Der literarische Beitrag zum Erzählerwerb - In Theorie und Praxis


Hausarbeit, 2005

19 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Mündliche und schriftliche Erzählformen
2.1 Die Alltagserzählung
2.2 Die literarische Erzählung
2.3 Das dialogische Erzählen
2.4 Das monologische Erzählen

3 Die Wichtigkeit von Kinderliteratur für Kinder
3.1 Gefühle für die Kohärenz entwickeln
3.2 Konzilianz der Erzählerrolle vorführen
3.3 Relevanz des Alltäglichen erkennen
3.4 Kooperatives Erzählen

4 Erzählen lernen mit Hilfe der Kinderliteratur
4.1 Die narrative Markierung
4.2 Soziokulturelle Muster
4.3 Erzählen nach Vorlagen
4.3.1 Erzählen mit Bildergeschichten
4.3.2 Vor- und Nachteile der Nacherzählung
4.3.3 Die Buchvorstellung
4.3.4 Die Fortsetzungsgeschichte

5 Konsequenzen für die Lehrperson

6 Schlussbemerkung

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Kinder eignen sich die Welt durch erzählen und Erzählungen an. Sie benutzen die Sprache um sich zu orientieren, die Welt zu benennen und zu entdecken. „Bereits vor Schulantritt haben Kinder in unserem Kulturkreis ein bestimmtes literarisches Wissen.“[1]. Durch das abendliche Vorlesen, Kassetten hören, Comic lesen oder Bilderbücher betrachten haben Kinder ein breites Spektrum an literarischen Erzählstilen bereits bei Schuleintritt kennen gelernt. Zum Erzählen gehört auch das Zuhören und Nachfragen. Doch viele Kinder und Jugendliche haben Schwierigkeiten diese Komponenten zu bewältigen. Sie müssen erst noch erlernt werden. In den Schulen kommt dabei das mündliche Erzählen oft zu kurz. Der Morgen- oder Wochenkreis bildet meist die einzige Art mündliches Erzählen und aktives Zuhören zu fördern. Eine mangelnde Erzähl- und Zuhörfähigkeit wirkt sich ebenso negativ auf die Lese- und Schreibfähigkeit aus. Das schriftliche Erzählen baut auf dem Mündlichen auf. Wird letzteres nicht genügend gefördert oder gänzlich vernachlässigt, leidet das schriftliche Erzählen gleichsam darunter. Ein mangelndes Leseverständnis bildet sich aus, da das Zuhören eines Lesers eine Schwierigkeit darstellt. Viele Lehrer sind jedoch nicht ausreichend auf den Erwerb der mündlichen und schriftlichen Erzählkompetenz ausgebildet. Eine gezielte Förderung hätte jedoch bedeutende Vorteile. Das aktive Zuhören und kreative Erzählenlernen fördert sowohl die Kreativität, als auch die Kommunikationsfähigkeit; auch soziale Fähigkeiten werden erweitert. Erfahrungen und Weltwissen werden ausgetauscht und kommunikative Fähigkeiten erworben. Die Schule muss hierbei einen großen Teil leisten, denn Erzählen und Zuhören werden nicht ohne fachliche Unterstützung gelernt.

Welchen Beitrag die Literatur in Verbindung mit der fachkompetenten Lehrkraft hierbei geben kann, soll in diesem folgenden Text dargestellt werden.

2 Mündliche und schriftliche Erzählformen

Das mündliche Erzählen findet meist außerschulisch statt, da die Schule ihren Schwerpunkt oftmals auf die Verschriftlichung von Geschichten und Erzähltem legt. Dies muss natürlich nicht überall so sein.

Beim mündlichen Erzählen hat der Erzähler meist ein Gegenüber dem er seine Geschichte erzählt. Er kann mit ihm zusammen agieren, Fragen stellen, seine Erzählung durch Gestik, Mimik oder Stimmveränderungen beeinflussen. Der Zuhörer kann auf das Erzählte reagieren, nachfragen und eingreifen.

Bei der schriftlichen Erzählung gibt es keinen aktiven Austausch zwischen Autor und Leser, Erzähler und Publikum. Der Leser kann die Interaktion unterbrechen, indem er das Buch bei Seite legt, eine direkte Reaktion und Zwischenfragen auf den literarischen Diskurs sind jedoch unmöglich.

Bei mündlichen und schriftlichen Erzählungen werden verschiedene Stufen unterschieden, die folgend kurz erklärt werden sollen.

Dabei stehen sich die Alltagserzählung und die literarischen Erzählung, sowie die monologische Höhepunkterzählung und die dialogische Geflechtserzählung gegenüber.

2.1 Die Alltagserzählung

Die Alltagserzählung findet man in einer alltäglichen Situation, wie der Name es besagt. Sie folgt der Alltagssprache und ist pragmatisch geprägt. Der Zweck dieser Erzählung dient ausschließlich der Kommunikation und Interaktion zwischen zwei oder mehreren Gesprächspartnern. Es werden Informationen und persönliche Geschichten ausgetauscht. Alltagserzählungen können elliptisch sein und geben meist außergewöhnliche und als subjektiv erzählenswert erachtete Ereignisse wieder. Die Alltagserzählung wird schon in einem frühen Stadium der sprachlichen Sozialisation gefestigt. Laut Wagner gilt als Erzählkompetenz „die Fähigkeit, Alltagsgeschichten zu erzählen“[2]. Eine Unterscheidung zwischen den Formen des dialogischen und monologischen Erzählens gibt es in der Erzählpraxis der Kinder, aufgrund zahlreicher fließender Übergänge und Mischformen, nicht[3]. Trotz dieser Tatsache soll eine Unterscheidung in diesem Text aufgeführt werden.

2.2 Die literarische Erzählung

Die dagegen stehende literarische Erzählung findet man eigens in dafür inszenierten Situationen; sie ist konstruiert. Sie folgt den Regeln der Schriftsprache und stellt eine monologische Gesprächssituation dar. Eine poetische Sprachverwendung und fiktionale Handlung ist hierbei oft gegeben[4]. Diese Form der Erzählung kann ebenfalls vom Leser beeinflusst werden. Jedoch nur auf einseitige Art und Weise. Sie kann nach Belieben unterbrochen und ebenso wieder aufgenommen werden. Zu den besonders wichtigen literarischen Erzählungen gehören Märchen, die eine sehr einfache Struktur verfolgen, sowie Episodengeschichten aus Erstlesebüchern und Bilderbüchern. Die Strukturen der literarischen Erzählung werden im Laufe der literarischen Sozialisation erworben[5] und erfolgen nicht durch die Anwendung im alltäglichen Sprachgebrauch.

2.3 Das dialogische Erzählen

Das dialogische Erzählen bildet sich schon vor der Grundschulzeit aus. Es teilt sich in die Bereiche des asymmetrischen und symmetrischen, des helfenden und gleichberechtigten Erzählens. Die Aufgabe der narrativen Markierung lässt sich teilen. Die Gesprächpartner erfüllen beide die Funktion des Bewertens. Das symmetrische oder auxiliare Erzählen erlaubt es, dass ein kompetenterer Gesprächspartner seinem Gegenüber diese Aufgabe abnimmt oder ihn dabei unterstützt[6]. Es lässt sich in einer Geflechtserzählung wiederfinden. Diese beinhaltet häufig Inquit-Formeln wie „sagt sie, ... sagt er“ und die typische „und dann ... und dann ...“-Ausdrucksform. Letztere ist jedoch eine wichtige und „notwendige Vorstufe für narrative komplexere Darstellungsformen.“[7]. Es handelt sich bei dem Erzählten um etwas Bekanntes. Eigene Erfahrungen, ungewöhnliche private Ereignisse oder subjektive Gefühlslagen werden erörtert. Die offene Erzählstruktur ist episch geprägt. Die Geschichte behandelt einen gesamten Zeitraum, indem die Geschehnisse nebeneinander her laufen. Eine Reihenfolge der Ereignisse wird oft nicht eingehalten. Die Altersgruppe dieser Erzählvariante zählt zu den Kindergartenkindern und Erstklässlern, die dem isolierten, bzw. dem linearen Erzähltypus folgen.

2.4 Das monologische Erzählen

Das monologische Erzählen lässt sich bei der Höhepunkterzählung ansiedeln. Auch hier wird selbstverständlich eine Episode erzählt. Es handelt sich hierbei, im Gegensatz zu der Vorstufe des dialogischen Erzählens, um eine neue Situation. Es liegt ein strukturierter und narrativ strukturierter Erzähltyp vor, der ab dem zweiten Grundschuljahr erreicht bzw. ausgebaut werden sollte. Die Episoden liegen hierbei nebeneinander. Ein Zeitpunkt wird auf dramatische Weise berichtet. Es handelt sich um eine narrativ markierte Berichtsform. Die Höhepunkterzählung ist durch eine einfache und geschlossene Struktur gekennzeichnet. Die Geschichte beinhaltet demnach eine Ausgangssituation, die Exposition, folgend die Komplikation und abschließend die Beseitigung der Komplikation, die Auflösung. Eine einfache durchschaubare Struktur, die besonders deutlich von Märchen erfüllt wird. Eine Entwicklung vom dialogischen zum monologischen Erzählen ist schwer zu verfolgen. Es gibt keine genaue Erwerbsreihenfolge und auch keine Verdrängung des einen und Ausweitung des anderen Erzähltypus[8]. Durch neue Erzählsituationen und andere Erzählpartner entwickeln sich verschiedene Kommunikationstypen aufbauend und ergänzend aus.

3 Die Wichtigkeit von Kinderliteratur für Kinder

„Kinderliteratur muss, um von ihren Lesern angenommen zu werden, intensiv zur Identifikation auffordern“[9]. Dieses Zitat von Maria Lypp macht deutlich, wie Kinderliteratur aufgebaut werden muss. Sie muss sich in die Rolle und die Lebensumwelt der Kinder hineinversetzen können. Sie muss sich an die Individualität der zahlreichen, unterschiedlichen, kindlichen Lebensumstände anpassen können und den Lesern eine Alltäglichkeit vermitteln, die keine Langeweile beinhaltet und trotzdem spannend und außergewöhnlich wirkt.

Im Verlauf des Kleinkindalters und der Grundschulzeit entwickelt sich die Erzählfähigkeit bzw. die literarische Sozialisation. Diese verläuft durch unterschiedliche Stadien. Beginnend mit der Entwicklung eines Gefühls für die Kohärenz der Geschichte bis hin zum kooperativen Erzählen werden dem Leser einige Probleme aufgegeben und Einsichten vermittelt. Die folgende Darstellung soll dieses verdeutlichen.

3.1 Gefühle für die Kohärenz entwickeln

Zu den literarisch einfachen Strukturen gehören Märchen, Sagen und Legenden, Mythen und Fabeln, Witze und Sprichwörter. Den Schwerpunkt bilden oft die Märchen, die vorzugsweise, auch in der heutigen schnelllebigen und fernsehgeprägten Gesellschaft, eine große Beliebtheit genießen.

Das Vorlesen von Märchen als Einschlaf- oder Gute-Nacht-Geschichte stellt häufig den ersten Kontakt zwischen Kind und Literatur dar. Ebenso stehen Bilderbücher bei Vorschulkindern, die noch nicht lesen können, im Mittelpunkt der literarischen Sozialisation. Maria Lypp beschreibt diesen ersten Umgang mit Literatur als eine Auseinandersetzung mit der Kohärenz der Geschichte. Häufig lässt sich beobachten, dass die Kinder nach mehrmaligem Vorlesen die Geschichten frei nacherzählen können. Sie treten dabei mit der verschriftlichten Geschichte in Konkurrenz und möchten ebenso gut erzählen können wie die Bücher es vorgeben. Hierbei entwickelt sich eine Vorstufe des Erzählens. Das Nacherzählen der Geschichte ist ein wichtiger Prozess, der in seiner Ausführung zu einer Einsicht in literarische Gegebenheiten und Umstände führt. Das Märchen ist hierbei besonders gut geeignet und bei Kindern vorzugsweise beliebt, da es deutlich erkennbare Regularitäten aufweist. Da das Nacherzählen und die Erzählweise des Märchens, eines Bilderbuches oder einer Fabel deutlich von der alltäglichen Erzählweise unterschieden werden kann, beginnt hier eine neue Ausdrucksweise bei dem Kind zu wachsen. Es ist eine andere und vorerst außergewöhnliche Erzählform, die den Sprachgebrauch erweitert und neu definiert. Das Spielen mit Sprache wird entdeckt und eingesetzt, um zwischen Alltagserzählung und dem Geschichtenerzählen zu unterscheiden.

[...]


[1] Lypp, Maria: Literarische Bildung durch Kinderliteratur. S. 70. In: Conrady, Peter (Hrsg.): Literatur-Erwerb: Kinder lesen Texte und Bilder (Jugend und Medien; 17). Frankfurt am Main: dipa-Verlag, 1989

[2] Rank, Bernhard: „Nacherzählen“ oder „Weitererzählen“? Zum Einfluss der Kinderliteratur auf die Erzählfähigkeit. In: Rank, B. (Hrsg.) Erfahrungen mit Phantasie. Baltmannsweiler: Schneider Verl. Hohengehren, 1994, S. 166

[3] Rank, Bernhard: „Nacherzählen“ oder „Weitererzählen“? Zum Einfluss der Kinderliteratur auf die Erzählfähigkeit. In: Rank, B. (Hrsg.) Erfahrungen mit Phantasie. Baltmannsweiler: Schneider Verl. Hohengehren, 1994, S. 166

[4] Rank, Bernhard: Wege zur Grammatik und zum Erzählen. Grundlagen einer spracherwerbsorientierten Deutschdidaktik. Schneider Verlag. Baltmannsweiler 1995, S. 106

[5] Becker, Tabea: Kinder lernen erzählen: zur Entwicklung der narrativen Fähigkeiten von Kindern unter Berücksichtigung der Erzählform. Baltmannsweiler: Schneider-Verlag. Hohengehren, 2001, S. 53

[6] Rank, Bernhard: Wege zur Grammatik und zum Erzählen. Grundlagen einer spracherwerbsorientierten Deutschdidaktik. Schneider Verlag. Baltmannsweiler, 1995, S. 131

[7] Rank, Bernhard: „Nacherzählen“ oder „Weitererzählen“? Zum Einfluss der Kinderliteratur auf die Erzählfähigkeit. In: Rank, B. (Hrsg.) Erfahrungen mit Phantasie. Baltmannsweiler: Schneider Verl. Hohengehren, 1994, S. 175

[8] a.a.O., S. 177

[9] Lypp, Maria: Kinderliteratur und Erzählerwerb. In: Ehlich, K.: Erzählerwerb, 1989, S. 130

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Der literarische Beitrag zum Erzählerwerb - In Theorie und Praxis
Hochschule
Universität Duisburg-Essen
Veranstaltung
Mündliches und schriftliches Erzählen
Note
2,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
19
Katalognummer
V80291
ISBN (eBook)
9783638875141
ISBN (Buch)
9783638875257
Dateigröße
444 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Beitrag, Erzählerwerb, Theorie, Praxis, Mündliches, Erzählen
Arbeit zitieren
Julia Kloiber (Autor:in), 2005, Der literarische Beitrag zum Erzählerwerb - In Theorie und Praxis, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/80291

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Der literarische Beitrag zum Erzählerwerb - In Theorie und Praxis



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden