Goethes Kunstauffassung - Studien zu den Propyläen und zur Romantikkritik


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

24 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Goethes Kunstauffassung. Studien zu den Propyläen und zur Romantikkritik
2.1 Enstehung der Propyläen
2.2 Die Programmatik der Propyläen
2.3 Der Wirkungserfolg der Propyläen
2.4 Der Kampf gegen die Neu-deutsche religios-patriotische Kunst
2.4.1 Hintergrund der Polemik
2.4.2 Inhalte und Ziele der Streitschrift
2.4.3 Zeitgenössische Rezeption

3 Fazit

4 Bibliographie

1 Einleitung

Goethes Kunstauffassung mag im Laufe seines langen Lebens verschiedene Stadien durchlaufen haben, die sich deutlich voneinander abheben. So bevorzugt der junge Goethe beispielsweise den naturalistischen Stil der niederländischen Landschaftsmaler gegenüber den später bewunderten italienischen Künstlern: „Was ich nicht als Natur ansehen, an die Stelle der Natur setzen, mit einem bekannten Gegenstand vergleichen konnte, war auf mich nicht wirksam.“[1] Aber obwohl Goethe in verschiedenen Lebensphasen mehr oder weniger starke Affinität zu unterschiedlichen Kunstrichtungen entwickelt hat, ist doch eine kontinuierliche Entwicklungslinie in seiner Kunstauffassung zu beobachten. Beispielsweise äußert sich Secker folgendermaßen über die epochenbedingten Unterschiede in Goethes Lebenswerk: „Wie immer man den Gegensatz von Sturm und Drang und Klassik theoretisch festmachen will, bei Goethe bedeutet der Wandel vom jugendlichen Stürmer und Dränger zum gereiften Klassiker keinen Bruch in der Dichter-Existenz (und auch nicht, wie nach Pyritz, einen solchen im Kunstbewusstsein): dieser Übergang spiegelt nur die konsequente Entwicklung der einen Dichterindividualität Goethe wider.“[2]

Bereits als Student wird Goethe durch seinen Zeichenlehrer Adam Friedrich Oeser mit den Kunsttheorien des Frühklassizismus vertraut gemacht und äußert seine Bewunderung für die ausgestellten Werke im Mannheimer Antikensaal, insbesondere für die Laokoon -Gruppe, die später in den Propyläen Gegenstand des ersten Beitrages der Kunstzeitschrift bildet. Obwohl Goethe in seiner Sturm und Drang Periode im Sinne der Genieästhetik vor allem die Kreativität des individuellen Künstlers, der gleich der Natur ein Wunderwerk schafft, preist und sich vom gotischen Baustil sowie den Werken des altdeutschen Meisters Albrecht Dürer beeindruckt zeigt, erweisen sich der italienische Renaissancekünstler Raphael und somit auch die Ideale der klassischen Antike für Goethe bald als größere Anziehungsquelle. Durch Raphaels Werke, denen fortan Goethes ungebrochene Bewunderung gilt, wird die Antike abermals ins Zentrum seiner Interessen gerückt. Spätestens seit der Italienreise, während der Goethe sich mit Originalwerken der Antike und Renaissance auseinandersetzt, kann er als Vertreter der Klassik angesehen werden. Bei seinem Italienaufenthalt entwickelt Goethe Prinzipien der Kunsttheorie, die er zeitlebens vertritt.[3]

Im folgenden soll sich zunächst mit Goethe als Verfechter der Klassik auseinandergesetzt werden. In der klassischen Blütezeit bildet Goethe ein künstlerisches Sendungsbewusstsein aus, das sich vor allem in der Herausgabe der Kunstzeitschrift Propyläen äußert. Diese Periodische Schrift, wie sie im Untertitel heißt, erscheint 1798 bis 1800. Sie enthält sowohl Beiträge von Goethe selbst als auch von Wilhelm und Karoline von Humboldt sowie seinen engen Freunden Johann Heinrich Meyer und Friedrich von Schiller. Den eigentlichen Beiträgen schickt Goethe eine Einleitung voraus, die entscheidende Einblicke in Goethes Auffassung von Kunst gibt. Die dort geäußerten kunsttheoretischen Leitmaximen sollen detailliert betrachtet werden. Darüber hinaus soll der 1817 publizierte Aufsatz Neudeutsche religios-patriotische Kunst beleuchtet werden. Von 1816 bis 1828 betätigt sich Goethe erneut als Herausgeber eines Kunstmagazins, welches zunächst unter dem Titel Ueber Kunst und Alterthum in den Rhein und Mayn Gegenden erscheint und ab dem zweiten Heft verkürzt als Ueber Kunst und Alterthum herauskommt. Hierin erscheint der Beitrag Neudeutsche religios-patriotische Kunst, der zwar von Meyer verfasst wird, aber aus einer engen Zusammenarbeit mit Goethe resultiert, der - wie aus Briefen und Tagebucheinträgen zu entnehmen ist - vollkommen hinter den Inhalten des Aufsatzes steht. In diesem Beitrag äußert sich nicht nur die Begeisterung für die klassische Antike, sondern hier wird vielmehr eine explizite Ablehnung der romantischen Ideale, insbesondere die der spotthaft so genannten Nazarener deutlich, die in den Propyläen so noch nicht zu finden ist.

2 Goethes Kunstauffassung. Studien zu den Propyläen und zur Romantikkritik

2.1 Entstehung der Propyläen

Ursprünglich hatte Goethe zusammen mit Johann Heinrich Meyer, den er in Italien kennen gelernt hatte und mit dem ihn eine jahrzehntelange Freundschaft verbinden sollte, ein Geschichtswerk über Italien geplant, zu dessen tatsächlicher Umsetzung es allerdings nie kommt. Schließlich ruft Goethe ein anderes Projekt, nämlich die Propyläen ins Leben, in die das zahlreich gesammelte Forschungsmaterial der beiden Freunde einfließt. Goethe sieht in der Zeitschrift auch die Möglichkeit, seinen Interessen bezüglich der Naturwissenschaften nachzugehen. Das vordergründige Ziel der Zeitschrift allerdings ist es, Anhängern der Kunst und Künstlern selbst eine allgemeingültige Kunstästhetik näher zu bringen. Die Kunst soll als wertvolles Kulturgut bewahrt und gepflegt werden, wobei zur vorbildhaften Orientierung an der klassischen Antike angeleitet wird. Goethes intensives pädagogisches Bestreben, seine Leser zur wahren Kunst der Antike zu erziehen, rührt sicherlich auch von seiner Sorge her, dass die frühromantischen Strömungen ausgehend vor allem von Wackenroder und Tieck die universellen Normen der Klassik in Frage stellen könnten. Richard Benz geht sogar so weit, dass er Goethes allerersten Satz, der in die Propyläen einleitet, als vorwurfsvollen Angriff auf die Person Wackenroders interpretiert: „Er ist gemeint, der mit 25 Jahren schon Verstorbene, wenn die Einleitung in die Propyläen, zur Rechtfertigung gleichsam ihres Titels, anhebt… ins ‚Heiligtum’ hatte ja Wackenroder zu dringen sich vermessen, als er der Kunst ‚einen neuen Altar aufzurichten’ sich rühmte; Goethe lehrte, dass man in den Vorhöfen zu bleiben habe, wo es noch viel zu lernen gebe an Handwerk, Kunde, Kennerschaft.“[4] Bei aller Reserviertheit, die Goethe gegenüber den neuen romantischen Lehren der Kunst hegt, darf sie zum Zeitpunkt der Entstehung der Propyläen jedoch auch nicht überschätzt werden. So entsteht sogar der Plan, Tiecks Franz Sternbalds Wanderungen und Wackenroders Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders in den Propyläen zu rezensieren und somit die Autoren von ihren unliebsamen romantischen Ideen abzubringen und von der eigenen Seite zu überzeugen. Zwar werden diese Rezensionen nie öffentlich verwirklicht, doch dürfen die Propyläen nicht als Kampfschrift gegen die Romantiker, sondern vielmehr als solche für die Klassik gesehen werden: „Eine Auseinandersetzung mit der Romantik klingt nur an in dem Entwurf einer Rezension des Sternbald, sie wurde erst nach beinahe zwei Jahrzehnten zu einer schroffen und endgültigen Abrechnung, merkwürdigerweise nachdem Goethes ‚Bekehrung’ durch Boisserée zu mittelalterlicher und religiöser Kunst schon vollzogen war. Die romantische Kunstphilosophie ist also nur der Hintergrund, noch nicht die Angriffsfläche für die didaktische und polemische Seite der Propyläen.“[5] Während der dreijährigen Publikationsphase der Propyläen erscheinen sechs Hefte, die überwiegend Aufsätze zur Kunst beinhalten. Dirk Kemper unterteilt diese in die Kategorien Theorie, Geschichte, Beschreibungen, Didaktik, Praxis und Nachrichten der Kunst.[6]

2.2 Die Programmatik der Propyläen

Wie bereits erwähnt, stellt Goethe den eigentlichen Beiträgen zur Kunst, die zu einem großen Teil von Meyer stammen, eine Einleitung voran, in der er die Ziele und Absichten der Schrift erläutert und kunsttheoretische Maximen aufstellt. Es liegt nahe, Goethes viel zitierten ersten Satz der Einführung als Anspielung auf seine eigene Jugend zu interpretieren, während der er - aus der Retrospektive des gereiften Kunstliebhabers gesprochen - mangels Wissen und Erfahrung durchschnittliche Kunstgegenstände idealisierte: „Der Jüngling, wenn Natur und Kunst ihn anziehen, glaubt mit einem lebhaften Streben bald in das innerste Heiligtum zu dringen; der Mann bemerkt, nach langem Umherwandeln, dass er sich noch immer in den Vorhöfen befinde.“[7] Ob damit tatsächlich auch - wie Benz unterstellt - eine implizite Kritik an Wackenroder, der die Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders in jugendlichen Jahren geschrieben hat, beabsichtigt ist, sei dahingestellt. Die etwas später geäußerte Feststellung „Ja, der Mensch ist sich in seinen Anschauungen und Urteilen nicht immer selbst gleich: frühere Überzeugungen müssen späteren weichen.“[8] spricht eigentlich dafür, dass Benz’ These nicht zutrifft. Allerdings ist er bei weitem nicht der einzige, der diesen Satz als Angriff versteht. Beispielsweise sieht auch Hoffmeister hier eine Anspielung auf Wackenroder und Tieck, wenn auch Goethes Kritik am „klosterbrudisirenden und sternbaldisirenden Unwesen“ erst 1805 laut wurde.[9]

Jedenfalls sieht sich Goethe anhand dieses Gedankens veranlasst, den Titel Propyläen zu wählen. Das Wort ‚Propylon’ stammt aus dem Griechischen. Wörtlich übersetzt bedeutet es soviel wie ‚etwas vor dem Tor’ und bezeichnet den Torbau, der üblicherweise im alten Griechenland in ein Heiligtum und später auch in öffentliche Gebäude führte.[10] Einerseits stehen die Propyläen für Goethe für das Eingangstor der athenischen Akropolis, in der sich der Tempel der Minerva, der griechischen Göttin der Weisheit, der Kunst und des Handwerks, befand. Somit wird schon durch den Titel der Zeitschrift eine Nähe zur Antike hergestellt und dazu aufgerufen, „dass wir [Künstler und Kunstfreunde] uns so wenig als möglich vom klassischen Boden entfernen.“[11] Andererseits betont Goethe mit diesem Titel symbolisch, dass den folgenden Beiträge eine Anmaßung des Allerheiligsten fern liege: „Stufe, Tor, Eingang, Vorhalle, der Raum zwischen dem Innern und Äußern, zwischen dem Heiligen und Gemeinen kann nur die Stelle sein, auf der wir uns mit unsern Freunden gewöhnlich aufhalten werden…Unter dem Namen des Orts verstehe man das, was daselbst allenfalls hätte geschehen können: man erwarte Gespräche, Unterhaltungen, die vielleicht nicht unwürdig jenes Platzes gewesen wären.“[12]

Goethe sieht das Wesen des Künstlers als solches, dass sich zunächst einer eingehenden Betrachtung der Gegenstände widmet, bevor es daran geht, praktisch tätig zu werden und sich zuletzt über seine Beobachtungen und Entwürfe öffentlich äußert. Der Wert der Propyläen zeichne sich vor allem für Künstler und Kunstfreunde dadurch aus, dass die Kunstzeitschrift einen Rahmen bilde, in dem sich Kunstanhänger in Form von Gesprächen, Briefen und Aufsätzen mitteilen und austauschen könnten. Einen gemeinsamen Kreis, in dem sich Gleichgesinnte äußern können, hält Goethe für sehr wünschenswert und wichtig. Ab 1801 ist Goethes Gemeinschaft mit anderen Kunstliebhabern unter dem offiziellen Namen Weimarer Kunstfreunde bekannt. Natürlich sieht Goethe insbesondere in Kunstfreunden seine Leserschaft, bemerkt aber, dass die Lektüre der Propyläen einem jeden nur zum Vorteil gereichen könne. Im Zuge dessen äußert Goethe, dass er sich durchaus auch einer sicheren Kritik bewusst ist: „…so dürfen sie [Autoren der Beiträge und spätere Weimarer Kunstfreunde] sich doch nicht verbergen, dass ihnen von verschiedenen Seiten mancher Misston entgegenklingen wird. Sie haben dies um so mehr zu erwarten, als sie von den herrschenden Meinungen in mehr als einem Punkte abweichen.“[13] Mit den herrschenden Meinungen dürften hier zweifelsohne die kunsttheoretischen Lehren der Romantiker gemeint sein. An dieser Stelle nutzt Goethe noch einmal die Gelegenheit, um zur Verteidigung der klassischen Ideale zu motivieren: „Wem um die Sache zu tun ist, der muss Partei zu nehmen wissen, sonst verdient er nirgends zu wirken.“[14]

[...]


[1] Goethe, Johann Wolfgang von: Dichtung und Wahrheit. S. 353.

[2] Secker, Wilfried: „Wiederholte Spiegelungen“ Die klassische Kunstauffassung Goethes und Wilhelm von Humboldts. S.118.

[3] vgl. Osterkamp, Ernst: Bildende Künste. S. 117ff.

[4] Benz, Richard: Goethe und die romantische Kunst. S. 29.

[5] Kampmann, Wanda: Goethes ’Propyläen’ in ihrer theoretischen und didaktischen Grundlage. S.47f.

[6] vgl. Kemper, Dirk: Propyläen. S. 585ff.

[7] Goethe, Johann Wolfgang von: Einleitung in die Propyläen. S.457.

[8] Ebd. S. 460.

[9] vgl. Hoffmeister, G.: Goethe und die europäische Romantik. S. 206.

[10] vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Propyl%C3%A4en

[11] Goethe, Johann Wolfgang von: Einleitung in die Propyläen. S. 458.

[12] Ebd. S. 457.

[13] Ebd. S.461.

[14] Ebd.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Goethes Kunstauffassung - Studien zu den Propyläen und zur Romantikkritik
Hochschule
Philipps-Universität Marburg  (Neue Deutsche Literatur)
Veranstaltung
Die Medienkontrolle der Landesmedienanstalten am Beispiel des privaten Fernsehens
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
24
Katalognummer
V79686
ISBN (eBook)
9783638857413
ISBN (Buch)
9783638859752
Dateigröße
480 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Goethes, Kunstauffassung, Studien, Propyläen, Romantikkritik, Medienkontrolle, Landesmedienanstalten, Beispiel, Fernsehens
Arbeit zitieren
Ilona Gaul (Autor:in), 2006, Goethes Kunstauffassung - Studien zu den Propyläen und zur Romantikkritik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/79686

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