Die Funktion des unverlässlichen Erzählers in Heinrich von Kleists "Die Marquise von O..."


Seminararbeit, 2002

22 Seiten, Note: 1, 0


Leseprobe


Inhalt

Abkürzungsverzeichnis

0. Einleitung

1. Die Funktion des unverlässlichen Erzählers in Heinrich
von Kleists „ Die Marquise von 0..."

Zusammenfassung

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Die Marquise von 0... = Heinrich von Kleist: Die Marquise von 0... In : Heinrich von Kleist. Die Marquise von 0... - Das Erdbeben in Chili. Anmerkungen von Sabine Doering. Nachwort von Christian Wagenknecht. Stuttgart 1993.

Bürger = Christa Bürger : Statt einer Interpretation : Anmerkungen zu Kleists Erzählen. In : Positionen der Literaturwissenschaft. Acht Modellanalysen am Beispiel von Kleists „ Das Erdbeben in Chili ". 3.Aufl. Hrsg. von David E. Wellbery. München 1993.

Doering = Sabine Doering (Hrsg.) : Heinrich von Kleist. Die Marquise von 0... Erläuterungen und Dokumente. Stuttgart 1993.

Hoverland = Lilian Hoverland : Heinrich von Kleist und das Prinzip der Gestaltung. Königstein 1978.

Iser = Wolfgang Iser : Die Appellstruktur der Texte. Unbestimmtheit als Wirkungsbedingung literarischer Prosa. In : Rezeptionsästhetik. Theorie und Praxis. Hrsg. von Rainer Warning. München 1975.

Krumbholz = Martin Krumbholz : Gedanken - Striche. Versuch über „ Die Marquise von 0...". In : Heinrich von Kleist, Text + Kritik Sonderband. Hrsg. von Heinz Ludwig Arnold. München 1993.

Kunz = Josef Kunz : Die deutsche Novelle zwischen Klassik und Romantik. Berlin 1966.

Moering = Michael Moering : Witz und Ironie in der Prosa Heinrich von Kleists. München 1972.

Rath = Wolfgang Rath : Die Novelle. Konzept und Geschichte. Göttingen 2000.

0. Einleitung

Heinrich von Kleists Novellen, entstanden zwischen 1805 und seinem Todesjahr 1811, wurden vorwiegend für Kleists eigene Kunstzeitschrift Phöbus und die Berliner Abendblätter verfasst. Auf diese Weise wurde auch Kleists Novelle „ Die Marquise von 0..." 1808 in der von ihm und Adam Müller herausgegebenen Zeitschrift Phöbus veröffentlicht 1. Diese Erzählung war für Kleists Zeitgenossen ein Skandalon, von dem beispielsweise ein zeitgenössischer Kritiker sagte : „ Die Marquise von 0... Nur die Fabel derselben angeben, heißt schon, sie aus den gesitteten Zirkeln verbannen "2t und von dem eine weibliche Rezipientin meinte : „ Seine [Kleists] Geschichte der Marquisin von 0. kann kein Frauenzimmer ohne Erröthen lesen "3. Diese zeitgenössischen Kritiken verdeutlichen, dass Kleist mit dem Inhalt und der Thematik seiner Erzählung „ Die Marquise von 0..." offenbar gewisse gesellschaftlichen und moralischen Konventionen seiner Zeit gebrochen hat. Generell fanden Kritiker des frühen 19. Jahrhunderts diese Novelle „unerhört" und unschicklich.

Kleist hat jedoch nicht nur mit den gesellschaftlichen und moralischen Konventionen gebrochen, sondern hat sich auf ähnliche Weise auch von den Erzählkonventionen des I8. Jahrhunderts abgewandt. Dies hat, mit wenigen Ausnahmen, eine Abkehr von jeder Form auktorialen Reflektierens, Räsonierens und der Leseradresse bedeutet. Kleist hat somit auch den Zusammenhang von Erzählen und Räsonieren, der für die aufklärerische Institution Literatur grundlegend war, zerrissen 4. Mit anderen Worten, Kleist hat nicht mehr den in klassischen Novellen bevorzugten Typus der neutralen Erzählsituation und den allwissenden Erzähler, im Sinne eines zuverlässig kommentierenden Chronisten, gewählt 5. Stattdessen hat Kleist in der Erzählung „ Die Marquise von 0... " einen unverlässlichen personalen Erzähler gewählt, dessen Aufmerksamkeit primär auf die Titelfigur gerichtet ist. Auf diese Weise tritt der Erzähler stark hinter die Figuren, vor allem hinter die Marquise, zurück, so dass sich dem Leser die Illusion öffnet, dass er sich auf dem Schauplatz des Geschehens befindet und die dargestellte Welt mit den Augen einer Figur der Erzählung betrachtet 6. Hierbei stellt Kleist mit der Wahl des unverlässlichen Erzählers bestimmte Ansprüche an den Leser hinsichtlich dessen Auffassung und Umgang mit dem dargestellten Geschehen.

Darüber hinaus ist Kleists Entschluss, einen personalen Erzähler zu wählen, auch Ausdruck seiner so genannten Kant - Krise. Kleist hatte nämlich prinzipielle Zweifel an der aufklärerischen eindeutigen Erkennbarkeit der Welt durch das Subjekt und wollte in seinen Werken die Unmöglichkeit des Menschen zur Wahrheit vorzudringen darstellen. Den Grund für die Unmöglichkeit zur Wahrheit zu gelangen, sah Kleist in der allgemeinen Beschränktheit der menschlichen Verfassung, Indem nun der Erzähler das Geschehen nicht vollständig durch -schaut, erscheint seine Verfassung begrenzt, weshalb auch der Leser, da angewiesen auf die Instanz des Erzählers, nicht zur „Wahrheit" des dargestellten Geschehens vordringen kann. Auf diese Weise konfrontiert Kleist den Leser mit den Grenzen seiner Auffassung. Aus diesem Grund erscheint in diesem Zusammenhang Hoverlands Ansicht sehr zutreffend, dass „ […] für Kleist der besondere Wert des Genres der Novelle zu einem großen Teil wohl in der unmittelbaren Ausdrucksmöglichkeit der unzulänglichen Seh - und Verständnisweise der Beobachter eines Vorganges, in der Einschaltung dieser Sehweise durch die Vermittlerinstanz des Erzählers [liegt]“ 7.

Wie schon erwähnt wurde, eröffnet der unglaubwürdige Erzähler gewisse Schwierigkeiten der Bewertung der Handlung für den Leser, da der Erzähler selbst keinerlei direkte Hilfe gibt, von der aus der Leser sich die inneren Zusammenhänge des Geschehens erschließen könnte. Außerdem kommentiert der Erzähler das Geschehen nicht und wählt in Bezug auf die beiden Hauptgestalten (die Marquise und der Graf) überwiegend die Perspektive der Außensicht. Dies bedeutet, dass er die Figuren selbst ihre Gedanken aussprechen lässt und meist nur die sichtbaren Anzeichen ihrer Gefühle wahrnimmt. Deshalb wird vom Leser gefordert, dass er selbst denken muss und sogar als eine Art „erweiterter Autor" fungieren soll 8. Obwohl Kleist sich vom auktorialen Erzähler, der den Leser im Allgemeinen durch sein Räsonieren und Kommentieren in das Geschehen einbezieht und den Leser als urteilenden Dialogpartner ansieht, abwendet, kommt dem Leser bei Kleist dennoch eine wichtige Rolle zu. Kleist lässt nämlich den unverlässlichen Erzähler Rätsel produzieren, die den Leser einkalkulieren, und die er zum Teil nur aufzulösen vermag, indem er eigene Urteile und Meinungen, unabhängig von den Wertungen des Erzählers beziehungsweise der Figuren, in die Lektüre einbezieht. In diesem Sinne wird vom Leser eine selbständige kritische Leistung bei der Bewertung des Geschehens gefordert, da er sich nicht auf die Autorität eines Erzählers verlassen kann. Somit wird der Leser zum Selbstdenken verleitet, was der Erfüllung einer zentralen aufklärerischen Forderung nahe kommt.

Die Betrachtung der Erzählperspektive und des Erzählers ist grundlegend für das Verständnis der Erzählung „Die Marquise von 0...". Aus diesem Grund soll in der folgenden Analyse die Funktion des unverlässlichen Erzählers in den Mittelpunkt gestellt werden. Hierbei soll es zunächst um das Problem der Erzählperspektive gehen. Dabei soll an Textbeispielen die Problematik der personalen Erzahlperspektive verdeutlicht werden und die Reichweite dieser Erzählsituation illustriert werden. In einem weiteren Schritt soll dann die Bedeutung des unverlässlichen Erzählers für die Beziehung des Lesers zum Geschehen genauer analysiert werden.

[...]

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Die Funktion des unverlässlichen Erzählers in Heinrich von Kleists "Die Marquise von O..."
Hochschule
Universität Hamburg  (Institut für Germanistik II)
Veranstaltung
Heinrich von Kleists "Die Marquise von O..." - Perspektiven der Literatur- und Kulturwissenschaft
Note
1, 0
Autor
Jahr
2002
Seiten
22
Katalognummer
V79677
ISBN (eBook)
9783638780896
ISBN (Buch)
9783638796002
Dateigröße
514 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Funktion, Erzählers, Heinrich, Kleists, Marquise, Heinrich, Kleists, Marquise, Perspektiven, Literatur-, Kulturwissenschaft
Arbeit zitieren
Sirinya Pakditawan (Autor:in), 2002, Die Funktion des unverlässlichen Erzählers in Heinrich von Kleists "Die Marquise von O...", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/79677

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