Die Argumentationstheorie von Toulmin


Hausarbeit, 2006

25 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Klärung von Fachtermini

3. Grundzüge einer Argumentation

4. Die Argumentationstheorie von Toulmin
4.1. Die Motivation Toulmins für eine neue Argumentationstheorie
4.2. Der Syllogismus
4.3. Das Argumentationsschema von Toulmin
4.3.1. Daten und Konklusion
4.3.2. Schlussregeln
4.3.3. Ausnahmebedingungen und Modaloperatoren
4.3.4. Stützung
4.4. Toulmins Kritik am Syllogismus
4.5. Die Bedeutung der Toulmin’schen Argumentationstheorie für die Textlinguistik
4.6. Abschließende Bemerkungen zu Toulmins Argumentationstheorie

Anhang

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Grundlage menschlicher Beziehungen ist die Kommunikation der Menschen einer Gesellschaft miteinander. Innerhalb dieser Gesellschaft ist jedes Individuum danach bestrebt, seinen Standpunkt zu behaupten, seine Meinung zu vertreten und andere Menschen von ebendiesen beiden Punkten zu überzeugen. Dies geschieht überwiegend durch Argumentationen, welche in jedem Lebensbereich zu finden sind. Gerade in den letzten Jahren hat sich das Interesse an Argumentationen und den damit verbundenen Argumentationstheorien explosionsartig ausgebreitet, als würde es sich um ein neues Phänomen der Gesellschaft handeln. Zahlreiche Neuerscheinungen von Büchern, regelrechte Argumentationsanleitungen, versprechen den Menschen, zu erlernen, wie man richtig argumentiert, um somit in der Gesellschaft zu bestehen. Dieses Phänomen hat mich neugierig auf das Thema „Argumentieren“ gemacht und mich dazu bewegt, besonders bezüglich der Bedeutung der Argumentation für die Sprachwissenschaft nachzuforschen.

Zu bemerken ist nun, dass Argumentation und Argumentationstheorie keine neuen Erscheinungen sind, sondern schon in der antiken Rhetorik eine bedeutende Rolle spielten. Bereits bei den Rednern der Antike „verdankt sich das Interesse an Argumentationen (…) dem durch und durch pragmatischen Bedürfnis nach sozialer Selbstbehauptung“[1]. Somit ist die Rhetorik, die sich mit der Kunst der Rede beschäftigt, auch als Mutterdisziplin der Argumentation zu verstehen. Inwieweit die Argumentation in der Antike bereits eine Rolle gespielt hat und welcher Zusammenhang zur Argumentation in der Gegenwart besteht, wird noch zu klären sein. Zumindest ist hier bereits festzuhalten, dass „für die Rhetorik (…) das Thema ‚Argumentation’ interessant werden [musste], denn sie war und ist das basale Verfahren, um Menschen gewaltlos, durch den ‚zwanglosen Zwang’ überzeugender Rede (…) für gemeinsame Ziele zu gewinnen.(…)“[2]

Ebenso werden im Laufe der Hausarbeit weitere Fragen im Zusammenhang mit dem Thema Argumentation zu klären sein: Was heißt Argumentation überhaupt? Was versteht man unter Argumentationstheorie? Wie verfahren wir argumentativ im Alltag? Wann argumentiert man? Warum argumentiert man? Welche Voraussetzungen sind notwendig, damit wir uns überhaupt verständlich machen und argumentieren können?

Einen bedeutenden Beitrag für die Argumentationstheorie hat Stephen Toulmin mit seinem 1958 erschienen Buch „Der Gebrauch von Argumenten“[3] geleistet. Der 1922 in London geborene britische Philosoph, Mathematiker und Physiker studierte in Cambridge und ist seit 1972 Leiter des Crown College in Santa Cruz an der University of California. Als Wittgenstein-Schüler stand er laut Schmidt[4] unter Einfluss dessen Spätphilosophie[5] und in den von ihm entwickelten Ideen zur Argumentation lassen sich ebendiese Einflüsse auch erkennen[6].

In der folgenden Hausarbeit werde ich nun versuchen, zu klären, inwieweit das von Toulmin entwickelte Schema Antwort auf die oben gestellten Fragen geben kann, ob es besonders für die Alltagsargumentation nützlich ist und ob es mit diesem Modell gelingt, eine Argumentation transparent zu machen. Dazu sind zunächst grundlegende Begriffsklärungen nötig, die den ersten Teil der Arbeit darstellen, bevor eine ausführliche Erläuterung des Schemas folgt.

Des Weiteren werde ich Bezüge zur antiken Argumentation herstellen, um die Motivation Toulmins für die Entwicklung eines neuen Schemas nachzuvollziehen. Um den Bezug zur Sprachwissenschaft schaffen zu können, wird schließlich auch die Frage nach der Bedeutung des Toulmin- Schemas für die Textlinguistik zu beantworten sein.

Um dieser Arbeit einen besonderen Bezug zur französischen Sprachwissenschaft zu geben, werde ich im Folgenden ausschließlich französische Beispiele verwenden und hoffe, die dargelegten Theorien durch diese Beispiele verständlicher zu machen.

2. Klärung von Fachtermini

Um das Feld der Argumentation und damit schließlich auch die Argumentationstheorie von Toulmin zu verstehen bedarf es einiger Begriffsklärungen.

Zunächst ist es von Bedeutung, alle Begriffe, die mit dem Argumentieren in Zusammenhang stehen, zu spezifizieren.

Kopperschmidt gibt in seiner „Argumentationstheorie“ eine prägnante Definition von Argumentation, indem er schreibt:

„So gesehen begründen Argumentationen den Geltungsanspruch einer Aussage durch die Behauptung einer Geltungsbeziehung zwischen ihr und einer anderen Aussage, von deren Anerkennung ihre eigene Anerkennung abhängig gemacht wird“[7].

Die Beweisführung in einer Argumentation kommt also durch das Verweisen auf andere Behauptungen, deren Gültigkeit angenommen und vorausgesetzt wird, zustande.

In diesem Zusammenhang soll durch das Argumentieren im Prinzip erreicht werden, dass die vorgebrachten Argumente als überzeugungskräftig angesehen werden und somit die Geltungsbeziehung, die zwischen zwei Aussagen gemacht wird, legitimiert bzw. rechtfertigt und dadurch die strittige Aussage entweder be- oder widerlegt.

In Kienpointers „Alltagslogik“ wird das Argumentieren als „komplexer Sprechakt“ bezeichnet, „bei dem ein oder mehrere Sätze geäußert werden, um die Wahrheit bzw. Richtigkeit ein oder mehrerer Propositionen zu behaupten, die die Wahrheit bzw. Richtigkeit ein oder mehrerer strittiger Propositionen stützen oder widerlegen soll.“[8]

Die wichtigste Rolle in Argumentationen spielen also die Argumente, die als Beweise, Gründe und Unterstützung für eine strittige Aussage dienen und deren Gültigkeit oder Ungültigkeit erweisen sollen.

Unter dem Begriff der Argumentationstheorie, der für die Beschreibung des Toulmin- Schemas eine Rolle spielt, da er dieses Schema als Argumentationstheorie bezeichnet, versteht man „metaargumentatives Reden über Argumentation“[9]. Anders ausgedrückt stellt die Argumentationstheorie, wie es der Begriff schon aus sich schließen lässt, die Theorie der Praxis des Argumentierens dar. Die Argumentationstheorie ist ein Teil der Philosophie, wird aber in den letzten Jahren auch in anderen Disziplinen, wie Psychologie, Rechtswissenschaft, Linguistik, Pädagogik und Literaturkritik besprochen. Häufig wird die Argumentationstheorie auch als „Herzstück“ der Rhetorik bezeichnet, da sie sich im Grunde mit allen Aspekten des Argumentierens beschäftigt und somit besonders eine bedeutende Rolle für die Produktionsstadien „inventio“[10] und „dispositio“[11] einer Rede spielt.

Die Rhetorik an sich spielte besonders in der Antike, aber auch heute noch, eine große Rolle und beschäftigt sich mit der Kunst des Redens. Da dazu vor allem das Argumentieren gehört, stellt die Argumentationstheorie also eine Teildisziplin der Rhetorik dar.

Zuletzt muss noch definiert werden, was man darunter versteht, wenn gefordert wird, eine Argumentation müsste logisch sein. Unter Logik versteht man „die Lehre von den Prinzipien des richtigen, d.h. schlüssigen Denkens und Beweisführens“[12].

Logisch ist ein Argument also dann, wenn es nachvollziehbar schlüssig und folgerichtig ist und als logisch richtig wird „diejenige Beziehung zwischen Voraussetzungen und Schluss angesehen, bei der wahre Voraussetzungen zu einem wahren Schluss führen“[13].

Die Frage nach der Gültigkeit eines Arguments lässt sich an dieser Stelle auf Grund ihrer Komplexität nicht einfach definieren, sondern wird sich im Laufe der folgenden Arbeit erschließen.

3. Grundzüge einer Argumentation

Bevor ich mich dem Toulmin-Schema widmen kann, welches den Aufbau von Argumentationen zu beschreiben versucht, möchte ich zunächst die Fragen klären, die mit einer Argumentation allgemein im Zusammenhang stehen:

Welche Voraussetzungen sind notwendig, damit wir uns überhaupt verständlich machen und argumentieren können? Wann argumentiert man? Warum argumentiert man? Wie verfahren wir argumentativ im Alltag?

Zunächst müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, damit man sich überhaupt verständlich machen und somit auch argumentieren kann. Eine simple, jedoch notwendige Voraussetzung ist die Fähigkeit des Einzelnen, sich mittels Sprache verständigen zu können[14] und sich in einer Gesellschaft zu befinden, in der weitere, gleichartige Individuen vorhanden sind[15]. Neben der prinzipiellen Sprechfähigkeit bedarf es für den komplexen Vorgang einer möglichst logischen Argumentation besonders die individuelle Argumentationsfähigkeit des Einzelnen. Er muss also im Besitz von kognitiven Kompetenzen sein, um argumentativ verfahren zu können und muss das Vorgehen bei einer Argumentation bereits erlernt haben. Des Weiteren muss er auch das Bedürfnis haben, an seiner Umwelt teilzunehmen, sich argumentativ zu äußern; eine gewisse Argumentationsbereitschaft ist also notwendig. Zudem, und das ist meiner Meinung nach das wichtigste, müssen in der Umgebung des Einzelnen Anlässe vorhanden sein, auf Grund derer eine Argumentation notwendig ist, das heißt, es müssen Problemlagen gegeben sein, die eine Argumentation in einer bestimmten Situation erfordern. Im Zuge der andauernden menschlichen Kommunikation und dem ständigen Bedürfnis des Einzelnen nach Selbstbehauptung dürfte es jedoch dauerhaft den Anreiz zu Argumentationen geben.

Aus diesen Voraussetzungen ergibt sich bereits ansatzweise eine Antwort auf die Frage, wann und warum man argumentiert. Kopperschmidt gibt in seiner „Argumentationstheorie zur Einführung“ folgende Antwort auf die gestellten Fragen:

„Argumente (…) sind nur nötig, wenn Geltungsansprüche situativ problematisiert werden, und sie sind nur möglich, wenn es Geltungsansprüche gibt, die als unstrittig unterstellt werden können.“[16].

Man argumentiert also nur dann, wenn sich zwischen mehreren Personen unterschiedliche Ansichten über den Geltungsanspruch einer Aussage entwickelt haben und es notwendig ist, dieses Problem zu lösen. Zur Lösung des Problems soll die Argumentation dadurch führen, dass Argumente von der eigenen Ansicht überzeugen sollen und den problematisierten Geltungsanspruch als richtig oder falsch herausstellen. Man argumentiert also, weil man seine Behauptung, die man bezüglich eines Sachverhaltes aufgestellt hat oder ein Verhalten, rechtfertigen will und muss. Ob diese Behauptung oder auch ein Verhalten als rechtfertigungsfähig nachgewiesen werden kann, entscheidet sich über die Argumente und deren Anerkennung.

Die Frage danach, ob und wann es Geltungsansprüche gibt, die als unstrittig gelten, so wie es im obigen Zitat als Voraussetzung für eine Argumentation dargestellt ist, wird sich später durch das Toulmin- Schema erklären.

Bezüglich der Frage nach dem „Wie“ einer Argumentation muss auf das wichtigste Charakteristikum eines guten Arguments hingewiesen werden: dessen Überzeugungskraft. Kopperschmidt schreibt dazu in seiner Einführung:

„’Überzeugungskräftig’ nennen wir die spezifische Eigenschaft von Geltungsgründen, insofern sie rational dazu bewegen können, den (problematisierten) Geltungsanspruch einer Aussage anzuerkennen“[17].

Wichtig ist jedoch noch, dass es einen Unterschied zwischen Überzeugen und Überreden in einer Argumentation gibt. Die Argumentation sollte also nicht nur stattfinden, um sie eigentlich zu vermeiden, indem der Opponent einfach überredet wird, ohne dass seine Argumente und Einwände zur Geltung kommen, sondern es sollte durch stichhaltige, überzeugungskräftige Argumente überzeugt werden, so dass der Opponent den Geltungsanspruch nicht nur gezwungenermaßen akzeptiert, sondern ihn anerkennt und nachvollziehen kann.

Eine weitere Schwierigkeit, die sich an dieser Stelle anschließt ist das Problem der Glaubwürdigkeit von Argumenten und die Unterscheidung von guten und schlechten Argumentationen. Glaubwürdigkeit gilt als eine der stärksten Überzeugungskräfte, jedoch muss nicht jede Argumentation, die glaubwürdig klingt auch richtig und gut sein. So hängt die Tatsache, ob jemand einer Argumentation Glauben schenkt, nicht von der Qualität der Argumente ab, sondern von der „Absicht und der Fähigkeit des Sprechers (…), die Hörer zu manipulieren; zum Teil aber auch von der Bereitwilligkeit der Hörer, sich manipulieren zu lassen“[18] und von den Qualitäten, die der Sprecher außer seiner argumentativen Fähigkeit mit sich bringt, wie zum Beispiel überzeugendes Auftreten, Ausstrahlung usw. Das heißt, eine schlechte, einfache, aber beeindruckend vorgebrachte Argumentation kann manchmal überzeugender sein, als eine gute, aber komplex strukturierte. Inwieweit man gute und schlechte Argumente dennoch unterscheiden kann, ergibt sich an späterer Stelle aus dem Toulmin- Schema und dessen Kategorien.

[...]


[1] Siehe Kopperschmidt, Seite 10.

[2] Ebd., Seite 32.

[3] Titel der Originalausgabe: The Uses of Argument.

[4] Vgl. Schmidt, in: Schecker, Seite 176.

[5] Siehe Anhang, Punkt 1.

[6] Siehe Anhang, Punkt 2.

[7] Siehe Kopperschmidt, Seite 20.

[8] Siehe Kienpointer, Seite 15.

[9] Siehe Kopperschmidt, Seite 51.

[10] Im Produktionsstadium „inventio“ sollen passende Argumente für eine Argumentation gefunden werden.

[11] Im Produktionsstadium „dispositio“ sollen gefundene Argumente zu einer überzeugenden Argumentationskette folgerichtig angeordnet werden.

[12] Siehe Encarta Enzyklopädie Professional 2005 „Logik“.

[13] Siehe Encarta Enzyklopädie Professional 2005 „Logik“.

[14] Interessant wäre auch die Frage, inwieweit sich Menschen verständigen und argumentieren können, die nicht sprechen können, weil sie stumm sind oder auf Grund von Taubheit nicht hören, was ihr Gegenüber erwidert. Ihnen bleibt meiner Meinung nach die Möglichkeit, schriftlich oder mittels Zeichensprache zu argumentieren, da eine Argumentation ja nicht nur auf den Bereich der Mündlichkeit beschränkt ist.

[15] Ein Mensch, der abgeschieden und allein ohne jegliche Gesellschaft lebt, wird wohl weder die Möglichkeit noch die Notwendigkeit einer Argumentation haben.

[16] Siehe Kopperschmidt, Seite 93.

[17] Ebd., Seite 52.

[18] Siehe Føllesdal, Seite 5.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Die Argumentationstheorie von Toulmin
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Institut für Romanistik)
Veranstaltung
Französische Sprachwissenschaften: Textsorten in Geschichte und Gegenwart
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
25
Katalognummer
V78552
ISBN (eBook)
9783638838283
Dateigröße
481 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Anwendungsbeispiele in der Arbeit sind in französischer Sprache verfasst
Schlagworte
Argumentationstheorie, Toulmin, Französische, Sprachwissenschaften, Textsorten, Geschichte, Gegenwart
Arbeit zitieren
Jana Gedeon (Autor:in), 2006, Die Argumentationstheorie von Toulmin, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78552

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