Das Problem der Leistungsbewertung in der Grundschule


Seminararbeit, 2007

24 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Der Schulische Leistungsbegriff

2. Der Beurteilungsprozess
2.1 Bezugsnormorientierung
2.1.1 Soziale Bezugsnorm (Normorientierter Maßstab)
2.1.2 Sachliche Bezugsnorm

3. Möglichkeiten der Leistungsdokumentation
3.1 Das Portfoliokonzept
3.2 Beobachtungen im Prozess
3.3 Selbstbewertung
3.4 Schülerfeedback – Rückmeldebögen

4. Ziffernzensuren

5. Verbalbeurteilungen

6. Funktionen von Zeugnissen

7. Literaturverzeichnis

Anmerkungen

1. Der Schulische Leistungsbegriff

Der Schulische Leistungsbegriff wurde erstmals intensiv von Carl-Ludwig Furck untersucht. Er zählt vier Aspekte der Leistung in der Schule auf:1

1. Leistung als schulische Forderung an den Schüler.
2. Leistung als Tätigkeit des Schülers.
3. Leistung als Ergebnis der Tätigkeit des einzelnen innerhalb der verschiedenen Leistungsbereiche.
4. Leistung als besonderer Beitrag der Schule für Gesellschaft, Staat, Wirtschaft und Wissenschaft.

Aus diesen vier Komponenten setzt sich also nach Furck der Leistungsbegriff zusammen. Diese vier Komponenten stehen aber immer in Verbindung zueinander, also in einem laufenden Prozess.2

Im Bereich der Technik und der Wirtschaft beispielsweise kann man die Leistung ganz einfach nach einer bestimmten Formel berechnen. Es gibt keine Zweifel an dem Ergebnis, da es klare Leistungsdefinitionen sind. Aber wie sieht es aus mit der Leistung im Unterricht? Für einen Testpsychologen mag die Leistung eines Schülers definiert sein als Lösen von Aufgaben in einer bestimmten Zeit, für den beurteilenden Lehrer allerdings stellt sich dort ein Problem.

Dieses möchte ich anhand eines Beispieles verdeutlichen:

Die Sportlehrerin hat Horst und Werner die Aufgabe gestellt an eine Reckstange zu springen. Horst, kräftig, groß und durchtrainiert, springt mit Leichtigkeit an die Stange. Werner, etwas kleiner, schwächlicher Junge, springt und springt. Er ist schweißnass, aber die Reckstange erreicht er trotz größter Anstrengung nicht.

Wer von den beiden hat nun die größere Leistung vollbracht? Diese Frage ist sicherlich nicht leicht zu beantworten. Horst musste sich kaum anstrengen, um an die Stange zu kommen, also war die Stange eventuell zu niedrig und Horst somit unterfordert. Müsste man ihm dann trotzdem eine gute Note geben, da er die Aufgabe ja erfüllt hat? Und welche Note müsste man Werner geben, der die Stange ja nicht erreicht hat, sich aber viel mehr Mühe als Horst gegeben hat? Es bedarf einer pädagogischen Sehweise, um vom reinen Ergebnisdenken wegzukommen und die Lernprozesse der Schüler stärker in den Blick zu bekommen.3

Pädagogen sollten Kinder aus der Perspektive der Entfaltung seiner geistigen, seelischen und körperlichen Kräfte sehen. Sein Augenmerk gilt vor allem den Lern- und Erziehungsprozessen. Ergebnisse sollten für ihn wesentliche Orientierungs­marken für weitere pädagogische Prozesse sein. Aus dieser Blickrichtung erhalten auch Fehlleistungen der Schüler eine andere Bedeutung.

Erfreulicherweise wird auch in amtlichen Bestimmungen der Blick wieder stärker auf die Lernprozesse gelenkt:

„Als Leistung werden nicht nur Ergebnisse, sondern auch Anstrengungen und Lernfortschritte bewertet.“4

„Zudem sollten Bemühungen und Anstrengungen des Schülers und nicht nur das Arbeitsergebnis berücksichtigt werden.“5

Doch leider wird der Leistungsbegriff nicht immer so verstanden. Unsere heutige Gesellschaft ist eine Leistungsgesellschaft. Durch die ständige Beurteilung individueller Leistungen erfolgt eine Auslese der Besten, die dadurch in den Genuss höheren sozialen Ansehens gelangen. Die Schule und insbesondere die Grundschule als Pflichtschule ist ein fundamentaler Bestandteil unserer Gesellschaft. Aus diesem Grund kann sie sich, ob sie will oder nicht, der gesellschaftlichen Forderung nach Auslese nicht entziehen. Die Bedeutung schulischer Leistungen wird bei der Empfehlung an weiterführende Schulen, der Vergabe von Studienplätzen oder Ausbildungsplätzen offensichtlich. Damit übernimmt die Schule und jede einzelne Lehrperson eine hohe pädagogische Verantwortung. Es ist die Aufgabe der Lehrerinnen und Lehrer bei jedem einzelnen Schüler eine optimale Leistungsfähigkeit zu ermöglichen. Nur so kann ansatzweise gewährleistet werden, dass allen Schülern eine Chancengleichheit im Hinblick auf das Erreichen persönlich erstrebenswerter sozialer Positionen geboten wird. Damit ist bereits untrennbar der Auftrag an die Schule verbunden, Angebote zum Ausgleich von Defiziten und Benachteiligungen der Schüler zu bieten. Denn wie sollen die Unterschiede im Könnens- und Wissensstand der jeweiligen Schüler ausgeglichen und damit Chancengleichheit erzielt werden, wenn nicht durch gezielte Förderung? Neben der Aufgabe der Lehrpersonen, Maßnahmen zur Ermöglichung optimaler Leistungsfähigkeit sowie der Förderung zu ergreifen, steht die Verpflichtung, die Schülerleistungen so objektiv wie möglich zu beurteilen.6

Klafki definiert den schulischen Leistungsbegriff wie folgt:

,,Versteht man Leistung als Ergebnis und Vollzug einer Zielgerichteten Tätigkeit, die mit Anstrengung und ggf. Selbstüberwindung verbunden ist und für die Gütemaßstäbe anerkannt werden, die also beurteilt wird, so erfordern die genannten Zielsetzungen ein hohes Maß an Anstrengung und an spezifischem Können."7

2. Der Beurteilungsprozess

Werden im Schulalltag und in der pädagogischen Literatur Fragen der Leistungsbeurteilung diskutiert, beziehen sich diese zum größten Teil auf die Form der Rückmeldung. Jede Beurteilung von Schulleistungen ist als interaktiver Prozess zwischen Merkmalen der Situation, institutionellen Rahmenbedingungen, Merkmalen des Beurteilers und Merkmalen des Beurteilten anzusehen. Diese vier Aspekte wirken auf den gesamten Beurteilungsprozess ein. Während die institutionellen Bedingungen zum Beispiel Vorschriften bestimmter Prüfungsformen, allgemeine Erziehungsnormen, Selektionsforderungen, den Stellenwert der Prüfungen und die Klassenfrequenz beinhalten, zählen zu den Merkmalen der Beurteilungssituation vor allem die Art des verwendeten Beurteilungsverfahrens, das Ziel des Beurteilungsvorganges, Curricula, die Art der zu beurteilenden Qualifikationen und die Qualität des vorangegangenen Unterrichts. Auf den Beurteiler und den Beurteilten wirken die gleichen Merkmale ein. So spielen auf beiden Seiten Kompetenzen, Orientierungen, sozial-emotionale Aspekte und Erfahrungen eine wichtige Rolle.8

Die Teilprozesse der Leistungsbeurteilung werden je nach Autor unterschiedlich differenziert gegliedert. Im Folgenden werde ich die Aspekte des diagnostischen Vorgehens nach Ingenkamp (1985) darstellen. Diese bieten eine grobe Einteilung des Gesamtprozesses. Ingenkamp unterscheidet die Aspekte Vergleich, Analyse, Prognose, Interpretation, Mitteilung und Wirkungskontrolle. An erster Stelle einer Beurteilung steht hier der Vergleich. Dieser kann sich, je nach Bezugsnorm, auf die Leistung anderer, auf die frühere Leistung des Beurteilten selbst oder auf die gesetzten Kriterien beziehen. Dem Vergleich folgt die Analyse, in welcher Gründe für die ermittelten Informationen gesucht werden.

Bei der Prognose werden Vermutungen darüber angestellt, wie das gezeigte Verhalten oder das Lernergebnis in anderen Situationen oder in der Zukunft aussehen wird. Durch die Interpretation werden die vorliegenden Informationen zu einem Gesamtbild zusammengefügt. Den letzten Schritt bilden die Mitteilung des Beurteilungsergebnisses an die Schüler und die Kontrolle der pädagogischen Wirkungen.9

Wie werden aber nun die einzelnen Schritte genau vollzogen? Zur Leistungsbe­messung können verschiedene Beurteilungsverfahren herangezogen werden. Es werden subjektive und objektive Verfahren unterschieden. Als Maßstab wird hierbei der Grad der Annäherung an methodischen Gütekriterien benutzt.10

Zu den objektiven Verfahren gehören die standardisierten Schulleistungstests, die in Deutschland aber nur selten Anwendung finden. Die traditionellen Formen der Leistungsmessung, wie Klassenarbeiten, Hausarbeiten und mündliche Prüfungen zählen zu den subjektiven Verfahren. Zu Letzteren gehört ebenso die Beobachtung, welche ein weiteres Mittel zur Leistungsfeststellung darstellt. Hierbei ist zu beachten, dass in vielen unterschiedlichen Situationen und Handlungszusammenhängen beobachtet werden sollte, um möglichst vielfältige Informationen über das Verhalten und das umgebende Interaktionsfeld zusammenzutragen. Für die Auswertungen der Beobachtung ist es von großer Bedeutung, dass sie schriftlich fixiert werden. So können Fehler, die auf das Erinnerungsvermögen des Beurteilers zurückgehen, vermieden werden.11

Je weniger standardisiert und damit je subjektiver ein Beurteilungsverfahren ist, desto anfälliger ist es für Urteilsfehler. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass sich die Beurteilung nie vollständig von den Erwartungen des Urteilers trennen lässt. So werden Schülerhandlungen durch die Erwartungshaltung des Beurteilers bereits selektiv beobachtet. Folge davon kann das Einschleichen von Beurteilungsfehlern sein.12

2.1 Bezugsnormorientierung

Bei jeder Leistungsbewertung gibt es verschiedene Beurteilungsperspektiven. Man spricht auch von Bezugsnormen. Die Wahl der Bezugsnorm ist ganz entscheidend, denn sie kann Auswirkungen auf Lernverhalten und Motivation der Schüler, auf das Klassenklima und auf das Selbstbild der Beurteilten haben. Auch passt nicht jede Bezugsnorm zu allen Unterrichtsinhalten. Man unterscheidet die individuelle, die sachliche und die soziale Bezugsnorm. Bei letzterer wird ein Verhalten oder eine Leistung im Vergleich mit anderen und bei der individuellen Bezugsnorm im Vergleich mit der eigenen vorhergegangenen Leistung bewertet. Bei der sachlichen Bezugsnorm liegt der Maßstab im Unterrichtsgegenstand selbst.13

Im Folgenden werde ich die einzelnen Bezugsnormen auf Vor- und Nachteile und eventuelle Schwierigkeiten bei der Anwendung im Unterricht untersuchen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Das Problem der Leistungsbewertung in der Grundschule
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Veranstaltung
Leistungsvielfalt
Note
2,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
24
Katalognummer
V78790
ISBN (eBook)
9783638856225
Dateigröße
503 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Problem, Leistungsbewertung, Grundschule, Leistungsvielfalt
Arbeit zitieren
Sabine Freye (Autor:in), 2007, Das Problem der Leistungsbewertung in der Grundschule, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78790

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