Die didaktische Dimension in Grimmelshausens 'Courasche'


Zwischenprüfungsarbeit, 2000

17 Seiten, Note: 2,7

Martin Kragans (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung: Poesie und Leben
1.1 „Die Religiosität des Johann Jakob Christoffel von Grimmelshausen“

2. Hauptteil: Die didaktische Dimension in Grimmelshausens Werk,
namentlich der Courasche
2.1 Die Formulierung eines poetologischen Programms innerhalb des
Simplicianischen Zyklus: Die „Gaukelpredigt“
2.2 „Das tue ich dem Simplicissimo zu Trutz! weil ich mich anderergestalt nicht an ihm rächen kann...“- das Trutz-Simplex-Motiv
2.3 Die Courasche als schlechtes Beispiel – verkehrte Welt der Laster und Sünden
2.3.1 Die „kützelhafften Anfechtungen“ – Wollust als wesentliches Charakteristikum der Courasche
2.3.2 Die Gewinnsucht der Courasche

3. Schlussbetrachtung

4. Literaturverzeichnis

1. Einleitung: Poesie und Leben

1.1 „Die Religiosität des Johann Jakob Christoffel von Grimmelshausen“

Zum vollen Verständnis des literarischen Schaffens Grimmelshausens ist es unerlässlich, den religiösen Hintergrund dieses Autors und seiner Werke zu untersuchen. Aus diesem Grunde stelle ich folgende Einleitung an den Anfang meiner Arbeit, die etwas näher beleuchtet, welches Verhältnis Grimmelshausen zur Religion hatte.

Johann Jakob Christoffel Grimmelshausen ist der große deutsche Dichter des Barock im 17. Jahrhundert, bei dem die Unterscheidung, die klare und sichere Trennung zwischen Dichtung und Leben, Autorschaft und Romanheldentum am aller schwersten fällt.[1] Der Mensch Grimmelshausen zeichnet sich durch eine im 17. Jahrhundert nicht ungewöhnliche, tiefe Religiosität aus, die, und das liegt aus oben genannten Gründen eben sehr nahe, auch seinem umfangreichen Gesamtwerke ein wesentliches Gepräge verleiht. Namentlich der in der ganzen damaligen Welt verbreitete und diese umspannende, vor allem aber das geistige Klima in Mitteleuropa und speziell in Deutschland bestimmende christliche Glaube ist es, der in Grimmelshausen einen großen Anhänger und leidenschaftlichen Verfechter findet. Käte Fuchs hat 1935 eine Untersuchung zum Aspekt Die Religiosität des Johann Jakob Christoffel Grimmelshausen vorgelegt, in der sie von den Wurzeln und Vorläufern des Grimmelshausenschen Denkens bis hin zu dessen Beschäftigung mit Gott und der Welt in seinen Schriften kommt und seine Begriffe von Teufel, Sünde, Krieg und der Diesseitsfreude darlegt und erläutert. Nach eingehender Prüfung kann sie schließlich Folgendes für Grimmelhausens Weltsicht und Literaturschaffen konstatieren: „Gott steht als der Urheber alles Tatsächlichen und Geistigen, als das summum ens hinter allem Bestehenden, das ohne seine Kraft nicht tun noch sein könnte.“[2] Und so wie Gott also der Schöpfer alles Lebendigen ist, so ist er auch der gerechte Richter, der nach weiser Entscheidung belohnt und straft, nicht ohne die Menschen zuvor ermahnt und zur Umkehr gebeten zu haben.

Doch Welt und Menschheit sind nicht gut, und „...hier setzt der Dualismus in der Frömmigkeit Grimmelshausens ein.“[3] In seinen Augen ist der Mensch dem Teufel verfallen, gibt er sich der Sünde hin und lebt deshalb in verdammender Gottesferne. Die Welt „...ist böse und widergöttlich, dem Satan verfallen und voller Lug, Streit und Verführungskünsten.“[4] Der Antagonismus ist evident, und viele Stellen aus den Büchern des Simplicianischen Zyklus, zahlreiche Bemerkungen direkt an die Adresse des Publikums gerichtet sprechen diese deutliche Sprache des Lobes Gottes und der Warnung vor dem unseligen und verderblichen Teufel.

Nicht weniger charakteristisch für Grimmelshausens Religiosität – neben dem aktiven Gottesbegriff[5] und der dualistischen Weltauffassung von Welt und Teufel – ist nach Käte Fuchs schließlich seine auf Erfahrung beruhende praktische Frömmigkeit. Sie steht gewissermaßen im Zentrum seiner Absichten, selbstredend mit christlich-ethischen Implikationen und Forderungen: „Um sie dreht sich alles, und ihre Erfüllung oder Nichterfüllung bildet, verschieden gewendet, den Inhalt jedes seiner Werke.“[6] Namentlich ist es die Vermittlung der von der Kirche detailliert formulierten Sünden- und Tugendlehre, die erfolgreich umzusetzen Grimmelshausens dichterische Absicht der Didaxe es ist. Von fatalen äußeren Umständen – den Schrecken und Nöten des 30-jährigen Krieges – in christlicher Verantwortung dazu gedrängt und verpflichtet, ist „...die Hilfe an seinen Mitmenschen, (das) Aufzeigen der Wahrheit, (das) Deutlichmachen von Sünden und Tugend, (das) Aufstellen von Beispielen zur Warnung und Nachahmung...“[7] seine dringliche Aufgabe.

Grimmelshausen gehörte wohl der katholischen Konfession an, denn seine Betonung des Verdienstes guter Werke, der Beibehaltung der traditionellen Sakramente, der Priestertätigkeit und des Mönchtums tragen deutliche Züge des Katholizismus. So waren Leben und Dichten Grimmelshausens von tiefem religiösem Ernst durchdrungen.[8]

Grimmelshausen unterlässt es nicht, sich durchaus disparat zur eigentlichen Intention seiner schriftstellerischen, vor allem seiner im satirischen Stil verfassten Werke zu äußern, klar zu stellen, worum es ihm im Grunde dabei geht, wenn er seine zum Teil derben, zum Teil lustig-amüsanten Anekdoten und Schwänke in der Courasche, im Simplizissimus, im Wunderbarlichen Vogelnest und so fort in pikarischer Manier dem Leser darbietet.

2. Hauptteil: Die didaktische Dimension in Grimmelshausens Werk,
namentlich der Courasche

2.1 Die Formulierung eines poetologischen Programms innerhalb des Simplicianischen Zyklus: Die „Gaukelpredigt“

Als Autor der Gattung des niederen Romans zählen die Werke Grimmelshausens zu den satirischen Schriften. An verschiedenen Stellen seines Simplicianischen Zyklus formuliert er seine dichterischen Absichten expressis verbis, um damit Anleitungen zum rechten Lesen zu geben und Missverständnisse bei der Lektüre zu vermeiden. Seinen ersten Ausdruck findet Grimmelshausens poetologisches Programm sodann im Titelkupfer des Simplicissimus, indem es die dort fehlende Vorrede substituieren muss, und weiter finden sich Aufdeckungen seiner im Verborgenen liegenden Intentionen in der Continuatio und der Vorrede zum zweiten Teil des Wunderbarlichen Vogelnests. So heißt es also im ersten Kapitel der Continuatio:[9]

„...dass ich aber zu zeiten etwas possierlich auffziehe, geschiehet der Zärthling halber, die keine heilsame Pillulen können verschlucken, sie sehen dann zuvor überzuckert und vergült; ...Ich möchte vielleicht auch bechuldigt werden ob gienge ich zuviel Satyrice drein; dessen bin ich aber gar nicht zuverdencken weil männiglich lieber gedultet dass die allgemeine Laster Generaliter durch gehechlet und getrafft: als die aigne Untugenden freundlich corrigirt werden; So ist der Theologische Stylus beym Herrn Omne (dem ich aber diese meine Hisrori erzehle) zu jetzigen Zeiten leyder auch nicht so gar angenehm ... (und jeder) Marckschreyer oder Quacksalber ... mehr Zulauffs und Anhörer bekomt als der eyferigste Seelen-Hirt der mit allen Glocken dreymal zusammen leuthen lassen seinen anvertrauten Schäfflein ein fruchtbare heilsame Predig zuthun.“[10]

Seine satirische Schreibart rechtfertigt der Dichter also damit, seiner Erfahrung nach auf diese Weise das größte Publikum erreichen zu können, denn der Theologische Stylus stoße auf wenig Gehör und Gegenliebe bei der Leserschaft. Zweierlei wird daraus ersichtlich: Zum einen ist es Grimmelshausen daran gelegen, die Satire als Mittel zum Zweck zu nutzen, und eben nicht nur zu erheitern mit allerlei Schwänken, Anekdoten und Possen – vielmehr steht die Belehrung im Vordergrund seiner schriftstellerischen Tätigkeit, was „...etwa durch Predigten oder erbauliches Schrifttum...“[11] schlechter zu realisieren wäre. Zum Zweiten macht Grimmelshausen unmissverständlich deutlich, auf welche moralisch-ethische Norm und Autorität er sich beruft, wenn er vom Theologischen Stylus spricht. Und hier spiegelt sich dann die seinem Wesen ureigene tiefe, christliche Religiosität im Werke wider. So schreibt er im letzten seiner Bücher, dem zweiten Teil des Wunderbarlichen Vogelnests, sämtliche seiner Schriften zu dem Zwecke verfertigt zu haben, um „...die unbehutsame Menschen (auch mit Exempeln) unter dem Schein kurtzweiliger Geschichte vor dem jenigen treulich zu warnen was sie wie gemeldt gar leicht vom höchsten Gut absondern hingegen in deß leidigen Teufels Gewalt und wann der liebe Gott auß sonderbarer Barmherzigkeit nicht hilfft ohn Zweifel in die Ewige Verdammnus bringen mag worzu er vornehmlich bewogen worden als er gesehen wie unzehlbar viele sich in jetzigen elenden vielleicht letzten Zeiten mit allerhand liederlichen Künsten schleppen ohne dass sich der ein oder ander Mensch ein Gewissen darumb mache noch mercke dass er allbereit dem Höllischen Schlund begune im Rachen zu stecken.“[12] Die christlich-moralisierende Absicht tritt in solcherlei programmatischen Äußerungen deutlich zutage, die Polaritäten von Himmel und Hölle, Gott und Teufel, Sünd- und Tugendhaftigkeit bestimmen das Denken des Dichters maßgeblich. Die christliche Lehre –im 16. wie 17. Jahrhundert noch eine Totalität des geistigen Horizonts beschreibend und bezeichnend - ist also Grund und Folie seiner schriftstellerischen Arbeiten; seinen gewöhnlichen lustigen Stylum gebraucht der Autor ganz bewusst, er erfüllt die Funktion „...der intendierten Wirkung und der Spekulation des Publikums auf eine kurzweilige Histori...“[13] und wird so „...zum Vehikel seiner moralistischen Absichten...“[14] gemacht. So will Grimmelshausen „...horazisch mit Lachen die Wahrheit sagen...“[15]. Heßelmann spricht dabei von einer in diesem Sinne gemeinten Gaukelpredigt: „...Schon das Titelblatt (der Courasche) bietet den topischen didaktischen Lektürewink >Ebenso lustig / annemlich un nutzlich zu betrachten / als Simplicissimus selbst.“[16] Außerdem zitiert er den vor die Kapitelüberschrift der Courasche eingefügten Satz von der „...Lust und Lehrreichen Lebensbeschreibung der Ertzländstörtzerin und Zigeunerin...“[17], in dem die moralische Absicht des Autors zudem deutlich werde. Doch zeigt die Courasche die Gleichartigkeit des lustigen Stylum mit den anderen Werken des Simplicianischen Zyklus, so weist sie in ihrer Gesamtkonzeption doch eine augenscheinliche Einzigartigkeit des Stils auf: Die Courasche kommt einer „... implikative (n) Allegorie...“[18] gleich, auch wenn die moralische Instanz des Autors nicht gänzlich ausgeschaltet ist. Heßelmann meint, dass die Courasche als implikative Allegorie konzipiert wurde, der Autor allerdings keine reine Form gewählt habe, weil er seinem Publikum nicht traute und Missverständnisse schon voraussah. Jedenfalls fehlen die im Simplicissimus überall präsenten erbaulichen Reflexionen, christlichen Ermahnungen und Kommentare aus der Feder Grimmelshausens. Diese Feststellung weist der Courasche eine Sonderstellung im Gesamtwerk zu. Im jetzt folgenden Teil dieser Arbeit gehe ich in medias res und richte mein Hauptaugenmerk auf die didaktisch-moralische Dimension, diese nun etwas genauer am Beispiel der Courasche exemplifizierend. Was also will Grimmelshausen sein Publikum mit und durch seine Courasche lehren?

[...]


[1] Siehe Breuer, Dieter: Grimmelshausen-Handbuch. München 1999, S. 7. (Künftig: Breuer, 1999. S. x)

[2] Fuchs, Käte: Die Religiosität des Johann Jakob Christoffel Grimmelshausen. Leipzig 1935, S. 142. (Künftig: Fuchs: 1935, S. x)

[3] Fuchs, 1935, S. 142.

[4] Ebenda.

[5] Siehe Fuchs, 1935, S. 142f.

[6] Fuchs, 1935, S. 144.

[7] Fuchs, 1935, S. 145.

[8] Siehe Fuchs, 1935. S. 146f.

[9] Heßelmann, Peter: Gaukelpredigt. Simplicianische Poetologie und Didaxe. Zu allegorischen und emblematischen Strukturen in Grimmelshausens Zehn-Bücher-Zyklus. Frankfurt 1988, Titel. (Künftig: Heßelmann, 1988, S. x)

[10] Grimmelshausen: Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch und Continuatio des abentheurlichen Simplicissimi. Herausgegeben von Rolf Tarot, Tübingen 1967, S. 472-473.

[11] Meid, Volker: Grimmelshausen. Epoche-Werk-Wirkung. München 1984, S. 103. (Künftig: Meid, 1984, S. x)

[12] Grimmelshausen: Das wunderbarliche Vogelnest. Herausgegeben von Rolf Tarot. Tübingen 1970, S. 149-150.

[13] Meid, 1984, S. 105.

[14] Ebenda.

[15] Ebenda.

[16] Heßelmann, 1988, S. 285.

[17] Zitiert nach Heßelmann, 1988, S. 285.

[18] Heßelmann, 1988, S. 282.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Die didaktische Dimension in Grimmelshausens 'Courasche'
Hochschule
Universität Münster  (Institut für Deutsche Philologie II)
Veranstaltung
Proseminar Grimmelshausens Courasche
Note
2,7
Autor
Jahr
2000
Seiten
17
Katalognummer
V80023
ISBN (eBook)
9783638862950
ISBN (Buch)
9783638904186
Dateigröße
523 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Dimension, Grimmelshausens, Courasche, Proseminar, Grimmelshausens, Courasche
Arbeit zitieren
Martin Kragans (Autor:in), 2000, Die didaktische Dimension in Grimmelshausens 'Courasche', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/80023

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