Die Kontroverse um die Rolle der Schrift im Englischunterricht des Frühbeginns


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2007

17 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Einleitung

Seit Mitte der 90er Jahre gehört der frühe Fremdsprachenbeginn in den Grundschulen Deutschlands zum Alltag. Aufgrund der Kulturhoheit der Länder entstanden unterschiedliche Konzepte für den Fremdsprachenfrühbeginn wie z.B. Language awareness, Lerne die Sprache des Nachbarn und Immersion, die unterschiedliche Teilzielsetzungen und Gewichtungen enthalten und sich sogar nicht ausschließlich auf Englisch beziehen.

Alle Konzepte beinhalten allerdings die Intention, den Kindern in natürlichen Kommunikationssituationen einen ersten regelmäßigen Kontakt, meist mit Englisch, zu ermöglichen. In den meisten Fällen setzt der Fremdsprachenunterricht an Grundschulen in der 3. Klasse ein. Allerdings finden sich Tendenzen zum Klasse-1-Englisch. Außerdem lässt sich die zunehmende Einführung von Leistungsbeurteilungen verzeichnen, d.h. in den meisten Bundesländern wird Englisch jetzt in Klasse 3 und 4 benotet.

Hamburg verfolgt seit Beginn der 90er Jahre den Ansatz eines ergebnisorientierten Englischunterrichts ab Klasse 3, d.h. der frühe Fremdsprachenunterricht soll direkte Vorarbeit für den Englischunterricht in den weiterführenden Schulen leisten, auch wenn er zunächst methodisch grundschulorientiert eingeführt wird. Die flächendeckende Einführung des Englischunterrichts ab Klasse 3 war 2000 abgeschlossen. Die Benotung der Englischleistungen wurde erst im Juli 2006 eingeführt.

Laut KMK-Beschluss vom Jahre 2004 sind die allgemeinen Ziele des frühen Fremdsprachenlernens in der Grundschule u.a. folgende:

- Freude und Motivation für das Fremdsprachenlernen wecken und stärken
- Für Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Sprachen sensibilisieren
- Voraussetzungen für das weitere fachliche Lernen stärken (Merkfähigkeit erhöhen, Sprechbereitschaft fördern)
- Die Arbeit mit einem systematischen schulstufenübergreifenden Konzept für Fremdsprachen, durch das am Ende der 4.Klasse ein Lernstand erreicht wird, auf dem der Unterricht der weiterführenden Schulen aufbauen kann

Im Allgemeinen geht es um die Grundlegung einer kommunikativen Kompetenz, d.h. darum, in Alltagssituationen den Inhalt einfacher fremdsprachlicher Mitteilungen zu erfassen und angemessen reagieren zu können. Der Unterricht erfolgt dabei in Anpassung an die Altersgruppe der Dritt- und Viertklässler vorwiegend situativ, praktisch, erlebnisorientiert und mündlich. Das sogenannte „Primat des Mündlichen“ gilt seit mehr als 100 Jahren als übereinstimmend anerkannt. Fremdsprachen sprechen und mit ihnen kommunikativ handeln können, ist oberstes Ziel des Fremdsprachenunterrichts.

Die Rolle der Schrift (verstanden als Lesen und Schreiben) hingegen wird noch immer kontrovers diskutiert. Auch wenn der Einbezug von Schrift mehrheitlich toleriert wird und in seinem didaktisch-pädagogischen Wert anerkannt wird, so geht es innerhalb der Diskussion hauptsächlich um den Umfang an Schriftlichkeit und um den Zeitpunkt der Einführung des fremdsprachlichen Schriftbildes: Sollen lediglich einzelne, aus dem Mündlichen bekannte Wörter und kurze Sätze gelesen und geschrieben werden, oder dürfen die Lernenden auch mit Unbekanntem im Bereich der Schriftsprache konfrontiert werden? Soll Schrift mehr als Lernhilfe und Gedächtnisstütze verstanden werden, oder soll auch ihre kommunikative Funktion berücksichtigt werden? Und kann von Anfang an mit der fremdsprachlichen Schrift umgegangen werden, oder muss der muttersprachliche Schriftspracherwerb abgeschlossen sein, um eine Verunsicherung und Überforderung der Lernenden zu vermeiden?

Als angehende Deutsch- und Englischlehrerin finde ich diese Fragen besonders interessant, schließlich werde ich sowohl mit dem muttersprachlichen als auch mit dem fremdsprachlichen Schriftspracherwerb zu tun haben. Während Schrift und Schriftlichkeit im Deutschunterricht der Grundschulen von Beginn an einen großen Teil des Unterrichts prägen, wird im Englischunterricht nur zögernd mit diesen umgegangen: hier steht das Mündliche im Vordergrund.

Im Folgenden soll dargestellt werden, wie der zurückhaltende Umgang in der fachdidaktischen Diskussion begründet wird. Gleichzeitig sollen auch die Argumente genannt werden, die für einen umfassenderen Schrifteinbezug sprechen. Es sollen unterschiedliche Positionen bezüglich der Rolle von Schrift aufgezeigt werden. Die Ausführungen konzentrieren sich dabei auf den Schrifteinbezug im Englischunterricht der Grundschule, d.h. Klasse 3 und 4.

Danach sollen die unterschiedlichen Empfehlungen (Prinzipien, Leitlinien) bezüglich des Umganges mit Schrift vorgestellt werden. Der Hamburger Rahmenplan soll zusätzlichen Aufschluss über den Stand der Dinge geben.

Eine eigene Stellungnahme sowie ein Fazit stehen am Ende der Ausführungen.

Das Für und Wider des Schrifteinbezugs und Ansichten bezüglich des Stellenwertes im frühen Englischunterricht der Grundschule

Wie bereits in der Einleitung erwähnt, geht es im Grunde nicht um den Einbezug von Schrift im Allgemeinen, sondern die Debatte entzündet sich hauptsächlich an der Frage eines umfassenden oder eines stark begrenzten Schrifteinsatzes im Unterricht der Grundschule. In diesem Zusammenhang wird Schriftlichkeit entweder hauptsächlich als Phonographie betrachtet (Schreiben dient der Verschriftlichung des Mündlichen und auch das Lesen, d.h. lautes Lesen, bezieht sich auf bereits aus dem Mündlichen bekannte, abgesicherte Wörter), oder ihr wird auch eine eigene, bedeutende kommunikative Funktion zugesprochen (Schreiben und Lesen fungieren als Mittel der Kommunikation: Schrift dient dazu, etwas „festzuhalten“, etwas zu veröffentlichen und Lesen, d.h. stilles Lesen, wird genutzt, um Bedeutungen/Sinn zu erfassen). Es geht auch darum, wann Schrift eingesetzt wird (von Anfang an oder erst, wenn der muttersprachliche Schreib- und Leselernprozess abgeschlossen ist).

Eines der am Häufigsten genannten Argumente gegen einen umfassenderen Schrifteinbezug ist die sogenannte Interferenzgefahr. Unter Interferenzen versteht man in der Sprachwissenschaft den gegenseitigen Einfluss verschiedener Sprachen aufeinander (Wahrig Fremdwörterlexikon). In diesem Sinne bestünde die Gefahr darin, dass sowohl auf phonologischer, als auch auf orthographischer Ebene Übertragungen von einer Sprache auf die andere stattfinden könnten, die den fremdsprachlichen Lernprozess beinträchtigen würden. So würden muttersprachliche Lautgewohnheiten auf fremdsprachliche Wörter übertragen und/oder fremdsprachliche Schriftbilder führten zu Übertragungen auf die muttersprachliche Schreibung (muttersprachlich bzw. Muttersprache wird hier stets in Bezug auf Deutsch verwendet, wobei dies natürlich nicht bei allen Kindern der Wahrheit entspricht. Interferenzen beziehen sich, wie die Definition der Sprachwissenschaft besagt, grundsätzlich auf verschiedene Sprachen aller Art). So verweist u.a. Schmidt-Schönbein (2001) auf das englische Schriftbild und die darin enthaltenen, charakteristischen Diskrepanzen zwischen Lautung und Schreibung. Es gibt gleiche Laute mit unterschiedlicher Schreibweise (z.B. buy, hi, by, die), unterschiedliche Laute mit gleicher Schreibweise (z.B. ate, at, father, many), Buchstaben, die nicht gesprochen aber geschrieben werden (z.B. listen, honest, Wednesday) sowie Laute, die im Schriftbild nicht enthalten sind (z.B. stewardess). Diese komplexen Diskrepanzen könnten den muttersprachlichen Lese- und Schreibprozess erheblich beeinträchtigen, wenn das Schriftbild im Grundschulenglisch eingesetzt würde, ohne dass der muttersprachliche Leselernprozess weitgehend abgeschlossen sei. Auch Bleyhl (2000) betont, die gleichzeitige Einführung beider Schriftsysteme führe zu schulgemachten Problemen beim Schreibenlernen beider Sprachen. Diese Auffassungen basieren auf der grundsätzlichen Annahme, dass Schriftlichkeit verwirrt und behindert. Reichart-Wallrabenstein (2004) kritisiert diese Sichtweise. Sie betont, das Interferenzargument beinhalte zwei Annahmen, die aus ihrer Sicht problematisch und aus heutiger Sicht unhaltbar seien: a.) wenn eine Fähigkeit gesichert sei, sei sie nicht mehr „negativ“ zu beeinflussen und b.) Fehler würden sich einprägen und müssten daher möglichst vermieden werden. Fehlern würde heute im Gegenteil eine sehr wichtige Rolle zukommen, da sie als Beleg für die Eigenaktivität des Lerners gelten und darüber hinaus sei das Lernen als dynamischer Prozess auch immer wieder durch Veränderungen, Stagnationen und/oder Rückschritte geprägt. Fehler können in dieser Hinsicht als notwendige Schritte im Lernprozess und Indizien für den jeweils erreichten Leistungsstand verstanden werden. Ein Hinweis in diesem Sinne findet sich auch in dem Informationstext über die Einführung der Benotung von Englischleistungen in Klasse 3 und 4 ab Juli 2006 in Hamburg. Reichart-Wallrabenstein (2004) spricht sich folglich dafür aus, dass Interferenzen nicht mehr nur aus defizitorientierter Perspektive betrachtet werden sollten, denn man könne auch von „positiven“ Übertragungen ausgehen.

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Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Die Kontroverse um die Rolle der Schrift im Englischunterricht des Frühbeginns
Hochschule
Universität Hamburg
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
17
Katalognummer
V78923
ISBN (eBook)
9783638838108
Dateigröße
416 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Ausgearbeitete Klausur für das erste Staatsexamen im Fach Englisch Didaktik
Schlagworte
Kontroverse, Rolle, Schrift, Englischunterricht, Frühbeginns
Arbeit zitieren
Lena Wandschneider (Autor:in), 2007, Die Kontroverse um die Rolle der Schrift im Englischunterricht des Frühbeginns , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78923

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