas führen“ (Laessle, 2001, S. 11), um geeignete Präventions- bzw. Therapiemaßnahmen zu erschaffen.

Um das multifaktorielle Entstehung deutlich zu machen, nennt Laessle, 2001 als Beispiel zwei Stämme der Pima-Indianer, die unter unterschiedlichen umweltlichen Bedingungen leben. Bei dem einen Stamm leiden die Stammesmitglieder vermehrt unter Übergewicht bzw. Adipositas und auch adipositas-assoziierte Komorbiditäten, wie Diabetes und Bluthochdruck kommen bei diesem Stamm gehäuft vor. Bei einer DNA-Analyse der Stammesmitglieder konnte ein Zusammenhang zwischen bestimmten Regionen des Genoms und des äußeren Erscheinungsbilds nachgewiesen werden. (Laessle, 2001). Dieser Stamm, der im US-Bundesstaat Arizona lebt, ernährt sich zudem vorwiegend nach westlichen Ernährungssitten sehr kalorienreich. Dagegen lebt der – durch Feldarbeit körperlich weitaus aktivere - mexikanische Vettern-Stamm sehr kalorienarm. Obwohl man annimmt, dass die Genetik der des anderen Stammes weitgehend gleicht, haben diese Indianer keinerlei Probleme mit Übergewicht und deren Begleiterscheinungen.

Zusammengefasst bedeutet dieses: „Nicht genetische Faktoren allein führen zur Adipositas. Diese werden nur wirksam bei entsprechenden Umweltbedingungen“ (Laessle, 2001, S. 12).

[...]


[1] Unter der Haut

[2] größter Fettanteil im Bereich des Abdomen

[3] Verhältnis von Energiezufuhr zu Energieverbrauch

[4] Errechnung des Energieverbrauchs über die Sauerstoffaufnahme und Kohlendioxidabgabe im Ruhezustand

Ende der Leseprobe aus 79 Seiten

Details

Titel
Adipositas im Kindesalter. Ursachen, Folgen und Möglichkeiten der Therapie
Hochschule
Universität Bremen
Note
2,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
79
Katalognummer
V81182
ISBN (eBook)
9783638847070
Dateigröße
1351 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Adipositas, Kindesalter, Ursachen, Folgen, Möglichkeiten, Therapie
Arbeit zitieren
Mareike Duensing (Autor:in), 2007, Adipositas im Kindesalter. Ursachen, Folgen und Möglichkeiten der Therapie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/81182

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