Sonderbeschulung für Migrantenkinder? Kritik zur Situation von Migrantenkindern im deutschen Schulsystem


Seminararbeit, 2007

17 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Schlechter-Stellung von Migrantenkindern
2.1 Grundlegende Darstellung Institutioneller Diskriminierung und deren potentieller Folgen für das Kind
2.2 Der Aspekt Sprache als Kristallisationspunkt der Schlechter-Stellung

3. Integrationshilfe oder Ausdruck eines ineffektiven Schulwesens?
Diskussion über den Wert der Förderschule zur Integration von Migrantenkindern

4. Ausblick

1. Einleitung

„Nicht Migrantenkinder stellen das Problem und die Ursache der Bildungsmisere dar, sondern das nationale Selbstverständnis der Bildungseinrichtungen und die nicht reflektierten institutionellen Diskriminierungsformen“[1]

Die Diskussion über die Schlechter-Stellung von Migrantenkindern wird innerhalb der Fachwissenschaft heute mit großer Leidenschaft geführt. Insbesondere aufgrund der zunehmend hohen Quoten von Migrantenkindern in Förderschulen für Lernbehinderungen, kann ein eindeutiges Missverhältnis der Bildungsbeteiligung von Schülern mit Migrationshintergrund, gegenüber denen ohne einen solchen, attestiert werden.[2] Während einige Autoren noch immer aus einem geradezu atavistischen Blickwinkel die Aussonderung von Migrantenkindern in eine Förderschule verteidigen, wendet sich die Forschung in ihrem Grundtenor heute verstärkt den verschiedenen Faktoren zu, welche einen Bildungserfolg aus Sicht des Kindes/Jugendlichen behindern. Dieser Kritik kann im Einklang mit den Ergebnissen der UNESCO Weltkonferenz 1994 und dem Beschluss der KMK von 1994 verstanden werden, welche beide zu einer integrativen Pädagogik aufrufen.

Diese Arbeit wird die Gründe der übermäßigen Zuweisung von Migrantenkindern an Förderschulen für Lernbehinderte kompakt herausarbeiten und dabei besonders auch auf den Aspekt der Sprache eingehen, da die „(…) Leistungen im Fach Deutsch das wesentliche Erfolgskriterium bilden (…).“[3] Vor dem Hintergrund des Erlasses der KMK von 1993, der besagt, dass nicht ausreichende Kenntnisse in der deutschen Sprache kein Kriterium für Sonderschulbedürftigkeit seien[4], wird die Funktion des Förderschwerpunkts Lernen kritisch auf dessen Rolle innerhalb des institutionellen Gefüges des deutschen Schulsystem hin untersucht.

Dieser Erörterung entsprechend ist die Arbeit in zwei Teile untergliedert. Zunächst werden die im einführenden Zitat angesprochenen Problemstellungen, dem aktuellen Stand der Forschung entsprechend, herausgearbeitet. Anschließend wird die Funktion der Förderschule hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Integration von Migrantenkindern kritisch analysiert.

2. Die Schlechter-Stellung von Migrantenkindern

Während des letzten Wahlkampfes im Bundesland Berlin hat erstmals ein Politiker der großen deutschen Volkspartei CDU offen ausgesprochen, dass Deutschland ein Einwanderungsland sei und die Kategorien „Deutsche“ und „Ausländer“ nicht mehr zeitgemäß seien.[5] Dieser Ausspruch kann ohne Zweifel als eine Zäsur angesehen werden, war doch der Glaube an einen homogenen Volkskörper bislang in dieser einflussreichen politischen Volkspartei vorherrschend. Und das, obwohl „(…) kulturelle Pluralität … in der Gesellschaft schon vor und auch neben der Pluralisierung durch Zuwanderung [existierte]; Migration ist zudem ein altes und verbreitetes Phänomen.“[6] Dennoch hat sich dieser Irrglaube im Selbstverständnis des deutschen Schulsystems niedergeschlagen.

Im Folgenden wird zunächst grundsätzlich dargestellt, welche Auswirkungen dieser Irrglaube auf das Schulsystem bis heute hat, um im Anschluss daran speziell anhand des Sprach-Aspektes die Folgen auf Migrantenkinder herauszuarbeiten.

2.1 Grundlegende Darstellung Institutioneller Diskriminierung und deren potentieller Folgen für das Kind

Das Schulsystem basiert bis heute auf Normalisierungsvorstellungen, welche zu keiner Zeit den Realitäten entsprochen haben.[7] Diese finden ihre Ursprünge in der Nationalstaats-These, welche das Bildungssystem beauftragt, „durch kulturelle Vereinheitlichung zur nationalen Kohärenz beizutragen.“[8] Die Einführung der allgemeinen Schulpflicht hat schließlich in Verbindung mit Quantifizierung und Normalisierung dazu geführt, dass bestimmte Gruppen in diesem System schlechter abschnitten als andere.[9] „Diese Gruppen konstituierten sich nicht entlang der anerkannten Grenzen von Begabung oder schulischer Leistungsfähigkeit, sondern wurden durch schulisch irrelevante Faktoren, insbesondere die abweichende Staatsangehörigkeit, identifiziert.“[10] Das Schulsystem war nicht in der Lage, mit der Heterogenität der Bildungsvoraussetzungen ihrer Klientel umzugehen.[11] Um dennoch am System festzuhalten, definierte man das Abweichende als etwas Eigenes, welchem es überdies einer eigenen wissenschaftlichen Spezialisierung bedürfe.[12] Diese Herangehensweise suggeriert noch heute, allen Schülern in ihrer Verschiedenheit am besten gerecht werden zu können[13] - ohne jedoch auf die Gründe einzugehen, welche für die Nicht-Passung im Schulsystem verantwortlich sind. Erfolgreich schneiden auch heute noch vor allen die Schüler ab, welche die Normalitätserwartungen erfüllen.[14] Migrantenkinder finden sich dagegen in Deutschland außergewöhnlich häufig an Förderschulen wieder. Kornmann hat mit seinen zahlreichen Publikationen aufgezeigt, dass das Risiko von Migrantenkindern gegenüber Kindern deutscher Herkunft doppelt so hoch ist, an einer Förderschule zu landen und das dieser Trend auch noch weiter ansteigt.[15] Scheinbar gegensätzlich attestieren Tiedemann und Billmann-Mahecha dem System, Migrantenkinder nicht zu benachteiligen.[16] Sie begründen diese These mit den erheblichen Leistungsdiskrepanzen zwischen Schülern mit Migrationshintergrund und deren deutschstämmigen Mitschülern. Wie kann man diese beiden Ergebnisse verstehen? Als Lösung wird an dieser Stelle immer wieder der soziale Hintergrund zu Felde geführt.[17] So haben beispielsweise ausländische Schüler an Förderschulen „(...) seltener einen Kindergarten besucht und seltener Frühförderung erfahren als deutsche Kinder. Die Wohnsituation und die Erwerbstätigkeit der Eltern ist bei deutlich höherer Kinderzahl wesentlich ungünstiger als bei deutschen Förderschülern(...).“[18] Dieser Befund macht deutlich, welche Normalisierungserwartungen von Migrantenkindern nicht erfüllt werden können, kann jedoch nicht die häufige Aussonderung derer aus dem Regelschulsystem legitimieren. Ferner wird hierdurch aufgezeigt, dass diese Kinder signifikant schlechter gestellt sind, da sie sich überdurchschnittlich häufig „(...) an inferioren symbolischen Positionen und in marginalen Handlungsräumen einer gesellschaftlichen Ordnung wieder finden und an diesen Orten spezifische Selbstverständnisse, Identitäten und Habitusformen entwickeln.“[19] Schulische Bildung, die eben diese Ausbildung einer eigenen personalen und sozialen Identität steuert[20], kann unter diesen Voraussetzungen nicht positiv auf die Erweiterung des Selbst- und Fremdverständnisses des Kindes eingehen. Stattdessen sorgt es für eine habituelle Verfestigung des „Nicht-Passens“ in Sprache, Bewegung und Erscheinung.[21]

[...]


[1] Mecheril, Paul: Die Schlechter-Stellung Migrationsanderer. Schule in der Migrationsgesellschaft, in: Mecheril, Paul: Einführung in die Migrationspädagogik, Weinheim, Basel 2004, S. 162.

[2] Vgl. hierzu: Kornmann, Reimer, Burgard, Peter, Eichling, Hans-Martin: Zur Überrepräsentation von ausländischen Kindern und Jugendlichen in Schulen für Lernhilfe. Revision älterer und Mitteilung neuer Ergebnisse, in: ZfH 50 (1999), S. 106 - 109; Kornmann, Reimer, Neuhäusler, Eva: Zum Schulversagen bei ausländischen Kindern und Jugendlichen in den Jahren 1998 und 1999, in: DnS 46 (2001), S. 337 - 349.

[3] Kornmann, Reimer: Sonderschüler = Sonderfälle?, in: nds 56 (2004), S. 19.

[4] Vgl. Erlass der KMK vom 3.2.1993, Pkt. 6.

[5] Vgl. Fünfzehn Forderungen für eine Neuausrichtung der Integrationspolitik - Friedbert Pflüger regt vor führenden Vertretern der Muslime in Berlin neue Aspekte in der Integrationsdebatte an. URL: http://www.friedbert-pflueger.de/NeU/1-aktuelles/nachrichten.htm?msgid=100 (16.06.2007).

[6] Wenning, Norbert: Differenz durch Normalisierung, in: Wenning, Norbert, Lutz, Helma: Unterschiedlich verschieden. Differenz in der Erziehungswissenschaft, Opladen 2001, S. 286.

[7] Wenning geht in seiner Arbeit mit Verweis auf Rousseau darauf ein, dass Normalisierungsvorstellungen sich am Idealschüler orientieren und eben nicht am durchschnittlichen „normalen“ Kind. Vgl. Wenning, Differenz, S. 283ff.

[8] Mecheril, Schlechter-Stellung, S. 138.

[9] Vgl. Wenning, Differenz, S. 287.

[10] Ebda.

[11] Vgl. Mecheril, Schlechter-Stellung, S. 137.

[12] Vgl. Wenning, Differenz, S. 287.

[13] Kornmann geht diesbezüglich darauf ein, dass sich die Unterrichtskonzepte seit Gründung des deutschen Reiches nicht verändert haben. Insofern kann es nicht verwundern, dass auch die Probleme bis heute gleich blieben. Vgl. Kornmann, Sonderschüler, S. 19.

[14] Vgl. Mecheril, Schlechter-Stellung, S. 141.

[15] Vgl. Kornmann, Neuhäusler, Schulversagen, S. 338 u. 343.

[16] Vgl. Tiedemann, Joachim, Billmann-Mahecha, Elfriede: Zum Einfluss von Migration und Schulklassenzugehörigkeit auf die Übergangsempfehlung für die Sekundarstufe I, in: ZfE 10 (2007), S. 119. Es scheint so, als ob die Autoren die von den deutschen Kindern häufig abweichenden Eingangsvoraussetzungen von Migrantenkindern als schulische Differenzen abtun und somit zu einer Festschreibung und Verstetigung von Ungleichheit beitragen. Dieser Vorgang wird von Mecheril ausdrücklich angeprangert. (Vgl. Mecheril, S. 144.) Leider kann die Studie hier nicht weiter auf ihre innere Stringenz hin untersucht werden.

[17] Vgl. Tiedemann, Billmann-Mahecha, Einfluss, S. 118. Die Autoren weisen darauf hin, dass sich in ihrer Studie ebenso wie in der Pisa- und der Iglu-Studie die sozialen Disparitäten als ausschlaggebend für den Schulerfolg erwiesen hätten.

[18] Klein, Gerhard: Die Schüler der Förderschule (Schule für Lernbehinderte) in der Wahrnehmung der Sonderpädagogik, in: ZfH 50 (1999), S. 7.

[19] Mecheril, Schlechter-Stellung, S. 135f.

[20] Vgl. Opp, Günther, Kulig, Wolfram, Puhr, Kirsten: Einführung in die Sonderpädagogik, Wiesbaden 2005, S. 92.

[21] Vgl. Mecheril, Schlechter-Stellung, S. 161.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Sonderbeschulung für Migrantenkinder? Kritik zur Situation von Migrantenkindern im deutschen Schulsystem
Hochschule
Universität Bielefeld  (Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie, Abteilung Geschichte)
Veranstaltung
Grundfragen der Sonderpädagogik
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
17
Katalognummer
V79223
ISBN (eBook)
9783638859905
Dateigröße
440 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Welche, Möglichkeiten, Sonderbeschulung, Migrantenkinder, Eine, Kritik, Situation, Migrantenkindern, Hintergrund, Schlechter-Stellung, Schulsystem, Grundfragen, Sonderpädagogik
Arbeit zitieren
Philipp Horst (Autor:in), 2007, Sonderbeschulung für Migrantenkinder? Kritik zur Situation von Migrantenkindern im deutschen Schulsystem, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/79223

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