Sprechen und Schweigen Paul Celans

Wie sprechen und schweigen vom unsagbaren Geheimnis Gottes?


Seminararbeit, 2005

15 Seiten, Note: 1,00


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0. Einleitung

1. Herausforderung – Die Verortung der Rede von Gott

2. Herausforderung – Das Nicht-Wissen als Grund und Ergebnis der Rede von Gott

3. Herausforderung – Das Dialogische der Rede von Gott

4. Herausforderung – Über die Dialektik von Reden und Schweigen

5. Herausforderung – Die Grenzen der Versprachlichung bei der Rede von Gott

6. Theologie und Gedichte nach Auschwitz

7. Zusammenfassung

8. Verwendete Literatur:

0. Einleitung

Es gibt in der Theologie zwei fundamentale Möglichkeiten von Gott zu sprechen: die kataphatische und die apophatische Gottesrede.[1] Erstere versucht mit positiven Affirmationen Gott zu beschreiben analog zu menschlich erfahrbaren Qualitäten, die in den Superlativ übersetzt werden. Von erfahrbaren Vorstellungen wird auf das Unvorstellbare geschlossen. Die zweite Möglichkeit, die apophatische Theologie, ist die im strengen Sinn Negative Theologie, die Gottes Göttlichkeit erst dort erahnbar werden lässt, wo alles menschliche Denkbare überschritten, wenn nicht verworfen wird.

Ein anderer Weg zu Gott ist die Mystik, in der jede sinnliche Erfahrung und zugleich jede geistig-vernünftige Tätigkeit ausgeschaltet werden und eine Antwort der Mystik auf die Gottesfrage (neben der Negation und dem Paradox) ist das Schweigen.[2] Was aber bedeutet Schweigen? Wie gelingt Theologie, also Rede von Gott im Schweigen? Was haben wir von einer Gottesrede zu erwarten, die das Unsagbare redet? Wie lässt sich von Gott sprechen? Wie lässt sich nach Auschwitz Theologie treiben?

Das sind fundamentale Fragen der Theologie. Sie mit Hilfe literaturwissenschaftlicher Ansätze zum Thema Schweigen zu beantworten, ist vielleicht ein gewagtes Unternehmen. Doch die Verbindung von Theologie und Literatur kann durchaus bereichernd sein, was sich auch in dieser Arbeit zeigen soll. Ich möchte darin dem Schweigen und Sprechen Paul Celans nachspüren und dabei Herausforderungen an unsere Sprache in der Theologie aufzeigen. Gedankenanstöße und Überschriften zu diesen Herausforderungen übernehme ich von K.J. Kuschel aus seinem Buch „Vielleicht hält Gott sich einige Dichter...“[3] Es geht in erster Linie nicht um eine Interpretation von „Sprich auch du“, sondern um das, woran sich Theologie (zum Beispiel bei der Lektüre literarischer Werke eines Paul Celan) erinnern sollte. Das Gedicht dient als Exemplifikation der poetischen Sprache Celans oder einfach als Gedankenanstoß.

Sprich auch du[4]

Sprich auch du,
sprich als letzter,
sag deinen Spruch.

Sprich –
Doch scheide das Nein nicht vom Ja.
Gib deinem Spruch auch den Sinn:
gib ihm den Schatten.

Gib ihm Schatten genug,

gib ihm so viel,
als du um dich verteilt weißt zwischen
Mittnacht und Mittag und Mittnacht.

Blicke umher:
sieh, wie's lebendig wird rings –
Beim Tode! Lebendig!
Wahr spricht, wer Schatten spricht.

Nun aber schrumpft der Ort, wo du stehst:
Wohin jetzt, Schattenentblößter, wohin?
Steige. Taste empor.
Dünner wirst du, unkenntlicher, feiner!
Feiner: ein Faden,
an dem er herabwill, der Stern:
um unten zu schwimmen, unten,
wo er sich schimmern sieht: in der Dünung
wandernder Worte.

1. Herausforderung – Die Verortung der Rede von Gott

Aus „Sprich auch du“ wird „Blicke umher“ und daraus ein „wahr spricht, wer Schatten spricht“ und die beiden letzten Imperative lauten „Steige. Taste empor“. Ruft Celan, der sich mit seiner Lyrik gegen das Verstummen der Opfer wendet, hier zum Schweigen auf? Nein, denn die Schrecken der Vergangenheit dürfen nicht vergessen werden. Ja, denn das Leid ist unaussprechlich. In der Begegnung mit dem Ungeheuerlichen kann man nicht mehr mit Worten sprechen, sondern das Schweigen spricht. Celan schreibt gegen den instrumentalisierten Gebrauch des Wortes, gegen das Verdinglichte einer Sprache, die sich mit dem sorglosen Herumreichen fahler Abziehbilder begnügt; das alltägliche Reden ist ihm ein vergessenes und darum vernutztes Gedicht. Auffällig ist, dass das Wort „Schweigen“ gar nicht vorkommt in dem Gedicht. Es gäbe viele Gedichte Celans, die Worte wie „Verstummen“, „Schweigen“, „Verschwiegenes“ oder Ähnliches beinhalten (Todesfuge, Stimmen, Die Winzer, Spielende Äxte u.a.). Doch lässt sich Schweigen im Aussprechen des Wortes besser verdeutlichen, als dort, wo sich Celan mit Andeuten begnügt? Schweigen wird zum Thema ohne ausgesprochen zu werden. Das Gedicht, wandelt den Imperativ „Sprich“ in „Blicke umher“. Es vollzieht sich eine Wandlung hin zum Schweigen, ohne dieses aussprechen zu müssen. Es ist der Gedanke eines Wendepunkts enthalten, der einen Anfang zum Neuen bedeutet, zum noch nicht Gesagten. Das Gedicht spricht also nicht direkt von Schweigen und Sprachlosigkeit, doch lässt sich eine Tendenz zum Verstummen darin aufzeigen.

Der Gedichtband „Von Schwelle zu Schwelle“, woraus der Text „Sprich auch du“ genommen ist, behandelt die Problematik des Sprechens und Schweigens. Die Registrierung der Verfolgung und Ermordung und die verspürte Leere nach dem Zweiten Weltkrieg werden formuliert. Die Lyrik steht im Zeichen der Sprachlosigkeit. Als zeige sich nach dem primären Festhalten der Schmerz- und Verlusterfahrung, dass das eigentliche Leiden (noch) nicht ausgedrückt werden könne.[5] Das heißt, dass man sprechen will – man kann aber nicht! Die Zeit, die das Ich braucht, um dem unaussprechlichen Leid Ausdruck zu verleihen, braucht das Ich, um an ein Du als vollwertiges Ich heranzutreten. Das Ich will nicht, muss aber dem Du seine Begegnung vorenthalten, weil es noch nicht anders kann. Diese Wende hin zum Verstummen kann im Gedicht „Sprich auch du“ nachvollzogen werden. Die Suche nach Neuanfang nach den Ereignissen des Zweiten Weltkrieges bedeutet zugleich eine schmerzhafte Erfahrung des erneuten Sprechenlernens. Das sinnliche Ringen in Celans früher Lyrik – sprechen zu wollen, aber es nicht zu können – ist Ausdruck dieser Erfahrung. Die Suche nach einem ansprechbaren Du ist nichts weniger als der Versuch, mit Hilfe eines Gegenübers die eigene Sprachlosigkeit zu durchbrechen.

Dichtung, die sich als Gespräch versteht, als Suche nach einem Gegenüber, braucht – um ein Gespräch von Bedeutung und nicht bloß Gerede zu sein, den Kairos der Begegnung. Das heißt, es braucht stets seinen besonderen Ort und sein unverwechselbares Gegenüber. Damit ist mehr gesagt als die Selbstverständlichkeit, dass ein Gespräch nun einmal irgendwo mit irgendwem stattfinden muss. Damit ist gesagt: Ein Gespräch, das in die Tiefe gehen soll, kann nicht irgendwo, sondern nur an einem bestimmten Ort, nicht irgendwann, sondern nur zu einer bestimmten Zeit, nicht mit irgendwem, sondern nur mit einem bestimmten Menschen gelingen. Es braucht den Kairos der Begegnung und gleiches muss auch für die Sprache der Theologie gelten:

Soll Reden von Gott gelingen, kann Gott nie ortlos, subjektlos, wirklichkeitslos zur Sprache kommen. Die Rede von Gott braucht ihren Kairos, ihren unverwechselbaren Ort, ihr unbeliebiges Gegenüber, ihre erfüllte Zeit. Theologie aber hat sich dadurch vielfach in Misskredit gebracht, dass sie meint, ortlos und subjektlos reden zu können, dass sie Antworten auf Fragen bereithielt, die noch gar nicht gestellt waren. Eine Theologie aber, die am lyrischen Stile Celans ihr Maß nimmt, wird das Warten wieder lernen: das Warten auf den richtigen Ort, die richtige Zeit und das richtige Gegenüber. Eine solche Theologie, die warten kann, hat begriffen: Es braucht nicht bloß die richtigen Inhalte um Reden von Gott „richtig“ werden zu lassen, es braucht auch die Situation, d.h. die Trias von Ort, Zeit und Gegenüber für das Gelingen der Rede von Gott.[6]

Die Sprache der Theologie kann es sich nicht leisten, ihre Inhalte ohne Rücksicht auf Situation und Adressaten in die Welt zu werfen, ihre Rede darf nicht subjektlos und ortlos sein. Sie braucht den Kairos der Begegnung, wie auch literarische Texte und vor allem die Gedichte Celans nicht unabhängig von Leser und Lebenssituation zu verstehen sind.

2. Herausforderung – Das Nicht-Wissen als Grund und Ergebnis der Rede von Gott

Celan fordert auf Sprich, doch scheide das Nein nicht vom Ja. Es geht ihm offensichtlich um ein Sprechen, das vor der Scheidung in Affirmation und Negation halt macht, das nicht auf den glatten Aussagesatz hinaus will, sondern sich das volle Spektrum der Unentschiedenheit vor den Gegensätzen zu bewahren sucht. Ja und Nein sind hier nicht gleichrangig. Ja bedeutet vielmehr das logisch und sachlich Vorhergehende, denn es liegt als eine Affirmation in jedem Sprechen. Wenn das einleitende Doch, „einen Widerspruch impliziert, den es als Aufforderung vermittelt, dann vielleicht einen Widerspruch eben gegen jene Art des Sprechens als die herkömmliche und übliche Art Ja zu sagen, also vielleicht einen Widerspruch gegen die Priorität des Ja[7] Sprechen, das seinem Gegenstand immer schon beipflichtet, gilt damit als problematisch. Das Ja wird als mögliche Lüge entlarvt. Wahr spricht, wer Schatten spricht drückt Zweifel an möglicher Affirmation überhaupt aus. Wahrheit und Sinn werden dem Schatten zugesprochen, als seien sie an die Kraft der Negation gebunden, als Gegenbewegung zur Verfallenheit der Affirmation. Wenn Sinn nur dort erreicht wird, wo der Schatten sichtbar ist, und Wahrheit, wo der Schatten selber spricht, dann zeigt sich von daher deutlicher, dass die Paradoxie nicht nur die Ambivalenz des Gegenständlichen meint und die Fähigkeit, diese wahrzunehmen, sondern dass sie die besondere Kraft verlangt zur Verweigerung und dass die Negation durchzuhalten eine Aufgabe und Leistung darstellt.[8]

[...]


[1] Vgl. Otto Muck, Philosophische Gotteslehre, 150-163.

[2] Vgl. Dorothee Sölle, Mystik und Widerstand, 81- 108.

[3] Vgl. Karl-Josef Kuschel, „Vielleicht hält Gott sich einige Dichter...“ 285 – 306.

[4] Paul Celan: Von Schwelle zu Schwelle. Gedichte, S.59.

[5] Vgl. Paul Sars, Du musst auch den Schweigenden hören, S. 101.

[6] Kuschel, 296.

[7] Schulz, Negativität der Dichtung, 165.

[8] Ebd. 166.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Sprechen und Schweigen Paul Celans
Untertitel
Wie sprechen und schweigen vom unsagbaren Geheimnis Gottes?
Hochschule
Universität Wien  (Fachtheologie)
Veranstaltung
Theologie und Literatur
Note
1,00
Autor
Jahr
2005
Seiten
15
Katalognummer
V80594
ISBN (eBook)
9783638876568
ISBN (Buch)
9783638878845
Dateigröße
417 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sprechen, Schweigen, Paul, Celans, Theologie, Literatur
Arbeit zitieren
Renate Enderlin (Autor:in), 2005, Sprechen und Schweigen Paul Celans, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/80594

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Titel: Sprechen und Schweigen Paul Celans



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