Wandlungen der Eltern-Kind-Beziehung


Hausarbeit, 2007

18 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung: Zu den Probleme des Umganges mit historischen Quellen

2. Familiäre Lebensumstände und die Bedeutung von Kindern im Mittelalter und der frühen Neuzeit

3. Wandlungsprozesse der Eltern-Kind-Beziehung

4. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Zu den Problemen des Umganges mit historischen Quellen

Die „Kindheit“ – wie wir sie heute kennen – ist das Produkt eines Entwicklungsprozesses, dessen historische Wurzeln lange im Dunkeln der Vergangenheit lagen und die erst durch die Forschung, Zusammenfassung und Auswertung älterer Dokumente – Bilder, Minnegesänge, Gedichte, Tagebücher, Briefe, Kirchenbücher, Arztberichte – durch Ariès, De Mause, Rutschky, Weber-Kellermann und andere langsam im Lichtkegel der Gegenwart erkennbar werden.

Die Probleme, die bei dem Schreiben über die Geschichte der „Kindheit“ auftauchen sind vor allem theoretischer Natur. Ariès ermöglicht uns einen Zugang zu sämtlichen historischen Quellen ohne ein konkretes theoretisches Rahmenwerk und De Mause betrachtet die Entwicklungslinien auf rein psychogenetischer Basis ohne die Soziogenese zu berücksichtigen. Norbert Elias hat zum Auftakt des „Jahres des Kindes“ 1980 ein Aufsatz über die „Zivilisierung der Eltern“ geschrieben, in dem er erste Ansätze einer Integration der Wandlungsprozesse der Eltern-Kind-Beziehung in seine Zivilisationstheorie aufzeigt, in denen Sozio- und Psychogenese mit berücksichtigt werden. Damit wird für die detailreichen Schilderungen der mittelalterlichen Quellen ein Rahmen zur Verfügung gestellt, mit dessen Hilfe langfristige Prozesse begreifbar werden.

Weitere Schwierigkeiten bei der Auseinandersetzung mit historischen Quellen beruhen auf zwei mögliche Verzerrungen. Erstens beschreiben die Quellen meistens die Lebensumstände wohlhabenderer Stände und Schichten – also von Aristokraten und später auch von Bürgern – und wenn wir Quellen über durchschnittlichere Lebensumstände finden, sind sie von Menschen etablierterer Herkunft hinterlassen und dementsprechend ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Umständen nicht so aufgezeichnet wurden, wie sie die betroffenen Menschen erlebt und gefühlt haben, relativ groß. Das zweite Problem betrifft den Forscher. Er schaut als Mensch der Gegenwart auf Menschen der Vergangenheit. Gefühle, die automatisch bei der Auseinandersetzung des historischen Materials und der damit bildlichen Vorstellung früherer Umgangsformen der Menschen mitschwingen, könnten ihn dazu veranlassen, die Menschen der Vergangenheit als grausam, unmenschlich oder sonst irgendwie zu bewerten – was gemessen an heutigen Maßstäben vielleicht richtig wäre, aber zur Skizierung und zum Begreifen früherer menschlicher Beziehungen äußerst unangemessen ist. So kommt es, das Ariès der „guten alten Zeit“ hinterher weint und DeMause sie als grausam stigmatisiert – was Beiden fehlt, ist der theoretische Blick auf langfristige Entwicklungsprozesse. Man kann die spezifischen Umgangsformen nicht verstehen, wenn man sie mit heutigen Maßstäben misst und zudem isoliert und ohne Bezug auf das Beziehungsgeflecht (Figuration), das viele Menschen miteinander bilden, betrachtet. Im Zuge der Veränderung ökonomischer, politischer und religiöser Umstände, ändern sich ebenfalls die Zwänge, die Mensch aufeinander ausüben und dadurch auch ihre Umgangsformen und Gefühlsbindungen. „Der Mensch ist das Ensemble seiner gesellschaftlichen Verhältnisse“ hat Marx einmal gesagt und mit Horkheimer lässt sich ergänzen, dass „keiner der großen gesellschaftlichen Zusammenhänge […] dauernd ein festes Gebilde [bleibt], sondern zwischen allen seinen untergeordneten Teilen und Sphären […] fortwährend eine für ihn selbst kennzeichnende Wechselwirkung statt[findet]“ (Horkheimer 1936: 8). So lässt sich zum Beispiel beobachten, dass mit der zunehmenden Demokratisierung einer Gesellschaft, auch die Beziehungsmuster zwischen Männer und Frauen sowie zwischen Eltern und Kindern demokratischer werden[1].

Als ein weiteres Charakteristikum kommt hinzu, dass westeuropäische Menschen der Gegenwart die Art und Weise ihres Umganges miteinander sowie ihrer Beziehungen zueinander häufig als den Zenit menschlicher Entwicklung ansehen, sie als naturgegeben begreifen und Verhaltensweisen früherer Menschen oder auch gegenwärtiger außereuropäischer Menschen als unterentwickelt aburteilen, ohne sich bewusst zu sein, dass Menschen immer in spezifischen Gesellschaftsstrukturen auch spezifische Verhaltensweisen entwickeln, die sich im Laufe der Zeit als „Lösung“ ein und desselben Problems herauskristallisierten, des Problems, unter Instinktarmut „leidender“ und dadurch entwicklungsoffener Menschen, die erzogen werden müssen um zu überleben. Auf welche Art und Weise der Erziehungsprozess abläuft ist nicht biologisch vorgegeben, sondern immer, von der jeweiligen Gesellschaftsstruktur abhängig, die sich aufgrund der verschiedensten Zwängen denen Menschen ausgesetzt sind und aufeinander ausüben als viabel[2] erwiesen haben.

Ohne dieses Hintergrundwissen neigen Menschen zu vorschnellen Urteilen, die das Bild der Vergangenheit stärker verzerren als nötig. Einen Abbild der Vergangenheit im Maßstab 1:1 kann es ebenfalls nicht geben. „Ein totales Verstehen dessen, was eigentlich gewesen ist, wäre nur als ebenso totale Wiederholung zu erfüllen…“ (Heintel in Dinzelbacher (Hg.) 1993: XXIX). Wir können uns lediglich durch emotionale Selbstdistanzierung asymptotisch den Ereignissen, welche die Quellen beschreiben, annähern.

Des Weiteren sollte man sich davor in Acht nehmen, Verhaltenweisen der Menschen im Mittelalter pauschal als völlige andersartig und den unsrigen diametral gegenüberstehend zu bezeichnen. Das Mittelalter ist gekennzeichnet durch Phänomene, die es kontinuierlich gab und gibt, die aber völlig unterschiedlich bewertet wurden und werden (Kindestötung, Folter, Leibstrafe…); durch Phänomene, die es erst ab dem Hochmittelalter gab und teilweise in abgewandter Form noch heute gibt (Brautmystik, Dolorismus, Hexen- und Tierprozesse …); durch Phänomene, die es vor und nach dem Mittelalter gab, aber augenscheinlich nicht innerhalb diesem, wie das der Liebe zwischen den Geschlechter als raison d´être (vgl. Dinzelbacher im Vorwort von Dinzelbacher (Hg.) 1993: XXXIV).

Die vorliegende Ausarbeitung möchte die Eltern-Kind-Beziehung in ein realitätsangemesseneres, theoretisches Rahmenwerk einbinden, dass den Funktionswandel der Eltern-Kind-Beziehung und den damit einhergehenden Wandel der Machtchancen der Kinder gegenüber ihren Eltern in den Vordergrund rückt. Hierbei bietet die Eliasche Zivilisationstheorie ein reichhaltiges Fundament.

2. Familiäre Lebensumstände und die Bedeutung von Kindern im Mittelalter[3] und der frühen Neuzeit

Zwei Faktoren gelten für die Zeit des gesamten Mittelalters und sind charakteristisch für die Mentalität der mittelalterlichen Bevölkerung: „Erstens wäre niemand in jener Epoche von einer grundsätzlichen Gleichheit aller Menschen ausgegangen, sondern von ihrer unterschiedlichen Wertigkeit – jedenfalls im Erdenleben. Diese Differenzen implizierten, dass die Gesellschaft in breitem allgemeinem Konsens hierarchisch aufgebaut war und als hierarchisch strukturiert erlebt wurden. Völker standen unter Königen, Familien unter dem Hausherren, Klöster unter dem Abt. Frauen waren prinzipiell Wesen minderen gesellschaftlichen Wertes und ganz oder weitgehend ohne Rechtsfähigkeit […]. Diese Hierarchien waren zweitens stets metaphysisch als gottgegeben im Weltbild verankert“ (Dinzelbacher in Dinzelbacher (Hg.) 1993: 18). Die Menschen sahen sich nicht als Opfer einer ungerechten Welt, sondern als Teil eines gottgewollten hierarchisch gegliederten Systems. So muss man vor der Untersuchung der elterlichen Fürsorgen betonen, dass die Männer und Frauen des Mittelalter und der frühen Neuzeit, wenn sie an Kinder dachten, dies ebenfall in hierarchischen Kategorien taten. Kinder nahmen den niedrigsten Platz auf der sozialen Skala ein (vgl. Tucker in De Mause 1977: 327).

[...]


[1] Dazu ferner Antony Giddens 1993: Wandel der Intimität. Fischer Verlag, Frankfurt am Main.

[2] „Viabel“ ist ein spezifischer Begriff des Radikalen Konstruktivismus und bedeutet soviel wie gangbar, passend, brauchbar, funktional oder lebensfähig.

[3] Im Groben ordnet man das Mittelalter in die Zeit nach dem Untergang des weströmischen Kaisertums bis zur Renaissance, also von ca. 500 n. Chr. bis etwa 1500, ein. Der Begriff wird kaum im Zusammenhang mit außereuropäischen Kulturen verwendet.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Wandlungen der Eltern-Kind-Beziehung
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover  (Institut für Soziologie und Sozialpsychologie)
Note
1,5
Autor
Jahr
2007
Seiten
18
Katalognummer
V79952
ISBN (eBook)
9783638857505
ISBN (Buch)
9783638854214
Dateigröße
507 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wandlungen, Eltern-Kind-Beziehung
Arbeit zitieren
Christoph Egen (Autor:in), 2007, Wandlungen der Eltern-Kind-Beziehung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/79952

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