Das Wesen der Lüge. Eine sprachphilosophische Betrachtung


Magisterarbeit, 2007

73 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Ziel der Arbeit
1.2 Forschungslage zur sprachlichen Untersuchung des Lügens
1.3 Vorgehen

2. Die Lügen - Definitionsversuche
2.1 Die Lüge aus historischer Sicht
2.2 Die Wahrhaftigkeit als Gegenbegriff zur Lüge
2.3 Die Lüge als sprachliche Handlung
2.4 Lüge vs. Täuschung
2.5 Worte der Lüge
2.6 Die Definition der Lüge

3. Die Akteure der guten Lüge
3.1 Die Ontogenese des Lügners
3.2 Von der Unmöglichkeit, sich selbst zu täuschen
3.3 Die Rolle des Sprechers
3.4 Die Rolle des Hörers
3.5 Die Beziehung zwischen Hörer und Sprecher
3.6 Die Skale des guten Lügens

4. Schlusswort

5. Literaturliste

1. Einleitung

„I offer my opponents a bargain:
if they will stop telling falsehoods about us,
I will stop telling the truth about them.“
Adlai Stevenson[1]

1.1 Ziel der Arbeit

„Obwohl spezielle Übung und Studium dabei helfen würden, finden wir, daß Lügen für uns auch ohne Studium natürlich ist“[2], schrieb Warren Shibles sehr erstaunt. Doch gerade das für uns Natürliche sollte einem genauen Studium unterzogen werden, um bestimmte Gesetzmäßigkeiten ableiten zu können.

Faszinierend an der Lüge ist ihre Vielfältigkeit. Im Allgemeinen gelten Lügen als niederträchtig, "oft sogar als schwerer Verrat.“[3] Grundsätzlich sind Lügen, genau wie jede sprachliche Handlung, nichts als die Aneinanderreihung sprachlicher Zeichen nach bestimmten Regeln. Jedes Wort kann eine Lüge sein. Diese Aussage scheint kontraintuitiv, denn Wörter allein sind nur Bezeichnungen und noch keine Aussagen. Werden sie jedoch in einem Kontext gebraucht, der nicht verbalisiert wird, sondern nur mitgedacht, können auch einzelne Wörter "wahr" oder "falsch" sein. Spezieller sind Lügen Behauptungen, die, so sie als Lügen aufgedeckt werden, in den meisten Fällen Ablehnung erfahren. Diese Missbilligung bezieht sich nicht nur auf den vermeintlichen Schaden, den der Belogene erleidet, sondern auf die gering eingeschätzte kognitive Leistung, die dem Belogenen zugestanden wird. Wie der Sprecher einer Lüge diese gestaltet, hängt maßgeblich von seiner Einschätzung der Erkenntnisfähigkeit des Hörers ab. Ein zentrales Thema der vorliegenden Arbeit wird demnach sein, welche komplexen Fähigkeiten der Hörer- und Sprecherrolle beim Lügen abverlangt werden.

Der Terminus des „guten Lügners“ ist trotz des semantisch positiv bewertenden Adjektivs nicht frei von Pejoration. Doch unter welchen Voraussetzungen wird die gemeine Lüge positiv bewertet? Welche Kriterien müssen erfüllt sein, um sie von der „schlechten Lüge“ zu unterscheiden und mit welchen Mitteln gelingt das? Welchen Anteil hat der Hörer an der Genese der Lüge? Ist es zeitweise sogar abhängig von Personen und Begleitumständen, ob eine Behauptung eine Lüge ist?

Das Ziel dieser Magisterarbeit ist es darzulegen, dass die gute Lüge für den Menschen eine positive Leistung darstellt, die als Sprachhandlung Fähigkeiten fördert, ohne die die Kommunikation nur auf niedriger Stufe möglich wäre. Durch die Kenntnisse des Aufbaus und der Verwendungsmöglichkeiten der Lüge gelangt der Sprecher zu einer optimalen Sprachkompetenz. Die Abstufungen der kognitiven Leistungen des Sprechers, der erfolgreich täuscht, stelle ich in einer Lügenskala dar. Betont wird eine optimale Nutzung der Sprache – hier nur auf einen Ausschnitt bezogen.

Dazu ist eine sprachwissenschaftliche Definition der Lüge nötig. Speziell möchte ich die Hypothese aufstellen, dass der Hörer eine wesentliche Rolle bei der Konstruktion der Lüge spielt. Dazu wird die Rolle des Sprechers (Lügners) analysiert ebenso die Rolle des Hörers (Belogenen) und es wird überprüft, welchen Ansprüchen diese Rollen gerecht werden müssen, um perfekt zu sein.

1.2 Forschungslage zur sprachlichen Untersuchung des Lügens

Die sprachwissenschaftliche Diskussion über das Lügen ist nicht sehr umfangreich. Die wichtigsten Positionen werden im Folgenden dargestellt.

Anfang des 20. Jahrhunderts geben Lipmann und Plaut eine umfassende Darstellung der Lüge heraus, die das Wesen der Lüge aus der Sicht verschiedener Fachbereiche zeigt. Sprachwissenschaftlich beschäftigt sich in dieser Zusammenstellung Friedrich Kainz in seinem Artikel "Lügenerscheinung im Sprachleben" mit verschiedenen Arten sprachlicher Täuschung, die auf der Ungenauigkeit der Sprache selbst basieren.[4] In den 1930er und 1940er Jahren, als „… die Lüge zum System wurde...“[5], gibt es wenig Interesse an einer Analyse des Lügens.

Erst in den 1960er Jahren entwickelt sich im Zusammenhang mit dem Linguistic Turn die Pragmatik als diejenige Disziplin, die eine sprachwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Lügen möglich macht. Harald Weinrich bringt 1964 die Lüge wieder in die Diskussion. Er betrachtet die Lüge im Kontext der Kommunikation und entwirft eine Syntax der Lüge. Weinrich präzisiert die These Augustinus´ und betrachtet einzelne Wörter und ihren Verwendungszusammenhang bezüglich der Lüge.

Von Nachfolgern wie Gabriel Falkenberg wird Weinrich wegen seines fehlenden Eingehens auf die Sprecherintention kritisiert. Falkenberg selbst entwirft eine Theorie der Lüge im engeren Sinne. Er untersucht die „klassische Theorie“ der Lüge und korrigiert sie hinsichtlich fehlender Analysen, z. B. welche Bedeutung die Begriffe wissen, glauben, sagen haben. Falkenberg hält Lügen für Behauptungsakte unter der zusätzlichen Bedingung, dass der Behauptende sich unwahrhaftig verhält. Mit seiner begriffsanalytischen Untersuchung schafft Falkenberg Anfang der 1980er Jahre die Voraussetzung für weitere pragmatische Theorieansätze.

Die 1993 herausgegebene Dissertation von Bettina Giese stützt sich wesentlich auf Falkenbergs Thesen. Giese betrachtet den gesamten Bereich sprachlicher Täuschungen. Ihr Anliegen ist es, eine Typologie sprachlicher Täuschungshandlungen zu schaffen. H. J. Heringer zeigt, welche sprachlichen Handlungsmöglichkeiten sich ergeben können, wenn grundlegende Prinzipien der Kommunikation dazu genutzt werden, etwas anderes zu tun als das, was man offensichtlich tut. Er bezieht die Konversationsmaximen von Paul Grice in seine Überlegungen ein.

Franz Hundsnurscher fordert 1994 eine intensivere pragmatische Analyse des menschlichen Sprachverhaltens.[6] Sein Ziel ist, Lügen als eine besondere Form des Sprachgebrauchs zu beschreiben. Hundsnurscher betrachtet aus pragmalinguistischer Sicht, ob das Lügen auch eine Form sprachlichen Handelns ist und problematisiert, dass sich lügenhafte Sätze grammatisch, morphologisch und semantisch nicht von wahrheitsgemäßen Aussagen unterscheiden. Er behandelt in seiner Arbeit, welche Art des sprachlichen Handelns das Lügen darstellt, wie das Lügen von den globalen Sprechakttypen her zu beurteilen ist und welche Arten von Lügen es gibt. Seine Kritik richtet sich an Falkenberg, Giese und Weinrich, die zu begriffsorientiert und zu wenig pragmatisch seien. Die Philosophin Simone Dietz bezieht sich in ihrem Werk „Die Kunst der Lüge“ eher allgemein auf die Beziehung zwischen Sprache und Moral. Ein spezieller Teil ist aber der Lügenproblematik in der Sprechakttheorie gewidmet. Die „Kunst des Lügens“ ist bei Dietz keineswegs positiv besetzt, sondern wird als neutrales Mittel „für beliebige Zwecke“[7] dargestellt. Sie stellt somit der Missbrauchsthese eine Neutralitätsthese der Lüge entgegen. Ihr Hauptanliegen ist eine Definition der Lüge, orientiert an der Praxis und nicht in metaphysischer Hinsicht.

Die Philosophin Maria Bettetini stellt in ihren Arbeiten (2001) auf interessante und unkomplizierte Weise die Lüge in einen historischen und theologischen Kontext. Sie beschäftigt sich u. a. mit den so genannten White lies.

Der Forschungsstand zeigt eine deutliche Hinwendung zur pragmatischen Untersuchung des Lügens.

1.3 Vorgehen

Die Hauptthese dieser Magisterarbeit ist: Die "gute" Lüge befähigt bei einer optimalen Sprachverwendung Hörer und Sprecher zu hohen kognitiven Leistungen. Um diese These zu stützen, soll nicht nur geklärt werden, was eine "gute", sondern, was eine Lüge grundsätzlich charakterisiert. Eine Charakterisierung kann sich jedoch nicht nur auf linguistischer Ebene vollziehen.

Das Lügen durchzieht allgegenwärtig sämtliche Lebensbereiche und es zeigt sich, dass sich Philosophen nicht nur aus ethischer Sicht mit dem Thema beschäftigen. Um sich der Lüge systematisch zu nähern, wurden aus den Bereichen der Soziologie, Theologie und Linguistik Begriffe, Phrasen oder Ausdrucksmöglichkeiten herausgearbeitet, die in ihrer Beziehung zur Lüge und für eine Analyse der Lüge unerlässlich sind.

Der Psalmvers 116, 11: "Omnis homo mendax" verweist auf die Besonderheit der Lüge, nur vom Menschen gebraucht zu werden. Anderen Lebewesen wie den Tieren wird das Lügen abgesprochen.[8] Auch die Götter werden auf Grund ihrer Motivlosigkeit als bar jeder Lüge beschrieben.[9] Ein altes jüdisches Sprichwort sagt: „Alles hat Gott ins Dasein gerufen, mit Ausnahme der Lüge und der Falschheit, diese haben die Menschen erfunden.“[10] Der theologische Ansatz der Betrachtung der Lüge beinhaltet einen spannenden Aspekt. So ist die Entität Gott eventuell die einzige, die die objektive Wahrheit erkennen kann. Ist doch intuitiv der konträre Ausdruck zur Lüge die Wahrheit. Thomas von Aquin weist dieses jedoch entschieden zurück: „Gegensätzliches kann nicht zugleich bestehen. Die Lüge aber kann zugleich mit der Wahrheit sein. Denn, wer die Wahrheit sagt, dabei aber glaubt, es sei die Unwahrheit, lügt, wie Augustinus sagt. Also ist die Lüge der Wahrheit nicht entgegengesetzt.“[11] Ein wichtiger Analysepunkt der Arbeit muss also das Verhältnis von Wahrheit und Lüge sein und die Suche nach einem Antonym zur Lüge. Auf diesen Aspekt wird in Kapitel 2.2 der vorliegenden Arbeit näher eingegangen.

Dass die Lüge mit "der Sprache auf’s engste verknüpft" ist, steht für Friedrich Kainz außer Zweifel.[12] Als sprachliches Phänomen von der Kommunikation jedoch ausgeschlossen, ist sie für Heringer durch ihren parasitären Charakter gekennzeichnet.[13] Notwendiger Bestandteil dieser Arbeit muss es demnach sein, die sprachlichen Voraussetzungen der Lüge zu klären und sie auf ihren kommunikativen Gehalt zu prüfen. Deshalb wird im Kapitel 2.3 die Lüge als sprachliche Handlung näher untersucht. Als Basistexte werden die Sprechakt- und Kommunikationstheorien von J. Searle, J. L. Austin und H. P. Grice verwendet.

Wie wichtig kognitive Fähigkeiten des Lügners sind, beschreibt Pierre Corneille. "Man muß ein gutes Gedächtnis haben, nachdem man gelogen hat."[14] Einen interessanten Diskussionsansatz bietet Friedrich Kainz, der behauptet: "Die sprachlichen Kategorien beeinflussen unser Denken, modeln unsere Gedanken."[15] So wird sowohl die Sprache als auch das Denken im Zusammenhang mit der Lüge betrachtet. Diese Betrachtung wurde an den Schluss gestellt, um die Hauptthese zu bekräftigen.

Auf einen speziellen sprachlichen Aspekt verweist Augustinus mit den Worten: „Demgemäß ist offensichtlich eine unwahre mit dem Willen zur Täuschung vorgebrachte Aussage eine Lüge.“[16] Hier wird ein Zusammenhang zwischen Lüge und Täuschung hergestellt. Gleichzeitig deckt dieses Zitat eine Eigenschaft des Lügners auf, der hier kontextuell als Sprecher mitgedacht werden muss, die auf eine absichtliche Handlung hinweist.

Für eine sprachphilosophische Betrachtung des Lügens wurden hier folgende Themengebiete ausgewählt: Wahrheitskriterien und Erfolgskriterien, die sprachliche Verfasstheit der Lüge, besondere Eigenschaften der Lüge, kognitive Eigenschaften des Sprechers und seine Intentionen.

Als Repräsentanten für den Ausschluss einer objektiven Wahrheit für die Erkenntnisfähigkeit des Menschen dienen F. Nietzsche und G. W. Hegel. Beide Philosophen haben mittels unterschiedlicher Ansätze demonstriert, dass der Begriff Wahrheit in Bezug zum Menschen subjektiv aufgefasst werden muss. Dieser Schluss ist notwendig für die weitere Verwendung des Ausdrucks Wahrheit. Die Philosophin S. Dietz fragt z. B.: "Was unterscheidet eine Lüge von der Wahrheit oder Wahrhaftigkeit, was unterscheidet sie von anderen Arten der Täuschung?“[17]

In der philosophischen Diskussion über die Lüge wird diese als „Verbiegung der Realität[18] “ beschrieben. Simone Dietz untersucht das Argument, dass der Gebrauch der Sprache schon zur Wahrhaftigkeit verpflichte, da der Zweck der Sprache die Verständigung sei und nicht die arglistige Täuschung. Sprache habe (außer man betrachtet sie normativ wirkend) nicht den Wahrheitsanspruch.

Zur sprachlichen Verfasstheit der Lüge stellt Bettina Giese ein Regelsystem sprachlicher Handlungen mit Täuschungsabsicht dar. Sie klärt: Wie kann diese Handlung vollzogen werden? Wie grenzt sie sich ab von anderen Sprachhandlungen? Wie wird eine Täuschung metakommunikativ zur Sprache gebracht? Welche Auswirkungen kann das Vollziehen von Täuschungen (oder das Unterlassen) auf den weiteren Verlauf der Kommunikation, das Verhältnis der Beteiligten haben?[19] Gieses Ausführungen werden deshalb in Bezug auf die Sprachregeln einbezogen.

Weinrich unternimmt einen Exkurs zu den so genannten Lügensignalen. Diese, wie auch die von Sacks[20] diskutierte Frage, ob Scherzen und Verulken mit in eine Lügendefinition gehören und ob andere Aussagen, die nicht wahrhaftig getroffen werden, wie beispielsweise die Ironie, unter den Begriff der Lüge fallen, wird unter der Überschrift "Lüge als sprachliche Handlung" im Kapitel 2.3 geklärt.

Mit der Problematik der Lüge als Sprachhandlung beschäftigt sich auch Gabriel Falkenberg. Da Falkenberg eine detaillierte Untersuchung dieser Fragen anstellt, wird er ausschlaggebend für eine Definitionsfindung sein.

Nach der Einbettung der Lüge in die Sprechakttheorie Searles werden besondere Eigenschaften der Lüge untersucht. Muss eine Aussage geglaubt werden, um eine Lüge zu sein? Jeannette Schmidts empirische Untersuchungen des Lügens werden im Kapitel "Lüge vs. Täuschung" herangezogen.

Harald Weinrich beschäftigt sich mit einem Zitat, das Talleyrand zugeschrieben wird: „Kann Sprache Gedanken verbergen ?“ Er stellt die Frage, ob jedes Wort eine Lüge sein kann und glaubt, "eine Syntax der Lüge"[21] erkennen zu können. Ausführlich wird dazu in Kapitel 2.5 Stellung genommen.

Sämtliche Ergebnisse aus diesen Kapiteln werden für eine Definition der Lüge genutzt.

Nach der Erarbeitung einer Definition der Lüge werden die Rollen des Sprechers, der als Konstrukteur der "guten" Lüge notwendig für ihre Analyse ist, betrachtet. Hierzu ist vorab festzustellen, auf welcher Stufe in der Entwicklung des Menschen die Lüge anzusiedeln ist. Die soziologischen Erkenntnisse von Volker Sommer und Warren Shibles sind für die Auseinandersetzung mit dem Thema Selbsttäuschung interessant, also für das Eingrenzen der Sprecherrolle. Für diese Thematik sind die Theorien des Philosophen J. P. Sartre grundlegend.

Nach der Analyse der Rolle des Hörers wird dieser in seiner Beziehung zum Sprecher der Lüge betrachtet und der besondere Fall beschrieben, in der der Hörer der Konstrukteur der Lüge ist. Hier werden auch kognitive Fähigkeiten des Hörers und des Sprechers der Lüge benannt. Diese Fähigkeiten werden schließlich in die erstellte Lügenskala aufgenommen.

Die Problematik, dass sich lügenhafte Sätze grammatisch, morphologisch und semantisch nicht von wahrheitsgemäßen Aussagen unterscheiden, wurde schon angedeutet. Die Beobachtungssituation für das Lügen ist dadurch sehr kompliziert. Zur Veranschaulichung der analysierten lügnerischen Handlungen werden deshalb zwei Beispiele aus der Weltliteratur herangezogen. Beide Exempel beinhalten eine Lüge und dienen der Verdeutlichung der Komplexität der "guten" Lüge.

Zeuge einer hässlichen und weitgreifenden Lüge wird der Leser in Kästners „Fabian“[22]. Stephan Labude begeht Selbstmord, weil er glaubt, seine Habilitationsschrift sei abgelehnt worden. Der Auslöser für diese Annahme ist die Behauptung des wissenschaftlichen Gehilfen des Institutes Dr. Weckherlin, die Arbeit Labudes sei vom Geheimrat als „völlig ungenügend charakterisiert ...“ und als „Belästigung“ empfunden worden.[23]

Eine sehr viel innovativer wirkende Lüge wird in Shakespeares „Othello“[24] geschildert. Der Antagonist Othellos, Jago, spinnt meisterhaft feine Intrigen, in die er nahezu alle Figuren des Stückes verwickelt. Im Gegensatz zu Fabian handelt es sich bei den Lügen Jagos um eine besondere Art, denn Jagos Aussagen sind einzeln betrachtet durchaus wahr. Durch eine geschickte Platzierung seiner Äußerungen gelingt es Jago dennoch, in den Köpfen seiner Mitstreiter völlig unwahre Sachverhalte entstehen zu lassen.

Die Disziplin der Logik nimmt auf dem Gebiet der Sprachphilosophie mit Recht einen bedeutenden Stellenwert ein. Für Kainz ist die Zugehörigkeit der Lüge zum Problembereich der Logik offenbar,[25] weil alle Lügen Aussagen sind und alle Aussagen Urteile. Da es aber zu bedenken gilt, dass nicht grundsätzlich "falsche" Aussagen Lügen sind und in der Logik die Sprecherintention nicht mit einbezogen wird, werden logische Phänomene, wie das Lügnerparadox des Epimenides, nicht betrachtet und hier ausgeschlossen.

Ethische Untersuchungen werden gleichfalls ausgeschlossen, denn die Sprache ist für die Lüge konstitutiv, der Umgang bezieht sich, wie schon angedeutet auf alle menschlichen Lebensbereiche. Die vorliegende Arbeit wird sich sprachwissenschaftlich mit dem Phänomen der Lüge auseinandersetzen, denn: „Erst wenn klar ist, was lügen heißt, kann man hoffen, das Problem der moralischen Bewertung des Lügens zu lösen.“[26]

2. Die Lügen - Definitionsversuche

Die historische Einbettung dient zur Einführung und zur anschaulichen Darstellung der Lüge als ein über die Jahrhunderte vom Menschen genutztes, aber auch kritisiertes Phänomen. An Hand von ausgewählten Zitaten aus den wissenschaftlichen Bereichen der Ethik, Theologie, Soziologie und der Psychologie wird zunächst deutlich gemacht, unter welchen unterschiedlichen Gesichtspunkten das Wesen der Lüge betrachtet werden kann und welche für die sprachphilosophische Analyse wichtigen Schlüsselwörter der genaueren Überprüfung bedürfen.

Des Weiteren werden erste Abgrenzungsversuche unternommen. Nach dem Ausschluss der objektiven Wahrheit für die weitere Diskussion wird die Wahrhaftigkeit als Gegenbegriff zur Lüge erarbeitet. Die Lüge wird als sprachliche Handlung bestimmt und aus dem Bereich der Stilmittel ausgeschlossen. Es wird das Verhältnis zwischen Lüge und Täuschung betrachtet und eine entsprechende Hierarchisierung vorgenommen. Nach dem Prüfen, ob das einzelne Wort die kleinste Einheit der Lüge ist, wird abschließend eine Definition des Lügens entwickelt, die für die weiteren Beobachtungen grundlegend sein wird.

Das Phänomen der Lüge behauptet sich schon über Jahrtausende als zweckdienlicher Begleiter des Menschen. Wann die erste Lüge geäußert wurde, ist eine nicht beantwortbare Frage. Wann sie jedoch begrifflich Einzug in die Philosophie hielt, soll im Folgenden beschrieben werden. Dieser historische Abriss verfolgt nicht das Ziel der Vollständigkeit. Es zeigt sich darin, welchen großen Stellenwert die ethische Bewertung einnahm und einnimmt. Vereinzelte sprachliche Untersuchungen wurden erst Anfang des 20. Jahrhunderts vorgenommen. Die sprachliche Betrachtung der Lüge macht eine Definition erst möglich.

2.1 Die Lüge aus historischer Sicht

Vom Lügen im Alten Griechenland künden überlieferte Theaterstücke wie die Tragödie des Ödipus, der über seine wahre Identität belogen, schwere Verfehlungen beging.[27] Im Altgriechischen, so erklärt Falkenberg, gab es jedoch keinen vom "irren" unterschiedenen Ausdruck für „lügen“.[28] Der Wortstamm „pseud-" Ststand für Irrtum und Lüge. Für Schottlaender ist dies der Beweis für die Annahme, dass in dieser Zeit nur interessierte, dass etwas Falsches gesagt wurde. Ob dies nun absichtlich oder unabsichtlich geschah, wäre als unerheblich betrachtet worden.[29] Jeannette Schmidt steigert diese Aussage mit der Behauptung, dass der Fokus der Vorsokratiker auf der erbitterten Ablehnung der Unwahrheit gelegen habe, egal wie diese zustande gekommen wäre.[30] Der Stoiker Sextus Empiricus schrieb in „Gegen die Dogmatiker“: „Erfassend ist die [Vorstellung, die] von Existierendem [herrührt], und in Übereinstimmung mit dem Existierenden selbst eingeknetet und eingedrückt ist, wie sie von Nichtexistierendem nicht ausgehen kann.“[31] Soweit also ein Zustand wahr sei, zeige er sich mit Evidenz. Alles Nicht-Seiende sei unwahr. Alles Unwahre sei nicht-seiend.

Ebenso ist in Platons Dialog „Sophist“ (260c 3-4) die "falsche Rede" die Rede von nicht-seienden Dingen, die als seiend dargestellt werden. Sie wird akzeptiert, wenn sie zum Wohl des Volkes ausgeführt wird („Der Staat“ 389b-c, „Gesetze“ 722b-c). Platon unterzieht die Lüge einer genaueren Betrachtung und bewertet das Lügen nach den Voraussetzungen des Lügners. Sokrates argumentiert im Dialog „Hippias II“, dass es besser sei, vorsätzlich zu lügen wie Achill, weil es auch besser sei, sich für das Hinken vorsätzlich entscheiden zu können. Handelt jemand ohne Vorsatz, hatte er nicht die Möglichkeit, sich für das Gegenteil zu entscheiden. Die Frage, die sich hier anschließt, ist, ob ein unvorsätzliches Lügen überhaupt möglich ist?

Die Argumentation in „Hippias II“ wird von Aristoteles in seiner „Metaphysik [32] als Trugschluss entlarvt. Es handle sich um die Gleichsetzung von jemandem, der zu lügen vermag mit dem, der freiwillig Schlechtes tut, demnach um eine Gleichsetzung der spielerischen Nachahmung des freiwillig Hinkenden mit dem Willen zur Tat. Würde sich jedoch tatsächlich jemand ernsthaft zum Hinken erziehen, wäre er in jeder Beziehung schlechter als der unfreiwillig Hinkende. In Aristoteles „Nikomachischer Ethik“ (NE) wird die Lüge nicht explizit definiert. Im 4. Buch der NE postuliert Aristoteles jedoch den ehrlichen Mann: „... der, sagen wir, die Dinge beim richtigen Namen nennt, aufrichtig in Wort und Werk, sich schlicht zu dem bekennend, was an ihm ist: nicht mehr und nicht weniger."[33] Gemeint ist der Mann der Mitte (Mesotês), der die Extreme, die zum guten Leben gehören, ausbalanciert. Er handelt nicht wie der Aufschneider, der "... sich mit Vorliebe etwas beilegt, was Geltung einträgt - in Wirklichkeit ist aber nichts davon bei ihm vorhanden ..."[34], aber auch nicht wie der "hintergründig Bescheidene"[35], der seinen tatsächlichen Wert herabsetzt. Für Aristoteles hängt die Entscheidung für ein Verhalten von der inneren Art und der Erziehung ab. Trotzdem hat der Einzelne noch einen Entscheidungsspielraum auf Grund eines moralischen Verhaltenskodex, den ihm die Polis und die paideia vorgeben. Denn, auch wenn nicht zwischen Lügen und irrtümlichen Aussagen unterschieden wird, bleibt für den Sprecher die Möglichkeit, sich für die Wahrhaftigkeit zu entscheiden.

Erst im Lateinischen werden error und mendacium von veritas und veracitas unterschieden. Cicero behauptet: „Der höchste Grad an Eleganz wird natürlich der Verstellung zugeschrieben.“[36] Eine genaue Klassifikation entsprechend der Schwere der Lüge schlägt Augustinus in „De mendacio“ vor. Dieser Text wurde u. a. als Antwort auf die Manichäer, die die Heilige Schrift unter Berufung auf die Lügen der Patriarchen leugnen, verfasst. Das Fazit dieser Schrift lautet: Man darf niemals lügen! Die Keuschheit der Seele stehe über der Reinheit des Lebens (mend, 42). Lügen ist nach Augustinus immer Sünde, aber die Sünde ist verschieden schwer je nach Motiv. Im 2. Teil von „De mendacio“ wird die Lüge dann auch nach der Sündhaftigkeit des Motivs klassifiziert, wobei erstens am Schwersten wiegt:

- 1. lügen, um jemanden zu bekehren,
- 2. lügen, um schlechthin Böses zu tun,
- 3. lügen, um sich am Betrug zu ergötzen,
- 4. lügen, um jemandem einen Gefallen zu tun, indem man anderen schadet,
- 5. lügen, um einen Gefallen zu tun, ohne Schaden zu tun,
- 6. lügen, um die Unterhaltung zu beleben,
- 7. lügen, um ein Leben retten,
- 8. lügen, um zu verhindern, dass jemandem eine unzüchtige Beleidigung geschieht.

Th. v. Aquin greift die Definition von Augustinus wieder auf und unterteilt in nützliche (mendacia officiosa) unterhaltsame (mendacia iocosum) und gefährliche Lügen (mendacia perniciosum).[37] Ebenso grenzt er das Lügen von anderen Formen der Unehrlichkeit ab: der Heuchelei, Prahlerei, Ruhmsucht und der Ironie.

Das Privileg des Fürsten zu lügen, erkennt auch Nicolo Machiavelli an, aber nicht, wie Platon, der die Lüge als Arznei für den Menschen erkannte und somit als positives Rüstzeug für das allgemeine Wohl, sondern, weil Machiavelli den Menschen als "... undankbar, wankelmütig, heuchlerisch ... und ... gewinnsüchtig“[38] betrachtet. Für Machiavelli scheint die Lüge, eine Arznei gegen den Menschen zu sein.

Martin Luther hingegen differenziert und trennt die scherzhafte Lüge (mendcium iocosum) von der Notlüge oder Nutzlüge (medacium officiosum). Für ihn ist die Bezeichnung einer Aussage als Lüge nur gerechtfertigt, wenn sie jemandem schadet.[39] Nach Kant „ist anzumerken, dass der Ausdruck: ein Recht auf die Wahrheit haben, ein Wort ohne Sinn ist. (...) Denn objektiv auf eine Wahrheit ein Recht haben, würde so viel sagen als: es komme ... auf seinen Willen an, ob ein gegebener Satz wahr oder falsch sein sollte; welches dann eine seltsame Logik abgeben würde.“[40] Doch weiter in dieser Schrift wird die formale Pflicht des Menschen, wahrhaftig zu sein, nahegelegt. Und so kann auch Maria Bettetini als Vertreterin der heutigen Zeit interpretiert werden: „Ein abgefeimter Lügner wird verstanden, wenn er spricht, aber geglaubt wird ihm nicht, die Sprache hat ihre Eigenschaft eingebüßt, Erkenntnisse zu liefern.“[41] Die grundsätzliche Erkenntnisverhinderung durch die Lüge soll in dieser Arbeit geprüft und widerlegt werden. An dieser Stelle konnte gezeigt werden, dass die Lüge nicht zu allen Zeiten generell abgelehnt wurde. Für Platon und Machiavelli war sie zuweilen nützlich, um einen Staat zu regieren. Thomas v. Aquin und Luther grenzten das Lügen beträchtlich ein und erkannten seine Gefährlichkeit nur an, wenn jemand zu Schaden kam. Die vollständige Ablehnung der Lüge aus moralischer Sicht nach Augustinus und Kant ist durchaus nachvollziehbar, doch aus heutiger Sicht gibt es keinen Beweis, dass die Lüge als Form der Sprache nicht Erkenntnislieferant ist. Jegliche Aussagen, ob gelogen oder wahr, erweitern den Erkenntnisstand.

2.2 Die Wahrhaftigkeit als Gegenbegriff zur Lüge

Die analytische Sprachphilosophie betrachtet die Sprache als etwas Gegebenes unter vielem anderen Gegebenen. Dieses Gegebene sei hinsichtlich der Bedürfnisse des Menschen zu prüfen und als System zu untersuchen. Das bedeutet, Sprache wird im Zusammenhang mit den übrigen menschlichen Fähigkeiten und mit dem Wesen des Menschen überhaupt betrachtet. Wenn die „Lüge“ definiert werden soll, liegt die Untersuchung des vermeintlichen Gegenbegriffes der „Wahrheit“ nahe. Tatsächlich antonym verhalten sich die Adjektive "wahr" und "falsch". Das "Falsche" ist aber keine zwingende Eigenschaft der Lüge. Dennoch ist es von Bedeutung, den Begriff der Wahrheit in die Untersuchung der Lüge einzubeziehen, um diesen vom Begriff der Wahrhaftigkeit, dem eigentlichen Antonym der Lüge zu unterscheiden.

Zunächst wird die Beziehung der Wörter "Wahrheit" und "Wahrhaftigkeit geklärt. Die Etymologie soll dabei helfen, Gemeinsamkeiten und genaue Differenzierungen zu erkennen.

Wahrheit sprachhistorisch

Die Begriffe „Wahrheit“, „wahr“ und „Wahrhaftigkeit“ befinden sich in einer polysemischen Beziehung zueinander, das heißt, sie entstammen derselben etymologischen Wurzel. Das alt- bzw. mittelhochdeutsche Adjektiv „wār“ ist urverwandt mit dem lateinischen „verus“ und dem altirischen „fir“. Sie sind auf die indogermanische Wurzel *uer zurückzuführen, deren inhaltliche Bedeutung sich auf „Gunst, Freundlichkeit [erweisen]“[42] bezieht. Interessant ist, dass die semantische Verwandtschaft zur heutigen Verwendung des Begriffes „wahr“ wenig offensichtlich ist. Deutlicher wird dies erst, wenn das althochdeutsche Wort „wāra“ und das mittelhochdeutsche „wāre“ hinzugezogen werden. Beide haben die Bedeutung: „Vertrag, Treue“[43]. Die vier genannten Begriffe sind inhaltlich nicht auf ein Abstraktum bezogen, sondern bezeichnen Eigenschaften bzw. Handlungen des Menschen. Um eine Brücke zur heutigen Verwendung des Begriffes „wahr“ zu schlagen, muss das germanische „[ge]wern“ mit seiner wiederum verwandtschaftlichen Beziehung zu frz. „garant“ in die Untersuchung mit einbezogen werden.[44] So reicht die ursprüngliche Bedeutung des Wortes „wahr“ von der Erweisung eines Gefallens, über eine Abmachung bis hin zu einer Bürgschaft, also von einer freiwilligen Handlung zu einer unter ethischen Gesichtspunkten betrachteten Handlung.

Die Ableitung „wahrhaft“ (mhd., ahd. wārhaft) mit seiner Bedeutung „echt, wirklich“ bezeichnet einen recht abstrakten Zustand und das althochdeutsche bzw. mittelhochdeutsche Wort „wārheit“ benennt das Abstraktum des „Wahrseins“ und die „richtige Erkenntnis“[45]. Die Bedeutung des Begriffes „wahr“, ob als Adjektiv, Suffix oder Präfix, reicht also von der Bezeichnung einer menschlichen Handlung (jmd. Gunst erweisen), die zu beurteilen nur dem Benefizienten zusteht, bis zu einem abstrakten Zustand (Wahrsein) oder einer passiven Aktivität[46], die schon durch die Sprache beurteilt wird („richtige“ Erkenntnis). Die Existenz der Wahrheit scheint völlig unabhängig vom Urteil des Menschen, wobei der Begriff der Wahrhaftigkeit als Zustandsbezeichnung noch genauer zu prüfen ist. Ist Wahrheit unabhängig vom Menschen, gehörte sie wohlmöglich in eine Klassifikation, die sich dem Einfluss des Menschen vollständig entzöge. Den Begriff der "totalen Lüge"[47] führt Weinrich ein. Er analysiert eine Syntax der Lüge, weil sich ein Wahrheitssatz durch ein bejahendes oder verneinendes Morphem zu einer der Wahrheit entgegengesetzten Aussage entwickeln lässt. Die Lüge antwortet so immer auf die Totalfrage: Ja oder Nein.

Das Nomen Wahrheit hat im deutschen Sprachgebrauch keine Präsenz als Vollverb zur Bezeichnung einer Handlung. Es gibt nur das „ehrlich sein“ als Ausdruck eines passiven Zustandes. In der analytischen Philosophie gibt es die Wörter "Wahrmacher" und "wahrmachen“[48]. Das sind "... diejenigen Dinge, die eine Aussage entweder wahr oder falsch machen,[49] die als zusätzliche Entitäten zur Klärung der Wahrheit von Sätzen hinzugedacht werden müssen. In diesem Fall sind "Wahrmacher" Entitäten. Es handelt sich nicht um menschliche Handlungen des "Wahrmachens". Das einzige Verb, das eine aktive Tätigkeit ausdrückt und tatsächlich vom althochdeutschen "wār" abgeleitet wurde[50], ist das "wahrsagen". Die Einzigen, die als „Wahrheitssprecher“ in Frage kämen, wären demnach die Wahrsager. Sie dienten als Medium und seien im Moment der Voraussage vom Menschen (im ehrlichen Fall, so dieser auftritt) getrennt, so wie der Mensch, nach Meinung A. Schopenhauers, während des Schaffensaktes des Komponierens vom Künstler getrennt sei.[51] Auch Meggles Kritik des Griceschen Grundmodells scheitert an dieser Eigenschaft des Wahrsagers. Bei dem Versuch nachzuweisen, dass die Annahme des Hörers, dass p der Fall ist, nicht unbedingt dessen Annahme voraussetzt, dass der Sprecher selbst glaubt, dass p der Fall ist, hat Meggle einen Wahrsager erdacht, dessen Prognosen immer bestätigt werden, der selbst aber nicht an seine voraussagenden Fähigkeiten glaubt. Der Hörer weiß über das geringe Selbstvertrauen des Wahrsagers Bescheid, nimmt jedoch dessen Dienste trotzdem in Anspruch. An diesem Beispiel wird jedoch nur deutlich, dass der Hörer dem Medium vertraut und nicht dem wenig selbstbewussten Wahrsager. Wie schon geschildert ist das Medium vom Menschen getrennt, denn es ist das Sprachrohr einer höheren Macht, von der der Hörer annimmt, dass sie glaubt, dass p der Fall ist.

Ich stelle die Hypothese auf, dass nur der Wahrsager die objektive Wahrheit erkennen kann und schränke diese Behauptung auf die Bedingung ein: Der Wahrsager muss in seiner Aussage über seine voraussagenden Fähigkeiten wahrhaftig sein.

Doch was genau meint nun der Begriff „Wahrheit“ hinsichtlich des menschlichen Sprachgebrauches? Gibt es Unterscheidungen in seiner Verwendung? In welchen Punkten differieren „Wahrheit“ und „objektive bzw. absolute Wahrheit“? In welcher Beziehung stehen sie zum Begriff der "Wahrhaftigkeit"? Das Phänomen „Wahrheit“ und seine Betrachtung ist ein wichtiger Teil der Auseinandersetzung mit der Welt. Eine der in diesem Zusammenhang konsequentesten Untersuchungen unternahm Friedrich Nietzsche in seiner Abhandlung „Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne“. Georg Willhelm Friedrich Hegels systematische Philosophie begreift die gesamte Wirklichkeit als Selbstdarstellung der Vernunft. Um eine besondere semantische Interpretation des Begriffes Wahrheit zu zeigen und gegebenenfalls auszuschließen bzw. die dann weiter im Text verwendete semantische Interpretation genauer zu definieren, werden die Anthropomorphismustheorie Nietzsches und der Hegelschen Dialektik von Wahrheit und Unwahrheit im Folgenden dargestellt.

[...]


[1] Präsidentschaftskandidat der Demokraten während der Wahlkampagne 1952, zit in: Schmid 2000, S. 46f.

[2] Shibles, Warren: Lügen und Lügen lassen, Mainz 2000, S. 83

[3] Dietz, S.: Die Kunst des Lügens, Hamburg 2003, S. 7

[4] Kainz, Friedrich: Lügenerscheinungen im Sprachleben, In: Lipmann 1927, S. 214

[5] Falkenberg, D.: Lügen. Grundzüge einer Theorie sprachlicher Täuschung, Tübingen 1982

S. 13

[6] Hundsnurscher, Franz: Lügen - auch eine Form sprachlichen Handelns. In: Halwach 1994

[7] Dietz 2003, S.14

[8] Vgl. Schopenhauer, A.: Der Wille zum Leben. In: Paerga und Paralipomena: Kleinere philosophische Schriften, Bd. 2, Berlin 1851, S. 305

[9] Vgl. Platon: Der Staat, Leipzig 1978, S. 128

[10] Pesikta rabbati c. 24, zit. in: Wiener, Max: Wahrhaftigkeit und Lüge in der israelitisch-jüdischen Religion. In: Lipmann 1927

[11] Thomas von Aquin 1265-73: §II.II.110,1 Summa theologiae. II.II, 101-22. In Summa theologica 20, München 1943

[12] Kainz 1927, S. 212

[13] Heringer, H. J.: Ontogenese des Lügens. In: Heringer, H. J.: Einführung in die praktische Semantik, Heidelberg 1977, S. 170

[14] Vgl. Corneille, Pierre: 1880 IV. 5 In: Weinrich, H.: Linguistik der Lüge, Heidelberg 1970, S. 78

[15] Kainz 1927, S. 213

[16] Augustinus: Über die Lüge, Würzburg 1953, Kap. 5, S. 7

[17] Dietz 2003, S.17

[18] Dietz 2003, S. 9

[19] Giese, Bettina: Untersuchungen zur sprachlichen Täuschung, Tübingen 1992, S. 6

[20] Sacks, H.: Everyone has to lie. In: Sanches, M.; Blount, B. G. (Hrsg.): Sociocultural dimensions of Language use, New York 1975, S. 57-79

[21] Weinrich, H.: Linguistik der Lüge, Heidelberg 1974, S. 56

[22] Kästner, Erich: Fabian, Berlin 1959

[23] Kästner, Erich: Fabian, Berlin 1959, S143

[24] Shakespeare, W.: Othello, Stuttgart 1971

[25] Kainz 1927, S. 212

[26] Falkenberg 1982, S. 7

[27] Sophokles: König Ödipus, Stuttgart 1989

[28] vgl. Falkenberg 1982, S. 68

[29] Schottlaender, R.: Die Lüge in der Ethik der griechisch-römischen Philosophie. In: Lipmann, 1927, S. 99

[30] vgl. Schmid, Jeannette: Lügen im Alltag - Zustandekommen und Bewertung kommunikativer Täuschungen, Münster 2000a, S. 83

[31] Sextus Empiricus: Gegen die Dogmatiker. Texte zur Philosophie Bd. 10, St. Augustin 1998, 1§§3 Satz 248

[32] Aristoteles: Metaphysik, Stuttgart 1970, S. 153

[33] Aristoteles: Nikomachische Ethik, IV, 1127a23 - b10, Stuttgart 2003

[34] Aristoteles: NE, Buch IV, 1127a5 - 22

[35] Aristoteles ebd.

[36] Cicero: De oratore, II, 67, 269-270, Stuttgart 1976

[37] Thomas v. Aquin: summa theologica II, iiae,q110a1 a2, München 1943

[38] Machiavelli, Nicolo: Der Fürst, XVII, 2, Stuttgart 1976, S. 68

[39] Mullert, H.: Die Bewertung der Lüge in der Ethik des Neuen Testaments und des evangelischen Christentums. In: Lipmann 1927, S.32-51

[40] Kant: Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen. In: Werke Bd. 8, Abhandlungen nach 1781, Berlin 1923, S. 426

[41] Bettetini, Maria: Eine kleine Geschichte der Lüge, Berlin 2003, S. 57

[42] Duden Bd 7: Etymologie, Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache, Dudenverlag 1997, S.798

[43] ebd.

[44] ebd., S. 239

[45] ebd., S. 798

[46] „Ich erkenne“ steht zwar grammatisch im Modus „aktiv“, der Vorgang des Erkennens ist aber doch ein für den Menschen nicht zu steuernder.

[47] Weinrich 1974, S. 56

[48] Vgl. Husserl, E.: Logische Untersuchungen, Halle 1900/01; Neuausgabe vοn Bd. ΙΙ, Den Haag 1984, VI § 39

[49] Russell, B.: Die Philosophie des logischen Atomismus. Aufsätze zur Logik und Erkenntnistheorie 1908–1918, München 1976, S. 182

[50] Duden: Herkunftswörterbuch, Mannheim 1997, S. 798

[51] vgl. Schopenhauer, A.: Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. I , Stuttgart/ Frankfurt am Main 1986, S. 363

Ende der Leseprobe aus 73 Seiten

Details

Titel
Das Wesen der Lüge. Eine sprachphilosophische Betrachtung
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Philosophische Fakultät I)
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
73
Katalognummer
V80624
ISBN (eBook)
9783638811248
ISBN (Buch)
9783638839860
Dateigröße
715 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wesen, Lüge, Betrachtung
Arbeit zitieren
Sonja Lawin (Autor:in), 2007, Das Wesen der Lüge. Eine sprachphilosophische Betrachtung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/80624

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