Die Kraft der Schwachen - jüdisch-christliche Motive bei Anna Seghers


Hausarbeit, 2006

24 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsangabe

1. Einleitung

2. Die Kraft der Schwachen
2.1 als Erzählband
2.2 als Motiv

3. Erzählung: Der Führer
3.1 Der Todesengel
3.2 Schatzsuche
3.3 Die Apostel
3.4 der letzte Tag

4. Erzählung: Der Prophet

5. Erzählung: Tuomas beschenkt die Halbinsel Sorsa
5.1 Schatzsuche bzw. Wallfahrt
5.2 Johannistag und Passahfest
5.3 der Sämann und das Saatkorn

6. Erzählung: Die Heimkehr des verlorenen Volkes
6.1 Vertreibung aus dem gelobten Land
6.2 Galut
6.3 das verlorene Volk (Hesekiel)
6.4 Heilserfüllung

7. Fazit / Schlussbemerkungen

8. Literaturliste

1. Einleitung

Anna Seghers gehörte zu den bedeutendsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts, weshalb sie und ihr dichterisches Werk bereits unzähligen Literaturwissenschaftlern als Untersuchungsgegenstand dienten. Da sie sich persönlich jedoch nur spärlich zu ihren religiösen Wurzeln geäußert hat und die biografischen Fakten für sich nur wenig Aussagekraft besitzen, wurde das Thema der religiösen Beeinflussung ihres Lebens und Werkes bisher eher vernachlässigt. Erst seit Mitte der 90er Jahre erscheinen vereinzelt Aufsätze, welche sich mit den jüdischen Elementen in Anna Seghers´ Werk befassen. Zu verdanken ist dieser Umstand in erster Linie einer allmählichen Trendwende in den 80ern, aufgrund derer die einseitige Betrachtungsweise der Exilerfahrungen zurzeit des Nationalsozialismus durchbrochen wurde. In den Blickpunkt der Forschung tritt neben das bis dahin primäre Widerstandsmotiv das Opfermotiv, insbesondere die Erlebnisse jüdischer Leidtragender, sodass die Lebens-geschichte von Anna Seghers daraufhin ebenfalls unter diesem Aspekt analysiert und im Folgenden endlich auch den jüdischen Spuren im literarischen Werk nachgespürt wurde.[1]

Mit dieser Arbeit soll nun ein weiterer Beitrag zu diesem Forschungsschwerpunkt geleistet werden, um ihn gleichfalls zu erweitern. Denn Anna Seghers Werk weist nicht nur Spuren jüdischer Provenienz auf, sondern beinhaltet gleichermaßen Motive christlicher Tradition. Ohne dabei einen von beiden Aspekten zu bevorzugen, weshalb hier eben auch beide Glaubensrichtungen berücksichtigt werden. Als konkreter Untersuchungsgegenstand wird dazu der Erzählband „Die Kraft der Schwachen“ herangezogen, weil dieser von der Wiederaufnahme der wichtigsten Themen aus Anna Seghers Werk gekennzeichnet ist, wie in einer Art Zusammenfassung ihres künstlerischen Schaffens. Insbesondere die Besinnung auf menschliche Qualitäten, welche eine bessere Zukunft für alle garantieren, prädestiniert den Erzählband. Schließlich wird damit ein zentrales Bibelthema aufgegriffen.

Im Rahmen dieses Aufsatzes kann allerdings nicht auf alle neun Erzählungen des Sammelbandes eingegangen werden. Daher erfolgt zunächst ein allgemeiner Überblick, wobei „Die Kraft der Schwachen“ einerseits in ihrer Gesamtkonzeption betrachtet wird, um die Verbindung zwischen den einzelnen Geschichten aufzuzeigen. Andererseits wird der Titel des Bandes in seiner Verwendung als sinnstiftendes Motiv dargestellt. Im Anschluss daran werden ausgewählte Erzählungen detailliert auf die Verwendung von christlichen und jüdischen Motiven untersucht. Dabei wird auf eine ausführliche Inhaltangabe und Interpretation der einzelnen Titel verzichtet, um die Arbeit umfangmäßig nicht ausufern zu lassen. Abschließend werden die wichtigsten Erkenntnisse noch einmal zusammengefasst.

2. Die Kraft der Schwachen

2.1. als Erzählband

„Es hat mich gereizt, über Menschen zu schreiben, die unheroisch sind, die mit und neben uns leben, die still und ohne Aufmerksamkeit anderer Großes und Schönes vollbringen, ohne dass sie es meist selbst wissen… Man sieht heute zuviel Menschen, die etwas aus sich machen. Solche sind in meinem Buch nicht vorhanden… Ich glaube, dass alle Menschen Leistungen vollbringen, nicht immer allgemein sichtbare. So geschahen viele schöne Dinge tagtäglich um uns her, die ohne die Kraft der Schwachen nicht möglich wären. Diese Kraft ist unsichtbar, weil sie im Stillen wächst, nicht angibt und nicht auf Ruhm aus ist. Darin besteht ihre Größe.“

Zitat von Anna Seghers (Leipziger Volkszeitung vom 11.3. 1966)

Der Erzählband „Die Kraft der Schwachen“ wurde 1965 veröffentlicht.[2] Er enthält neun Erzählungen, obwohl ursprünglich sogar 10 oder 11 beabsichtigt waren.[3] Und entgegen häufiger Vermutungen spielt der Titel der Erzählsammlung nicht auf das ‚arme’ Proletariat an. Wie o.g. Zitat der Autorin deutlich zeigt, ging es Anna Seghers um die Darstellung besonderer Menschen und besonderer Schicksale. Jede Geschichte beschreibt ein eigenes Schicksal, handelt an einem eigenen Ort und zu einer eigenen Zeit. Die einzelnen ‚Helden’ werden dabei unabhängig von einem sozialen Kontext betrachtet. Ihre Schwachheit basiert auf den ganz individuellen Lebenserfahrungen.

‚Agathe Schweigert’ beispielsweise, eine kleine und schüchterne Frau, steht der Entfremdung zu ihrem Sohn machtlos gegenüber. Nachdem er vor der SS fliehen musste, ist sie zunächst wie betäubt von dem Verlust, rafft sich letztlich doch auf, um ihn zu suchen. Ihre Kraft schöpft sie allein aus ihrer Mutterliebe.[4] ‚Das Schilfrohr’ berichtet vom Schicksal einer Frau, die mehrere schwere Verluste erleiden musste. Sowohl ihre Eltern, als auch ihr Verlobter und ihr Lieblingsbruder sind tot. Als nun ihr anderer Bruder aus der Gefangenschaft heimkehrt und eine Frau mitbringt, fühlt sie sich überflüssig und unglücklich. Aber auch sie kann sich aus ihrer misslichen Lage befreien, angetrieben von der Liebe zu einem Flüchtling.[5] Im ‚Duell’ gerät der Schüler Helwig zwischen die Fronten. Er wird zum Auslöser für einen Streit zwischen zwei Lehrern, weil er den Schulstoff nicht versteht. Während der eine Lehrer ihn als dumm abstempelt, will der andere ihm helfen. So schöpft Helwig seine Kraft aus der Zuversicht des Lehrers Bötcher.[6]

Aber trotz allem zieht sich ein roter Faden durch den Band. In allen Erzählungen wird das innerste Wesen eines Menschen, der an einem prägenden Punkt in seinem Leben angekommen ist, beleuchtet. Und eben in jener Situation kommt Schwachheit der Hauptpersonen zum Ausdruck, weil sie sich hilflos und ohnmächtig fühlen. Intuitiv spüren die Protagonisten aber, was zu tun ist, um eine Veränderung herbeizuführen. Anna Seghers „zeigt in den Schicksalen und Ereignissen …, wozu der Mensch fähig ist, wenn seine moralische Kraft auf die Probe gestellt wird.“[7] Dabei werden exemplarisch Wandlungs- und Reifeprozesse einzelner Personen angedeutet, die für die Entwicklung der gesamten Menschheit ausschlaggebend sind. Die Kämpfe in den Erzählungen stehen stellvertretend für die Kämpfe der realen Welt, die tagtäglich gefochten werden.

2.2. als Motiv

Die Kraft der Schwachen. Woher kommt sie? Eine Frage, die die Menschen nicht erst seit heute beschäftigt, sondern schon seit etlichen Jahrhunderten. So finden sich bereits im Alten und Neuen Testament Erklärungsversuche.

In der jüdischen Tradition wird der Schwache als „bevorzugtes Objekt göttlichen Handelns“[8] angesehen. D.h. die Kraft der Schwachen resultiert aus der besonderen Fürsorge Gottes. Bei Hesekiel (34,20) ist eben diese Fürsorge Bestandteil der Verkündigung: „Darum spricht Gott der Herr: Siehe, ich will selbst richten zwischen den fetten und den mageren Schafen; weil ihr Seite und Schulter drängtet und die Schwachen von euch stießet mit euren Hörnern, bis ihr sie alle hinausgetrieben hattet, will ich meiner Herde helfen, daß sie nicht mehr zum Raub werden soll“.[9] Gott beschützt die Schwachen vor jeglichen Gefahren, auch vor dem „schädigenden Sozialverhalten eines ‚Starken’ auf Kosten der Schwächeren.“[10] Im Fall von Hesekiel greift Gott unter Androhung seines Gerichts zum Wohle der Schwächeren ein, damit sie von den stärkeren Mitgliedern ihrer Gemeinschaft nicht länger benachteiligt werden. Das 1. Buch Samuel berichtet ebenfalls, wie Gott seine Macht zugunsten der Schwächeren einsetzt: „Der Bogen der Starken ist zerbrochen, und die Schwachen sind umgürtet mit Stärke.“[11] Demnach steht Gott stets schützend hinter ihnen, um sie in Gefahrensituationen verteidigen zu können. Die Schwachen bleiben aber weiterhin schwach, weshalb sie in alle Ewigkeit von der göttlichen Fürsorge abhängig sind.

Der bekannteste Beleg im Neuen Testament über den Ursprung der Kraft ist wohl jener im 2. Korinther Brief des Apostel Paulus als Gott zu ihm sprach: „Laß dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“[12] Nach christlichem Verständnis beschützt Gott die Schwachen folglich nicht nur, sondern verleiht ihnen eigene Kraft. Allerdings versteht sich diese Kraft nicht „im Sinne einer heroischen Tugend wie z.B. der Tapferkeit, sondern der festen Hoffnung auf die Vollendung im ewigen Leben und lässt sie dadurch die gegenwärtige äußere Situation der Schwachheit mit Geduld aushalten“[13] Die Schwachen ziehen ihre Kraft aus dem Glauben an Erlösung von den irdischen Leiden. Nur aus diesem Grund sind die Schwachen „guten Mutes in Schwachheit, in Misshandlung, in Nöten, in Verfolgung und Ängsten“[14]. Durch die Gewissheit, dass der Tag der Befreiung kommen wird, erdulden sie jedes Schicksal und sei es noch so grausam.

[...]


[1] Vgl. Haas,

[2] Vgl. Brandes,

[3] Vgl. Schrade,

[4] Vgl. dazu auch Schrade,

[5] Vgl. ZfB,

[6] Vgl. ZfB,

[7] Zit. nach Zentralinstitut für Bibliothekswesen (Im Folgenden als ZfB abgekürzt.),

[8] Zit. nach Krug,

[9] Zit. nach Luther Bibel: Hesekiel 34, 20-22.

[10] Zit. nach Krug,

[11] Zit. nach Luther Bibel: 1. Samuel 2,4

[12] Zit. nach Luther Bibel: 2. Korinther 12,9.

[13] Zit. nach Krug, S. 31 Dort wiederum zit. nach Ders.: Kraft in Schwachheit (1993), S. 274f.

[14] Zit. nach Luther Bibel: 2. Korinther 12,10.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Die Kraft der Schwachen - jüdisch-christliche Motive bei Anna Seghers
Hochschule
Universität Leipzig  (Institut für Germanistik)
Veranstaltung
Anna Seghers
Note
2,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
24
Katalognummer
V78386
ISBN (eBook)
9783638830379
ISBN (Buch)
9783638832472
Dateigröße
477 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Dozentin lobte die guten Detailerkenntnisse insbesondere die Aufdeckung der zahlreichen jüdischen Motive in den Subtexten, bemängelte allerdings, dass diese nicht zu einer wirklichen Zusammenfassung gebracht wurden.
Schlagworte
Kraft, Schwachen, Motive, Anna, Seghers, Anna, Seghers
Arbeit zitieren
Nicole Nette (Autor:in), 2006, Die Kraft der Schwachen - jüdisch-christliche Motive bei Anna Seghers, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78386

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