Die Schlacht von Marathon als Lieu de memoire


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

15 Seiten, Note: 2,0

Martin Kragans (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung: Die Schlacht von Marathon 490 v. Chr. als Lieu de memoire der antiken griechisch-athenischen Geschichte

2. Hauptteil
2.1 Marathon in der antiken literarischen Erinnerung – Redner des 4. Jahrhunderts: Isokrates von Athen, Aischines von Athen und Demosthenes von Athen
2.2 Marathon in der Rezeption der Kaiserzeit – Diodor, Strabo, Plutarch, Pausanias und Aelios Aristides (Rhetorik und Historiographie)

3. Schlussteil

4. Literaturverzeichnis

1. Einleitung: Die Schlacht von Marathon 490 v. Chr. als Lieu de memoire der antiken griechisch- athenischen Geschichte

Die vorliegende Arbeit setzt sich nicht primär und unmittelbar mit einem historischen Ereignis auseinander – es wird im Wesentlichen nicht darum gehen, die Schlacht von Marathon 490 v. Chr. in ihrer ganzen Erscheinung zu beleuchten und Hintergründe, Verlauf, Folgen et cetera weitläufig zu erörtern und darzulegen. Stattdessen entfernt sich der Autor der hier vorgelegten Untersuchung vom geschichtlichen Ort des Geschehens und befasst sich vielmehr mit dem literarischen Fortleben der siegreichen Schlacht von Marathon. Dass es dieses Fortleben gegeben hat, wird aus zahlreichen Quellen allzu deutlich. Die Schlacht von Marathon, der siegreiche Kampf der Athener gegen die aus dem Osten vordringende Übermacht der Perser war keineswegs schon 491 wieder vergessen worden oder im turbulenten Verlauf der griechischen Geschichte auch in den kommenden Jahrhunderten untergegangen. Marathon, so sollte sich zeigen, wurde wie ein fester Bezugspunkt im historischen Gedächtnis der Athener installiert. Wie sich daraus ein bedeutender Ort der Erinnerung für das Selbstverständnis der Athener entwickelte und in welcher Form dieses Ortes erinnert wurde, das soll die Leitfrage dieser Untersuchung sein.

Der Titel der Arbeit, „Die Schlacht von Marathon als Lieu de memoire der Athener“, verlangt zunächst zweierlei, um einen Einstig in die Thematik zu erleichtern: eine kurze Wiedergabe der historischen Ereignisse im Kontext der Perserkriege und der griechischen Geschichte der klassischen Zeit und eine Definition des geschichtswissenschaftlichen Begriffs der vielbesagten Lieux de memoire.

Pierre Noras Essaysammlung „Zwischen Geschichte und Gedächtnis“ gibt Aufschluss darüber, was unter dem Lieu de memoire, zu deutsch Erinnerungsort, zu verstehen ist: „Mein Vorhaben bestand darin, an die Stelle einer allgemeinen, thematischen, chronologischen oder linearen Untersuchung eine in die tiefe gehende Analyse der „Orte“ – in allen Bedeutungen des Wortes – zu setzen, in denen sich das Gedächtnis der Nation (...) in besonderem Maße kondensiert, verkörpert oder kristallisiert hat.“[1]

Das, so schreibt er weiter, müssen nicht unbedingt tatsächlich Orte im landläufigen, lokalen oder geographischen Sinne sein: Nach Noras Verständnis können das neben authentischen Orten auch Museen, Denkmäler, Ereignisse, Embleme, Rituale, Losungen oder Topoi in Ansprachen, Reden oder anderen literarischen Formen sein. Die Möglichkeiten der Verortung von Erinnerung und Gedächtnis sind vielfältig, nahezu unendlich. Bedeutender als der Ort aber sind Sinn und Seele, mit dem der entsprechende Lieu de memoire, der Erinnerungsort, aufgeladen ist. Nora schreibt dazu: „Die Gedächtnisorte, das sind zunächst einmal Überreste. Die äußere Form, in der ein eingedenkendes Bewusstsein überdauert in einer Geschichte, welche nach ihnen ruft, weil sie nicht um sie weiß. (...)“[2]

Darüber hinaus ist der Lieu de memoire aber auch Kondensation, Verkörperung und Kristallisation des Gedächtnisses einer Nation und das, „was eine Gemeinschaft, (...) künstlich und willentlich ausscheidet, aufrichtet, etabliert, konstruiert, dekretiert, unterhält.“[3]

Damit ist in wenigen Worten die ganze geistige Komplexität der Lieux de memoire ausgedrückt. Der Erinnerungsort zeichnet sich nach Noras Definition also durch verschiedene Merkmale aus: Er ist selektiv-arbiträr insofern, als er nur einzelner und willentlich bestimmter Vorgänge, Ereignisse, Ideen et cetera gedenkt, und nicht etwa die Geschichte in ihrer Gänze zu erfassen vermag; symbolisch insofern, als er in stark variierender Erscheinung (an verschiedenen Orten im Sinne Noras) ein bestimmtes historisches Gedächtnis verdichtet; kollektiv und ritualisiert (in ständiger, sich wiederholender Pflege) insofern, als erst dieses Moment ihn in den Rang des Lieu de memoire erhebt, in dem sich ja das Gedächtnis einer Nation kristallisiert und lebendig bleibt; sinnhaltig und identitätsstiftend insofern, als sich an den Erinnerungsort in der Regel positiv konnotierte Vorgänge, Ereignisse, Ideen et cetera knüpfen.

In der vorliegenden Arbeit soll die Schlacht von Marathon 490 v. Chr. als solcher Lieu de memoire in der griechisch-athenischen Geschichte untersucht werden. Zu diesem Zwecke wird zunächst das geschichtliche Ereignis der Schlacht und der historische Kontext in aller gebotenen Kürze und notwendigen Länge beleuchtet.

Im Jahre 513/12 hatte der persische Großkönig Dareios I. die Grenzen zum europäischen Festland erstmals überschritten – das Perserreich wurde zum unmittelbaren Nachbarn der griechischen Festlandstaaten. Die Achaimeniden verfolgten den unbedingten Willen, ihren Weltherrschaftsanspruch auch im griechischen Raum durchzusetzen. Sie unterstützten städtische Tyrannen und zahlreiche Lokalherrscher, um sich durch deren Loyalität ihren Anspruch auf Vorherrschaft zu sichern. Im Jahre 500 kam es jedoch zum ersten Aufbegehren gegen die persische Macht; damit war auch der Anfang der sogenannten Zeit der Perserkriege gemacht. Der Ionische Aufstand konnte jedoch von den Persern 494 endgültig niedergeschlagen werden.

492 ging die Initiative vom persischen Feldherrn Mardonios, einem Schwiegersohn des Großkönigs Dareios, aus; willens, die persische Einflusssphäre weiter gen Westen auszuweiten, reichte sein Eroberungszug bis zur Insel Thasos. Das persische Vorhaben endete jedoch in einem Fiasko: Die gesamte Flotte der Achaimeniden zerschellte am Berg Athos. Trotzdem verfolgten die Perser weiter und hartnäckig ihre Ziele:

491 v. Chr. stellt der persische Großkönig Dareios ein Ultimatum an die Griechen, mit dem er als Zeichen der Unterwerfung Erde und Wasser verlangt. Die beiden großen griechischen Mächte, Athen und Sparta, verweigern dem persischen Großherrscher aber die Unterwerfung und lassen die persischen Gesandten töten. Ein Jahr später, 490 v. Chr., zieht eine große persische Flotte, „auf der mehr als 20000 Soldaten und Hunderte von Reitern mit ihren Pferden transportiert wurden“[4], unter dem Kommando des Datis und Artaphernes gegen Griechenland. Die Perser schiffen direkt durch die Ägäis, um ein erneutes Scheitern im Athosgebirge zu vermeiden; das hatte sie die schlechten Erfahrungen im Mardonios-Feldzug gelehrt. Nach einer kurzen Belagerung wird die euböische Stadt Eretria eingenommen und niedergebrannt. Die persische Flotte landet im Spätsommer 490 auf der nordöstlichen Seite der Bucht von Marathon ; die Athener rücken auf Initiative des Strategen Militiades in den Süden der Bucht vor, um den Persern den Zugang nach Athen zu verwehren. Gleichzeitig wird ein Eilbote nach Sparta geschickt, um dort Hilfe für die zahlenmäßig völlig unterlegenen Athener zu erbitten.[5] Noch ehe aber die Hilfe aus Sparta anrücken kann, weil ein religiöses Fest das zunächst verbietet, müssen sich die Perser trotz ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit, von den Athenern geschlagen und unter großen Verlusten zurückziehen.

480/79 sollte es ein weiteres und letztes Mal zu einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Hellenen und Persern in der sogenannten Zeit der Perserkriege kommen: auch dieses Mal waren wieder die Griechen siegreich. Wenngleich damit die Konflikte mit dem Perserreich noch nicht endgültig entschieden waren, so bedeutete der Sieg 480/79 doch eine tiefe Zäsur, die zu einer umfassenden machtpolitischen Neuordnung der griechischen Staatenwelt führte.[6]

Soviel zu den überlieferten historischen Fakten. „Der Sieg bei Marathon stärkte das politische Selbstbewusstein der neu verfassten Bürgerschaft Athens.“[7] Wie sich im Hauptteil dieser Arbeit zeigen wird, wächst sich der Sieg von Marathon darüber hinaus und im Verlauf mehrerer Jahrhunderte (in dieser Arbeit reicht der zeitliche Rahmen bis zur Kaiserzeit um 200 n. Chr.) in der Erinnerung der Athener zu einem herausragenden Ereignis athenischer Geschichte, zu einem Identifikationsobjekt athenischen Selbstverständnisses und politischen Selbstbewusstseins par excellence aus.

[...]


[1] Nora, Pierre: Zwischen Geschichte und Gedächtnis: Die Gedächtnisorte, Berlin 1990, S. 7 (künftig: Nora, 1990, S. xy).

[2] Nora, 1990, S. 17.

[3] Ebd.

[4] Gehrke, H.J. und H. Schneider: Geschichte der Antike. Ein Studienbuch, Stuttgart 2000, S. 111ff (künftig: Gehrke und Schneider, 2000, S. xy).

[5] Siehe Gehrke und Schneider, 2000, S. 110-111.

[6] Siehe Gehrke und Schneider, 2000, S. 114-115.

[7] Gehrke und Schneider, 2000, S. 112.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Die Schlacht von Marathon als Lieu de memoire
Hochschule
Universität Münster  (Institut für Alte Geschichte)
Veranstaltung
Perserkriege
Note
2,0
Autor
Jahr
2001
Seiten
15
Katalognummer
V80020
ISBN (eBook)
9783638862875
ISBN (Buch)
9783638904179
Dateigröße
482 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schlacht, Marathon, Lieu, Perserkriege
Arbeit zitieren
Martin Kragans (Autor:in), 2001, Die Schlacht von Marathon als Lieu de memoire, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/80020

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