Der Lexikonerwerb bei Kindern


Zwischenprüfungsarbeit, 2003

25 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1 Einführung

2 Von nichtsprachlichen und vorsprachlichen Mitteln der Referenz zu den ersten Wörtern

3 Wortschatzwachstum und vocabulary spurt

4 Erste Wörter und ihre Bedeutungen
4.1 Überextension und Überrestriktion

5 Der Lexikonerwerb bei bilingualen Kindern
5.1 Spracheneinfluss
5.2 Sprachentrennung
5.3 Interferenzen

6 Schluss

7 Literaturverzeichnis

1 Einführung

Sprache ist ein wichtiges Mittel der Kommunikation. Kinder stehen von Anfang an vor der Aufgabe die sprachlichen Zeichen zu erwerben und sie richtig zu benutzen. Nach dem Organon-Modell von Karl Bühler steht ein sprachliches Zeichen in der direkten Verbindung zwischen Sender und Empfänger und in der indirekten Verbindung zwischen Gegenstand und Sachverhalt (Symbol). Die Beziehung zwischen Zeichen und Symbol ist nicht eine zeicheninterne, sondern eine, die in jeder Situation neu vom Sender hergestellt wird.

Kinder benutzen zuerst nichtsprachliche Referenzen, d.h. Symbole, die auf etwas Bezug nehmen und erst danach sind sie dazu imstande sprachliche Referenzen richtig zu benutzen. Kinder sollen Verständnis über die fortdauernde Existenz eines Objektes, unabhängig von der eigenen Wahrnehmung, erwerben. Dieses Verständnis ist die erste Stufe auf dem Weg zur Entwicklung der Symbolfunktion.

In dieser Semesterarbeit wird die Aufgabe gestellt den Prozess zu zeigen, wie monolinguale und bilinguale Kinder Lexikon erwerben. Anschließend wird die Entwicklung des Lexikons bei diesen Kindern verglichen.

Im ersten Kapitel wird beleuchtet, wie das Kind von nichtsprachlichen und vorsprachlichen Mitteln der Referenz zu den ersten Wörtern kommt.

Ein besonders interessanter Punkt im Lexikonerwerb ist ein sprunghafter Anstieg des Wortschatzwachstums. Forscher bezeichnen diese Phase mit einem englischen Fachausdruck dem vocabulary spurt. Es wird die Frage gestellt, ob der vocabulary spurt bei allen Kindern obligatorisch ist. Im dritten Kapitel werden die Beispiele der ersten Wörter bei englischsprachigen und deutschsprachigen Kindern angeführt. Es wird auch angesprochen wie und in welchem Kontext diese ersten Wörter verwendet werden. Manchen Wörtern misst das Kind eine andere Bedeutung zu als ihnen tatsächlich zusteht. Das führt zur Entstehung von Überextensionen, Überrestriktionen, Überlappungen und mismatch.

Im vierten Kapitel wird auf den Lexikonerwerb bei bilingualen Kindern eingegangen. Hier werden auch die zwei Theorien zum simultanen Erwerb zweier Erstsprachen erwähnt. Diese sind Sprachentrennung und Spracheneinfluss. Zum Schluss werden die lexikalischen Interferenzen erläutert, die besonders häufig bei bilingualen Kindern auftreten.

2 Von nichtsprachlichen und vorsprachlichen Mitteln der Referenz zu den ersten Wörtern

Die nichtsprachlichen Formen des Referierens kann man als Vorläufer der Lexikonentwicklung betrachten und dieser Entwicklungsprozess beginnt schon im ersten Lebensjahr. Beim Erwerb referentieller Mittel lernt das Kind einen Bezug zwischen verbalen und nichtverbalen Ausdrucksformen und allen wahrnehmbaren Objekten aus der Umwelt herzustellen (vgl. Kauschke 2000:8)

Zuerst entwickelt das Kind die Fähigkeit, über Blickverhalten Referenz zu stiften. Es schaut auf das Objekt und dann auf den Gesprächspartner. Damit bekommt das Kind die Information, ob der gemeinsame Bezug zum Objekt hergestellt ist.

Die anderen Referenzmittel sind die Gesten. Bruner (1987) unterscheidet die Gesten des Hinlangens mit der offenen Hand (reaching) und die gezielte Zeigegeste mit dem Zeigefinger. Mit der Zeit entwickelt sich beim Kind die Fähigkeit die Zeigegeste in Kombination mit Protowörtern und dann mit konventionellen Wörtern zu verwenden. Der Endpunkt dieser Entwicklung ist, wenn das Kind sprachliche Referenzen zu benutzen lernt.

„Sobald eindeutigere, sprachliche Referenz möglich ist, verringert sich die Anzahl der Gesten. Im weiteren Verlauf übernehmen Gesten dann andere Funktionen z.B. Untermalung, Akzentuierung und Ergänzung der Rede. Das allmähliche Verschwinden der Gesten kann also als Indikator für das Auftauchen der sprachlichen Referenz gewertet werden. Obwohl hier ein gradueller Übergang von präverbalen zu verbalen Mitteln aufgezeigt wird, können diese Befunde noch keine Auskunft darüber geben, warum ab einer gewissen Altersstufe ein drastischer Anstieg an Vokalisationen und dann an Wörtern zu beobachten ist“ (Zinober&Matlew 1985: 302)

Um die Aufmerksamkeit der anderen auf sich zu ziehen, benutzt das Kind schon die Vokalisationen. Die Lenkung der Aufmerksamkeit durch ein stimmliches Medium hat gegenüber Gesten den Vorteil, dass die Erwachsenen auch dann das Signal hören, wenn sie das Kind nicht sehen. Mittels Vokalisation drückt das Kind seine Emotionen aus: es girrt und lacht und zeigt, ob es zufrieden ist.

Dore (1976) erfasst dieses Phänomen unter dem Begriff der „phonetisch konsistenten Formen“ (PCF).

„Die (PCF) sind damit Zeichen, die zu ihrem Inhalt in einem losen assoziativen oder expressiven Bezug stehen und unter kontextspezifischen Bedingungen gebraucht werden.“ (Kauschke 2000: 10).

Dore et al. betonen, dass PCFs noch nicht referentiell sind, allerdings stellen sie schon für das Kind einen Lernprozess dar.

Im Alter von ungefähr vier Monaten beginnt das Baby auch Zunge und Lippen im vokalen Spiel zu benutzen. Das Kind produziert nicht nur ungerundete Vokale, sondern auch konsonantenartige Laute. Es macht dem Kind Spaß, die unterschiedlichen Laute zu produzieren und sie anzuhören. Wenn das Kind zwischen 25-50 Wochen alt ist, tritt es in die Babbelphase, die vor allem aus der Wiederholung von Konsonant -Vokalpaaren zu bestehen scheint z.B. „bababa“, „nanana“, danach aber immer komplexer wird. Nach etwa neun Monaten kann man von einem expressiven Kauderwelsch sprechen, wobei allerlei Lautfolgen mit unterschiedlichen Betonungen und Intonationsmustern produziert werden. Es scheint, als ob das Kind in einer Fremdsprache redet. Das Babbeln hilft dem Kind, den Mechanismus der Sprache zu lernen und vor allem, wie die erforderlichen artikulatorischen Bewegungen mit dem Atem koordiniert werden können.

„Durch das Babbeln entdeckt das Kind den Zusammenhang zwischen den vokal-motorischen Handlungen (Sprachproduktion) und deren auditiven Auswirkungen (Sprachperzeption).“ (Dijkstra & Kempen 1993:86)

Die Babbelphase kann sich bis über eineinhalb Jahre erstrecken und das Babbeln wird immer sozialer und imitativer und entwickelt sich phonologisch betrachtet in die Richtung der Muttersprache. Babbeln und das Aussprechen der ersten Wörter kommen eine Zeit lang gleichzeitig vor.

Mit neun Monaten tauchen die Protowörter auf. Die Protowörter sind gewöhnlich kindliche Eigenkreationen. Die Protowörter zeigen schon einige referentielle Fähigkeiten an, aber erfüllen noch nicht die Kriterien der echten Wörter. Von „echten“ Wörtern unterscheiden sie sich durch ihre stärkere Bindung an die jeweilige Situation und dadurch, dass sie nicht Bestandteil des Lexikons der Erwachsenensprache sind. Die Protowörter treten mit den echten Wörtern lange Zeit parallel auf, es kann sogar zu Verbindungen von beiden kommen, wie in piepvogel, bähschaf und adagehen (Stern/Stern 1928).

Die Kinder mögen auch die onomatopoetischen Formen (oder Lautimitationen). Das sind solche Wörter, die auf die von Tieren, Fahrzeugen, Geräten produzierten Geräusche zurückgehen. In einigen Fällen ist die Struktur der Formen, die von Kindern ausgesprochenen onomatopoetischen Formen ähnlich der Erwachsenensprache, weil die älteren Sprecher diese Ausdrücke in der Interaktion mit Kindern verwenden. In anderen Fällen imitieren die Kinder direkt die hervorgebrachten Geräusche, ohne Formen aufzugreifen, wie sie auch in der Erwachsenensprache vorkommen (vgl. Piske 2001: 29)

In dieser Phase ist es für die Außenstehenden oft schwer zu unterscheiden zwischen den wirklichen Wörtern und einfachen Lauten. Dore et al. (1976) berichten anhand verschiedener literarischer Quellen über die zwei am meisten verbreiteten Kriterien für die Identifikation der ersten Wörter: 1. die Entwicklung der kindlichen Ausdrucksformen zu der erwachsenen Wortwahl 2. die übereinstimmende Benutzung von Lauten im Verhältnis zu den Objekten oder Situationen. Veneziano (1981) fügte noch ein drittes Kriterium hinzu für die Identifikation der bedeutungsvollen Wörter bei kleinen Kindern. Er betrachtete noch zusätzlich den Faktor, ob diese Laute für die Erwachsenen verständlich sind. (vgl.Dromi 1987:14-15).

„Von einem referentiellen Wort kann gesprochen werden, wenn das Kind eine konventionell festgelegte lexikalische Form als unabhängiges und flexibles Zeichen in unterschiedlichen Kontexten und mit einem festen inhaltlichen Bezug verwendet.“ (Kauschke 2000:11)

3 Wortschatzwachstum und vocabulary spurt

Mit etwa 12 Monaten tauchen die ersten „echten“ Wörter auf. Bloom et al. (1993) ermittelte hierzu ein durchschnittliches Alter von 13;26 Monaten, wobei die interindividuelle Variation zwischen 10;5 und 17;23 Monaten lag.

Nelson (1973) fand heraus, dass das Alter, in dem die Kinder 10 Wörter erlernt haben, bei ungefähr 15 Monaten und für 50 Wörter bei 20 Monaten lag. Mit 24 Monaten lag der Wortschatz bei 186 Wörtern (von 28 bis 436 Wörter).

Fenson et al. (1993) haben die Untersuchungsmethode benutzt, bei der die Mütter die Wörter gesammelt haben, die ihre Kinder gesprochen haben. Diese Studie umfasste Kinder im Alter von 8 bis 30 Monaten. Das Ergebnis war, dass die Kinder 10 Wörter im Alter von 13 Monaten, 50 Wörter im Alter von 17 Monaten, und von 41 bis 668 Wörter mit zwei Jahren erworben haben. Dies ist allerdings nur ein Ausschnitt aus der Wortschatzwachstumsphase. Das Gesamtbild kann erreicht werden, wenn man auch das Verständnis der Wörter untersucht. Benedict (1979) hat eine Untersuchung gemacht, in der er Mütter gebeten hat, dass sie nicht nur die Wörter aufnehmen, die ihre Kinder produzieren, sondern auch die Wörter, die ihre Kinder sinngemäß verstehen können. Das Ergebnis enthüllte, dass die Kinder bei 10 produzierten Wörtern im Verhältnis schon ca. 60 Wörter verstanden. Zur gleichen Folgerung, nämlich, dass die Wörterproduktion und das Wörterverständnis nicht zahlenmäßig auf dem gleichen Niveau liegen, kam auch Fenson (1993).

Unter den ersten 50 Wörtern überwiegen bei den meisten Kindern die Nomina. Szagun (2002) errechnete bei 15 von 17 deutschen Kindern einen Anteil von 64,6% Nomina, 23,4% Funktionswörtern, 7,1% Verben und 4,6%Adjektiven. Zwei Kinder zeigten aber ein anderes Bild: Bei ihnen waren unter den ersten 50 Wörtern die Funktionswörter mit 63%, gefolgt von Nomina mit 29,5%, Adjektiven mit 5% und Verben mit 3%. Die Struktur der Muttersprache hat auch einen Einfluss auf die Wortartenverteilung. Kinder, die Sprachen Mandarin, Koreanisch und die Mayasprache Tzeltal erwerben, produzieren schon in früheren Phasen der Lexikonentwicklung einen großen Anteil an Verben, die morphologisch markiert werden und als produktive Bestandteile früher Mehrwortäußerungen erscheinen. Im Koreanischen z.B. steht das Verb immer am Satzende, in einer herausgehobenen festen Position, und die Auslassung von Nomina ist erlaubt, wenn sich aus dem Kontext ergibt, worauf sich der Sprecher bezieht. Bei einem kognitiven Test von Koreanischen und Englischsprechenden Kindern, stellte sich fest, dass englische Kinder früher ein differenziertes Benennvokabular haben und sind besser bei Aufgaben der Objektkategorisierung, koreanische Kinder verwenden früher ein differenziertes Verbsystem und erlernen früher Mittel-Zweck-Beziehungen, die für Handlungen relevant sind. (vgl.Dittmann 2002: 50)

Die Untersuchungen haben gezeigt, dass der Erwerb der ersten Wörter eine lange Zeit in Anspruch nimmt. Die Kinder erwerben nur 2-3 Wörter pro Woche. Aber wenn der Wortschatz 20-40 Wörter erreicht hat, kommt es oft zur Wortschatzexplosion (vocabulary spurt). Ab diesem Punkt vergrößert sich der Wortschatz schnell und die Kinder lernen manchmal acht oder mehr Wörter pro Woche. Es gibt aber kein gemeinsames Muster für den Lexikonerwerb. Einige Kinder produzieren ein einziges Wort während vieler Monate, die anderen produzieren gleichzeitig viele Wörter.

Clark (1993) vergleicht zwei Kinder in ihrem Lexikonerwerb: Keren mit der Muttersprache Hebräisch, die Tochter von Dromi (1987) und Damon, der Englisch als Muttersprache erworben hat. Keren wurde untersucht im Alter von 0;10 bis 1;6. In den ersten neun Wochen produzierte sie wenig neue Wörter. Jede Woche wurden nur von eins bis fünf Wörter erlernt, hier sind die Beispiele auf Hebräisch und Deutsch ?aba/ Vater, pil/ Elefant, buba/ Pupe, ?oto/Auto, hine/hier. Dann hat sich die Verhältnisziffer ein bisschen erhöht auf 8 und 9 Wörter. Im Alter von 1;3 verdoppelte sich die Ziffer kurz vor der Wortschatzexplosion. Im Alter von 1;3,27 bis 1;4,17 d.h. in drei Wochen erlernte Keren 111 Wörter. Danach fiel die Zahl auf 20 Wörter in der Woche und das dauerte drei Wochen dann fiel die Zahl noch einmal. Im Alter von 1;5,16 – 1;5,23 produzierte Keren ihre ersten Wortkombinationen z.B. maxe/Was ist das?, ?alai/auf mich, lo po/nicht hier. Keren hat während der 32 Wochen 337 Wörter erworben.

Damon folgte dem anderen Muster. Sein Start war relativ langsam. Er produzierte nur 1-7 Wörter bis 12 Wochen. Seine Zahl erhöhte sich ein bisschen mit kleinen Spitzen von 11-12 Wörter bis 18-25 Wörter pro Woche. Als sein Wortschatz genauso wie Kerens war, zeigte er keinen vocabulary spurt und das passierte auch später nicht. In den ersten Wochen als er erste Wörter produzierte, produzierte er auch die ersten Wortkombinationen. Damon produzierte die Phrasen mit der steigenden Häufigkeit und schon nach vier Wochen überholte die Phrasenproduktion die Wortproduktion. Keren und Damon folgten ganz verschiedenen Muster des Lexikonerwerbs. Keren fing langsam an und erlernte nur einige Wörter pro Woche. Dann fing sie an die neuen Wörter mit den Ausbrüchen hinzuzufügen, mit den kleinen Pausen zwischendurch. Dann kam der vocabulary spurt, dem eine lange Pause folgte, bevor sie anfing die Wörter zu kombinieren. Damon hat auch langsam angefangen, aber schon nach acht Wochen hat er die zufälligen Wortkombinationen produziert. Seine Wortkombinationen haben sich parallel mit den Wörtern erhöht. Einige Kinder können anderen Erwerbsmustern folgen oder sogar die Einwortphase auslassen und bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht sprechen. Diese Variationen hängen damit zusammen, wie die Kinder das Lautsystem ihrer Sprache erwerben. Einige beginnen mit den Wörtern. Diese Kinder produzieren schon erkennbare, den Erwachsenen sich annähernde Wörter. Die anderen produzieren intonationale Umrisse und Phrasen. Die Sprache dieser Kinder ist schwieriger für das Verständnis. Clark meint, das die Schnelligkeit des Lexikonerwerbs von der motorischen Entwicklung abhängt. Die Kinder, die lange Zeit für die artikulatorischen Programme brauchen, verzögern die Produktion der Wörter. Die anderen, bei denen die motorische Entwicklung schneller voranschreitet, produzieren früher die Wortkombinationen. (vgl.Clark 1993:22-26)

Einige Forscher ziehen auch die Geschlechtsunterschiede im Lexikonerwerb in Betracht. Martyn Barret zitiert Fenson(1993): „There is a tendency for girls to acquire words at a slightly faster rate than boys overall.“

Diese Geschlechtsvariation ist aber nicht so wichtig im Vergleich mit den großen Variationen in jedem Geschlecht.

Nach den Untersuchungen von 18 Kindern sind Goldfield und Reznick zum Schluss gekommen, dass nicht alle Kinder ein sprunghaftes Anwachsen des Wortschatzes haben. Fünf von diesen Kindern haben keinen vocabulary spurt gezeigt. Sie hatten einen graduellen Anstieg des Wortschatzes während des zweiten Lebensjahrs. Nach den Angaben von Bloom et al. (1993) haben die Kinder den vocabulary spurt mit durchschnittlich 19;7 Monaten bei einer individuellen Variation von 15;2 bis 25;6 Monaten. Ihre Studie zeigte auch, dass zwischen dem Auftretenszeitpunkt der ersten Wörter und dem vocabulary spurt ein Intervall zwischen einem und acht Monaten liegen kann.

Mervis & Bertrand (1995a) sehen aber den Spurt als grundsätzlich vorliegendes Wachstumsmuster aller sich normal entwickelnden Kinder. Sie haben in drei Fällen gezeigt, dass ein drastischer Zuwachs auch später möglich ist (durchschnittliches Alter 1;8 bei einer mittleren Wortschatzgröße von 112 Wörtern). Sie glauben, dass es einen universellen Entwicklungsverlauf mit individueller Variation hinsichtlich des Zeitpunktes gibt. Bei den Untersuchungen haben verschiedene Forscher verschiedene Muster der Zuwachsgeschwindigkeit ermittelt:

- Ein schnelles und sprunghaftes Anwachsen (vocabulary spurt explosion), z.B. Goldfield & Reznick (1990), Bloom (1993), Robinson & Mervis (1998), Dromi (1999)
- Mehrere kleine Sprünge zu verschiedenen Zeitpunkten (treppenförmig), z.B. Clark (1993), Anisfield et al. (1998)
- Eine ausgedehntere Wachstumsphase (long- term vocabulary surge), Goldfield & Reznick (1990)
- Eine exponentielle Wachstumskurve, z.B. Bates et al. (1995)
- Ein graduelles, lineares Wachstum, z.B. Goldfield & Reznick (1990), Bloom (1993), Fenson et al. (1994)
- Ein abwechselnder Verlauf von mehr oder weniger ausgedehnten Spurtintervallen und Plateaus, z.B. Menyuk et al. (1995), Goldfield & Reznick (1996), Robinson & Mervis (1998)

(vgl. Kauschke 2000 : 14)

Dass die Ergebnisse so unterschiedlich sind, kann an den Erhebungs- und Auswertungsmethoden liegen. Von besonderer Bedeutung sind der insgesamt erfasste Zeitraum der Lexikonentwicklung sowie der Abstand zwischen Messintervallen: Je länger das Intervall zwischen den Messzeitpunkten ist, um so deutlicher sichtbar können Veränderungen der Erwerbsgeschwindigkeit hervortreten. Diese unterschiedlichen Ergebnisse stellen die Gültigkeit in Frage. Hierzu sind also noch weitere Untersuchungen erforderlich.

4 Erste Wörter und ihre Bedeutungen.

Zuerst muss das Kind das Lautsystem so erlernen, dass es ihm keine Probleme bereitet die Wörter so auszusprechen, wie die Erwachsenen das machen. Kinder, die perzeptive und/ oder motorische Probleme noch nicht gelöst haben, vereinfachen die Lautform von Wörtern. Dijkstra (1993) gibt folgende Beispiele. Das Kind lässt nicht-betonte Silben oft weg: es sagt Mate anstatt Tomate. Konsonantencluster werden anfangs oft weggelassen (Pferd wird Pfe), später vereinfacht (Schuhe werden Suhe) oder ausgetauscht (Mädchen wird Mädse). Reduplikation (Kokolala für Nikolaus), Tilgung der Endkonsonanten (gehö für gehört) und Vokalisierung silbischer Konsonanten (Apfu für Apfel). Die Plosive werden zu Beginn eines Wortes stimmhaft ausgesprochen Damm für Kamm und Gudel für Pudel.

[...]

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Der Lexikonerwerb bei Kindern
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Seminar für Deutsch als Fremdsprache)
Note
1,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
25
Katalognummer
V80812
ISBN (eBook)
9783638871112
ISBN (Buch)
9783656298496
Dateigröße
428 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Lexikonerwerb, Kindern
Arbeit zitieren
Antonina Bespalova (Autor:in), 2003, Der Lexikonerwerb bei Kindern , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/80812

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