Analyse der Polemik um Benito Jerónimo Feijoos "discurso Voz del pueblo" aus dem "Teatro crítico universal" (1726-1739)


Seminararbeit, 2006

23 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Die Aufklärung als entstehungsgeschichtlicher Kontext des Werks von Feijoo

3 Das Teatro crítico universal
3.1 Feijoos Diskurs Voz del pueblo
3.2 Feijoos Verständnis des Begriffs vulgo
3.3 Stil, Argumentationsweise und Intention Feijoos

4 Die Repliken
4.1 Mañers Voz del pueblo
4.2 Sarmientos Voz del pueblo

5 Analyse der Polemik um Voz del pueblo aus dem Teatro crítico universal

6 Ausblick: Feijoo – Aufklärer oder Voraufklärer

Bibliographie

1 Einleitung

Die vorliegende Arbeit soll den Verlauf sowie die Beschaffenheit der Polemik um das Teatro crítico universal des Padre Benito Jerónimo Feijoo behandeln. Zu diesem Zweck werden vor allem die Argumentationsstrategien der beteiligten Autoren untersucht.

In den ersten beiden Jahren nach Erscheinen des ersten Bands des Teatro crítico universal erschienen mehr als 60 für- und widersprechende Schriften.[1] Diese lassen sich grob in sechs unterschiedliche Polemiken teilen, von denen jeder ein anderes Thema bzw. ein anderer Diskurs Feijoos zugrunde liegt. In der vorliegenden Arbeit soll jene Polemik behandelt werden, die sich um den Diskurs Voz del pueblo entsponnen hat. Dies kann jedoch im Rahmen dieser Arbeit nur auszugsweise geschehen, da selbst diese eine Polemik mehrere Schriften und Gegenschriften von wenigstens fünf Autoren umfasst. Aus diesem Grund liegt der Schwerpunkt dieser Arbeit auf den Diskursen Voz del pueblo von Feijoo, Salvador José Mañer und Martín Sarmiento.

Die in dieser Arbeit vernachlässigten an der Polemik teilhabenden Autoren Soto y Marne und Armesto y Osorio lassen sich jedoch vom Standpunkt her mehr oder weniger bei Mañer einordnen. Zumindest verfassten auch sie kritisierende Schriften gegen das Teatro crítico universal.

Nach einem ersten Überblick über den geschichtlichen und kulturellen Entstehungskontext des Teatro crítico universal, die Aufklärung, erfolgt eine Einordnung des Diskurses Voz del pueblo in das Gesamtwerk. Nach der inhaltlichen Zusammenfassung des discurso Voz del pueblo von Feijoo, wird kurz auf den Begriff des vulgo und des pueblo eingegangen, deren Definition ein großer Streitpunkt innerhalb der Polemik ist und von Mañer daher als descuido Feijoos bezeichnet wird. Anschließend wird auf den Stil und die Argumentationsweise Feijoos eingegangen, die natürlicherweise eng verknüpft mit seiner Intention sind. Darauf folgen dann die Gegenüberstellung von Mañers Voz del pueblo sowie die Erwiderung Sarmientos. Nach dieser inhaltlichen und argumentativen Darstellung der drei Schriften soll dann der Verlauf der Polemik, ihre Hintergründe und ihr Ausgang dargestellt werden.

2 Die Aufklärung als entstehungsgeschichtlicher Kontext des Werks von Feijoo

Der Begriff Aufklärung bezeichnet die geistige Reformbewegung des 18. Jahrhunderts. Das Herstellen von Vernunft in allen Bereichen des menschlichen Lebens war das Ziel der Aufklärer. Die spanische Bezeichnung der Aufklärung, ilustración, macht den Gegensatz zwischen Aufklärung und dem vorhergehenden Barock klar. Aufklärung ist Erhellung, Abkehr vom Barock, also vom Dunklen sowie Abkehr von der Orientierung hin zu Gott. Der Mensch steht nun vielmehr im Mittelpunkt, man wendet sich zum Diesseits, nicht mehr zum Jenseits. Im Zuge der Aufklärung erfolgt eine klare Reform des Denkens. Durch die Abkehr von Gott hin zum menschlichen Individuum, erfolgt eine Säkularisierung in allen Bereichen. Der Mensch tritt an die Stelle Gottes, er sorgt nun für sich selbst; es ist von nun an nicht mehr die Kirche, die die Welt erklärt, sondern es sind die Philosophen.

Das „neue Denken“ und die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse führen dazu, dass einige Menschen beginnen, althergebrachte Meinungen und Urteile zu hinterfragen und anzuzweifeln, so auch Feijoo: “La ingente obra polifacética de Feijóo constituye el comienzo de la Ilustración española en su primer fase.”[2] Vor allem die Absicht Feijoos, durch Kritik und Zweifel Reformen voranzutreiben, prägen nicht nur sein Werk, sondern ebenso die ganze Epoche der Aufklärung.[3]

Unterstützt wird diese Entwicklung durch die Erfindung des Presswesens, die das 18. Jahrhundert zum Zeitalter der Öffentlichkeit macht. Alles soll und muss in der Öffentlichkeit diskutiert und hinterfragt werden, auch bereits etabliertes Wissen sowie Vorurteile, die ebenfalls stets hinterfragt und angezweifelt werden sollen, da es nur lose Meinungen sind.

„Dudar“, also Zweifel, Skeptizismus und Empirismus sind die neuen Schlagworte, die besonders von Feijoo eingeführt werden. Feijoo, selbst ein Geistlicher, nämlich Benediktinermönch, will nicht die Kirche schwächen, sondern er will dem Aberglauben des Volkes entgegentreten. Vor allem das einfache Volk glaubte an Dämonen und Wunder und die Kirche unterstützte diesen Aberglauben. Feijoo will drei Dinge in der spanischen Gesellschaft fördern, die die Vernunft den Aberglauben widerlegen lässt. Der Skeptizismus, durch den alles hinterfragt und angezweifelt werden soll, d.h. jenes, was Autoritäten wie Staat und Kirche sagen, muss nicht immer richtig sein, die Menschen sollen zweifeln und anfangen, selbst zu denken. Auch auf die Wissenschaften ist der Skeptizismus übertragbar. In der Aufklärung treibt man die Forschung voran, man verwaltet nicht mehr nur das Wissen, das noch von Aristoteles stammt und das die Kirche bis dato als höchstes Maß dargestellt hatte. Feijoo möchte, dass man das althergebrachte Wissen hinterfragt, um so zur Wahrheit zu gelangen. Dies soll in der Wissenschaft durch den Empirismus geschehen, d.h. nur durch selbstgemachte Erfahrungen und Beweise können Wahrheiten belegt werden. Außerdem steht Feijoo für Toleranz, mit der er auch andere Meinungen gelten lassen will und die seines Erachtens in der Gesellschaft fehlt. Feijoo ist Geistlicher und Aufklärer zugleich, er will nicht die Kirche kritisieren, er fordert jedoch, dass im Bereich der Wissenschaft Dinge durch Beweise und Beobachtungen, Experimente belegt werden müssen und nicht mehr alles nur mit Gott erklärt werden kann. Hierbei trennt Feijoo jedoch deutlich zwischen theologischem und natürlich-wissenschaftlichem Bereich. Seine Zweifel und Kritik gelten letzterem Bereich, den theologischen will er unangetastet lassen: “[…] Feijóo no incluye en manera alguna los dogmas de la iglesia romana en sus esfuerzos de ilustración. Él quisiera concebirlos como verdades intangibles, no sujetas a la discusión filosófica.”[4]

3 Das Teatro crítico universal

Voz del pueblo ist ein Essay bzw. discurso des Teatro crítico universal, dessen acht Bände von 1726 bis 1739 erscheinen.[5] Das Werk besteht aus insgesamt 118 discursos und zeichnet sich durch eine unglaubliche Themenvielfalt aus. Feijoo berührt eine Vielzahl von Themen, er schreibt über Literatur, Medizin, Physik, Philosophie, Naturwissenschaften, Musik, Mathematik etc[6], was ein Indiz für seine breitgefächerte Bildung ist. Nur die Theologie, ein Thema, das vielleicht zu erwarten gewesen wäre aufgrund von Feijoos theologischer Laufbahn, lässt er außen vor.

Das Werk macht Feijoo zum meistgelesenen Autoren seiner Epoche und erreicht eine vorher in Spanien niemals gekannte Verbreitung. Einige Bände erreichten eine Auflage von 3.000 Exemplaren; es gab ca. 20 verschiedene Ausgaben des Teatro crítico universal und insgesamt schätzt man heute, dass Feijoos gesamte Werke sich 400.000 bis 500.000-mal verkauften.[7] Dies ist ein Beleg dafür, wie erfolgreich Feijoos Werke waren und dass seine Themenwahl und sein kritischer Blick auf die Verhältnisse den Nerv der Gesellschaft traf.

Der Untertitel des Teatro crítico universal zeigt bereits, welche Intention Feijoo mit seinem Werk verfolgt: Discursos varios en todo género de materias, para desengaño de errores comunes. Diese Intention, die Aufhebung von Fehlern bzw. die Ent-Täuschung im Sinne von ‘eine Täuschung rückgängig machen und aufheben’, ist besonders programmatisch für den ersten discurso Voz del pueblo.

3.1 Feijoos Diskurs Voz del pueblo

Im Prolog des discurso Voz del Pueblo erläutert Feijoo zunächst, wer die Adressaten seines Werkes sind, wer also den desengaño ‘erleben’soll: “[…] mi designio en esta obra es desengañarle [el público] de muchas [especies perniciosas] […].“[8] Diese opiniones comunes sind allgemeine Auffassungen, sogenannte Vor-Urteile, also Meinungen, die man fasst, bevor man sie kritisch hinterfragt hat. Durch den desengaño will Feijoo die falschen Vorstellungen, den engaño, bekämpfen.

Feijoos Diskurs Voz del pueblo ist eine Analyse der Irrtümer und Vorurteile, die im ganzen Volk weit verbreitet sind: “ […] la naturaleza de las cosas lleva que en el mundo ocupe mucho mayor país el error que la verdad.“[9] Die Irrtümer sind jedoch nicht nur weit im Volk verbreitet, sie stammen auch aus ihm: “[Feijoo] ve en la gran masa, en el pueblo, la base de los errores comunes muy inveterados, de las supersticiones arraigadas, de los usos absurdos y de las costumbres poco razonables.”[10]

Feijoo bekämpft in den acht Paragraphen von Voz del pueblo das Vorurteil bzw. die “mal entendida máxima“[11], dass die Stimme des Volkes der Stimme Gottes entspricht. Er kritisiert das antike Sprichwort vox Populi, vox Dei, das besagt, dass Gott seinen Willen in der Stimme des Volkes ausdrücke. Insbesondere beanstandet Feijoo, dass oft von der Menge der Stimmen auf den Grad der Wahrheit geschlossen werde: “El valor de las opiniones se ha de computar por el peso, no por el número de las almas.“[12] Die Anzahl der Stimmen darf also nicht maßgeblich für ihren Wahrheitsgehalt sein. “Los ignorantes, por ser muchos, no dejan de ser ignorantes.”[13] Auch eine Vielzahl von Stimmen kann irren; nur weil es viele Unwissende sind, müssen sie nicht auf einmal wissend sein und die Wahrheit sprechen.

Als Beleg für den Irrtum und die nicht vorhandene razón des Volks zitiert Feijoo das Gleichnis Ciceros, der den vulgo mit dem Mond vergleicht. Erstens sei der vulgo so unbeständig wie der Mond. Ebenso wie der Mond von der Sonne angestrahlt werden muss, um zu leuchten, kann auch das Volk nicht aus eigener Kraft leuchten. Es muss angestrahlt werden und dennoch reicht das „geliehene“ Licht - also die Vernunft - nicht tief bis in das Volk hinein, sondern gelangt nur bis zur Oberfläche. Aus diesem Grund ist es dem Volk auch nicht möglich, Falsches von Wahrem zu unterscheiden.[14] Zudem vergleicht Feijoo das Volk bzw. die Masse der Menschen mit dem Volk bzw. der Masse der Atome. Selbst wenn man annimmt, dass sich die Atome kraft einer höheren Intelligenz durch die Luft bewegen, bleibt es dennoch unverständlich, wie sie ohne sie umgebende Formen, die Erde abbilden.[15] Genauso scheint es Feijoo unverständlich, wie der vulgo ohne eine ihn lenkende Gruppe zur Vernunft und zur Wahrheit gelangen soll. Nur die Intellektuellen, die bereits von der razón Erleuchteten und Aufgeklärten sind nach Feijoo fähig, den vulgo von Fehlern und Aberglauben zu befreien, Vorurteile und Irrtümer aufzudecken und so das Volk zur Vernunft zu führen.[16]

Ein weiteres Argument dafür, dass der vulgo nicht die Stimme Gottes sein kann, bringt Feijoo mit dem Hinweis auf die muslimische Religion. Wenn man die Frage nach der ‘richtigen’ Religion beantworten will, würde die Mehrheit der Menschen die muslimische nennen, da diese in der größten Zahl vertreten sind, so Feijoo. Würde man also der Annahme folgen, dass die Mehrheit immer recht hat, müsste die muslimische Religion die einzig richtige sein und das Christentum wäre nicht die richtige Religion. Demzufolge ist es falsch anzunehmen, dass die Mehrheit der Stimmen immer die Wahrheit vertritt.[17] Zudem könnte eine solche Autoritätsverleihung an die voz del pueblo gefährliche Folgen verursachen, wie eben die Folgerung, dass der Islam und nicht das Christentum die richtige Religion sei.[18]

Die Herkunft und vor allem die Vielzahl der Fehler aus dem Volk erklärt Feijoo mit der Schwierigkeit, den einen wahren richtigen Weg auf Anhieb zu finden: “Quien consideráre que para la verdad no hay más que una senda, y para el error infinitas, no extrañará que caminando los hombres con tan escasa luz, se descaminen los más.“[19] Dies nimmt wieder Rückbezug auf Feijoos Feststellung, das Volk habe nur schwaches Licht bzw. wenig Vernunft und kann demnach Falsches nicht vom Wahren unterscheiden, gerät also viel eher auf einen der unendlich möglichen falschen Wege als den einen richtigen, wahren Weg zu wählen. Letzteres würde wohl nur durch Zufall geschehen. Feijoo nennt zwei konkrete Quellen der Erkenntnis bzw. Wahrheit: la revelación (‘die Offenbarung’) für den Bereich des Glaubens und la demostración (‘den Beweis’) für den Bereich der Natur.[20]

[...]


[1] Vgl.: Perez-Rioja, José Antonio: Proyección y actualidad de Feijoo. Ensayo de Interpretación. Madrid: Instituto de estudios políticos 1965, S. 69.

[2] Bahner, Werner: “El vulgo y las luces en la obra de Feijoo.” In: http://cvc.cervantes.es/obref/aih/pdf/03/aih_03_1_011.pdf (15.03.2007), S. 89.

[3] Vgl.: Alborg, Juan Luis: Historia de la literatura española. Siglo XVIII. Madrid: Gredos 1972, S. 137.

[4] Bahner, a.a.O.: S. 89.

[5] Vgl.: Martin Moreno, Antonio: El Padre Feijoo y las ideologías musicales del XVIII en España. Orense: La Región 1976, S. 42.

[6] Vgl.: a.a.O.: S. 44.

[7] Alborg, a.a.O.: S. 147.

[8] Feijoo, Benito Jerónimo: Teatro crítico universal. Edición de Ángel-Raimundo Fernández González. Letras Hispánicas. Madrid: Ediciones Cátedra 1980, S. 75.

[9] A.a.O.: S. 79.

[10] Bahner, a.a.O.: S. 89f.

[11] Feijoo, a.a.O.: S. 77.

[12] A.a.O.: S. 77.

[13] Feijoo, a.a.O.: S. 77.

[14] Vgl.: a.a.O.: S. 78.

[15] Vgl.: a.a.O.: S. 79.

[16] Bahner, a.a.O.: S. 95.

[17] Vgl.: Feijoo, a.a.O.: S. 79.

[18] Vgl.: A.a.O.: S. 79.

[19] Feijoo, a.a.O.: S. 80.

[20] Vgl.: a.a.O.: S. 80.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Analyse der Polemik um Benito Jerónimo Feijoos "discurso Voz del pueblo" aus dem "Teatro crítico universal" (1726-1739)
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum  (Romanisches Seminar)
Veranstaltung
Die Polemik um das Teatro crítico universal des P. Benito Jerónimo Feijoo
Note
1,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
23
Katalognummer
V80269
ISBN (eBook)
9783638873406
ISBN (Buch)
9783638873468
Dateigröße
492 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Analyse, Polemik, Benito, Jerónimo, Feijoos, Teatro, Polemik, Teatro, Benito, Jerónimo, Feijoo
Arbeit zitieren
Bernadette Bideau (Autor:in), 2006, Analyse der Polemik um Benito Jerónimo Feijoos "discurso Voz del pueblo" aus dem "Teatro crítico universal" (1726-1739), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/80269

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