Plinius der Jüngere während des Vesuvausbruches 79 n. Chr. (epist. 6,20,1-12) - Eigendarstellung im Vergleich mit Vorbildern aus der römischen Literatur


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

26 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Hauptteil
1. Übersetzung Epistel 6,20,1–20,12
C. Plinius grüßt seinen Tacitus
2. Zeilenkommentar
3. Interpretation

III. Fazit

IV. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Diese Hausarbeit beschäftigt sich mit den persönlichen Erlebnissen Plinius’ des Jüngeren (im weiteren Verlauf dieser Arbeit als Plinius bezeichnet) während des Vesuvausbruches im Jahr 79 n. Chr.. Eine diesbezügliche Schilderung hat Plinius selbst in einem an Tacitus adressierten Brief (epist. 6,20 seiner Briefsammlung) hinterlassen. Allerdings beschränken sich die in dieser Arbeit dargelegten Ausarbeitungen bezüglich Übersetzung, Kommentar und Interpretation auf 6, 20,1–12, wobei der Textarbeit die Oxfordausgabe von Mynors[1] zugrunde liegt.

Insgesamt sind in der Briefsammlung des Plinius elf Briefe an Tacitus erhalten, von denen die sechs Briefe in den Büchern 1–6 eher formal gehalten sind, während die fünf weiteren Briefe in den Büchern 7–I9 den Eindruck einer innigen Brieffreundschaft zwischen den beiden vermitteln.[2] Ohnehin ist Tacitus der häufigste Adressat in der Sammlung der Privatbriefe (Briefe 1–9) des Plinius.

C. Plinius Caecilius Secundus wurde in den Jahren 61/62 n. Chr. in Comum als Sohn eines Caecilius geboren, was daraus hervorgeht, dass er erwähnt, er sei zum Zeitpunkt des Vesuvausbruches von 79 n. Chr. 18 Jahre alt gewesen. Da der Vater bereits in den frühen Kindesjahren Plinius’ verstarb, wurde Plinius von seinem Onkel Plinius d. Älteren in sein stadtrömisches Haus aufgenommen, der ihn schließlich auch testamentarisch adoptierte. Zunächst genoss er in Comum, später in Rom die Rhetorikausbildung bei seinen Lehrern Niketes, Sacerdos und Quintilianus. Im Jahr 82 n. Chr. ging Plinius als tribunus militum nach Syrien, bevor er im Jahr 90 die politische Ämterlaufbahn im Amt des Quaestors begann, dem 92 das Volkstribunat und 93 noch unter Domitian die Praetur folgte. Im Jahr 100 n. Chr. erreichte er das Suffektkonsulat und 103 wurde er in das Collegium der Auguren aufgenommen. Schließlich bekleidete er ab ca. 109 das Amt des legatus Augusti in der Provinz Bithynia und Pontus, ehe er noch vor dem Ende der Herrschaft Traians (117 n. Chr.) möglicherweise sogar in Bithynien starb. In seinen Briefen greift Plinius höchst unterschiedliche Themen, u.a. Charakterporträts, Fragen der Lebensführung, Rechtsproblematik, Anekdotisches, Mirabilien und essayistisch-autobiogra-phischsche Geschichtsschreibung auf. Die wahrscheinlich postum editierten Briefe aus Buch 10 seiner Briefsammlung sind ausschließlich an Kaiser Traian adressiert und beschäftigen sich u.a. mit der Problematik der Christenbehandlung und Provinzverwaltung.[3]

Die Fülle an Zitaten, Vergleichen und Anklängen der römischen Literatur in Epistel 6,20, darunter auch Vergil, Lucan und Livius, bildet die Grundlage der Interpretation in dieser Arbeit. Es soll herausgestellt werden, welche Intentionen Plinius mit diesen Anspielungen verfolgte. Dienen sie der Färbung des Briefes nach literarischem Muster, um hier in der Prosa feine Nuancen des Epos und der Historiographie einzuarbeiten, oder sah Plinius sich und sein Handeln gar in Nachfolge der großen Heroen der römischen Literatur, wie z.B. Aeneas?

II. Hauptteil

1. Übersetzung Epistel 6,20,1–20,12

C. Plinius grüßt seinen Tacitus

1 Du sagst, dass du durch den Brief, den ich dir, weil du dazu gedrängt hast, über den Tod meines Onkels geschrieben habe, veranlasst zu erfahren wünschst, nicht nur welche Ängste, sondern auch welche Schicksalsschläge ich erfahren habe, nachdem ich in Misenum zurückgelassen war (denn als ich dies [zu erzählen] angefangen hatte, hatte ich abgebrochen). „Obwohl sich die Seele dagegen sträubt, sich zu erinnern, ... will ich beginnen.“

2 Nachdem der Onkel aufgebrochen war, habe ich selbst die übrige Zeit mit Studien verbracht (denn aus diesem Grund war ich zurückgeblieben); bald darauf nahm ich ein Bad, nahm eine Mahlzeit zu mir, hatte ich einen unruhigen und kurzen Schlaf. 3 Es war viele Tage hindurch ein Erdbeben vorausgegangen, (allerdings) weniger furchtbar, weil es für Kampanien gewöhnlich war; in jener Nacht aber wurde es so stark, dass man glaubte, dass nicht alles bewegt, sondern umgewälzt wurde. 4 Meine Mutter stürzte in mein Schlafzimmer; ich bin aufgestanden, um sie ebenfalls meinerseits aufzuwecken, falls sie schliefe. Wir setzten uns wieder auf einem Vorplatz des Hauses hin, der das Meer von dem Haus durch einen schmalen Zwischenraum trennte. 5 Ich zweifle, ob ich es Standhaftigkeit oder Unklugheit nennen muss (denn ich war [erst] 18 Jahre alt): Ich fordere ein Buch des Titus Livius und lese es, als ob Zeit zur Muße wäre, und exzerpiere sogar, wie ich begonnen hatte. Siehe, da nimmt sich ein Freund des Onkels, der neulich erst aus Spanien zu ihm gekommen war, ihre Geduld und meine Sorglosigkeit zur Brust, als er mich und meine Mutter dasitzen und mich sogar wahrhaftig ein Buch lesen sieht. Ich bin um nichts träger in das Buch vertieft.

(Paraphrase der Kapitel 6–9): Schließlich setzt die Morgendämmerung ein und die Häuser in Misenum werden durch ein erneutes Beben erschüttert. Obwohl sich Plinius mit seiner Mutter außerhalb der Gebäude auf einem freien Platz befindet, ist die Angst bei ihnen und den übrigen Einwohnern doch groß, durch den Einsturz von Wohnhäusern verletzt zu werden. Somit beschließen sie, die Stadt hinter sich zu lassen, woraufhin sich ihnen eine große Menschenmenge bereitwillig anschließt. Als sie die Stadt hinter sich gelassen haben, legen sie eine Rast ein, wo sie die Auswirkungen des Bebens erleben: Die mitgeführten Karren bleiben nicht an Ort und Stelle stehen, selbst wenn sie mit Steinen verkeilt worden sind. Des weiteren sehen sie, dass sich das Meer weit zurückzieht – ein Naturphänomen, das auch bei einem Tsunami beobachtet wird –, um im nächsten Augenblick durch das Beben wieder zur Küste zurück getrieben zu werden. Schließlich erscheint ihnen eine schwarze Wolke, die durch zickzackförmige Linien, durchbrochen und zerrissen ist und sich letztendlich in Flammen auflöst, welche Plinius an zu große Blitze erinnern.

10 Dann aber sagte jener selbige Freund aus Spanien heftiger und eindringlicher: „Wenn dein Bruder, dein Onkel lebt, will er, dass ihr wohlbehalten seid; wenn er gestorben ist, wollte er, dass ihr überlebt. Warum zögert ihr daher zu fliehen?“ Wir antworteten, dass wir nicht dieses Vergehen ausüben werden, weil wir, die über unser eignes Schicksal im Unsicheren waren, uns über das Wohlergehen von jenem sorgten. Er zögert nicht länger, rennt davon und entzieht sich mit schnellem Schritt der Gefahr. 11 Und nicht viel später ging jene Wolke auf die Erde nieder, sie nahm die Sicht auf das Meer; (schon) hatte sie Capri umschlossen und verhüllt, was von Misenum hervorragt (gemeint ist das Vorgebirge von Misenum), hatte sie schon verdeckt. 12 Meine Mutter bittet, mahnt und befiehlt, dass ich auf jedwede Art und Weise fliehen sollte; denn als junger Mann könne ich es, sie (aber) sei sowohl aufgrund des Alters als auch aufgrund des Körpers schwerfällig und werde gut sterben, wenn sie nicht für mich der Grund des Todes gewesen sei. Ich entgegnete, dass ich mich nur mit ihr zusammen gerettet wissen wolle; daraufhin zwing ich sie, den Schritt zu beschleunigen und halte ihre Hand. Sie gehorcht widerwillig und macht sich selber Vorwürfe, weil sie mich aufhielte.

2. Zeilenkommentar

Der Epistel 6,20 geht der Brief 6,16 voraus, in welchem Plinius d. Jüngere Tacitus über die Erlebnisse und den Tod seines Onkels Plinius d. Ältern während des Vesuvausbruches im Jahr 79 n. Chr. Bericht erstattet. Somit stellt die Epistel 6,20 eine Fortsetzung des Briefes 6,16 dar, was dadurch belegt wird, dass das Wort abruperam (S. 179, Z. 18) die Aposiopese aus Brief 6,16,21 interim Miseni ego et mater – sed nihil ad historiam, ... (S. 176, Z. 26) wieder aufgreift. Plinius folgt hierbei der Komposition des hellenistischen Gedichtbuches, dessen kompositionelle Eigenart es ist, „das Zusammengehörige auch aus Gründen der Buntheit zu trennen.“[4] Allerdings unterliegen die beiden Briefe einer unterschiedlichen Intention: Während Brief 6,16, der in der 3. Person geschrieben ist, die Taten des Onkels schildert, also somit objektiv gehalten ist, ist Brief 6,20 als subjektive Berichterstattung in der 1. Person des Plinius gedacht. Plinius hat also die Vesuvbriefe auch stilistisch voneinander getrennt.[5]

Wie in den Episteln 6,16,1 und 7,33 wollte Plinius auch in diesem Brief Tacitus mit historischen Informationen versorgen, da dieser gerade an seinen Historiae schrieb. Eine genaue Datierung des Briefes liegt nicht vor, wobei Schwabe[6] und Syme die Zusendung der Pliniusbriefe an Tacitus und deren Veröffentlichung auf 104 n. Chr. oder später datieren.

20,1: Ais te adductum litteris ... Quamquam animus meminisse horret, ... incipiam.

Wie schon in Epistel 6,16 (S. 173, Z. 23 : petis) gibt Plinius vor, aufgrund einer Aufforderung des Tacitus dazu bewegt worden zu sein, diesem die persönlichen Erlebnisse der beiden Plinii zu schildern. Dies verdeutlicht Plinius durch die Verwendung der beiden Partizipien adductum und exigenti, woraus klar hervorgeht, dass Tacitus, nachdem er von Plinius den Brief über die Erlenbisse Plinius’ d. Älteren erhalten hat, Plinius in einem weiteren Brief, der nicht erhalten ist, um die Schilderung seiner eigenen Erlebnisse bittet. Besondere Beachtung verdient an dieser Stelle das Ende der Epistel 6,16, wenn Plinius Tacitus bereits auf die eigenen Erlebnisse mit der Mutter während des Vesuvausbruches hinweist (S. 176f, 6,16,21). Allerdings übt er sich hierbei in Zurückhaltung, indem er behauptet, dass Tacitus das Erlebte überhaupt nicht erfahren wolle, da es sich nicht zur Aufnahme in sein Geschichtswerk eigne. Es liegt auf der Hand, dass Tacitus zumindest aus Gründen der Höflichkeit Erkundungen über die persönlichen Erlebnisse des Plinius während der Naturkatastrophe einzieht. Daher stellt sich eher die Frage, ob Plinius hier nicht literarisch geschickt arbeitet, da er es somit durch die Aposiopese schafft, die beiden Briefe 6,16 und 6,20 zu verbinden. Der Fortsetzungsbrief 6,20 „war also programmiert“[7] und für Plinius „bot die Bitte des Tacitus die Möglichkeit, an seinem und seines Onkels Ruhm (6,16,1) zu arbeiten.“[8]

[...]


[1] Mynors (1963) 179–181.

[2] Vgl. Sherwin-White (1966) 100: Die Briefe in den Büchern 1–6 sind z.T. durch förmliche Anreden und Bitten an Tacitus (s. epist. 4,13,2 und 4,13,10) geprägt, Brief 6,9 vermittelt den Eindruck einer beiläufigen Bekanntschaft der beiden und in Epistel 1,20 stellt Plinius eine wissentschaftliche Erörterung in den Mittelpunkt der Betrachtung. In Brief 2,1, der nicht an Tacitus selbst adressiert ist, bezeichnet er u.a. den Konsul Cornelius Tacitus nicht als noster (epist. 2,1,6: Laudatus est a consule Cornelio Tacito;). Möglicherweise führten erst Tacitus’ Nachfragen bezüglich des Schicksals Plinius’ d. Älteren und des Vesuvausbruches, die allein Plinius (epist. 6,16) beantworten konnte, zu der Brieffreundschaft zwischen den beiden, deren Herzlichkeit in Epistel 7,20 ganz besonders hervortritt.

[3] Vgl. Krasser: DNP 9 (2000) 1141–1144 s.v. Plinius Secundus (der Jüngere).

[4] Vgl. Maurach (zitiert in: Schönberger [1990] 540.)

[5] Vgl. Schönberger (1990) 532.

[6] Vgl. Sherwin-White (1966) 371.

[7] Vgl. LefÈvre (1996) 206f.

[8] Zitat nach: Schönberger (1990) 530.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Plinius der Jüngere während des Vesuvausbruches 79 n. Chr. (epist. 6,20,1-12) - Eigendarstellung im Vergleich mit Vorbildern aus der römischen Literatur
Hochschule
Universität Münster  (Klassische Philologie)
Veranstaltung
Hauptseminar
Note
2,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
26
Katalognummer
V78822
ISBN (eBook)
9783638846837
Dateigröße
489 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Plinius, Jüngere, Vesuvausbruches, Eigendarstellung, Vergleich, Vorbildern, Literatur, Hauptseminar
Arbeit zitieren
Thorben Knake (Autor:in), 2007, Plinius der Jüngere während des Vesuvausbruches 79 n. Chr. (epist. 6,20,1-12) - Eigendarstellung im Vergleich mit Vorbildern aus der römischen Literatur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78822

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