Visionen und Träume als mittelalterliche Quellen am Beispiel der "Visio Godeschalci"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

18 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Was versteht man unter einer Vision?
2.1. Geschichte der mittelalterlichen Visionsliteratur

3. Inhalt und Aufbau einer mittelalterlichen Schauung
3.1. Die standardisierte Vision als Voraussetzung für ihre Echtheit
3.2. Inhalt und Aufbau der „Visio Godeschalci“
3.2.1. Vorgeschichte
3.2.2. Ablauf der Vision
3.2.3. Geschehnisse nach der Vision

4. Auswirkungen von Visionen für Seher und Gläubige
4.1. Welchen Zweck verfolgten diese Visionen

5.1. Schwierigkeiten dieser Quellengattung
5.2. Welche Rolle spielt ein Bauer als Visionär?

6. Schlusswort

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Wenn wir heute den Begriff „Vision“ benutzen, assoziieren wir damit meistens ein Wunschdenken oder persönliche Ziele. Wenn uns also zum Beispiel jemand erzählt: „ In meiner Vision bin ich Millionär und habe ganz viele Freunde “, messen wir dieser Aussage noch keine große Bedeutung zu. Anders ist es aber, wenn dieser Begriff in seiner ursprünglichen Bedeutung gebraucht wird. Menschen die uns von tranceartigen Zuständen berichten oder von real wirkenden Träumen mit Gotteserfahrung, würden wir in den meisten Fällen für geisteskrank oder zumindest nicht ganz zurechnungsfähig halten. Nicht selten wurden solche Menschen im Mittelalter, je nachdem aus welchem Stand sie kamen, heilig gesprochen oder Pilgerfahrten zu ihnen unternommen. In jedem Fall galten solche Visionen als wahr und wurden schriftlich fixiert. Eine der größten unterschiedlichen Auffassungen, zwischen damals und heute, liegt darin, dass wir solche Phänomene als ein innerseelisches Geschehen wahrnehmen, während die Menschen des Mittelalters, Visionen und Träume nicht als Produkte der Psyche, sondern als Mitteilungen tatsächlich existierender jenseitiger Welten ansahen.

Im Rahmen des Hauptseminars „Quellenkunde des Mittelalters“, erhielten die Teilnehmer die Möglichkeit, sich intensiv mit einer mittelalterlichen Quellengattung zu beschäftigen. Da Visionen und Träume nicht zu den klassischen Quellengattungen zählen und uns diese Erscheinungen überhaupt sehr fremd vorkamen, entschied ich mich, meine Arbeit über dieses Phänomen zu verfassen.

In der Forschung wird die mittelalterliche Visionsliteratur meistens hinsichtlich ihres religiösen Gehalts beachtet. Die größte Rolle spielen hier, die Visionstypen, die Strukturelemente und die individuelle Disposition von VisionärInnen. Wenn man die Theologie als Wissenschaft der Antike betrachtet, kann man die Anfänge der wissenschaftlichen Arbeit der Visionen bereits in diesem Zeitraum festlegen. Aufgrund von theologischen Interessen erfolgte die Beschäftigung mit diesem Thema bis in die Ära der Aufklärung. Zwei Visionsforscher treten hier besonders hervor. Johannes Jacobus Zimmermannus (1695 – 1750) legte eine wichtige Stellensammlung vor, die „Disquisitio historica theologica de visionibus quae quatuor primis post excessum Christi et Apostolorum Seculis, Christianis quibusdam contigisse dicuntur“ ,sowie Nicolas Lenglet Dufresnoy (1674 – 1755), der in seinem Werk „Recueil de Dissertations Anciennes et Nouvelles, Sur les Apparitions, les Visions et les Songes“ neben der neuzeitlichen Beschäftigung auch mittelalterliche Handschriften zum Abdruck brachte. Im 19. Jahrhundert hat man sich den übersinnlichen Phänomenen mehr unter profanwissenschaftlichen Gesichtspunkten genähert. An Stelle der theologischen Fragen traten solche der Literaturgeschichte oder der Psychologie. In dieser Zeit wurden Visionen kaum noch als göttliche Offenbarungen oder als Argumentationsgrundlage verwendet.[1]

Natürlich kann diese Arbeit keine alles umfassende Ausarbeitung der mittelalterlichen Visionen darstellen. Ziel ist es, ein Verständnis über die Quellengattung „mittelalterlicher Visionen“ zu erhalten. Dazu sollen folgende Fragen beantwortet werden: Was versteht man unter einer Vision bzw. einem Traum? Wer hatte solche Erscheinungen? Zu welcher Zeit waren Visionen am häufigsten? Gibt es ein bestimmtes Schema in Inhalt und Aufbau? Welche Auswirkungen hatten Visionen für Seher und Gläubige? Was erfahren wir aus diesen Quellen? Wie glaubwürdig sind sie bzw. warum könnten solche Visionen entstanden sein? Welchen Unterschied macht es, wenn ein Mönch oder aber ein Bauer eine Vision erfährt – gilt für beide Offenbarungen die gleiche Aussagekraft?

Um diese Fragen besser beantworten zu können, wird die „Vision Gottschalks“ als Beispiel angebracht, um gesammelte Erkenntnisse beweisen zu können. Neben dieser Schauung gibt es noch viele andere schriftlich fixierte Aufzeichnungen. Eine Auflistung der erlebten Visionen vom 6. bis zum 15. Jahrhundert findet sich im Anhang dieser Arbeit.

Visionen sind uns in den verschiedensten literarischen Textsorten überliefert. Wir finden sie in Erlebnisberichten, Predigtexempeln, Autobiographien, Historiographien oder Weissagungen. Teilweise sind uns die Visionen einzeln überliefert, oft nur als Exempelerzählung in andere Schriften eingefügt oder seit dem hohen Mittelalter, als Visionssammlungen zu eigenen Werken verarbeitet. Als eigene literarische Gattung, tritt uns die Visionsliteratur gegen Ende des 7. Jahrhunderts entgegen. Überhaupt ist die Quellenlage recht gut. Trotzdem dieses Thema nicht oft behandelt wird, gibt es doch reichlich Literatur, auch wenn für viele Werke noch keine Übersetzungen vorhanden sind.

2. Was versteht man unter einer Vision?

Wenn ich mich nun im Weiteren zum Thema der Visionen und Träume äußere, geschieht dies im Hinblick auf die Vorstellungen und Berichte der mittelalterlichen Menschen. Dementsprechend werde ich mich auch in der Vergangenheit ausdrücken. Natürlich gibt es auch heute noch Menschen welche von Visionen oder anderen Gotteserfahrungen berichten. In einigen Kulturen, wie etwa bei mehreren nordamerikanischen Indianerstämmen, gehören solche Erscheinungen zum ganz normalen sozialen Leben. Hier erhalten die Stammesangehörigen durch Askese oder Selbstverletzungen ihren Schutzgeist oder werden in die Runde der Erwachsenen aufgenommen.[2] Solche Visionen haben aber nicht mehr viel mit denen des Mittelalters zu tun und müssten auch unter ganz anderen Gesichtspunkten untersucht werden.

Was nun die Visionen des Mittelalters angeht, wurden sie als Ausdruck bestimmter religiöser Glaubensinhalte und Empfindungen verstanden. Insbesondere das 12. Jahrhundert stellt einen Höhepunkt der Visionserfahrungen da. In diesem Jahrhundert wurden die meisten, umfangreichsten und literarisch anspruchvollsten Jenseitsreisen verfasst. Außerdem kam es hier zur Aufzeichnung der ersten mystischen Schauungen. Sie wurden als wahre unmittelbare Offenbarungen erfahren, die meist in Träumen oder ekstatischer Entrückung auftauchten. In vielen Berichten wird ein psychisches Erleben beschrieben, dass darin bestand, dass ein Mensch sich plötzlich aus seiner Umwelt, also seinem normalen Gegenwartsraum, in einen anderen Raum versetzt fühlte. In diesem anderen „Raum“ hatte er dann Kontakte mit menschlichen und übermenschlichen Wesen. Von diesen Wesen erhielt der Seher dann Offenbarungen, die er den anderen Menschen nach seiner Rückkehr in die Welt verkünden sollte. Das Erlebte wurde immer für Realität gehalten, da alle Sinne an diesem Geschehen beteiligt waren. Der Seher konnte sich kurz nach seinem Erwachen oft an fremde Gerüche oder Klänge erinnern. Erst nachdem der Visionär seinen Trancezustand verlassen hatte, konnte die Vision als eine solche erkannt werden. Von Augenzeugen wurde berichtet, dass der Körper während der Ekstase in Katalepsie, also in einem Spannungszustand lag. Alle anderen Wahrnehmungen seiner Umwelt waren ausgeschlossen. Die wesentlichen Elemente einer Vision lassen sich mit einem Raumwechsel, dem Walten einer übermenschlichen Macht, der bildhaften Beschreibbarkeit, der Ekstase, sowie der Offenbarung beschreiben.[3]

Der Unterschied zum Traum liegt einfach in der höheren Intensität der visionären Erfahrung. Visionen wurde vom Seher selbst und seinen Zeitgenossen eine größere Bedeutung zugemessen. Allerdings, gab es auch wichtige Träume, die dann als „Traumvisionen“ gedeutet wurden. Während der Visionär seinen Gegenwartsraum verließ, blieb der Träumende in seinem wirklichen „Umraum“. Übermenschliche Wesen kamen zu dem Schlafenden ins Zimmer, um dort ihre Botschaften zu übermitteln.[4] Die Klassifizierung von Visionen und Träumen erfolgte bereits in der Antike. Hier unterteilte man insbesondere nach dem Kriterium ihrer Brauchbarkeit für die Lebenspraxis. Die Menschen waren daran interessiert, ob man mit einem Traum in die Zukunft gucken konnte und wie man die Traumsymbolik zu interpretieren habe. Aus dieser Zeit stammt auch die Flut an divinatorischer Literatur, den Traumbüchern. Man klassifiziert aber nicht nur Traum und Vision. Wenn man sich auf das 19. und 20. Jahrhundert beschränkt, finden sich verschiedene Typisierungen (literaturwissenschaftlich, theologisch und psychologisch), die sich alle mit dem Phänomen der Vision beschäftigen.

[...]


[1] Vgl. Dinzelbacher, Peter, Vision und Visionsliteratur im Mittelalter, In: Monographien zur Geschichte des Mittelalters ; Bd. 23, Stuttgart 2002, S. 6 f.

[2] Vgl. Dinzelbacher; Peter, Himmel, Hölle, Heilige: Visionen und Kunst im Mittelalter, Darmstadt 2002, S. 9.

[3] Vgl. Dinzelbacher, Vision und Visionsliteratur im Mittelalter, S.29.

[4] Vgl. Dinzelbacher; Peter, Himmel, Hölle, Heilige: Visionen und Kunst im Mittelalter, Darmstadt 2002, S. 10.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Visionen und Träume als mittelalterliche Quellen am Beispiel der "Visio Godeschalci"
Hochschule
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald
Veranstaltung
Quellenkunde des Mittelalters
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
18
Katalognummer
V78566
ISBN (eBook)
9783638846400
ISBN (Buch)
9783638845274
Dateigröße
529 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Visionen, Träume, Quellen, Beispiel, Visio, Godeschalci, Quellenkunde, Mittelalters
Arbeit zitieren
Manuela Piel (Autor:in), 2005, Visionen und Träume als mittelalterliche Quellen am Beispiel der "Visio Godeschalci", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78566

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