In welcher Form existiert der Körper im Cyberspace?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

58 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Körper und Geist
2.1. traditionelle Sichtweise
2.1.1. Hildegard von Bingen
2.1.2. Paracelsus
2.1.3. René Descartes

3. Interaktion und Kommunikation in der Gesellschaft
3.1. Gesellschaft ist die Bühne unserer Handlungen
3.2. Individuum und Identität

4. Die Bedeutung von Körperlichkeit im Datenstrom
4.1. Die Wahrnehmung des Körpers ändert sich
4.2. Grenzen verschwimmen

5. Das virtuelle „Ich“ konstruiert seine digitale Umgebung
5.1. Die Bedeutung des Körpers im Netz
5.2. Körper im Medium
5.3. Körper als sprachliche Zeichen
5.4. Räumlichkeit und Beweglichkeit des virtuellen Körpers
5.5. Soziale Aspekte des Körpers
5.6. Ausblick

6. Anhang

7.Quellen

1. Einleitung:

Um den Körper ist es stürmisch geworden.

Schönheitsoperationen verändern den natürlichen Körper, sie machen ihn künstlich. Der Körper soll sich durch die chirurgischen Eingriffe einem Idealbild von „Schönheit“ annähern, wie sie in Boulevard-Magazinen oder im Fernsehen oft abgebildet werden. Vorbilder sind oftmals Menschen, vor allem Frauen, die angeblich eine perfekte Figur haben. Immer wieder schauen uns Frauen und Männer mit perfekten Maßen von Hochglanzmagazinen an. Doch in der Realität würden wohl gerade diese Menschen als sehr unnatürlich herüberkommen. Die Branche boomt. In Deutschland unterziehen sich jährlich mindestens 40 000 Menschen einer Schönheitsoperation. Vor allem viele junge Menschen sind mit ihrem Körperbild unzufrieden. Die berühmtesten Beispiele sind wohl auf der männlichen Seite, Michael Jackson und auf der weiblichen Seite, Cher. Michael Jackson hat sich mehr als 30 mal operieren lassen, um die Merkmale seiner afroamerikanischen Herkunft zu verbergen. Noch boomt diese Branche. Doch gibt es schon leise Stimmen am „Horizont“ die wieder nach den natürlichen Körpern Ausschau halten. So verlangt das Fernsehen und der Film nach „echten Typen“. Modeschöpfer fangen an das Abweichende als Ideal zu predigen. Hochglanzmagazine zeigen immer mehr Models mit Macken und Defiziten. Und wer weiß, vielleicht legen sich Menschen demnächst unter das Skalpell, weil sie ihr Gesicht zu glatt und symmetrisch finden und sich mehr auffälligere Merkmale wünschen. So gesehen, auch wieder ein Zukunftsmarkt.

Unsere Existenz, die des Körpers, wird zunehmend genetisch verändert. In der Medizin wird alles versucht, die menschlichen Gene zu entschlüsseln. Welches Gen ist für was verantwortlich? Vor allem welches Gen ist für Missbildung oder geistige Behinderung verantwortlich? Um in naher Zukunft perfekte Menschen zu gebären ist es notwendig in die Gene des Menschen einzuwirken. Sie werden künstlich verändert.

Der Körper besitzt eine zentrale Funktion in unserer Gesellschaft, er ist ein Medium von Erfahrung und Kommunikation. – Ein Ausdruck unserer Kultur.

In der bisherigen traditionellen Sichtweise der Industriestaaten, ist die menschliche Existenz, als auch die menschliche Interaktion an den Leib gebunden. Auf dieser Grundidee bauen viele bedeutende Theorien der westlichen Kultur auf. Im

weiteren Verlauf des Textes möchte ich hierfür Beispiele, an bedeutenden Persönlichkeiten, wie Hildegard von Bingen, Paracelsus und René Descartes aufführen.

The Body is the Message1, so Klein. Sie drückt damit aus, dass der Körper, der eigentliche Adressat der Kulturindustrien ist. So schreibt sie, „ Kultur ist nicht nur ein sozialer, sondern immer auch ein leiblicher Prozeß.“2 Die als gegeben angenommene Materialität des Körpers äußert sich in der Kultur durch ihre Körperbilder- und Erfahrungen, durch ihre präsentierten Schönheitsideale und der Vorstellung von einem gesunden und einem kranken Körper.

Doch ist der Körper nicht nur der Endpunkt, sondern zugleich der Ausgangspunkt, für jegliche Form kultureller Produktion. Er besitzt die Funktion eines Verbindungsgliedes. An dieser Verbindung richten sich Produkte nach dem Körper aus, die wiederum den Körper erneut in seiner materiellen Bedeutung unterstützen. Diese Materialisierung wirkt sich ihrerseits wieder auf die kulturelle Praxis aus.

Eine reine objektive Wissenschaft vom Geiste hat es nie gegeben und wird es wohl auch nie geben, so behauptet Edmund Husserl.3 In seiner dualistischen Sichtweise von Natur und Geist, stehen sich Natur und Geist als zwei gleichberechtigte Realitätssphären gegenüber. Die Sichtweise von der Natur steht dabei stellvertretend für den Körper.

Die vorliegende Arbeit ist in vier Hauptteile unterteilt. Im ersten Teil möchte ich auf den Körper im allgemeinen eingehen. Dabei werde ich vor allem auf die verschiedenen traditionellen Sichtweisen eingehen.

Im zweiten Teil meiner Arbeit betrachte ich die Handlungen in der Gesellschaft. Hier möchte ich auf die soziale Rolle und die Selbstdarstellung eingehen, die notwendige Elemente unseres Lebens sind. Die Gesellschaft gleicht einer Bühne auf der Informationen miteinander getauscht werden. Dabei spielt die Suche nach der eigenen Identität eine große Rolle. Deswegen werde ich in diesem Abschnitt versuchen den Begriff der „Identität“, wie er in unserer Gesellschaft definiert wird zu erläutern.

Im dritten Teil meiner Arbeit beschreibe ich eine neue Existenzform, die durch unsere neuen Medien entstanden ist. Der Bildschirm ist die neue Existenzform der Postmoderne. Ich werde der Frage nachgehen, inwieweit der Körper in diesem Datenstrom konstruiert wird, bzw. existiert.

Danach möchte ich im vierten Teil der Arbeit auf das Virtuelle Selbst eingehen. Dieses virtuelle Ich konstruiert seine eigene digitale Umgebung, durch Selbstinszenierung. Der Körper verschwindet in seiner imaginären und materiellen Beschaffenheit und wird dadurch zu einem flüchtigen Konstrukt. Es ist die Chance des Körpers aus seinem Körpergefängnis auszubrechen. Dabei bildet sich jedoch eine eigene Kultur heraus, die ich in diesem Abschnitt beschreiben werde.

2. Körper und Geist :

2.1. traditionelle Sichtweisen:

2.1.1. Hildegard von Bingen:

Eine Anthropologie des Körpers gibt es schon seit dem Mittelalter. In der Mitte des 12. Jahrhunderts ist die Nonne Hildegard von Bingen (17.09.1179 – 1098) öffentlich auf den Marktplätzen in Köln, in Trier, vor den Klöstern aufgetreten. Sie hat gegen die Katharer ihre Missionspredigten gehalten. Gegen jene Katharer, die sich schämten, dass sie einen Leib hatten. Sie wollten nicht wahrhaben, dass sie von einer Mutter geboren wurden. Sie hat ein Bild vom Körper, dem „ opus4, entworfen, das sie dreifach gegliedert hat. Mit diesem Bild werden die konkreten Daseinswesen des Menschen gekennzeichnet, seine Existenz in der Welt.

1.) Der Mensch ist ein „ opus unum5 ; besitzt eine einzige Wirklichkeit. Doch darüber hinaus ist er ein „ opus Dei6, ein Werk Gottes. Er ist kein Produkt
2.) des Zufalls, weder autark noch autonom, sondern er ist geschaffen worden, und damit auch abhängig, verfallend und trostbedürftig.
3.) Der Mensch ist ein „ opus alterum per alterum7. Das heißt, der Mensch ist nie allein für sich da, er kann sich nur an anderen und mit anderen verwirklichen.
4.) Der Mensch ist ein „ opus cum creatura “. Er dient in einem offenen System, in seiner eigenen Leiblichkeit einem ökologischen Auftrag. „ Er ist als Leib das Gespräch mit der Welt.“8

Hildegard von Bingen kennzeichnet jedes Bild vom „ opus “ mit drei Schlüsselwörtern.

Zu 1.) Der Mensch kann nur als „ homo constitus“9, als Mensch im Urzustand, verstanden werden.
Zu 2.) Der Mensch ist aber auch ein „homo destitus“10. Durch den Sündenfall
ist er jedoch auch ein Mensch in Not und Verfall.
Zu 3.) Der Mensch ist nur zu suchen als ein „ homo restitus11. Und letztendlich

wird er wieder zu einem hergestelltem Menschen.

Der Mensch ist demnach überall Leib, außen, wie innen, oben wie unten; „ et hoc modo est homo“12, - denn das ist das Wesen des Menschen! Er ist ein „ homo‑corpus ubique“13, er ist überall.

2.1.2. Paracelsus:

Diese Idee wurde von Paracelsus; Theophrast von Hohenheim (10.11.1493 –24.09.1541) aufgenommen und errichtete darauf die Basis seiner „ lebendigen

Anatomie“. Um an den Geist des gesunden und kranken Menschen heran zu kommen, dient ihm der Leib als äußerer Ausgang. Durch diese Idee kommt Paracelsus zur Erkenntnis, dass der Organismus als eine Art zweiter Kosmos angesehen werden kann. Er nennt ihn den Mikrokosmos. Mit dieser Ansicht ist Paracelsus aus der kosmischen Sicht des Mittelalters hervorgetreten. Bis zu dieser Zeit gingen viele Denker, wie Augustinus und seine Anhänger davon aus, dass die Welt aus Elementen, wie Stoffe und Strukturen, also aus toter Natur‑Materie zusammengesetzt ist. Und aus ihnen wurden bisher empirische Ergebnisse von den Naturforschern abgeleitet. Mit Paracelsus fangen die Elemente an zu leben.

Paracelsus entwirft eine dramaturgische Landschaft, in der die Elemente der Welt ihr Spiel mit den Menschen beginnen. Alle Elemente der Welt sind auch im Menschen, und alles ist eine einzige elementare Interaktion, alles ist Aktion. Er zeichnet mit dieser Ansicht ein Bild des Mikrokosmos. Der Mensch wird in seiner Natur und mit seiner Geschichte leibhaft in den Raum gestellt. Paracelsus redet von der „ Ehe zwischen Leib und Seele“14, die erst das geistige Zusammenspiel unserer Existenz ermöglicht. Ein geistiges Leben wäre ohne den Körper gar nicht denkbar. „ Leib und Seele sind ein Ding.“15

Paracelsus Krankheitslehre ist aufgebaut auf den „ fünf Entien16, den fünf Seinsbereichen des kranken und auch des gesunden Menschen.

1.) „ Ens naturale“17 - Natur

Dieses Ens bezieht sich auf den Menschen als Mikrokosmos.

2.) „ Ens astrale“18 - Biographie

Der Mensch ist mit seiner Geburt in den Kosmos eingebettet, in ein

Geflecht von Beziehungen.

3.) „ Ens veneni“19 - Umwelt (mit ihrer toxischen Gesamtsituation)

Hier liegt die Ursache von Krankheiten in den Wirkungen von Giften.

4.) „ Ens spirituale“20 - soziokultureller Kontext

Hier geht es vor allem um geistige Erkrankungen und um

Psychologie.

5.) „ Ens Dei“21 - absolutes Bezugssystem

Hierbei wirkt Gott auf den Menschen ein, über Schicksal und Karma.

Im nachfolgenden anatomischen Zeitalter, spielte nur noch der erste Punkt eine bedeutende Rolle. Dadurch, dass die anderen Entien vernachlässigt wurden, haben die Menschen heute große moralische Probleme, wie sich im Umgang mit dem Klonen von Zellen herausgestellt hat. Doch diese Vernachlässigung hatte auch etwas gutes. Durch sie wurde die Vorraussetzung für die zahlreichen Erfolge von operativen Eingriffen geschaffen.

Goethe schrieb einmal dazu: „ Wer ferner nicht dahin gekommen ist, einzusehen, dass wir Menschen einseitig verfahren, und verfahren müssen, dass aber unser einseitiges Verfahren bloß dahin gerichtet sein soll, von unserer Seite her in die andere Seite einzudringen und selbst bei unseren Antipoden wieder aufrecht und auf unsere Füße gestellt zu Tage zu kommen, der sollte einen so hohen Ton nicht anstimmen.“22

Edmund Husserl antwortet: „ Am Leitfaden des Leibes aber werden wir erfahren, dass der Mensch nicht nur einen Leib hat, sondern Leib ist, ganz und gar, mit Herz und Hirn und Hoden, dass der Mensch mit seinem Leibe schließlich auch sein Schicksal bereits mit Haut und Haaren in sich selbst austrägt.“23

Diese anthroplogische Dimensionen sind uns allen im Grunde bekannt, aber in der Wissenschaft vergessen und verdrängt worden. Auch heute noch werden sie nicht vollständig berücksichtigt. Heute werden diese vernachlässigten Bereiche einigermaßen durch Fachrichtungen, wie Psychologie, Soziologie etc... vertreten.

2.1.3. René Descartes:

Für uns am deutlichsten getrennt und zwar seit den Zeiten von Descartes, sind Geist und Körper. Den Alchimisten ist diese Vorstellung, dass Geist und Körper getrennt sein sollen, fremd. Sie behandeln Körper und Geist gleichgewichtig und stellen sich vor, dass der Geist im Inneren des Körpers sitzt und darauf wartet befreit zu werden. Diese Befreiung des Geistes, kann zum Beispiel durch eine geeignete Erziehung, wie sie schon Jean-Jacques Rousseau, Maria Montessori,... anstrebten, erreicht werden.

Mit Descartes methodischen Dualismus beginnt die Grundlage des anatomischen Zeitalters. Sein Dualismus führte zu der Reduktion des naturwissenschaftlichen Modelldenkens. Jetzt wird der menschliche Leib nicht nur genauestens vermessen, sondern auch auf seine Erscheinung ausgedeutet. Zum Beispiel in dem Buch „ Anthropometria“ von Johannes Sigismund Elsholtz (1663) ist der Mensch zum Richtmaß für die Welt geworden.

Zweifellos liegen dieser Denkweise alle Errungenschaften der modernen Heiltechnik zugrunde, mit dieser immer zwingend beweiskräftiger werdenden anatomischen Sichtweise, wie zum Beispiel der Zellentheorie.

An diesen Gedanken von Descartes knüpfen viele bedeutende Philosophen der Neuzeit und der Gegenwart an. Einer von ihnen ist Nietzsche. Nietzsches Kritik an der „ unphilosophische [n] Rohheit jenes Gegensatzes24 zeigt sich, indem er sagt, dass Descartes Ansicht ein „ populärer und ( aber ) gänzlich falscher Gegensatz von Geist und Körper25 wiederspiegelt.

Auch Novalis bemerkte, dass „ der Gegensatz von Leib und Geis t [...] einer der allermerkwürdigsten und gefährlichsten [ist].“26

3. Interaktion und Kommunikation in der Gesellschaft:

3.1. Gesellschaft ist die Bühne unserer Handlungen:

Unsere soziale Welt gleicht einer Bühne, so Goffmann, mit verschiedenen Akteuren, als „ Publikum, Darstellern und Außenseitern, mit Zuschauerraum und Kulissen.“27 Die Handlungen der Gesellschaft erfolgen stets in sozialen Rollen. Goffmann möchte in seinem Buch nachweisen, dass die Selbstdarstellung eines jeden Individuums nach vorgegebenen Regeln und unter vorgegebenen Kontrollen ein notwendiges Element unseres Lebens ist.

Treffen Menschen aufeinander, versucht jeder, Informationen über seinen Gegenüber zu erhalten oder Informationen, die er bereits besitzt mit in die Interaktion einzubringen. An erster Stelle interessiert ihn vom Interaktionspartner der allgemeine soziale und wirtschaftliche Status, seine Glaubwürdigkeit, seine Einstellung zum Gegenüber, sowie das Bild, dass er von sich selbst hat und seine Fähigkeiten. Die Informationen über den anderen helfen, die jeweilige Gesprächssituation zu definieren. Durch diese Informationen weiß der Interaktionsbeteiligte, wie er sich verhalten muss, um bei seinem Gegenüber die gewünschte Reaktion hervorzurufen. Doch oftmals können nicht alle gewünschten Informationen durch Interaktion vermittelt werden. Zum Beispiel lassen sich nicht immer die „wirklichen“ und „echten“ Einstellungen, Überzeugungen und Gefühle herausfinden. So gibt es zwei grundlegend verschiedene Arten der Ausdrucksmöglichkeit des Einzelnen. Erstens, den Ausdruck, den er sich selbst gibt. Zweitens, den Ausdruck, den er ausstrahlt.

Er gibt sich über den Ausdruck über Symbole (Bsp. Wörter), die er verwendet. Damit ist die Kommunikation im traditionellen engerem Sinne, wie Gespräche gemeint. Den Ausdruck, den er ausstrahlt umfasst den Bereich der Handlungen. Natürlich können beide Arten, durch Täuschung oder durch Verstellung, absichtliche Fehlinformationen weiterleiten.

Dies drückt sich in verschiedenen Interpretationen der Selbstdarstellung aus. Da gibt es unter anderem den Glauben an die eigene Rolle. Dies bedeutet soviel, dass der Einzelne, der seine Rolle spielt, seine Zuschauer auffordert, die Gestalt,

die sie sehen, besitze wirklich die Eigenschaften, die der Akteur vorführt. Der Akteur spielt seine Rolle für seinen Interaktionspartner und inszeniert seine Vorstellung nur für ihn.

Er kann auch eine Idealisierung beim Publikum hervorrufen, indem er seine Darstellung sozialisiert. Das heißt, die Darstellung wird dem Verständnis und den Erwartungen der Gesellschaft angepasst. Der Akteur wird sich demzufolge in seiner Selbstdarstellung vor dem Interaktionspartner bemühen, die offiziell anerkannten Werte der Gesellschaft zu verkörpern und zwar in einem stärkerem Maße als in seinem sonstigen Verhalten. Mit diesem Verhalten werden die Werte der Gemeinschaft bestätigt und gleichzeitig erneuert, so Durkheim.

Es gibt auch das Mittel der Fassade. Hier versucht die Fassade eine bestimmte Situation hervorzurufen. Diese Situation präsentiert eine Vorstellung, die für das jeweilige Publikum bestimmt ist. Dazu werden oft Requisiten und Kulissen für menschliche Handlungen benötigt.

Soll die Tätigkeit des Akteurs an Bedeutung für den Interaktionspartner gewinnen, so muss er sie gestalten. Während der Interaktion muss diese Gestaltung, dass ausdrücken, was er mitteilen will. Es kann vorkommen, dass der Akteur, seine Fähigkeiten nicht nur im gesamten Verlauf der Interaktion, sondern auch innerhalb weniger Sekunden beweisen muss. So muss zum Beispiel ein Schiedsrichter, der den Eindruck erwecken will, kompetent zu sein, d.h. sich seiner Entscheidung sicher zu sein, innerhalb weniger Sekundenbruchteile reagieren. Dabei muss er auf den Augenblick der Reaktion verzichten, der ihm gerade noch zusätzliche Sicherheit geben könnte. Also auf den Moment, indem er das Geschehene geistig vor seinem Auge wiederholt. Er muss unmittelbar, nach einer ausgeführten Handlung eines Spielers, eine Entscheidung fällen. Nur, indem er so handelt, reagiert, kann sich das Publikum und die Spieler sicher sein, dass sein Urteil richtig ist. Der Schiedsrichter muss sich in Szene setzen, damit andere den Wert seiner Arbeit erkennen. Diese Gestaltung der Inszenierung nennt Goffmann, dramatische Gestaltung.

Die folgende Inszenierung nennt er Ausdruckskontrolle. Der Akteur kann sich darauf verlassen, dass sein Interaktionspartner, kleine Hinweise (seitens des Akteurs) als Zeichen für wichtige Momente der Vorstellung annimmt. Aufgrund dieser Neigung, seitens des Interaktionspartners, Zeichen zu deuten, kann er die Hinweise missverstehen oder zufällige beziehungsweise versehentliche Gesten

und Ereignisse, die nach dem Willen des Akteurs keinerlei Bedeutung übermitteln sollten, falsch interpretieren.

In unserer Gesellschaft treten einige ungewollte Gesten in so verschiedenartigen Darstellungen auf und vermitteln Eindrücke, die so unvereinbar mit den gewünschten sind, dass diese Missgeschicke innerhalb der Gesellschaft eine symbolische Haltung angenommen haben.28

Erstens mag der Akteur schlechtes Benehmen, ungewollte Unfähigkeit oder mangelnden Respekt beweisen, indem er momentan die Kontrolle über sich selbst verliert. Er mag stolpern, fallen, gähnen, rülpsen, sich versprechen, sich kratzen...

Zweitens mag der Akteur den Eindruck erwecken, er sei entweder zu stark oder zu wenig an der Interaktion beteiligt. Er mag stottern, seinen Text vergessen, nervös oder schuldbewusst wirken, befangen sein; er mag im ungeeigneten Augenblick in Gelächter ausbrechen, Wutanfälle haben oder sonst Impulse nachgeben, die ihn als Teilnehmer aus der Interaktion entlassen.

Und drittens, kann die Wirkung des Akteurs durch mangelhafte Inszenierung beeinträchtigt werden.

Der Interaktionspartner kann sich in seiner Situation dadurch orientieren, dass er den Hinweisen des Akteurs vertraut. Das Publikum neigt jedoch dazu, manche Zeichen falsch zu deuten. Für den Darsteller ergibt sich daraus eine Gefahr missverstanden zu werden. So wird er gezwungen über seine Handlungen zu wachen, da sie in den Augen des Publikums falsch interpretiert werden könnten. Das Publikum befindet sich somit in ständiger Gefahr getäuscht und irregeführt zu werden. Viele Zeichen und Handlungen können falsch gedeutet werden. Es gibt ganz wenige Zeichen, die eine eineindeutige Aussagekraft besitzen. Viele Darsteller hätten die Fähigkeit, wie auch einen Grund, die Tatsachen falsch darzustellen. Scham, Schuldgefühle und Furcht hindern sie jedoch daran, dies zu tun.

Deshalb richtet das Publikum in erster Linie seine Aufmerksamkeit auf die Elemente der Darstellung, die nicht ohne weiteres manipulierbar sind. Danach kann es sich besser ein Urteil über die leichter zu fälschenden Hinweisen bilden.

Die Akteure bringen sich in eine gefährliche Lage, denn in jedem Augenblick ihrer Vorstellung kann ein Ereignis eintreten, dass ihn entlarvt und das ihm

wiederspricht. In dem Augenblick, indem die Vorstellung „ans Licht kommt“, wird der Akteur gedemütigt und verliert dabei seinen guten Ruf.

Um die Interaktion einzuschränken wahrt der Akteur eine soziale Distanz. Diese Methode kann beim Publikum Ehrfurcht erzeugen, da er versucht sich zu mystifizieren.

3.2. Individuum und Identität:

Aus soziologischer Sicht gibt es die Suche nach dem Selbst und dem Lebenssinn seit dem Anfang der Moderne. Dies ist ein Ausdruck von tiefgreifender Veränderung im Verhältnis von Individuum und Gesellschaft.

In der Feudalgesellschaft war der Mensch, das Individuum, Teil einer festgefügten, eindeutigen und überschaubaren Umwelt. In dieser Welt, war sein Platz von Geburt an festgelegt.

Arbeit und Leben waren noch unerkennbar miteinander verbunden und fand in „einem Haus“ statt. Der Einzelne war in einem Geflecht unmittelbarer Beziehungen eingebunden, in denen wirtschaftliche, soziale, politische und religiöse Aspekte eng miteinander verwoben waren. Mit der Auflösung der Feudalgesellschaft und der beginnenden Industrialisierung kam es zu einer Untergliederung der Gesellschaft in eine Vielzahl von Teilbereichen. Jeder Teilbereich ist auf eine bestimmte Erledigung von Aufgaben spezialisiert, wie zum Beispiel der Politik, Wirtschaft, Verwaltung, Wissenschaften etc... In der Soziologie wird hier von einer funktionalen Differenzierung der Gesellschaft gesprochen. Für immer mehr Menschen wird es nun möglich, aus ihrem Herkunftsmilieu auszubrechen und in Kontakt mit anderen unterschiedlichen Lebensformen zu bekommen. Der Zerfall der alten Sinnwelten, der alten sinnstiftenden Traditionen und Weltbilder ergab sich im Zuge der Modernisierung.

Der zeitgenössische Beobachter Karl Marx stellte einmal fest: „ Alles Stehende und Ständische verdampft, alles Heilige wird entweiht.29 Bisher wurden alle Bereiche des Alltagslebens in einer religiösen Sinnwelt eingebettet. Der einzelne befand sich stets in der gleichen „Welt“, egal ob man im Kreise seiner Familie oder bei der

Arbeit war, ob er an politischen Ereignissen oder an Festen und Zeremonien teilnahm.

Die „Welt“ des modernen Menschen ist völlig anders. Im Alltagsleben wechselt das Individuum ständig zwischen höchst unterschiedlichen und widersprüchlichen Bedeutungs- und Erfahrungswelten hin- und her. Für ihn ist es schwierig, in dieser derart fragmentierten Welt, zu Gewissheiten irgendwelcher Art zu gelangen. Das Verhalten, dass am Arbeitsplatz gefordert ist, gilt in der Familie als total verfehlt. Die Mittel, um sich auf dem Arbeitsplatz durchzusetzen, können im Privatbereich als unmoralisch verpönt werden. Der Zerfall einer einheitlichen, alles interpretierenden Sinnwelt wird durch die Pluralisierung der Lebenswelten abgelöst. Das wiederum ruft eine, von Soziologen als „ Unbehagen in der Modernität30 bezeichnetes Unwohlsein hervor.

In der alten Gesellschaft wurde der Einzelne als Gesamtperson, in der modernen Gesellschaft wird der Einzelne in seiner jeweiligen Rolle wahrgenommen. Die heutige Gesellschaft zerfällt in einzelne Funktionsbereiche und mit ihr zerfällt das Individuum, in den Steuerzahler, in den Patienten, in den Autofahrer, in den Konsumenten, in den Wähler... Der Einzelne ist ein permanenter Wanderer zwischen den Funktionswelten. In der modernen Gesellschaft kommt der Einzelne als ganze Person nicht mehr vor.

In dem nachfolgendem Zitat von Handke, einem Journalisten, der für „DIE ZEIT“ arbeitete, drückt sich diese schwierige und verwirrende Suche nach der persönlichen Identität folgendermaßen aus: „ Ich habe oft das Bedürfnis, zu jemanden hinzugehen und zu fragen, du sag ´mal, wer bin ich eigentlich?... Manchmal erschrecke ich Freunde, weil ich so vieles bin. Sie halten mich für so oder so. Im nächsten Moment denken sie, ich bin ein Umsprungsbild. Von mir könnte jemand, wenn ich spazieren gehe, alle zehn Meter ein anderes Bild bekommen.31

Handke bringt hier zur Sprache, was für den modernen Menschen alltäglich geworden ist. Die Frage nach der Identität, „Wer bin ich?“ oder „Was bin ich?“ ist in unserer Gesellschaft zu einer belastenden Frage geworden. Unsere Gesellschaft ist zersplittert in eine Vielzahl widersprüchlicher Lebensformen und

Sinnwelten, die uns die Suche nach der eigentlichen Identität zusätzlich erschweren.

[...]


1 http://www.qurelles-net.de/2002-6/text07.htm. ,07.07.2002

2 Gabriele Klein, „Electronic Vibration. Popkultur Theorie“ (S.11)

3 Edmund Husserl, Mai 1935, Vorträge über „Die Philosophie in der Krisis der europäischen Menschheit“ vor dem Wiener Kulturband, im November des gleichen Jahres in Prag

4 http://home.t-online.de/home/MBlue/fichtsch.htm , 03.09.02

5 http://www.dataway.ch/~mbaumann/Akzessfile%201.htm ,03.09.02

6 http://home.datacomm.ch/biografien/biografien/bingen.htm , 03.09.02

7 http://home.t-online.de/home/MBlue/fichtsch.htm , 03.09.02

8 Hildegard von Bingen „Philosophie der Leiblichkeit“ Hrsg.: Heinrich Schipperges, Olten, Freiburg 1980

9 http://home.t-online.de/home/MBlue/fichtsch.htm, 03.09.02

10 http://home.t-online.de/home/MBlue/fichtsch.htm, 03.09.02

11 http://home.t-online.de/home/MBlue/fichtsch.htm, 03.09.02

12 Hildegard von Bingen „Gotteserfahrung und Weg in die Welt“ Hrsg.: Heinrich Schipperges, Olten, Freiburg 1980

13 Hildegard von Bingen „Gotteserfahrung und Weg in die Welt“ Hrsg.: Heinrich Schipperges, Olten, Freiburg 1980

14 Paracelsus. Theophrast von Hohenheim gen. Paracelsus, Sämtliche Werke.
Abteilung I: Medizinische, naturwissenschaftliche und philosophische Schriften, hrsg. von Karl Sudhoff, I - XIV, München usw. 1922 - 1933.

15 Paracelsus. Theophrast von Hohenheim gen. Paracelsus, Sämtliche Werke.
Abteilung I: Medizinische, naturwissenschaftliche und philosophische Schriften, hrsg. von Karl Sudhoff, I - XIV, München usw. 1922 – 1933

16 http://www.natura-naturans.de/artikel/entien.htm , 03.09.02

17 http://www.natura-naturans.de/artikel/entien.htm , 03.09.02

18 http://www.natura-naturans.de/artikel/entien.htm , 03.09.02

19 http://www.natura-naturans.de/artikel/entien.htm , 03.09.02

20 http://www.natura-naturans.de/artikel/entien.htm , 03.09.02

21 http://www.natura-naturans.de/artikel/entien.htm , 03.09.02

22 Goethe an Knebel, 08.04.1812

23 Edmund Husserl, Mai 1935, Vorträge über „Die Philosophie in der Krisis der europäischen

Menschheit“ vor dem Wiener Kulturband, im November des gleichen Jahres in Prag, S.153

24 Friedrich Nietzsche, „Die Geburt der Tragödie“, S.196; Digitale Bibliothek 2.70, Band 2: Philosophie von Platon bis Nietzsche, Webinfo: http://www.digitale-bibliothek.de/band2.htm

25 http://www.geocities.com/kpmendler/Magister.txt, 04.09.02

26 Novalis II, (682)

27 Ervin Goffmann „Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag.“, München, Piper 1976; (S.VIII)

28 Ervin Goffmann „Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag.“, München, Piper 1976

29 Marx, Karl/Engels, Friedrich: Das Manifest der kommunistischen Partei, Berlin: Dietz 1974.

30 Peter L. Berger, Brigitte Berger u. Hansfried Kellner: Das Unbehagen in der Modernität. Frankfurt a. M.: Campus, 1975.

31 Handke, in: DIE ZEIT, 03.03.1989, S.79

Ende der Leseprobe aus 58 Seiten

Details

Titel
In welcher Form existiert der Körper im Cyberspace?
Hochschule
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg  (Soziologie)
Veranstaltung
Seminar: Interaktionistische Theorie des Körpers
Note
1,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
58
Katalognummer
V8094
ISBN (eBook)
9783638151672
Dateigröße
977 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Arbeit gibt einen soziologischen, wie einen kleinen philosophischen Einstieg in die Problematik Körper und Geist mit Bezug zum Internet. 384 KB
Schlagworte
Körper und Geist; Interaktion und Kommunikation; Körperlichkeit
Arbeit zitieren
Jana Hochberg (Autor:in), 2002, In welcher Form existiert der Körper im Cyberspace?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/8094

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