Textsortenklassifikation auf sprechakttheoretischer Basis


Seminararbeit, 2006

32 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Sprechakttheorie nach John R. Searle

3. Das Textklassifikationskonzept E. Rolfs

4. Eine Diskussion des Klassifikationskonzeptes von E. Rolf
4.1 Zu den Erfolgs- und Erfüllungsbedingungen
4.2 Die Sprechakte als Klassifikationskriterium
4.2.1 Assertive Textsorten
4.2.2 Direktive Textsorten
4.2.3 Kommissive Textsorten
4.2.4 Expressive Textsorten
4.2.5 Deklarative Textsorten

5. Zu den Anforderungen an eine Texttypologie nach H. Isenberg

6. Linguistische Modelle der Textsortenklassifikation

7. Zur Frage der (Un-)Eindeutigkeit von Textklassenzuordnungen

8. Schlussbetrachtung

9. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Es wurden schon viele Versuche unternommen, Texte als eine grundlegende Einheiten zur linguistischen Betrachtung in ihren so variablen und individuellen Erscheinungsformen voneinander abzugrenzen und Klassen zu bilden. Hierbei stehen zum Teil sehr unterschiedliche Kriterien für die Analyse im Vordergrund. Eine mögliche Ausrichtung ist die funktionale Texttypologie, welche in unterschiedlichen Zwecken der Entstehung und Einsetzung von Texten ein wesentliches Differenzierungskriterium zur Klassenbildung sieht. Fest steht vorab grundsätzlich, dass sich schriftliche Texte deutlich besser oder wohl möglich nur schriftliche Texte eindeutig klassifizieren lassen:

„Die jeweilige Funktion läßt sich nun bei schriftlichen Texten leichter von der manifesten sprachlichen Gestalt aus bestimmen als im Falle vieler gesprochener Äußerungen. Den schriftlichen Texten nämlich fehlen wesentliche Mittel der Monosemierung, die in der mündlichen Verständigung wichtig sind: die Prosodie, die Gestik und Mimik und die Möglichkeit, der Redekonstellation und konkreten Situation Vorinformationen zu entnehmen. Daher wird die Funktion schriftlicher Texte explizit signalisiert.“ (Große 1976: 115)

In dieser Arbeit soll nun ein verhältnismäßig neues funktionales Klassifikationsmodell von Textsorten dargestellt, erläutert und diskutiert werden. Es handelt sich hierbei um die Theorie Eckard Rolfs von 1993, in welcher Textsorten auf Basis der Sprechakttheorie klassifiziert werden. Untersuchungsgegenstand sind hierbei ausschließlich Gebrauchstextsorten beziehungsweise alltagssprachliche Textsorten. Diese sind grundlegend monologisch, das heißt es wird zum Beispiel auch das Gespräch, als dialogische Textform, ausgeschlossen. Die insgesamt ca. 2100 Gebrauchstextsortenbezeichnungen entnimmt Rolf dem Dudenwörterbuch (vgl. Rolf 1993: 311). Seine Typologie befasst sich in erster Linie mit textexternen Differenzierungskriterien.

So stellt sich also zu Beginn der Untersuchung erst einmal die Frage nach dem Inhalt der Sprechakttheorie. Wie entstand diese Theorie und was sind überhaupt Sprechakte? Diese Thematik soll im zweiten Kapitel kurz erläutert werden, um einen Ausgangspunkt für die weitere Untersuchung zu haben.

Im dritten Kapitel wird die Grundidee Rolfs beschrieben, um im anschließenden Teil seine Bedingungen an einen Gebrauchstext und seine Klassifikationskriterien im Detail zu referieren.

Im Anschluss soll die Frage geklärt werden, inwieweit dieses Modell als eine Texttypologie wirklich Gültigkeit besitzt. Zu diesem Zweck wird die Theorie Horst Isenbergs herangezogen. Was sind generelle Anforderungen und kann Rolf diese in jedem Punkt erfüllen?

Nach Klärung dieser Frage ist nun ein Vergleich mit anderen, meist älteren, Klassifizierungsansätzen angebracht, um (weitere) Schwächen oder Stärken der Theorie Rolfs kenntlich zu machen. In diesem sowie in den vorangehenden Kapiteln stellt sich eine Grundproblematik heraus: Kann ein Text überhaupt eindeutig einer Klasse zugeordnet werden? Kann nicht auch eine Doppel- oder Mehrfachzugehörigkeit existieren? Im abschließenden Teil werden die Positionen hierzu verglichen und bewertet. In der Schlussbetrachtung soll ein Gesamtresümee gezogen werden, welches Rolfs Klassifikationskonzept von Textsorten im Ganzen beurteilt.

Die für diese Arbeit verwendete Literatur besteht im Wesentlichen aus der Primärliteratur, E. Rolf, „Die Funktionen der Gebrauchstextsorten“ (1993), sowie weiteren Monografien und Aufsätzen als Sekundärliteratur, in denen eigene Theorien zur Textsortenklassifikation dargeboten werden oder Konzepte erläutert und verglichen werden.

2. Die Sprechakttheorie nach John R. Searle

Vorweg ein paar kurze Bemerkungen zur Sprechakttheorie. Ursprünglich wurde sie von John L. Austin 1955 entwickelt. Dennoch wurde die Theorie erst durch dessen Schüler John R. Searle bekannt. Laut der Sprechakttheorie lassen sich alle Aussagen in fünf verschiedene Klassen einteilen. Nach den ersten Einteilungen von Austin erstellt Searle schließlich folgende Taxonomie (siehe hierzu auch Searle 1982: 31ff., Linke/Nussbaumer 2001: 182ff.; Hindelang 1983: 45ff.):

Bei den sogenannten Assertiven steht der propositionale Gehalt der Aussage im Vordergrund:

„Alle assertiven Äußerungen lassen sich in der Dimension, die wahr und falsch umfaßt, beurteilen.“ (Searle 1982: 31)

Assertiven Verben sind z. B. aussagen, behaupten, erzählen, beschreiben, protokollieren, feststellen.

Sind die Aussagen ein Versuch des Sprechers, den Hörer zu einer Handlung zu bewegen (Versuche können sowohl zurückhaltend sein, zum Beispiel eine Einladung, ein Vorschlag, als auch sehr nachdrücklich sein, zum Beispiel auf etwas bestehen), so handelt es sich um Direktive. Verben, die diese Klasse bezeichnen, sind unter anderem bitten, anordnen, auffordern, befehlen, einladen und empfehlen. Fragen sind eine Teilklasse der Direktiven, denn sie sollen zum Vollzug eines Sprechakts bewegen.

Mit einer kommissiven Aussage wird der Sprecher auf ein bestimmtes Verhalten festgelegt (in individuell unterschiedlichem Grad). Der propositionale Gehalt besteht darin, dass der Sprecher eine künftige Handlung vollzieht, wie z.B. bei einem Versprechen, einem Gelöbnis, einer Garantie oder einem Schwur.

Direktive und Kommissive haben also insofern eine ähnliche Ausrichtung, dass sie Handlungen oder Verhalten beeinflussen wollen. Direktive beziehen sich hierbei jedoch auf den Hörer, Kommissive hingegen auf den Sprecher.

Expressive dienen dem Aufbau und der Erhaltung sozialer Kontakte. Es „wird vorausgesetzt, dass die zum Ausdruck gebrachte Proposition wahr ist.“ (Searle 1982: 34) Beispiele hierfür sind um Entschuldigung bitten, danken, gratulieren oder Beileid aussprechen.

Deklarationen werden für bestimmte Bräuche oder Sitten oder für offizielle Angelegenheiten benötigt. Der „erfolgreiche Vollzug einer solchen Aussage garantiert, dass der propositionale Gehalt der Welt [oder auch: Realität] entspricht.“ (Searle 1982: 36) Wenn ich zum Beispiel jemanden zum Ritter schlage, dann ist er Ritter. Weitere Handlungsverben für Deklarationen sind ernennen, erklären, taufen, verurteilen etc.

Searle erläutert weiter, dass die Sprechakte in ihrer Ausrichtung differenziert werden können:

„Der im Satz enthaltene Indikator der illokutionären Rolle zeigt (durch Anwendung auf den propositionalen Gehalt) unter anderem an, welche Ausrichtung zwischen dem propositionalen Gehalt und der Realität besteht.“ (Searle 1982: 37)

Assertive nehmen somit eine Wort-auf-Welt-Ausrichtung ein, Direktive und Kommissive hingegen eine Welt-auf-Wort-Ausrichtung. Expressive besitzen keine Ausrichtung – hier wird bereits vorausgesetzt, dass Welt und Wörter zueinander passen. Der Bezug von Realität und Wort wird durch Deklarationen erst hergestellt. Rolf bedient sich nun genau dieser dargestellten Einteilung und Benennung der Sprechakte nach Searle, um Gebrauchstextklassen zu bilden.

3. Das Textklassifikationskonzept E. Rolfs

Eckard Rolfs Klassifikation von Textsorten bezieht sich ausschließlich auf Gebrauchstextsorten, also nicht-literarische Textsorten. Diese besitzen im Gegensatz zu literarischen Textsorten keinen Eigenwert und sind funktional, das heißt sie bestehen nicht um ihrer selbst Willen, sondern um einen Zweck zu erfüllen. Gebrauchstexte haben also einen Handlungswert, welcher bei literarischen Texten, wie zum Beispiel einem Gedicht, kaum beziehungsweise gar nicht gegeben ist. Aufgrund dieser Tatsache lassen sich auch nur die Gebrauchstextsorten einer Klassifizierung durch die Sprechakttheorie unterziehen, denn diese gehört der linguistischen Disziplin der Pragmatik an: Alle fünf Arten von Sprechakten sind Formen von Sprachhandlungen – mit ihnen wird also eine Handlung vollzogen.

„Ebenso wie von vereinzelten Sätzen oder (kontextuell ermöglichten) Satzfragmenten angenommen werden kann, daß ihre Äußerung den Vollzug eines Sprechakts verkörpert, kann auch im Hinblick auf (Gebrauchs-) Texte gesagt werden, daß ihre Produktion, ihre Äußerung (im weitesten Sinne) die Realisierung einer komplexen, aus mehreren Teilhandlungen bestehenden Handlung darstellt.“ (Rolf 1993: 170)

Somit müssen literarische Textsorten für eine solche Klassifizierung zwangsweise außen vor gelassen werden. Kritiker Rolfs sehen in diesem Ausschluss eines großen Textkorpus bereits eine grundlegende Schwäche dieser Klassifizierung, denn sie ist somit bereits nicht auf die Gesamtheit aller Textsorten anzuwenden. Ihr Geltungsbereich ist somit begrenzt. Allerdings erhebt Rolf diesen Anspruch auch gar nicht. Bewusst befasst er sich ausschließlich und intensiv mit der Klassifizierung von Gebrauchstextsorten durch die Sprechakttheorie und findet hier auch einen grundlegend nachvollziehbaren Bezug.

Die Vielfalt an Gebrauchstextsorten ist riesig. Ihren gemeinsamen Inhalt beschreibt Rolf als einen Bezug auf Probleme mit dem Ziel, eine individuelle Lösung zu finden. Hier gibt es auch untergeordnete (Teil-)Ziele (siehe hierzu Rolf 1993: 129). Ohne Frage gibt es aufgrund der großen Textmenge auch eine Vielzahl von Klassifikationsmöglichkeiten. Eine Auswahl an Alternativmöglichkeiten zu der Klassifikation Rolfs wird in Kapitel 6 näher erläutert. Rolf geht in seiner Untersuchung davon aus, dass jede Textsortenbezeichnung deshalb existiert, weil mit ihr eine Funktion beschrieben wird:

„Von der Annahme ausgehend, daß alle Bezeichnungen für Gebrauchstextsorten als (Text-)Funktions-bezeichnungen aufzufassen sind, beabsichtigt die vorliegende Untersuchung Auskunft darüber zu geben, welche Funktionen die Gegenstände haben, die mit Hilfe dieser Bezeichnungen kategorisiert werden.“ (Rolf 1993: 135)

Um eine solche Textfunktion überhaupt erfassen zu können, sind die verschiedenen Bezeichnungen von Texten zweifellos notwendig. Zudem benennt Rolf Grenzfälle von Textsorten: Wo hört ein Text auf und wo ist ein Text kein Text mehr? Hierauf gibt es keine eindeutige Antwort. Ein solcher Grenzfall wäre zum Beispiel der Führerschein oder ein Mitgliedsausweis. Sind die einzelnen Bezeichnungen auf einem solchen Ausweis insgesamt noch als Text hinzunehmen? Rolf spricht sich zwar nicht eindeutig dafür aus, betont aber auch, dass solche Fälle auch nicht klar aus dem Korpus alltäglicher Textsorten auszuschließen sind und somit auch in seiner Klassifikation berücksichtigt werden müssen.

4. Eine Diskussion des Klassifikationskonzeptes von E. Rolf

Im Folgenden sollen also die Grundideen Rolfs sowie seine Einteilung der Gebrauchstextsorten näher betrachtet werden.

4.1 Zu den Erfolgs- und Erfüllungsbedingungen

Bevor Rolf seine Einteilung von Textklassen in einer Untergliederung ausführt, benennt er drei Bedingungen, die notwendig für die erfolgreiche Verwendung eines Textsortenexemplars sind – seine sogenannten Erfolgs- und Erfüllungsbedingungen:

a) ‚illocutionary point’ – Handlungsziel, Handlungszweck
b) ‚mode of achievement’ – Durchsetzungsmodus, Zielerreichungsweise
c) ‚preparatory conditions’ – vorbereitende/bereits vorliegende/als erfüllt hingestellte Bedingungen (Quelle: Rolf 1993: 171)

Die erste Bedingung ist hier wohl die entscheidende, denn mit ihr soll sich die Frage nach dem „Was?“ klären: Was will ich mit der Erstellung und Verwendung des Textes erreichen? Was ist mein primäres Ziel? Was ist der Zweck des Textes? Diese Frage ist grundlegend, denn sie klärt die Funktion, nach der ein Text einer jeweiligen Oberklasse zugeordnet wird, das heißt den assertiven, direktiven, kommissiven, expressiven oder deklarativen Textsorten. Da diese Bedingung die Illokution beschreibt, das heißt mit welcher Intention man den Rezipienten anspricht, verwendet Rolf die Bezeichnung ‚illocutionary point’. Der ‚mode-of-achievement’ beschreibt die Art und Weise der Umsetzung. Wie will ich das erklärte Ziel erreichen? Die ‚preparatory conditions’ sind grundlegende Bedingungen für einen Text. Sie bilden die Basis durch die Beschreibung des Umstands/der Situation, aus der ein Text heraus entsteht und durch die sich zwei ähnliche Texte im Detail unterscheiden können. Zum Beispiel kann dies die Pflicht des Produzenten sein, einen Text zu verfassen (‚bei Obligation’), im Gegensatz zur Entscheidungsfreiheit des Produzenten (‚bei Option’).

[...]

Ende der Leseprobe aus 32 Seiten

Details

Titel
Textsortenklassifikation auf sprechakttheoretischer Basis
Hochschule
Universität Münster  (Institut für Allgemeine Sprachwissenschaft)
Veranstaltung
Textgrammatik - Textpragmatik
Note
1,5
Autor
Jahr
2006
Seiten
32
Katalognummer
V78757
ISBN (eBook)
9783638852395
Dateigröße
520 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Textsortenklassifikation, Basis, Textgrammatik, Textpragmatik, Sprechakttheorie, Rolf, Eckard Rolf, Searle, John R. Searle, Textsorten, Text, Textklassen, Austin
Arbeit zitieren
Katrin Elbeshausen (Autor:in), 2006, Textsortenklassifikation auf sprechakttheoretischer Basis, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78757

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Textsortenklassifikation auf sprechakttheoretischer Basis



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden