Das Beamtenrecht in Polen, Estland und der Slowakei und das Problem der Überpolitisierung im Vergleich


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

21 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Beamte, Überpolitisierung und Modelle für den Staatsdienst

3. Die Prinzipal-Agent-Beziehung zwischen politischer Führung und Beamten

4. Transformation in Polen, Estland und der Slowakei

5. Die Entwicklung des Beamtenrechts in Polen, Estland und der Slowakei

6. Schluss

7. Literatur

1. Einleitung

In einer im Jahre 2001 unter hohen Beamten aus Estland, Litauen, Polen und der Tschechischen Republik durchgeführten Untersuchung waren alle Befragten der Ansicht, dass die Politisierung des Staatsdienstes in ihren jeweiligen Ländern ein sehr ernstes Problem ist. Ein einstimmiges „nein“ war die Antwort auf die Frage, ob in ihren Ländern Politik und Verwaltung getrennt seien.[1] Negative Folgen häufiger politisch motivierter Personalwechsel in der öffentlichen Verwaltung sind Instabilität des Regierungshandelns und mangelnde Professionalität. Dies ist in den mittel- und osteuropäischen Staaten besonders problematisch, weil dort die Anforderungen an die öffentliche Verwaltung transformationsbedingt immens hoch waren und sind. Erfahrenes, professionelles Personal ist also dringend nötig, um die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung zu erhöhen, was nicht zuletzt im Hinblick auf das EU-Beitrittskriterium der „institutionellen Stabilität“ eine wesentliche Rolle spielte.

Polen, Estland und die Slowakei eignen sich für einen Vergleich besonders gut, weil sie einerseits sehr ähnliche Voraussetzungen mitbringen. Zunächst teilen sie die Erfahrung des real existierenden Sozialismus und die Alleinherrschaft der kommunistischen Partei. Sie haben also nicht nur sehr ähnliche Erfahrungen in Bezug auf die Verwaltung im sozialistischen Staat und die damit verbundene Personalpolitik, sondern auch hinsichtlich der nach dem Regimewechsel zu bewältigenden Aufgaben. Aus dieser Warte ist ihre Ausgangsposition nach dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus prinzipiell gleich. Auf der anderen Seite weisen sie aber auch beträchtliche Unterschiede auf. So unterscheiden sie sich stark in ihrer Größe. Auch in Bezug auf die staatliche Geschichte und Traditionen im Beamtenrecht vor dem Zweiten Weltkrieg sind erhebliche Unterschiede auszumachen. Darüber hinaus blieb allein Polen nach dem Regimewechsel als Nation bestehen und verfügte 1989/90 so über alle Attribute souveräner Staatlichkeit, während Estland diese vollkommen und die Slowakei zumindest teilweise neu aufbauen musste.

Ziel dieser Arbeit ist es, die Entwicklung des Beamtenrechts vor dem Hintergrund dieser Besonderheiten nachzuzeichnen und zu vergleichen. Dazu werde ich nach der Definition einiger zentraler Begriffe (2) zunächst generell auf die Bedeutung der öffentlichen Verwaltung, die Probleme zwischen Bürokratie und Politik sowie auf die besonderen Voraussetzungen in den drei zu untersuchenden Ländern eingehen (Punkt 3). Nach einer kurzen Darstellung des Regimewandels (4), folgt die ausführliche Entwicklung und Bewertung des Beamtenrechts in Polen, Estland und der Slowakei.

2. Beamte, Überpolitisierung und Modelle für den Staatsdienst

Soll die Überpolitisierung[2] des Staatsdienstes und mithin ihres Personals, der Beamten, untersucht werden, muss geklärt werden, was unter „Politisierung“ zu verstehen ist und welche Personen „Beamte“ sind. Eine einheitliche Definition des Begriffes Beamter existiert nicht.[3] In der Literatur werden häufig offenbar willkürlich die Begriffe Beamte, civil servants oder public administrators für verschiedene Personenkreise in der öffentlichen Verwaltung genutzt. In Anlehnung an eine Definition von Bekke, Perry und Toonen[4] sollen für die vorliegende Arbeit diejenigen Bediensteten im öffentlichen Sektor als Beamte bezeichnet werden, die als „Brücke“ zwischen Staat und Verwaltung fungieren. Es geht also vor allem um das (Spitzen-) Personal in der Ministerialverwaltung, das unter ein spezielles Beamtenrecht fällt. Der in der Literatur verwendete Begriff „civil service “ wird hier mit „Staatsdienst“ übersetzt. Auch wenn die Bediensteten in den sozialistischen Staaten nicht Beamte genannt wurden, teilten sie doch sehr viele Merkmale mit ihren „Kollegen“ in den westlichen kapitalistischen Demokratien.[5] Ich werde daher auch diesen Personenkreis als Beamte bezeichnen.

„Politisierung“ der öffentlichen Verwaltung und damit auch der Beamten kann sich auf drei unterschiedliche Phänomene beziehen. Erstens beschreibt Politisierung die Mitwirkung der Beamten am Zustandekommen politischer Entscheidungen. In diesem Sinne sind alle Beamten „politisiert“, weil es ihre Aufgabe ist, politische Entscheidungen vorzubereiten, auszuführen und zu vermitteln. In diesem Sinne ist eine Trennung zwischen Politik und Verwaltung gar nicht möglich und das Bild des unpolitischen Beamten ein Mythos. Die zweite Dimension der Politisierung bezieht sich auf die Frage, ob und inwieweit die Beamtenschaft als politische Kraft auftritt. Die dritte Dimension des Begriffes Politisierung beschreibt politisch motivierte Ernennungen und Entlassungen von Beamten seitens der politischen Führung, also politisch motivierte Personalentscheidungen. Personalentscheidungen aus politischen Erwägungen sind allerdings nicht a priori schlecht. Sie können im Gegenteil vollkommen legitim sein, denn ein wesentliches Merkmal demokratischer Herrschaft ist die Implementierung des Wählerwillens auch gegen eventuelle bürokratische Widerstände. Daher verwundert es nicht, dass insbesondere die Besetzung zentraler Spitzenpositionen stark von politischen Erwägungen abhängt. Dass mit solcherart Personalpolitik nicht notwendig ein Mangel an Professionalität einhergehen muss, beweisen Institutionen wie etwa die des „politischen Beamten“ im deutschen Beamtenrecht. Diese Karrierebeamten können zwar jederzeit von ihrer speziellen Position innerhalb der öffentlichen Verwaltung abberufen werden, sind aber vor politisch motivierter Entlassung aus dem Staatsdienst geschützt. Politisierung wird also erst dann problematisch, wenn die Professionalität gefährdet ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die gesamte Karriere eines Beamten politisch zur Disposition steht und nicht nur seine Berufung für eine bestimmte Funktion.[6] In diesem dritten Sinne soll im Folgenden von Politisierung die Rede sein.

In der einschlägigen Literatur sowie in den Empfehlungen von Weltbank, OECD und EU hinsichtlich der Reform der öffentlichen Verwaltung in den mittel- und osteuropäischen Staaten ist immer ein spezieller Typ der öffentlichen Verwaltung Bezugspunkt, nämlich das Ideal der Weber’schen Bürokratie. Deren entscheidendes Merkmal ist ein permanenter Beamtenstab, der mit professionellen Experten besetzt ist. Diese werden auf Grundlage standardisierter Auswahlwettbewerbe rekrutiert, sind vor politisch motivierter Entlassung geschützt, beziehen ein regelmäßiges Gehalt und haben Aussicht auf eine Karriere innerhalb der öffentlichen Verwaltung, auf eine Laufbahn.[7] Laufbahnsysteme zeichnen sich des Weiteren dadurch aus, dass ein erfolgreicher Bewerber in das Eingangsamt einer bestimmten Laufbahn eingestellt wird. Für den Zugang zu einer bestimmten Laufbahn sind eine gesetzlich festgelegte Mindestvorbildung sowie das Bestehen einer Eingangsprüfung nötig. In der Regel erfolgt die Einstellung des Beamten auf Lebenszeit. Innerhalb der Laufbahn kann der Beamte dann entsprechend den gesetzlichen Vorgaben befördert werden, neue Funktionen wahrnehmen und beispielsweise nach dem Dienstalterprinzip aufsteigen. Das Gegenstück zum Laufbahnmodell stellt das Positionsmodell dar, das auf einem vom Weber’schen Ideal sehr verschiedenen Verständnis von Staat und öffentlichem Dienst beruht. Kennzeichnend hierfür sind teilweise privatrechtliche Arbeitsverhältnisse, die Einstellung für eine ganz bestimmte Position, individuelle, nicht auf dem Dienstalterprinzip beruhende Bezahlung, keine Anstellung auf Lebenszeit sowie die Abwesenheit eines formalisierten Beförderungssystems.

In keinem europäischen Staat besteht eines dieser Modelle in Reinform. Schweden ist am ehesten dem Positionsmodell, Deutschland dem Laufbahnmodell zuzuordnen. Zudem enthalten auch Laufbahnsysteme Elemente des Positionsmodells, wie auch klassische Elemente des Laufbahnmodells in Ländern mit Positionssystem für Spitzenpositionen zu finden sind.[8]

3. Die Prinzipal-Agent-Beziehung zwischen politischer Führung und Beamten

Nach Weber ist Herrschaft im Alltag primär Verwaltung.[9] Die öffentliche Verwaltung ist für das Regieren einer Gesellschaft also von zentraler Bedeutung. Kaum eine Entscheidung der Regierung könnte ohne die öffentliche Verwaltung in die Praxis umgesetzt werden. Ein politisch neutraler Staatsdienst, wie er durch den Weber’schen Idealtypus einer modernen Bürokratie beschrieben wurde, stellt zudem eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Demokratie und für demokratische Politik dar. Als Instrument des Staates sollte solch ein Staatsdienst garantieren, dass der Staat nicht zur Verfügungsmasse der regierenden Partei wird.[10]

Die Haupttätigkeit der öffentlichen Verwaltung besteht in der Gesetzesimplementierung. Vor allem die in der öffentlichen Verwaltung vorhandene Expertise sorgt dafür, dass Politikvorhaben im Idealfall technisch einwandfrei umgesetzt werden. Die öffentliche Verwaltung nimmt dank ihrer Expertise durch die Beratung der Politiker auch erheblichen Einfluss auf deren Entscheidungen. Politik und öffentliche Verwaltung sind also verschiedene Elemente desselben Prozesses, nämlich der Politikformulierung und der Politikumsetzung.[11] Innerhalb der öffentlichen Verwaltung ist das Personal für die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben eine Steuerungsebene von kaum zu überschätzender Bedeutung. Politik und Verwaltungsführung sind laut Schuppert daher im Wesentlichen Personalpolitik.[12]

Vor dem Hintergrund der immensen Bedeutung der Beamten für den Politikprozess und ihres potentiell sehr großen Einflusses auf politische Entscheidungen, sind Konflikte vorprogrammiert, die aus divergierenden Interessen sowie aus Informationsasymmetrien zwischen politischer Führung (Prinzipal) und Beamten (Agenten) resultieren. Zwar können Politiker einerseits von der Expertise „ihrer“ Beamten und der Arbeitsteilung profitieren. Andererseits reduzieren sie mit der Delegation von Kompetenzen an die Beamten ihre Kontrollmöglichkeiten. Dies wird dann zum Problem, wenn die Beamten nicht im Sinne der politischen Führung oder sogar gegen sie handeln. Folglich muss der Prinzipal eine Anreizstruktur und entsprechende Kontrollmöglichkeiten schaffen, die das Misstrauen zwischen beiden Parteien minimieren und die gewünschten Ergebnisse sicherstellen.[13] In liberalen Demokratien ist die „normative Steuerung des Verwaltungshandelns“[14], also die Kontrolle durch entsprechende Gesetze, das Schlüsselinstrument, um das Verhalten der Beamten zu steuern. Beamtengesetze dienen also dem Zweck, die personalpolitischen Instrumente festzulegen, die der politischen Führung zur Strukturierung des Verhaltens der Beamten zu Verfügung stehen. Die relevanten personalpolitischen Bereiche sind Platzierung und Ernennung von Beamten innerhalb der entsprechenden Behörden sowie die Bestimmung ihrer Einkommenshöhe.[15]

[...]


[1] King, Roswitha M. (2002): What Kind of Civil Service? Trends in Public Administration Reform in Eastern Baltic Sea States, in: North European and Baltic Sea Integration (NEBI) Yearbook 2002/2003, S. 4.

[2] Vgl: Götz, Klaus H. / Wollmann, Hellmut (2001): Governmentalizing central executives in post-communist Europe: a four country comparison, in: Journal of European Public Policy 8:6, Dec. 2001, S. 865.

[3] Rouban, Luc (2003): Politicization of the Civil Service, in: Peters, Guy / Pierre, Jon (Eds.): Handbook of Public Administration, Sage Foundation, S. 311.

[4] Bekke, Hans/Perry, James/Toonen, Theo (1996): Introduction: Conceptualizing Civil Service Systems, in: Dies. (eds.): Civil Service in Comparative Perspective, Indiana University PressI, S. 2.

[5] Vgl.: Wiatr, Jerzy J. (1995): The Dilemma of Re-organizing the Public Bureaucracy During the Democratic Transition. In: Communist and Post-Communist Studies, Vol. 28, No.1, S. 154.

[6] Rouban (Anm. 3), S. 313.

[7] Kieser, Alfred (1995): Max Webers Analyse der Bürokratie, in: Ders. (Hrsg.): Organisationstheorien, 2., überarb. Auflage, Kohlhammer, S.39.

[8] Vgl. Bossaert, Danielle/Demmke, Christoph (2002): Der öffentliche Dienst in den Beitrittsstaaten. European Institut of Public Administration, S. 15-24.

[9] Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen, 1972, S. 127.

[10] Wiatr (Anm. 5), S. 153.

[11] Peters, Guy/Jon, Pierre (2003): Introduction: The Role of Public Administration in Governing, in: Dies. (Eds.): Handbook of Public Administration, Sage Foundation, S. 1 ff.

[12] Schuppert, Gunnar Folke (2000): Verwaltungswissenschaft. Nomos, Baden-Baden, S. 653.

[13] Meyer-Sahling, Jan-Hinrik (2002): Personnel Policy Regimes, Political Discretion and Civil Service Reform in Central and Eastern Europe. Paper Prepared for Workshop 4, ‘Enlargement and European Governance’, ECPR Joint Session of Workshops, Turin/Italy, March 22-27, 2002, S. 6f.

[14] Schuppert (Anm. 12), S. 461.

[15] Meyer-Sahling, 2002, (Anm. 13), S. 10.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Das Beamtenrecht in Polen, Estland und der Slowakei und das Problem der Überpolitisierung im Vergleich
Hochschule
Universität Potsdam  (Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät)
Veranstaltung
Zwischen Europäisierung und Transformation: Öffentliche Verwaltung in Mittel- und Osteuropa im Wandel
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
21
Katalognummer
V80246
ISBN (eBook)
9783638870061
ISBN (Buch)
9783638870115
Dateigröße
497 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Beamtenrecht, Polen, Estland, Slowakei, Problem, Vergleich, Zwischen, Europäisierung, Transformation, Verwaltung, Mittel-, Osteuropa, Wandel
Arbeit zitieren
Martin Weber (Autor:in), 2005, Das Beamtenrecht in Polen, Estland und der Slowakei und das Problem der Überpolitisierung im Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/80246

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