Die Gewaltproblematik als differenzierungstheoretischer Aspekt im Prozess der Zivilisation

Ursachenforschung nach möglichen Zusammenhängen zwischen Zivilisation und Gewalt am Beispiel der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen des 20. Jahrhunderts


Seminararbeit, 2007

30 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Zur Definition des Begriffes der Zivilisation bei Norbert Elias

3. Differenzierungstheoretische Aspekte in Norbert Elias’ Prozess der Zivilisation
3.1. Psychogenetische Zivilisationstheorie
3.2. Soziogenetische Staatsbildungstheorie

4. Psychogenese im Prozess der Zivilisation
4.1. Wandlungen in den Sitten ab dem frühen Mittelalter
4.2. Spezifika des Zivilisationsprozesses
4.3. Vom Fremd- zum Selbstzwang
4.4. mögliche Zusammenhänge zwischen Zivilisation und Gewalt

5. Soziogenese im Prozess der Zivilisation
5.1. Gesellschaftliche Differenzierung mit Hilfe Des Monopolmechanismus’
5.2. Das Gewaltmonopol als stabilisierendes Element im Prozess der Zivilisation
5.2.1. Das Interdependenzgeflecht von Gewalt- und Steuermonopol
5.2.2. Die Vergesellschaftung der Monopole
5.2.3. Perspektivenwechsel im Kampf um die Monopole

6. Zivilisation und Gewalt am Beispiel des nationalsozialistischen holocausts
6.1. Die gestaltung des emotionalen lebens
6.2. Die Rebarbarisierung der Gesellschaft
6.3. Die nationalsozialistische Diktatur – historische fakten
6.4. Auf der Suche nach einer möglichen Erklärung

7. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die hier vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Gewaltproblematik als differenzierungstheoretischer Aspekt im Prozess der Zivilisation von Norbert Elias. Es wird sich zeigen, dass Gewalt einen bedeutenden Faktor innerhalb der Theorie darstellt. Unter Zuhilfenahme der Zivilisationstheorie soll dann erklärt werden, wie es zum Bruch der Zivilisation und der damit verbundenen Gewaltverbrechen im Zuge des nationalsozialistisch provozierten Holocausts am Anfang des 20. Jahrhunderts kommen konnte. Diese Fragestellung scheint insofern von Interesse zu sein, da sich Norbert Elias selbst damit auseinander setzte.

Zum möglichen Zusammenhang von Zivilisation und Gewalt werden im Folgenden vier Thesen nach Peter Imbusch genannt. Es wird sich im Verlauf der Arbeit herauskristallisieren, welche Position Norbert Elias dabei einnimmt. Seine Position soll in dieser Arbeit dann als gültige Erklärung gelten. Verfechter seiner Theorie werden hingegen anderer Meinung sein. Aber das soll hier nicht zur Debatte stehen.

Die im Prozess der Zivilisation enthaltenen Begriffe Psychogenese und Soziogenese werden umfassend erklärt. Dies scheint notwendig bezüglich der korrekten Anwendung der Zivili­sations­theorie auf das Hauptproblem der Gewaltausübung. Mit Hilfe von verschiedenen Mechanismen, zum Beispiel der Trieb- und Affektregulierung oder dem Monopol­mechanismus, werden die Entwicklungen des menschlichen Verhaltens auf der einen Seite sowie die Herausbildung des Staatswesens auf der anderen Seite nachgezeichnet. Einem besseren Verständnis und einer deutlicheren Anschaulichkeit geschuldet, wird der geschichtliche Rahmen auf die Zeit vom frühen Mittelalter bis zur Zeit des Absolutismus begrenzt. Diese Eingrenzung ist allerdings keine Willkür des Autors. Norbert Elias selbst definiert diesen zeitlichen Rahmen in seiner Zivilisationstheorie.

Auf der Suche nach einer möglichen Erklärung wird ein weiterer Aspekt unausweichlich: Die Einbeziehung historischer Fakten. Da diese Arbeit jedoch nicht auf historischen Abhandlungen fußen soll, werden sie nur marginal erörtert.

Trotzdem werden sie sich als äußerst gehaltvoll und wichtig herausstellen.

Am Ende dieser Arbeit wird eine mögliche Erklärung für den Zusammenhang zwischen Zivilisation und Gewalt formuliert, die sich an der Frage orientiert: Wie konnte sich eine nationalsozialistischen Diktatur und Gewaltherrschaft innerhalb des modernen, zivilisierten Deutschlands des 20. Jahrhunderts generieren?

2. Zur Definition des Begriffes der Zivilisation bei Norbert Elias

Wie eingangs bereits erwähnt, befasst sich diese Arbeit mit der Zivilisationstheorie von Norbert Elias. Allgemein formuliert wird unter Zivilisation der „[…] Entwicklungsstand der modernen abendländischen Gesellschaft, in dem auch ein erhebliches ‚Selbstbewußtsein’ (sic!) gegenüber den weniger zivilisierten Gesellschaften der früheren historischen Epochen und gegenüber den ‚primitiveren’ zeitgenössischen Gesellschaften anderer Länder zum Ausdruck kommt […]“ (Baumgart 1991, 53), verstanden. In dieser Begriffsdefinition vereinigen sich Vorstellungen über Begriffe wie Technik, Wissenschaft, Kultur und bestimmte Lebensweisen (vgl. Baumgart 1991, 53).

Doch Zivilisation ist keineswegs nur auf diesen etwas alltäglichen Sprachgebrauch herunter zu brechen, da diese „[…] ahistorische Betrachtungsweise […] zur Erklärung dieses Phänomens nicht aus(reicht) […]“ (ebd.). Dazu ist es notwendig, den Zivilisationsbegriff eindeutig zu klären und zu definieren, um ein adäquates Verständnis des Eliasschen Werkes gewährleisten zu können.

Unter Zuhilfenahme der Theorie der Triebimpulse von Sigmund Freud (auf die hier nicht explizit eingegangen wird) erklärt Norbert Elias: „Menschen sind nicht von Natur aus zivilisiert, aber sie haben von Natur aus eine Anlage, die unter bestimmten Bedingungen eine Zivilisierung […] möglich macht“ (Elias 2003, 446). Zivilisierung ist für Elias dabei die „[…] individuelle Selbstregulierung momentaner trieb- und affektbedingter Verhaltensimpulse […]“ (ebd.). Dieser Teil der Definition wird sich im Verlauf dieser Arbeit als ein Kernstück der Theorie herauskristallisieren.

Wird diese Selbstregulierung als Hauptbestandteil des zivilisierten Verhaltens nun einfach als menschlich gegeben betrachtet, verliefe Zivilisation summa summarum relativ simpel. Doch ohne ein solches biologisch vorgegebenes Potential brechen Probleme auf, „da Menschen […] keine angeborene Trieb- und Affektregelung besitzen […]“ (ebd.). Hier liegt die Quintessenz der Erklärung. Es müssen demzufolge Mechanismen existieren, die es den Menschen ermöglichen, „[…] mit sich selbst und mit anderen Menschen leben zu können“ (ebd.).

Diese Mechanismen werden von Elias als „[…] gesellschaftsspezifische Zivilisationsmuster […]“ (ebd.) beschrieben und dienen der Mobilisierung der Selbstregulierung, indem Trieb- und Affektkontrollen von jedem Menschen persönlich erlernt werden müssen (vgl. Elias 2003, 446). Im Verlauf dieser Arbeit wird auf diese Mechanismen zur Selbstregulierung noch genauer eingegangen.

3. Differenzierungstheoretische Aspekte in Norbert Elias’ Prozess der Zivilisation

Um heraus zu finden, wie derartige Selbstregulierungsmechanismen im Verlauf der Menschheitsentwicklung entstehen konnten, verfasste Norbert Elias sein Werk „Über den Prozess der Zivilisation“ (Baumgart 1991, 54). Er entwickelt darin „[…] eine Theorie langfristiger Prozesse, die die Entwicklung […] von den frühmittelalterlichen Feudalgesellschaften bis zu den höfisch-absolutistischen Gesellschaften des 18. Jahrhunderts analysiert“ (ebd.). Mit Hilfe der beiden Begriffe Psychogenese und Soziogenese erläutert er differenzierungstheoretisch den Gesellschaftsprozess, der subsumierend als Zivilisation verstanden werden kann.

Die genaue Definition und Erklärung von Psychogenese und Soziogenese wird in den nächsten Kapiteln erfolgen. Differenzierungstheoretisch wichtig ist an dieser Stelle folgender Aspekt: „[…] die gegenseitige Abhängigkeit von Psychogenese und Soziogenese als interdependenter Teilbereich des Zivilisationsprozesses […]“ (Baumgart 1991, 55). Diese Annahme wird von Norbert Elias zu zwei miteinander verknüpften Theorien weiterentwickelt: „Erstens, eine Theorie des Persönlichkeits- und Verhaltenswandels, die Zivilisationstheorie, und zweitens eine Theorie der gesellschaftlichen Entwicklung, die Staatsbildungstheorie […]“ (ebd.).

3.1. Psychogenetische Zivilisationstheorie

Die Erklärung der psychogenetisch orientierten Zivilisationstheorie lautet wie folgt: Funktions- und Arbeitsteilung bestimmen als differenzierungstheoretische Variablen den langfristigen gesellschaftlichen Prozess. Sie ergeben sich „[…] aus dem Wettbewerbsdruck und dem damit verbundenen Zwang zur Produktivitätssteigerung […]“ (ebd). Dies wiederum bedeutet, dass die gesellschaftlichen Interdependenzketten und gegenseitigen Abhängigkeiten der Menschen untereinander, die zur Erfüllung derartiger Produktionsweisen erforderlich sind, immer länger werden. „Das Handeln in längeren Abhängigkeits- und Wirkungsketten erfordert jedoch ein berechenbares, reguliertes und kontrolliertes Verhalten jedes einzelnen“ (Baumgart 1991, 56).

Damit schließt sich der Kreis zu den oben angesprochenen Mechanismen zur Selbstregulierung. Menschliches Verhalten muss demzufolge trieb- und affektkontrolliert sein, um die zunehmende Differenzierung der Funktions- und Arbeitsteilung erfolgreich zu bewältigen. „Die Kontrolle der eigenen Triebe und Affekte, die Entwicklung eines weitsichtigeren […] Verhaltens […], bezeichnet Elias als den ‚Prozeß (sic!) der Zivilisation’ “ (ebd.).

Diese psychogenetische Entwicklung ermöglicht ihrerseits wiederum weitere gesellschaftliche Differenzierungen auf staatlicher Ebene – die soziogenetischen Entwicklungen. Denn gesellschaftliches Zusammenleben in modernen Staaten mit stabilen Regeln, Institutionen und einem Gewaltmonopol (darauf wird später noch genauer eingegangen) wird erst durch die Zivilisierung des menschlichen Verhaltens ermöglicht (vgl. Baumgart 1991, 56f.).

3.2. Soziogenetische Staatsbildungstheorie

Die soziogenetische Staatsbildungstheorie vollzieht sich für Elias als langfristiger, ungeplanter Prozess (vgl. Korte 2003, 326). Zur Veranschaulichung wählte er einen Zeitausschnitt von der „[…] mittelalterlichen Feudalgesellschaft zu den europäischen absolutistischen Staaten […]“ (Korte 2003, 325). Die von ihm beschriebene historische Staatsbildung „[…] führt zunächst zu einer Verkleinerung der Zahl der Konkurrenten, dann zur Monopolstellung einzelner Fürsten und schließlich zur Herausbildung des absolutistischen Staates mit der Monopolisierung der physischen Gewalt […]“ (Korte 2003, 326).

Diese Gewaltmonopolisierung des Staates „[…] erlaubt Langsicht und entsprechend lange Handlungsketten […]“ sowie „[…] die Zügelung der Affekte (und) eine Erweiterung der Denk- und Handlungsmöglichkeiten“ (ebd.). Damit ist die Verbindung zwischen Psychogenese und Soziogenese hergestellt: Beide bedingen und fördern sich gegenseitig (vgl. Baumgart 1991, 56).

Gewaltmonopol bzw. Gewalt an sich sind weitere wichtige differenzierungstheoretische Aspekte der Theorie von Norbert Elias, obwohl „[…] der Begriff ‚Zivilisation’ keineswegs primär oder gar einzig einen Bezug zur Gewalt […]“ (Imbusch 2005, 54) hat. Jedoch wird mit zunehmender sozialer Differenzierung und somit steigendem Zivilisationsgrad die Gewalt aus den Beziehungen der Menschen untereinander zurückgedrängt (vgl. Imbusch 2005, 53f.).

An späterer Stelle wird der Versuch unternommen, die nationalsozialistischen Gewalttaten des 20. Jahrhunderts zu analysieren und weiterhin zu begründen, wie ein derartiger Rückschlag der Zivilisation in einer hochgradig differenzierten Gesellschaft möglich werden konnte. Elias sagt selbst, dass der Zivilisationsprozess „[…] in ständiger Auseinandersetzung mit entzivilisierenden Gegenprozessen […]“ steht und es „[…] keinen Grund für die Annahme (gibt), dass er dominant bleiben muss“ (Elias 2003, 447).

[...]

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Die Gewaltproblematik als differenzierungstheoretischer Aspekt im Prozess der Zivilisation
Untertitel
Ursachenforschung nach möglichen Zusammenhängen zwischen Zivilisation und Gewalt am Beispiel der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen des 20. Jahrhunderts
Hochschule
Technische Universität Chemnitz  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
Theorien sozialer und funktionaler Differenzierung
Note
2,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
30
Katalognummer
V80731
ISBN (eBook)
9783638875295
ISBN (Buch)
9783638875387
Dateigröße
439 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gewaltproblematik, Aspekt, Prozess, Zivilisation, Theorien, Differenzierung
Arbeit zitieren
Christian Scheller (Autor:in), 2007, Die Gewaltproblematik als differenzierungstheoretischer Aspekt im Prozess der Zivilisation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/80731

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